Neben den Eigenkapitalkosten, die wir nach dem Capital Asset Pricing Modell (CAPM) oder einer anderen Methode abschätzen können, sind die Fremdkapitalkosten der zweite wichtige Input für die Berechnung der Gesamtkapitalkosten bzw. des WACC. Den WACC selbst benötigen wir für die Abzinsung unserer Cash Flows im Rahmen der DCF-Bewertung oder auch für die Berechnung des Earnings Power Value.
In diesem Artikel möchte ich deshalb einmal auf die verschiedenen Ansätze zur Bestimmung der Fremdkapitalkosten eingehen.
Was du in diesem Artikel lernst
- An welcher Stelle wir die Fremdkapitalkosten für die Berechnung des WACC benötigen
- Wie wir die Fremdkapitalkosten auf Basis der realen Zinszahlungen abschätzen
- Wie wir einen synthetischen Bond Yield für die Berechnung der FK-Kosten nutzen
- Welchen Steuersatz wir für die Bestimmung zu Grunde legen
Recap: Fremdkapitalkosten als Bestandteil der Gesamtkapitalkosten
Vereinfacht gesprochen entsprechen die (Gesamt-)Kapitalkosten den Kosten, die ein Unternehmen zahlen muss, um Kapital zur Finanzierung des operativen Betriebs, also zum Kauf von Produktionsanlagen, zur Vorfinanzierung von Vormaterialien etc., aufzunehmen.
Dieses Kapital kann grundsätzlich von den Eigenkapitalgebern (also den Besitzern des Unternehmens) oder den Fremdkapitalgebern (also Banken, institutionelle Investoren über Bonds etc.) kommen.
Dabei hängt die Aufteilung des Kapitals zwischen Eigen- und Fremdkapital stark von der Industrie und vom spezifischen Unternehmen ab. Im Immobilienbereich kann es z.B. Unternehmen geben, die zu 80% mit Fremdkapital finanziert sind. Für Firmen im Tech-Sektor kann das Verhältnis aber z.B. auch genau umgekehrt sein.
Abhängig vom Investitionsrisiko werden potenzielle Investoren außerdem mal mehr und mal weniger Return als Kompensation für die Bereitstellung ihres Kapitals verlangen.
Grundsätzlich sind die Gesamtkapitalkosten nun einfach der gewichtete Mittelwert aus den Eigenkapital- und den Fremdkapitalkosten, wobei die Kapitalstruktur, also wie viel Eigenkapital und wie viel Fremdkapital eingesetzt wird, die Gewichtungsfaktoren definiert.
Hier das Ganze einmal in der recht simplen Berechnungsformel ausgedrückt:
Gesamtkapitalkosten bzw. WACC = Eigenkapitalkosten x Eigenkapitalanteil + Fremdkapitalkosten (nach Steuern) x Fremdkapitalanteil
Uns geht es hier nun also darum, die Fremdkapitalkosten zu bestimmen.
Vier Wege zur Bestimmung der Fremdkapitalkosten
Für die Bestimmung der Fremdkapitalkosten gibt es grundsätzlich vier Wege, je nach Informationslage:
- Wenn die Firma kein Rating hat, dann gibt es zwei Möglichkeiten:
- Wir können den tatsächlich auf die aufgenommenen Schulden gezahlten Zinssatz nehmen. Idealerweise sogar für einen recht kürzlich aufgenommenen Kredit
- Alternativ können wir ein so genanntes synthetisches Bond Rating und darüber den Default Spread bzw. den Zinssatz ermitteln
- Wenn die Firma ein Bond-Rating von einer der großen Rating-Agenturen (S&P, Moody’s, Fitch) hat und
- eigene Bonds bzw. Anleihen begeben hat, die am Kapitalmarkt gehandelt werden: In diesem Fall können wir den Yield to Maturity eines gehandelten, möglichst langfristigen Bonds der Firma nutzen
- keine eigenen Anleihen begeben hat: Hier können wir den Default Spread einer Anleihe mit einem vergleichbaren Rating verwenden
Zur Info: Der Default Spread ist nichts anderes als der Unterschied zwischen dem risikofreien Zinssatz (ein Zinssatz, den z.B. Staaten oder Institutionen ohne Ausfallrisiko zahlen müssen) und dem tatsächlichen Zinssatz des Unternehmens.
Grundsätzlich sollten wir die Fremdkapitalkosten übrigens auf Basis der gleichen Währung ermitteln, wie die Eigenkapitalkosten und die Cash Flows.
1. Erstmal ganz simpel: Die Fremdkapitalkosten entsprechen dem tatsächlichen gezahlten Zinssatz
Fangen wir mal mit der mutmaßlich einfachsten Methode an, nämlich der Berechnung des Fremdkapitalzinssatzes anhand der tatsächlich gezahlten Zinsaufwendungen aus der Gewinn-und Verlustrechnung (GuV).
Dazu müssen wir nur den Zinsaufwand aus der GuV und die Summe der zinstragenden Schulden (kurzfristig und langfristig) aus der Bilanz entnehmen. Den Zinssatz bzw. die Fremdkapitalkosten können wir dann ganz einfach als Quotient aus den beiden Zahlen berechnen:
Fremdkapitalkosten = Zinsaufwand / Gesamte Schulden
Auf Basis der Gesamtschulden und des gesamten Zinsaufwandes sollte die Methode auf jeden Fall funktionieren. Idealerweise sollten wir aber sogar den Zinssatz für eine recht aktuell aufgenommenen Kredit nehmen. Dieser sollte das aktuelle Risiko und die aktuellen Zinskonditionen am besten abbilden.
