Wer den DIY Investor Blog schon etwas länger verfolgt, weiß, dass ich in der Vergangenheit bereits recht ausführlich über die Discounted Cash Flow (DCF) Methode zur Unternehmensbewertung geschrieben habe. Von allen Bewertungsansätzen ist der DCF Ansatz der in sich geschlossenste und methodisch sauberste Ansatz. Auch wenn ich grundsätzlich nicht empfehlen würde, den DCF-Ansatz standardmäßig zu verwenden, kann es doch Fälle geben, in denen das sinnvoll sein kann (z.B., wenn wir ein Unternehmen mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen und profitablen Wachstumsoptionen innerhalb des Kerngeschäfts vor uns haben). Und nutzen wir ein DCF-Modell, dann sollte uns nochmal die wesentlichen Fehler vergegenwärtigen, die Nutzer der DCF-Methode regelmäßig machen.
In diesem Artikel habe ich mal – in Anlehnung an ein Paper von Legg Mason – die 6 gröbsten Fehler, die Investoren bei der Nutzung des DCF-Ansatzes machen, zusammengestellt. Findet ihr einen dieser Fehler in eurem DCF-Modell (oder irgendeinem anderen DCF-Modell), dann solltet ihr bzgl. der Nutzung der Resultate sehr vorsichtig sein.
Die 6 häufigsten Fehler im Rahmen der DCF-Modellierung
Einer der größten Kritikpunkte an der Discounted Cash Flow Methode ist ja, dass die mathematische Präzision viel mehr Gewicht hat, als die Analyse der tatsächlich realistischen Wachstumsoptionen.
Das heißt, wann immer wir die Discounted Cash Flow Methode nutzen, sollten wir uns nochmal bewusst machen, dass der weitaus größte Teil (vermutlich 80%+) aller Investments in Wachstumsprojekte in der Realität nicht zu einem Wertzuwachs führen.
Darüber hinaus – und das gilt für die seltenen Fälle, in denen es tatsächlich Sinn macht, den DCF-Ansatz zu nutzen – ist das Modell aufgrund der Komplexität (oder vielleicht auch der Einfachheit und Logik der Mathematik) sehr fehleranfällig.
Das sehen übrigens u.a. auch die größten Befürworter des DCF-Ansatzes so. Hier ein Zitat aus Valuation, dem wahrscheinlich umfassendsten Buch zum DCF-Ansatz:
Discounted cash flow analysis is the most accurate and flexible method for valuing projects, divisions, and companies. Any analysis, however, is only as accurate as the forecasts it relies on. Errors in estimating the key ingredients of corporate value . . . can lead to mistakes in valuation. – Tim Koller, Marc Goedhart, and David Wessels in Valuation
Hier eine Ãœbersicht der typischsten Fehler, die Investoren bei der DCF-Modellierung machen:
- Zu kurze Vorhersageperiode vs. Endwert
- Kapitalkosten
- Diskrepanz zwischen zukünftigen Investitionen und Gewinnwachstum
- Falsche Berücksichtigung von Schulden
- Doppelzählungen
- Szenarios
1. Vorhersageperiode versus Endwert
Hier greift eine der wichtigsten Regeln der Mikroökonomie: Über Zeit werden die Kapitalrenditen in (fast) jeder Industrie genau den Kapitalkosten entsprechen. Dafür werden die Wettbewerbskräfte sorgen.
Das heißt genauer gesagt, dass neue Wettbewerber so lange von den attraktiven Renditen in einer Industrie angezogen werden, bis die Rendite durch das hinzugekommene Angebot bis auf die Kapitalkosten abgeschmolzen ist.
In der Praxis (so schlägt jedenfalls Michael Mauboussin von Legg Mason vor… ich gebe das mal ohne Wertung wieder) sollten wir daher überlegen, für den Ãœbergang von expliziter Vorhersageperiode zu Terminal Value genau den Zeitpunkt zu wählen, zu dem wir “Wertneutralität” erwarten:
Quelle: In Anlehnung an Legg Mason Capital Management
Diese “Wertneutralität” tritt dann ein, wenn die Kapitalrendite bis auf die Kapitalkosten abgesunken ist.
Und typischerweise ist deshalb die explizite Vorhersageperiode (z.B. 5 Jahre) zu kurz und der Terminal Value zu hoch angesetzt.
Wir sollten im Hinterkopf behalten: Arbeiten wir z.B. für die Abschätzung des Endwertes mit einem Multiple (EBITDA- oder EBIT-Multiple), dann treffen wir damit implizit auch Annahmen zu Wachstumsrate und Kapitalrendite. Einem langfristigen EBITDA-Multiple von 13 liegt z.B. eine Wachstumsrate von 6% und eine Kapitalrendite von 150% – auf das inkrementelle Kapital und bis in alle Ewigkeit – zugrunde.
