Der DIY Blueprint für die Unternehmensbewertung

Inhalt

Wir als Value Investoren bzw. DIY Investoren gehen davon aus, dass Unternehmen, wie z.B. Immobilien auch, einen intrinsischen Wert besitzen, der durch sorgfältige Analyse näherungsweise ermittelt werden kann. Investitionsgelegenheiten ergeben sich dann, wenn der aktuelle Marktpreis signifikant von diesem intrinsischen Wert nach unten abweicht. Für jeden Value Investor ist die Unternehmensbewertung bzw. die Bestimmung des intrinsischen Wertes daher das Kernelement auf dem Weg zu einer erfolgreichen Investition.

Es gibt im Rahmen der Unternehmensbewertung eine Vielzahl an Methoden zur Bestimmung des intrinsischen Wertes, von denen einige erfahrungsgemäß besser funktionieren als andere. Wir bei DIY Investor sind der Meinung, dass der historische Erfolg der Ansätze von Ben Graham und David Dodd (nachzulesen in ihrem Buch Security Analysis bzw. dem späteren Werk von Graham Der intelligente Investor) kein Zufall ist und die Methoden darüber hinaus große praktische Vorteile gegenüber anderen, häufig verwendeten Alternativen wie der DCF-Modellierung haben.


Was du in diesem Artikel lernst

  • Warum der Discounted Cash Flow Ansatz zur Unternehmensbewertung zwar in der Praxis am weitesten verbreitet ist, trotzdem aber signifikante Nachteile hat
  • Welche 3 Schritte wir im Bewertungsprozess (Schritt 3 im übergeordneten Investmentprozess) durchlaufen sollten, um eine ausreichende Sicherheit über den tatsächlichen intrinsischen Wert zu bekommen
    • Analyse des Sachwerts (Liquidationswert oder Ersatzwert) = Wertuntergrenze
    • Wert der aktuellen, normalisierten Cash Flows (auf Basis Earnings Power bzw. Owner Earnings) = Aktueller Wert ohne Wachstum und angepasst auf ein Durchschnittsjahr
    • Wert eines möglichen zukünftigen Wertgenerierung durch effiziente Kapitalallokation (Faktor-Ansatz bzw. DCF-ähnlicher Ansatz, Analyse der potenziellen Wertgenerierung durch Aktienrückkäufe) = Wert unter Einbezug realistischer Wachstumsoptionen
  • Wie die Bewertungsansätze mit der strategischen Positionierung der Firma zusammenhängen (Wettbewerbsvorteile etc.)
  • Wie wir den aktuellen Aktienkurs in unserem Ansatz mit einbeziehen
Bevor wir starten: Hier geht es erstmal nur um die Ableitung des intrinsischen Wertes. Eine Übersicht über alle wesentlichen Bewertungsverfahren findet ihr in Value Investing Basics: Das 1×1 der Bewertungsverfahren.

Unternehmensbewertung in der Theorie

In der Theorie gibt es glaub ich eine grundsätzliche Übereinstimmung darüber, dass der intrinsische Wert eigentlich jedes Vermögenswertes – sei es eine Eigentumswohnung, eine Solaranlage, eine Goldmine, ein Internetunternehmen oder eine Bundesanleihe – über den Barwert der für die Eigentümer des Vermögenswertes zur Verfügung stehenden zukünftigen Cash Flows bestimmt wird.

Das hat auch Warren Buffett schon mehrmals erwähnt:

In the Theory of Investment Value, written over 50 years ago, John Burr Williams set forth the equation for value, which we condense here: The value of any stock, bond or business today is determined by the cash inflows and outflows – discounted at an appropriate interest rate – that can be expected to occur during the remaining life of the asset. – Warren Buffett

Der Barwert wird dabei ermittelt als die Summe aller aktuellen und zukünftigen Cash Flows (Barmittelzuflüsse und -abflüsse) abgezinst mit den entsprechenden Kapitalkosten, um den Zeitwert des Geldes (i.W. den Zinseszinseffekt) zu berücksichtigen. Daher der Name: Discounted Cash Flow-Bewertung (bzw. DCF-Bewertung).

