Der Investmentprozess (aus dem Englischen Investment Process) ist ein Hilfsmittel, mit dem wir ganz strukturiert zu einer Investitionsentscheidung (heißt Aktie kaufen oder nicht) gelangen können.
In der Regel läuft die Entscheidung für einen Aktienkauf nämlich recht unstrukturiert ab: Da werden zunächst ein paar Aktien auf Basis eines eher zufällig ausgewählten Screens identifiziert. Anschließend werden (ebenfalls eher zufällig) ein paar Investorpräsentationen und Presseartikel bzw. Analystenkommentare durchgelesen. Und das wars.
Warum wir in vielen Fällen so vorgehen ist auch leicht nachvollziehbar. Bis auf wenige Ausnahmen haben wir nämlich bereits vor der eigentlichen Analyse eine vorgefertigte Meinung über eine Investition (d.h. in diesem Fall ein Unternehmen bzw. eine Aktie) und suchen eigentlich nur schnell nach einer Bestätigung dieser Meinung. Zusätzlich stehen wir meist unter Zeitdruck. Weil eine Aktie gerade besonders günstig ist und wir Angst haben, eine tolle Gelegenheit zu verpassen.
Das heißt die Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas übersehen, ist bei einem solchen unstrukturierten Vorgehen recht hoch.
Im Grunde genommen handelt es sich beim Investmentprozess nun um einen Leitfaden, der uns dabei helfen soll, unsere natürliche Tendenz zu vorschnellen Entscheidungen (siehe hierzu auch meinen Artikel zum Thema Langsames Denken) zu kontrollieren. Indem wir uns an einem festgelegten Prozess orientieren, stellen wir sicher, dass wir keine wesentlichen Informationen übersehen bzw. unsere Investitionsentscheidung nicht auf Basis von unvollständigen Informationen und emotionalen Biases treffen.
In diesem Artikel möchte ich einmal den aktuellen Stand meines eigenen Investmentprozesses vorstellen.
Disclaimer: Natürlich ist dieser Prozess nicht das Nonplusultra und es gibt vermutlich zig andere, sehr gute Möglichkeiten, um mit der Informationsflut und unseren angeborenen Verhaltensweisen umzugehen.
Die 5 Schritte im Investmentprozess
Der Investmentprozess nach meiner Definition beinhaltet 5 Schritte:
- Ideengenerierung und Aktienauswahl
- Aktienanalyse mithilfe der Pre-Investment Checkliste
- Wirtschaftliche Charakteristika
- Finanzielle Position
- Qualität des Managements
- Wachstumsaussichten
- Unternehmensbewertung
- Sachwert (Liquidationswert, Ersatzwert)
- Intrinsischer oder relativer Wert (EPV, EBIT Multiple, DCF, Ratios bzw. Multiples, etc.)
- Mentaler bzw. emotionaler Check
- Finale Einschätzung und Entscheidung
Nach jedem wesentlichen Prozessschritt ist ein Entscheidungspunkt zwischengeschaltet. Das heißt nach jedem Schritt sollten wir uns auf Basis der verfügbaren Informationen entscheiden, ob wir zum nächsten Prozessschritt weitergehen oder den Prozess vorzeitig beenden.
Auch im Sinne der Zeitersparnis ist eine solche Vorgehensweise aus meiner Sicht sinnvoll.
Hier das Ganze einmal grafisch dargestellt:
Nun aber zu den Schritten im Einzelnen.
1. Ideengenerierung und Aktienauswahl
Ganz am Anfang steht – wie nicht anders zu erwarten – die Ideengenerierung bzw. die Auswahl einer passenden Aktie für unsere Detailanalyse.
Hier können wir uns im Grunde der verschiedensten Medien bedienen.
Am naheliegendsten bzw. am weitesten verbreitet ist hier natürlich die Nutzung eines Screens wie z.B. des 52-Wochen-Tiefs oder des Magic Formula Screens.