Dies hat bisher vermutlich noch kein Unternehmen hingekriegt.
2. Kapitalkosten
Dass die Kapitalkosten in dieser Liste auftauchen, ist nicht weiter überraschend. Zum traditionell zur DCF-Methode gehörenden Ansatz, die Kapitalkosten mithilfe des CAPM und des Beta-Faktors zu berechnen, gibt es ja bereits eine kontroverse Diskussion, vor allem unter Value Investoren.
Auch Legg Mason sieht den Ansatz eher problematisch, vor allem wegen der starren Abschätzung von Beta und EK-Risikoprämie im Rahmen des Capital Asset Pricing Modells:
Our best advice is to settle on a cost of capital that makes business and economic sense. – Legg Mason
Am Ende geht es ja bei den Kapitalkosten um eine Abschätzung des Investitionsrisikos. Unter anderem auch Warren Buffett hat ja bereits oft gesagt, dass er eine Risikoabschätzung mithilfe von Korrelationen von Marktpreisen und Indizes (nichts anderes ist ja das Beta) für nicht besonders sinnvoll hält.
Dem entsprechend kann bzw. sollte die Abschätzung der Kapitalkosten auf einer Einschätzung des Unternehmens-spezifischen Investitionsrisikos basieren.
3. Investitionen vs. Gewinnwachstum
Ein weiterer gern gemachter Fehler beim Aufsetzen von DCF-Modellen ist die Nutzung inkonsistenter Annahmen bzgl. Investitionen (CapEx, Investitionen in R&D, Working Capital etc.) und Gewinnwachstum.
Diese Inkonsistenzen, sofern vorhanden, haben typischerweise zwei Ursachen:
- Gewinnwachstum (Wachstumsrate) und Investitionen (CapEx) sind im Modell nicht explizit verlinkt
- Es werden Annahmen aus der Vergangenheit – d.h. ggf. durch Akquisitionen beschleunigtes Gewinnwachstum – auf die Zukunft projiziert
Eine Verlinkung von Gewinnwachstum und CapEx ist in der Regel recht einfach über die Kapitalrendite (Return on Investment) möglich. Mithilfe der Kapitalrendite ist es übrigens auch möglich, den Weg hin zur Wertneutralität (also Kapitalrendite = Kapitalkosten) über die Zeit abzubilden (mehr dazu hier).
Das Herausrechnen von Akquisitionen erfordert dagegen oft eine etwas detailliertere Betrachtung und ein Verständnis des aktuellen Geschäfts und der daraus resultierenden realistischen Wachstumsoptionen.
4. Berücksichtigung anderer Non-Cash Items
Die richtige Berücksichtigung von anderen Non-Cash Items, also nicht zahlungs-relevanten Aufwendungen, ist ein weiterer Faktor, der bzgl. der richtigen Nutzung eines Discounted Cash Flow Modells wichtig ist.
In vielen Fällen werden bei der Berechnung des freien Cash Flows (FCFF bzw. FCFE) nämlich ALLE nicht zahlungs-relevanten Aufwendungen wieder zum Cash Flow hinzuaddiert, obwohl es sich eigentlich um “echte” Kosten handelt.
Warum sollten z.B. Aktienoptionen für das Management (oder andere Mitarbeiter) als Teil des für die Investoren zur Verfügung stehenden freien Cash Flows betrachtet werden? Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis diese Optionen tatsächlich auch in Aktien umgewandelt werden (schaut euch hierzu auch meine Artikel zu Warren Buffett’s Owner Earnings an).
Um konsistent zu sein, dürfen wir dann natürlich keine entsprechende Zunahme bei den umlaufenden Aktien (Shares Outstanding) berücksichtigen.
5. Doppelzählungen
Ein weiterer typischer Fehler bei der DCF-Modellierung sind Doppelzählungen. Dies trifft vor allem auf die Berücksichtigung von Aktienrückkäufen in der Zukunft, aber auch z.B. auf die Berücksichtigung von Zinseinkünften zu.
Oft werden nämlich Aktienrückkäufe in der Art und Weise in Discounted Cash Flow Modellen berücksichtigt, dass sowohl der freie Cash Flow, als auch der Effekt aus Aktienrückkäufen in positiver Weise mitgezählt werden. Allerdings ist es auch recht anspruchsvoll, einen zukünftigen Preis abzuschätzen, zu dem die Aktienrückkäufe durchgeführt werden würden.