Ein Großteil der Value Investoren akzeptieren das Konzept und die Logik der Barwertkalkulation, die in sich sehr konsistent und nachvollziehbar ist. Wahrscheinlich deshalb werden die Techniken an praktisch jeder Wirtschaftsuni und Busines School gelehrt und sind außerdem ein gewichtiger Bestandteil des CFA Curriculums. Zum DCF-Ansatz wurden zahlreiche Bücher geschrieben (u.a. The Little Book of Valuation von Aswath Damodaran oder Valuation von McKinsey & Co). Praktisch jede Investment Bank und jedes Unternehmen nutzen DCF-Modelle für ihre Unternehmensbewertungen (z.B. im Rahmen von M&A Transaktionen, Sell-Side Research etc.). Und auch ein paar (wenn auch nicht viele) Value Investoren nutzen DCF-Modelle (z.B. Glenn Greenberg), allerdings mit sehr konservativen und wohl überlegten Annahmen.

Mit anderen Worten: Kein Bewertungstool ist so weit verbreitet wie der Discounted Cash Flow Ansatz.

(Kleine Notiz am Rande: Deshalb, und auch weil der DCF-Ansatz ein paar durchaus nützliche Elemente beinhaltet, gehe ich bei DIY Investor auch detaillierter darauf ein.)


DCF: Das meist genutzte Bewertungstool hat so seine Nachteile

Trotzdem: Was in der Theorie toll ist, muss in der Praxis nicht immer unbedingt funktionieren. Der Discounted Cash Flow Ansatz hat nämlich leider ein paar nicht unerhebliche Nachteile. Nur richtig angewendet kann eine Bewertung mithilfe eines DCF-Modells für uns nützlich sein.

Unter anderem beinhaltet die DCF-Modellierung eine Abschätzung der freien Cash Flows (entweder FCFF oder FCFE) für die nächsten 5 bis 10 Jahre, sowie die Abschätzung einer Wachstumsrate für den unendlich langen Zeitraum danach (zur Bestimmung des so genannten Endwerts bzw. Terminal Value).

Für die meisten Value Investoren sind schon Prognosen, die weiter als zwei oder drei Jahre in die Zukunft reichen, ziemlich gewagt. Denn niemand kann wirklich voraussagen, wie sich z.B. das Marktumfeld selbst für mehr oder weniger stabile Unternehmen wie Airbus oder Daimler in den nächsten paar Jahren entwickeln wird (siehe Beispiel Tesla). Da löst sich das schöne prognostizierte Wachstum schnell in Luft auf. EBIT-Margen und Reinvestitionsraten / Wiederanlagequoten sind entsprechend schwer zu prognostizieren.

Auch die Annahmen bzgl. der Kapitalkosten – nämlich dass ein Unternehmen sich langfristig und vorhersagbar zu einem bestimmten Kapitalkostensatz finanzieren kann – sind relativ gewagt. Bei Eigentumswohnungen ist es ja das gleiche. Die gesamte Wirtschaftlichkeit einer Immobilie kann sich komplett ändern, wenn wir in ein paar Jahren zu einem viel höheren Zinssatz refinanzieren müssen.

We should be struck here by a glaring inconsistency between the precision of the algebra and the gross uncertainties infecting the variables that drive the model. – Bruce Greenwald in Value Investing

Es gibt also eine gewisse Inkonsistenz zwischen der Algebra der Modellierung (alles gut nachvollziehbar und mathematisch abgeleitet) und der Abschätzung der Variablen bzw. Inputs des Modells (alles sehr ungenau).

Unternehmensbewertung Ablauf DCF

Schematischer Ablauf DCF-Modellierung

Daraus ergibt sich dann auch das wahrscheinlich größte Problem mit dem DCF-Ansatz: Kleine Änderungen an den Inputs können große Veränderungen des abgeschätzten Unternehmenswerts zur Folge haben. Verschätzen wir uns bei der Wachstumsrate nur um ein oder zwei Prozentpunkte, kann das den Terminal Value mal eben verdoppeln (oder auch halbieren). Böse Zungen behaupten, dass der DCF-Ansatz unter Großunternehmen und Investment Bankern genau deshalb so beliebt ist, weil sich mit mathematischer Präzision genau das Ergebnis ermitteln lässt, dass man gerade haben möchte.