Aber auch andere Möglichkeiten der Ideengenerierung sollten wir nicht vernachlässigen. Neben Neuigkeiten aus der Presse finde ich vor allem die Informationen über Guru-Käufe (also die Käufe der bekanntesten und erfolgreichsten Value Investoren) sehr hilfreich. Über diesen Weg habe ich z.B. Fiat Chrysler als Investmentidee gefunden (ich hatte mich gewundert, warum Mohnish Pabrai einen so großen Anteil seines Portfolios in diese eine Aktie gesteckt hat und mir das dann einmal angesehen).
Am Ende dieses Schritts sollten wir auch für uns entscheiden, ob sich die ausgewählte Aktie bzw. das ausgewählte Unternehmen noch innerhalb unseren Kompetenzradius befindet.
2. Aktienanalyse mithilfe der Pre-Investment Checkliste
Haben wir einmal eine passende Aktie bzw. ein passendes Unternehmen identifiziert, fängt die eigentliche Arbeit an.
Bevor wir nun konkret in die Bewertung der Aktie einsteigen, sollten wir verstehen, welches die wesentlichen Charakteristika des Unternehmens sind und wie diese sich vermutlich in Zukunft entwickeln werden.
Wir versuchen also herauszufinden, ob es sich um ein tolles Business handelt. In überholte Geschäftsmodelle oder Ähnliches möchten wir ja trotz eines ggf. sehr niedrigen Aktienkurses nicht unbedingt investieren.
Konkret würde ich hier die folgenden Themen anschauen:
- Die wirtschaftlichen Charakteristika, also das Geschäftsmodell, die Marktpositionierung und vor allem auch den Wettbewerbsvorteil bzw. Burggraben
- Die wesentlichen finanziellen Kennzahlen, also z.B. Profitabilität, Liquidität, Dividenden und Aktienrückkäufe etc.
- Die Qualität des Managements
- Analyse der Wacxhstumsaussichten (dies benötigen wir ggf. später für die Bewertung als Entscheidungshilfe; Sollen wir bei der Bewertung ein Wachstum berücksichtigen oder nicht?)
Im Grunde genommen handelt es sich hierbei um eine etwas umfangreichere Checkliste (Mohnish Pabrai nennt das ganze die Pre-Investment Checkliste), nach der wir Schritt für Schritt die einzelnen Themen anhand von uns vordefinierter Fragen abhaken können.
Handelt es sich nach unseren Kriterien um ein tolles Business, dann können wir zum nächsten Schritt, nämlich der konkreten Unternehmensbewertung bzw. Aktienbewertung übergehen.
3. Unternehmensbewertung
Haben wir ein Unternehmen einmal als tolles Business identifiziert, dann kommt es mindestens schonmal auf unsere Watchliste.
Ob die Aktie allerdings ein direkter Kauf ist, das muss die nun anstehende Aktienbewertung zeigen. Im Rahmen dieses Schrittes im Investmentprozess versuchen wir zu evaluieren, ob der aktuelle Aktienkurs ausreichend niedrig ist, um uns eine entsprechende Sicherheitsmarge zu gewährleisten.
Es gibt eine Reihe von Bewertungsverfahren, die wir für die Ermittlung des fairen bzw. intrinsischen Wertes wählen können. Im Grunde genommen müssen wir noch nichtmal einen intrinsischen Wert betrachten. Wir können z.B. auch ein relatives Bewertungsverfahren wählen.
Ich persönlich gehe gerne entsprechend der im Buch Value Investing von Bruce Greenwald (ein tolles Buch) vorgestellten Logik vor (siehe auch mein DIY Blueprint für die Unternehmensbewertung):
- Ich ermittle zunächst den so genannten Ersatzwert, also den Wert, den ein anderer Wettbewerber aufbringen müsste, um das Business exakt, also inklusive aller Kundenbeziehungen, Produktionsverfahren, Standort, Patente, etc. zu kopieren
- Anschließend ermittle ich den so genannten Earnings Power Value bzw. den intrinsischen Wert auf Basis von Warren Buffett’s Owner Earnings. Dies ist nichts anderes als der Wert der aktuellen Cash Flows (also ohne Berücksichtigung irgendeines zukünftigen Wachstums)
- In einem dritten Schritt schaue ich mir ggf. (!!) noch den Wert von zukünftigen Wachstumsoptionen an
Haben wir nach diesem Schritt eine ausreichende Sicherheitsmarge (der prozentuale Unterschied zwischen Aktienkurs und intrinsischem Wert) identifiziert, dann können wir zu den finalen Analyseschritten weitergehen.