Bei den Zinseinkünften liegt oft eine Doppelzählung mit dem aktuellen Cash-Bestand vor. Mithilfe des DCF Modells bewerten wir ja nur die operativen Assets (berechnen also den Enterprise Value) und addieren den Cash-Bestand – dessen Wert kennen wir ja – am Ende einfach zum EV hinzu. Berücksichtigen wir also auch Zinseinkünfte als Teil des freien Cash Flows (nämlich indem wir die Zinseinkünfte im DCF-Modell NICHT abziehen), dann zählen wir doppelt. Problematisch kann das dann sein, wenn die Unterteilung zwischen Zinsaufwendungen und Zinseinnahmen nur in den Notes zum Jahresabschluss zu finden ist.
6. Szenarios
Die wohl am häufigsten geäußerte Kritik am DCF-Ansatz ist, dass kleine Änderungen der Annahmen (vor allem der Wachstumsrate g und des WACC) zu großen Veränderungen des intrinsischen Wertes führen können.
Einen Teil dieses Problems können wir bereits beheben, indem wir die Länge der expliziten Vorhersageperiode (siehe unter 1.) anpassen.
Darüber hinaus sollten wir aber auf jeden Fall mithilfe mehrerer Szenarien bewerten, wie groß die Sensitivität gegenüber diesen wesentlichen Inputs ist. Hierfür können wir für maximal zwei Inputs eine einfache Sensitivitätsanalyse in Excel nutzen.
Ggf. sollten wir aber auch die Sensitivität von Inputs wie EBIT-Margen oder erforderliche Investitionen (CapEx) kritisch prüfen und dabei auch berücksichtigen, dass die verschiedenen Inputs NICHT immer unabhängig voneinander sind.
So beeinflusst die z.B. eine höhere Verkaufsmenge bzw. eine höhere Produktion über positive Effekte aus Fixkostendegression auch die operative Marge positiv:
Quelle: In Anlehnung an Alfred Rappaport und Michael J. Mauboussin, Expectations Inveting: Reading Stock Prices for Better Returns (Harvard Business School Press, 2001)
Fazit
Der Discounted Cash Flow Ansatz wird von den meisten Investoren als theoretisch richtig angesehen. Von allen Bewertungsansätzen ist es vermutlich der in sich geschlossenste und am weitesten verbreitete.
Unter anderem auch wegen der soliden mathematischen Grundlage des Modellierungsansatzes vergessen viele Investoren allerdings oft, die Annahmen und auch die Rechenlogik richtig aufeinander abzustimmen. Die dadurch entstehenden Fehler in der Konsistenz der Annahmen führen dann zu falschen Ergebnissen (sofern man diese Bezeichnung “falsch” für etwas die Zukunft Betreffendes überhaupt nutzen kann).
Daher sollten wir vor allem die 6 häufigsten Fehler, die im Rahmen der DCF-Modellierung regelmäßig gemacht werden, immer auf dem Schirm haben und versuchen, diese zu vermeiden.
Weitere Ressourcen
Für alle die noch etwas mehr Details lesen möchten: Hier gibts das Originalpaper von Legg Mason.
Weitere Ressourcen zur DCF-Bewertung
Einordnung des Discounted Cash Flow in die DIY Investor Bewertungslogik
Financials anpassen und aktuelle Cash Flows ermitteln:
- Cash Flows und Gewinne normalisieren – So geht’s
- R&D = CapEx: So klassifizieren wir die F&E-Ausgaben um
- Operatives Leasing: Abschlüsse und Kennzahlen richtig anpassen
- Free Cash Flow to Equity (FCFE) – Die Basics
- Das ABC des Free Cash Flow to the Firm (FCFF)
- IFRS 16 im DCF-Modell richtig berücksichtigen: So geht’s
Cash Flows prognostizieren
- Weniger ist mehr: Cash Flow Prognose für die DCF-Bewertung
- DCF: CapEx und zugehörige Abschreibung konsistent ermitteln – So geht’s
- Forecast wesentlicher Bilanzpositionen im Rahmen der Unternehmensbewertung
Den Abzinsungsfaktor bestimmen
- Wie wir die Kapitalkosten bzw. den WACC bestimmen können
- Ansätze zur Abschätzung der Eigenkapitalkosten
- So bestimmen wir die Fremdkapitalkosten
- Capital Asset Pricing Modell (CAPM): Ein Ansatz zur Bestimmung der EK-Kosten
- Beta: Wie wir die Kennzahl richtig abschätzen
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Das Unternehmen bewerten
- Der Wert des Wachstums: Der Discounted Cash Flow (DCF) Ansatz
- DCF-Bewertung in 6 Schritten: Beispiel Microsoft
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