Auf diese Nachteile (oder nennen wir es besser Herausforderungen) kommen wir später nochmal zurück, wenn es um die Berücksichtigung eines zukünftigen Gewinnwachstums geht.


In drei Schritten zur Bestimmung des intrinsischen Wertes

Nun da wir um die Problematik rund um den DCF-Ansatz wissen, sollten wir nochmal einen Schritt zurück treten. Bevor wir uns Gedanken über hochgradig unsichere zukünftige Wachstumsraten und Cash Flow Prognosen machen, sollten wir erst einmal verstehen, was wir denn eigentlich mit Sicherheit über ein Unternehmen sagen können.

Und damit sind wir fast schon wieder beim ursprünglichen Ansatz zur Unternehmensbewertung von Ben Graham und David Dodd angekommen, der sich zunächst auf diejenigen Informationen über ein Unternehmen fokussiert, die solide und sicher belegt sind (also historische Informationen).

Die unsicheren und auf Annahmen und Abschätzungen beruhenden Zukunftsaussichten bewerten Graham und Dodd, wenn überhaupt, nur sehr konservativ.

Entsprechend dieses Ansatzes und anhand des Grades der Unsicherheit ergeben sich daraus drei Schritte für die Abschätzung des intrinsischen Unternehmenswertes (in Anlehnung an Value Investing von Bruce Greenwald):

  • Zuerst schätzen wir den Wert der existierenden Vermögenswerte ab (Fokus auf die Bilanz – sehr sicher)
  • Anschließend ermitteln wir den Wert der aktuellen Cash Flows bzw. den so genannten Earnings Power Value (Fokus auf die aktuellen bzw. historischen normalisierten Gewinne bzw. Cash Flows – recht sicher)
  • Schlussendlich berücksichtigen wir ggf. den Wert eines möglichen zukünftigen Wertgenerierung durch effiziente Kapitalallokation (Fokus auf zukünftige Kapitalrendite und Wachstumsrate sowie Wertgenerierung durch Aktienrückkäufe etc. – auch unter konservativen Annahmen sehr unsicher)

Im Folgenden gebe ich einmal eine kurze Übersicht über die einzelnen Schritte.


Schritt 1: Der Wert der existierenden Vermögenswerte

Wir starten hier mit dem klassischen Ansatz von Ben Graham: dem Sachwert der Firma.

Dafür schauen wir in die Bilanz des aktuellsten Jahres- oder Quartalsberichts der Firma. Wir kennen die wesentlichen Bilanzierungstricks und wissen daher, dass es einerseits Vermögenswerte gibt, die sehr präzise, eindeutig definiert und im Wesentlichen unveränderlich sind (wie z.B. Barmittelbestände / Cash) und andererseits welche, die stark von Annahmen geprägt und daher in ihrer Höhe unsicherer sind (z.B. Goodwill).

Nach dieser Logik ist auch die Bilanz aufgebaut: Die kurzfristigen und sicheren Vermögenswerte stehen in der Regel oben, die langfristigen und unsicheren Vermögenswerte in der Regel weiter unten.

Wir starten also oben mit den kurzfristigen Vermögenswerten wie Cash, Forderungen, Lagerbeständen etc. und arbeiten uns weiter nach unten zu den langfristigen Vermögenswerten (z.B. Sachanlagen, Goodwill) vor. Jeden Vermögenswert, also jede Zeile der Bilanz übernehmen wir entweder mit dem berichteten Buchwert oder aber wir nehmen eine Anpassung (nach unten oder nach oben) vor, wenn wir glauben, dass der reale Wert des Vermögenswertes vom Buchwert abweicht.

Analog gehen wir mit der Passivseite der Bilanz, also i.W. den kurzfristigen und langfristigen Schulden, vor.

Am Ende ziehen wir die Schulden einfach von den Vermögenswerten ab und erhalten so eine konservative Schätzung des intrinsischen Wertes.