Ist die Sicherheitsmarge aktuell nicht ausreichend (d.h. liegt diese unterhalb von 33 bis 50%), dann fügen wir die Aktie zu unserer Watchliste hinzu und warten ab, bis die Aktie ggf. unter unseren Kaufkurs, also den intrinsischen Werte abzüglich Sicherheitsmarge, gefallen ist.
4. Mentaler bzw. emotionaler Check
Bevor wir nun die Aktie aber tatsächlich kaufen bzw. unserem Portfolio hinzufügen, sollten wir noch einmal ein paar finale Checks durchführen.
Der erste, so genannte emotionale Check dient dazu, nochmal für uns selbst sicherzustellen, dass wir unsere Analyse tatsächlich objektiv und ohne die Berücksichtigung externer Einflüsse und Meinungen durchgeführt haben.
Wir sollten uns hier explizit noch einmal ein paar konkrete Fragen stellen, z.B.:
- Was sind unsere Top 5 Gründe für den Kauf dieser Aktie
- Wie stark vertrauen wir unserem Research und unserer Bewertung?
- Social Proof Bias: Haben wir ggf. die Meinung anderer angenommen?
- Haben wir eine festgefahrene Meinung und berücksichtigen/akzeptieren keinen alternative Erklärungsansätze mehr?
- etc.
Wir sollen außerdem einmal den so genannten Overnight Test durchführen. Das ist im Wesentlichen nichts anderes, als einmal über unsere Analyseergebnisse zu schlafen und zu sehen, ob wir einen Tag später und mit etwas Abstand noch die gleichen Rückschlüsse ziehen würden.
Mehr zu möglichen emotionalen Biases und die entsprechenden Fragen findet ihr in meinen Artikeln zum emotionalen Check bzw. zu Behavioral Finance.
5. Finale Einschätzung und Entscheidung
Der zweite finale Check und gleichzeitig der letzte Schritt im Rahmen des Investmentprozess dient dazu, uns vor dem Kauf nochmal die wesentlichen Risiken und Rahmenbedingungen des Investments bewusst zu machen.
Eine elementare Frage hier wäre z.B. die Frage nach dem Verlustrisiko: Wie hoch schätzen wir das Verlustrisiko ein und welches sind die wesentlichen Verlustrisiken (also was kann bei diesem Investment schiefgehen?)? Wie viel Geld würden wir im ungünstigsten Fall mit diesem Investment verlieren?
Dsrüber hinaus sollten wir ein paar Eckpunkte des Investments für uns klarstellen und irgendwo festhalten:
- Wie würden wir dieses Investment kategorisieren?
- Ist das Investment attraktiv genug im Vergleich zum restlichen Portfolio? Welchen Anteil am Portfolio würden wir dem Investment zuweisen?
- Was ist unsere angestrebte Haltedauer (können wir ggf. auf Basis eines möglichen Katalysators abschätzen) und unser geplanter Verkaufspreis?
Im Zusammenhang mit der Portfoliostruktur solltet ihr euch einmal den Artikel zur Strategie von Mohnish Pabrai durchlesen. Aus meiner Sicht liefert Pabrai einen sehr schönen und verständlichen Ansatz für die Strukturierung eines Value Portfolios. Generelle Infos zum Aufbau eines Portfolios findet ihr außerdem in meinem Artikel zur richtigen Portfolioallokation.
Fazit
Der Investmentprozess ist ein Hilfsmittel, eine festgelegte Struktur, die uns dabei hilft, alle notwendigen Informationen über ein mögliches Investment zu erheben. Ein Investmentprozess kann je nach Fokus des jeweiligen Investors ganz verschiedene Formen annehmen.
Bei DIY Investor gehen wir entlang der folgenden Prozessschritte vor:
- Wir generieren eine Investmentidee
- Wir analysieren das Business mithilfe unserer Pre-Investment Checkliste
- Wir führen die Bewertung durch
- Wir machen einen finalen emotionalen Check
- Wir legen die Rahmenbedingungen (Portfolioallokation etc.) fest