Die große Frage ist also nun, welche Vermögenswerte wir übernehmen und welche wir anpassen bzw. ganz unberücksichtigt lassen, weil sie aus unserer Sicht keinen Wert besitzen. Hierzu gibt es im Wesentlichen zwei Sichtweisen:

  1. den Liquidationswert
  2. die Reproduktionskosten bzw. den Ersatzwert

Wenn wir es mit einer Industrie zu tun haben, in der sich das Marktumfeld immer weiter verschlechtert, die für die Firmen nicht mehr rentabel ist und die vermutlich über kurz oder lang verschwinden wird, dann ist der Liquidationswert vermutlich der richtige Ansatzpunkt für unsere Bewertung.

Glauben wir andererseits, dass die Industrie nach wie vor eine langfristige Perspektive hat, dann sollten wir uns vermutlich den Ersatzwert bzw. die Reproduktionskosten anschauen. Der Ersatzwert ist genau der Wert, den das Unternehmen selbst oder ein Wettbewerber heute (nach dem aktuellen Stand der Technik) aufbringen müsste, um einen exakt gleichen neuen Wettbewerber zu schaffen.


Liquidationswert

Ben Graham selbst ging in seinen Analysen meistens vom Liquidationsfall aus, d.h. er bewertete eine Firma unter der Annahme, dass im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Vermögenswerte jeweils einzeln an den Meistbietenden verkauft werden würden.

In der Praxis ging Graham so weit, dass er nur die kurzfristigen Vermögenswerte in seiner Bewertung überhaupt berücksichtigte. Also nur diejenigen Vermögenswerte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in relativ kurzer Zeit zum Buchwert (oder nur wenig darunter) verkauft werden könnten. Alle langfristigen Vermögenswerte setzte Graham mit einem Wert von Null bzw. Schrottwert an, weil er davon ausging, dass es sich nicht lohnen würde, z.B. veraltete Produktionsanlagen an anderer Stelle wieder zu errichten.

Dieser so genannte Net Net Ansatz ist die konservativste Abschätzung des intrinsischen Wertes.

Net Nets, also Aktien, deren Kurse unterhalb ihres Net Current Asset Value (NCAV) bzw. des Net Net Working Capital (NNWC) liegen, kommen in der Praxis allerdings heute sehr selten vor.


Ersatzwert (Reproduktionskosten)

Im Rahmen der Abschätzung des Ersatzwerts berücksichtigen wir nun im Wesentlichen alle existierenden Assets. Es geht ja auch darum, eine Firma in Gänze zu reproduzieren.

Auch hier können wir Großteile der kurzfristigen Assets einfach zu ihrem Buchwert übernehmen. Etwas schwieriger wird es dann allerdings bei den langfristigen Vermögenswerten. Hier müssen wir schon genau hinsehen. Z.B. aufgrund veränderter Preisgefüge der Lieferanten oder auch komplett neue Produktionstechnologien können die Wiederbeschaffungskosten stark von den Buchwerten (bzw. den damaligen Einstandspreisen – also korrigiert um die Abschreibungen) abweichen.

Ggf. müssen wir darüber hinaus für immaterielle Vermögensgegenstände und auch solche, die eigentlich gar keine sind (z.B. Marketingkosten zum Markenaufbau über einen gewissen Zeitraum, Vertriebskosten zum Aufbau der Kundenbeziehungen etc.) zusätzlich einen Wert ansetzen. Denn auch diese Beträge müsste ein neuer Wettbewerber erstmal investieren, um den entsprechenden Bekanntheitsgrad und die Marktdurchdringung zu erlangen.

Grundsätzlich repräsentiert der Ersatzwert den tatsächlichen Firmenwert in einem Umfeld ohne große Differenzierungsmöglichkeiten oder Wettbewerbsvorteile.

Was würde nämlich in einem solchen Umfeld / Markt passieren, wenn der Börsenwert doppelt so hoch wäre wie die Reproduktionskosten?

Klar: Weil es keine Markteintrittsbarrieren in Form von Wettbewerbsvorteilen gibt, würden neue Wettbewerber so lange in den Markt eintreten, bis durch den zunehmenden Wettbewerb die Gewinne und damit der Börsenwert bis auf die Reproduktionskosten gefallen sind.

Wir merken uns also: Ersatzwert = intrinsischer Wert in einem Umfeld ohne Wettbewerbsvorteile!

Das heißt, um einschätzen zu können, ob der Ersatzwert dem intrinsischen Wert entspricht, müssen wir ein Verständnis über die Industrie, die Geschäftsmodelle der Player und ihre (ggf. nicht vorhandenen) Wettbewerbsvorteile haben.

Oder aber wir wenden uns zunächst dem Schritt 2, der Berechnung des Earnings Power Value zu. Denn sollte der Earnings Power Value signifikant über dem Ersatzwert liegen, dann können wir davon ausgehen, dass die betrachtete Firma einen strukturellen Wettbewerbsvorteil hat.


Schritt 2: Earnings Power Value oder der Wert der aktuellen Cash Flows

Der Earnings Power Value (EPV), ebenfalls ein Konzept von Graham und Dodd, ist der zweit-konservativste Ansatz zur Abschätzung des intrinsischen Wertes. Hierbei geht es um die Bestimmung des Wertes basierend auf aktuellen, allerdings entsprechend angepassten Gewinnen bzw. Cash Flows. Wir gehen nun also weg von der Analyse der Bilanz hin zur Analyse der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. der Kapitalflussrechnung.

Um aus dem aktuellen Gewinn einen intrinsischen Wert abzuleiten, sind einige Anpassungen des Gewinns sowie eine Abschätzung der Kapitalkosten nötig. Der Earnings Power Value (EPV) bestimmt sich dann nach der folgenden Formel:

Earnings Power Value (EPV) = Normalisierter Gewinn bzw. Cash Flow * 1/R = Earnings Power * 1/R

wobei R die (aktuellen) Kapitalkosten repräsentiert (Formel für die ewige Rente).

Graham und Dodd gingen bei ihrem Ansatz von folgenden Prämissen aus:

  1. Der aktuelle Gewinn, sofern entsprechend angepasst, entspricht dem langfristig nachhaltigen Level an verteilbaren (also für die Kapitalgeber zur Verfügung stehenden) Cash Flows
  2. Das Gewinn-Niveau bleibt im Wesentlichen bis ins Unendliche unverändert

Bei den angesprochenen Anpassungen des aktuellen Gewinns sollen wir vor allem die folgenden Punkte berücksichtigen:

  • Richtige Berücksichtigung “regelmäßiger” außergewöhnlicher Belastungen (Sondereffekte) – also Effekte, die eigentlich gar nicht so besonders und außergewöhnlich sind, trotzdem aber oft so behandelt werden (z.B. Restrukturierungskosten)
  • Einbezug außerbilanzieller Schulden (i.W. Take or Pay Verpflichtungen und operative Leasing-Verträge)
  • Richtige Berücksichtigung Capex-ähnlicher Aufwendungen (z.B. Klassifizierung F&E-Kosten als Investitionen oder Korrektur des Wachstumsanteils)
  • Korrektur von Abweichungen zwischen Abschreibungen und Amortisation und den tatsächlich erforderlichen Investitionen (CapEx)
  • Berücksichtigung der aktuellen Position im Geschäftszyklus bzw. Lebenszyklus (Normalisierung der Gewinne), also Reduzierung der Gewinne für ein Boom-Jahr, Erhöhung für ein Krisenjahr
Das Ziel all dieser Anpassungen ist es, eine Abschätzung des aktuellen für die Kapitalgeber zur Verfügung stehenden Cash Flows zu erhalten. Dieser Cash Flow soll erstens nachhaltig durch das Unternehmen erzielbar sein und zweitens kein Wachstum beinhalten.

Der Earnings Power Value Ansatz ist zwar etwas weniger zuverlässig als eine ausschließlich auf der Bilanz basierende Bewertung, trotzdem aber noch weitaus zuverlässiger als ein komplett auf die Zukunft ausgerichteter DCF-Ansatz.

Eine vergleichbare Logik verfolgt übrigens Warren Buffett mit seinem Owner Earnings Ansatz. Die Unterschiede zum freien Cash Flow (FCFE oder FCFF, Grundlage für die DCF-Modellierung) könnt ihr auch in meinem Artikel Deep Dive: Owner Earnings versus Free Cash Flow nachlesen.


Schritt 3: Zusätzliche Wertgenerierung durch effiziente Kapitalallokation

Bisher haben wir unsere Bewertung nur auf Basis solider historischer Daten und auf Basis des aktuellen Geschäftsumfangs durchgeführt. Wir haben also angenommen, dass die Firma im heutigen Zustand einen gewissen Cash Flow für die Kapitalgeber verdienen kann. Und zwar in einem durchschnittlichen Jahr und nach Abzug aller zur Aufrechterhaltung des aktuellen Gewinn-Niveaus erforderlichen Investitionen (Erhaltungsinvestitionen bzw. Maintenance CapEx). Diesen Cash Flow haben wir auf Basis der aktuellen Kapitalkosten in einen intrinsischen Wert, den Earnings Power Value oder EPV, umgerechnet.

Der Berechnung des EPV liegt also die Annahme zugrunde, dass die Firma

  • entweder die verfügbaren Cash Flows direkt an die Kapitalgeber ausschüttet (z.B. in Form einer Dividende)
  • oder aber mit dem Cash (oder einem Teil des Cashs) Investitionen tätigt, mit denen die Firma maximal die eigenen Kapitalkosten decken kann

Im Normalfall hat Wachstum keinen zusätzlichen Wert

Wachstum der absoluten Umsätze und Gewinne findet also ggf. zwar statt, führt aber nicht zu einem zusätzlichen Wert für die bestehenden Anteilseigner.

Das ist so, weil das vorgesehene Wachstum ja irgendwie finanziert werden muss. Typischerweise sind weitere Produktionsanlagen zur Produktion größerer Mengen und zusätzliches Working Capital zur Finanzierung weiterer Lagerbeständen etc. erforderlich. Die Finanzierung kann dabei durch die Aufnahme neuer Schulden, eine Kapitalerhöhung oder die Einbehaltung eines Teils der Gewinne realisiert werden.

Schuldenaufnahme und Kapitalerhöhung sind relativ klar: Hier verdienen natürlich die neuen Kapitalgeber gerade ihre Kapitalkosten. Für die bereits existierenden Aktionäre bliebt nichts zusätzlich.

Bei der Finanzierung über eine Einbehaltung der Gewinne ist die Logik folgendermaßen: Über eine Einbehaltung würde sich zunächst mal der für die aktuellen Kapitalgeber verfügbare Cash Flow verringern (der intrinsische Wert würde also reduziert). Über die Investition in zusätzliches Wachstum würden dann aber genau wieder die Kapitalkosten verdient, sodass der intrinsische Wert am Ende unverändert bleibt.

Die Annahme, dass zukünftiges Gewinnwachstum keinen zusätzlichen Wert hat, trifft auf den überwiegenden Teil aller der Unternehmen zu. Mindestens jedenfalls auf alle die Firmen, die in einem recht wettbewerbsintensiven Umfeld unterwegs sind und keine speziellen Wettbewerbsvorteile besitzen.

Ausnahmen: Wachstum innerhalb des Franchise oder gutes Management

Es gibt aber nun zwei Fälle, in denen wir ggf. ein gewisses Wertwachstum unterstellen können:

  1. Das Wachstum findet innerhalb des Franchise statt, d.h. die Kapitalrendite liegt auch für die neuen Projekte signifikant über den Kapitalkosten – Nur für Firmen mit nachhaltigem Wettbewerbsvorteil überhaupt relevant
  2. Die Firma bzw. das Management nimmt regelmäßig Aktienrückkäufe zu Kursen unterhalb des intrinsischen Wertes vor, was zwar nicht den Wert des Gesamtunternehmens, wohl aber den spezifischen Wert (also Wert/Aktie) erhöht – Dieser Hebel kann auch bei Firmen ohne klaren Wettbewerbsvorteil wirken

Aus diesem Grund sollten wir vor jeder Berücksichtigung von zukünftigem Wachstum im Rahmen der Unternehmensbewertung genau prüfen, ob (1) ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil vorliegt bzw. ob das Management (2) die erforderlichen Skills für eine effiziente Kapitalallokation hat.

Als Bewertungstools können wir hier neben einer Discounted Cash Flow Modellierung z.B. eine EBIT Multiple Bewertung oder den Faktoransatz von Greenwaldverwenden.

Ein zukünftigen Gewinnwachstum sollte nur einen Wert zugewiesen bekommen, wenn Wachstum innerhalb des Franchise realistisch möglich ist bzw. wenn Aktienrückkäufe unterhalb des intrinsischen Wertes getätigt werden.

Wie alles zusammenhängt: Bewertung und strategische Positionierung

Wie bereits mehrfach angedeutet, gibt es einen engen Zusammenhang zwischen den einzelnen Bewertungsschritten im Rahmen der Unternehmensbewertung und der strategischen Positionierung einer Firma.

Bzgl. der Einordnung des Earnings Power Value gibt es drei mögliche Szenarien:

  1. der EPV liegt (um einiges) unterhalb des Ersatzwertes
  2. EPV und Ersatzwert bzw. Reproduktionskosten sind ungefähr gleich
  3. der Earnings Power Value liegt substantiell über dem Ersatzwert

1. EPV kleiner als Ersatzwert

Im ersten Fall nutzt offenbar das aktuelle Management die existierenden Vermögenswerte der Firma nicht optimal aus. Das heißt mit den verfügbaren Assets könnte bzw. sollte das Unternehmen eigentlich höhere Gewinne bzw. Cash Flows erzielen.

Womit wir bei Thema Katalysator angekommen wären. Wir als Value Investoren bzw. DIY Investoren müssen uns in einer solchen Situation natürlich fragen, inwieweit eine Veränderung des Managements (oder der Art und Weise, wie das Management das Unternehmen führt) möglich bzw. realistisch ist. Als kleiner Aktionär haben wir normalerweise keine Möglichkeit, entsprechend auf das Management einzuwirken. Wenn wir aber z.B. glauben, dass ein Aktivist Investor à la Carl Icahn eine aktive Rolle einnehmen wird, dann könnte das der Katalysator sein, der den Earnings Power Value  (und nachgelagert dann auch den Aktienkurs, denn vermutlich wird dieser auf einem ähnlichen Level liegen) wieder mindestens bis hin zum Ersatzwert erhöhen kann.


2. EPV ungefähr gleich Ersatzwert

Ist der Earnings Power Value mehr oder weniger gleich dem Ersatzwert, dann haben wir es mit einer Industrie zu tun, in der es wahrscheinlich keine signifikanten Wettbewerbsvorteile gibt (wie oben bereits beschrieben). Wenn unsere Analyse der Wettbewerbsvorteile, der Markteintrittsbarrieren und des Geschäftsmodells dies bestätigt, dann haben wir eine aus zwei verschiedenen Richtungen hergeleitete Abschätzung für den intrinsischen Wert.

In einem solchen Fall können wir es uns dann auch sparen, das zukünftige Wachstum genauer anzusehen. In einer Industrie ohne Wettbewerbsvorteile und Eintrittsbarrieren wird Wachstum keinen zusätzlichen Wert für die existierenden Aktionäre erzeugen. Das liegt daran, dass die Kapitalrendite in so einer Industrie aufgrund der Wettbewerbsintensität nicht höher sein kann als die Kapitalkosten.

Alles was also ggf. zusätzlich an Wachstum generiert wird, führt nicht zu einem zusätzlichen Wert für die existierenden Shareholder, da der erwirtschaftete Gewinn in Form der Kapitalkosten in voller Höhe in die Akquisition neuen Kapitals gesteckt werden muss.

3. EPV signifikant größer als Ersatzwert

Liegt eine Situation vor, in der der Earnings Power Value signifikant über dem Ersatzwert bzw. den Reproduktionskosten liegt, dann haben wir wahrscheinlich ein Unternehmen vor uns, das aktuell von hohen Markteintrittsbarrieren bzw. einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil profitiert. Von Warren Buffett wurde hierfür auch der Begriff des Franchise bzw. Burggrabens (im Englischen “Moat”) geprägt.

Nach solchen Unternehmen suchen wir ja eigentlich.

Ist der Wettbewerbsvorteil nachhaltig, dann ist der intrinsische Wert gleich dem Earnings Power Value bzw. dem Ersatzwert plus dem zusätzlichen Wert aus dem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.

Um zu verifizieren, dass der von uns ermittelte EPV tatsächlich eine gute Abschätzung des intrinsischen Wertes ist, müssen wir nachweisen, dass der aktuelle Wettbewerbsvorteil nachhaltig aufrechterhalten werden kann. Für den Nachweis der Nachhaltigkeit müssen wir zunächst bestätigen, dass die Firma zurzeit tatsächlich einen entsprechenden Wettbewerbsvorteil hat. Anschließend müssen wir uns Gedanken um die Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils machen.

Um hier langfristig die richtigen Fragen schnell und umfassend abhaken zu können, können wir uns überlegen, eine entsprechende Checkliste aufzubauen, die wir parallel zur Unternehmensbewertung abarbeiten können.


Eine Entscheidung treffen: Den aktuellen Aktienkurs einbeziehen

Nachdem wir alle drei Schritte der Unternehmensbewertung einmal durchgespielt haben, sollten wir schlussendlich ein gutes Gefühl für den tatsächlichen intrinsischen Wert der Firma haben.

Bleibt noch die Frage: Bei welchem Kurs kaufen wir eigentlich?

Ich denke, dass wir als Value Investoren bzw. DIY Investoren nur ungern etwas für ein sehr unsicheres zukünftiges Wachstum zahlen, ist klar. Aber wären wir z.B. bereit, den vollen Earnings Power Value zu zahlen oder würden wir eine hohe Sicherheitsmarge verlangen?

Auch hier gibt es unterschiedliche Ansätze und Meinungen. Ben Graham zum Beispiel definierte für sich selbst eine minimale Sicherheitsmarge von einem Drittel, also 30-35%. Heißt der Aktienkurs durfte maximal 65-70% des von Graham ermittelten intrinsischen Wertes betragen. Wir müssen aber hier fairerweise dazu sagen, dass Graham oft in ihrer Existenz bedrohte Unternehmen analysiert hat. Also größtenteils Unternehmen ohne irgendwelche Wettbewerbsvorteile etc.

Von Warren Buffett stammt in diesem Zusammenhang folgendes Zitat:

It’s far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price. – Warren Buffett

Dies suggeriert erstmal, dass Buffett durchaus bereit wäre, den vollen intrinsischen Wert für ein überdurchschnittlich gutes Business zu bezahlen.

Mit anderen Worten: Die Höhe der Sicherheitsmarge hängt stark von unserem spezifischen Ansatz und der Art der Unternehmen ab, die wir uns ins Portfolio nehmen möchten.

Weitere Ressourcen

Sehr gute Anhaltspunkte für die Erstellung dieses Blueprints haben mir die Bücher von Ben Graham und David Dodd, Bruce Greenwald und Aswath Damodaran geliefert:

Little Book of Valuation
Graham Dodd - Security Analysis

2 Kommentare zu „Der DIY Blueprint für die Unternehmensbewertung“

  1. Hallo Zusammen,
    sehr ausführlicher Artikel, der versucht die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen. Gibt es eine DIY Ressource die diesen Artikel bspw. Anhand einer konkreten Aktie durchgeht (ähnlich eurer weiteren Artikel zu DCF unter Einbeziehung von M$)?

    Vielen Dank

    1. Hallo Uwe,

      vielen Dank für dein Feedback. Ein konkretes Fallbeispiel habe ich dazu bisher glaub ich noch nicht veröffentlicht.

      Habe es aber nun auf meiner Liste.

      VG, Axel

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