Microsoft (MSFT) z.B. hatte im Geschäftsjahr 2016 Zinszahlungen von 1,24 Mrd. USD bei einer Schuldenlast (nur zinstragende Schulden) von 44,5 Mrd. USD. Dies ergibt nach der obigen Formel einen Zinssatz von ca. 2,8% (vor Steuern). So rechnet z.B. auch Gurufocus die Fremdkapitalkosten.
Schauen wir aber nochmal detaillierter in die einzelnen Komponenten der langfristigen Schulden von MSFT, dann sehen wir ein differenzierteres Bild:
Quelle: Microsoft Geschäftsbericht (10-K) 2016
Wir sehen, dass Microsoft im November 2015 ca. 13 Mrd. USD an Fremdkapital mit verschiedenen Laufzeiten aufgenommen hat. Diejenigen Verträge mit längeren Laufzeiten (ca. 10 bis 30 Jahre) haben einen Zinssatz zwischen 3,2 und 4,5%, also schon um einiges höher als die durchschnittlichen Fremdkapitalkosten.
Die aktuellsten Bonds, ausgegeben im August 2016 zur Finanzierung der Übernahme von LinkedIn, haben übrigens einen Coupon von 3,7% (Laufzeit 30 Jahre).
2. Anderes Risikoprofil in der Zukunft: Bond Yields selbst abschätzen
Eine alternative Möglichkeit für die Abschätzung der Fremdkapitalkosten besteht darin, die finanziellen Charakteristika der Firma (ggf. in einem Zukunftsszenario) zu nehmen, um den Zinssatz zu bestimmen.
Und so funktioniert’s.
Wir rechnen zunächst das so genannte Interest Coverage Ratio (zu deutsch die Zinsdeckung) aus:
Interest Coverage = EBIT / Zinsaufwand
Dieses Interest Coverage Ratio können wir dann übersetzen in ein so genanntes synthetisches Bond Rating und einen entsprechenden Default Spread. Dieser Ansatz könnte interessant sein, wenn wir langfristig stark unterschiedliche finanzielle Charakteristika erwarten (z.B. ein angepassten Debt-to-Equity Ratio und damit ggf. ein anderes Kredit-Rating).
Hierfür können wir die folgende Tabelle nutzen:
Die Fremdkapitalkosten ermitteln wir dann, indem wir den Default Spread einfach zum risikolosen Zinssatz hinzuaddieren. Also
Fremdkapitalkosten = Risikoloser Zinssatz + Default Spread (synthetisch)
Microsoft hatte in 2016 eine Zinsdeckung von ca. 16,2 (EBIT von 20,2 Mrd. USD, Zinszahlungen von 1,24 Mrd. USD) und hat aktuell ein Rating von AAA.
Dem entsprechend läge der Default Spread aktuell bei ca. 0,2%. Zusammen mit einem langfristigen Bond Yield von ca. 3% (Quelle: US Treasury bzs. US Finanzministerium) ergeben sich daraus Fremdkapitalkosten von 3,0% + 0,2% = 3,2% (wiederum vor Steuern).
Dies entspricht ca. den aktuellen Zinskosten von Microsoft für 10-jährige Anleihen (siehe die Tabelle aus dem MSFT 10-K weiter oben).
3. Überprüfung anhand des aktuellen Bond Yield
Wenn die Firma Bonds bzw. Anleihen begeben hat, die am Kapitalmarkt gehandelt werden, dann können wir den Yield to Maturity, also die Rendite bis Laufzeitende, eines dieser Bonds direkt verwenden. Gegebenenfalls unterscheidet sich nämlich der tatsächliche, vom Markt eingeschätzte Investitionsrisiko stark vom Kupon selbst (also vom in der Anleihe festgeschriebenen Zinssatz).
Hier gibt mehr Infos zur Renditeberechnung von Anleihen und zum Unterschied zwischen Kupon und tatsächlichem Yield: Details der Renditeberechnung für Anleihen.
Den Daten bei finanzen.net können wir nun entnehmen, dass der tatsächliche Yield to Maturity für Microsoft Bonds mit einer Laufzeit zwischen 10 und 30 Jahren bei ca. 3,1 bis 4,2% liegt.
Quelle: finanzen.net/anleihen
In diesem Fall weichen also Kupon und tatsächlicher Return nicht besonders stark voneinander ab. Je nach Situation können aber wie gesagt die tatsächlichen Yields stark von den Kupons abweichen. Ein vom Bankrott bedrohtes Unternehmen (oder auch ein vom Bankrott bedrohtes Land) werden Bond Yields weit über denen des verbrieften Zinssatzes haben, einfach weil die Kaufpreise der Anleihen in so einem Fall typischerweise stark einbrechen.
4. Default Spread eines vergleichbaren Bonds
Sollte das Unternehmen zwar ein Rating aber trotzdem keine Anleihen begeben haben, dann können wir uns eine Anleihe bzw. einen Bond mit einem vergleichbaren Rating suchen und die Fremdkapitalkosten auf Basis des aktuellen Default Spread dieses Bonds abschätzen.
Bei finanzen.net habe ich in diesem Fall z.B. Bonds von Johnson & Johnson gefunden, einer Firma, die wie Microsoft ebenfalls ein AAA-Rating besitzt. Die Bonds mit ca. 30-jähriger Laufzeit von Johnson & Johnson haben aktuell einen Yield to Maturity, also eine tatsächliche Rendite von ca. 4,0%.
Fremdkapitalkosten nach Steuern bestimmen
Bisher haben wir uns ja nur die Fremdkapitalkosten vor Steuern angeschaut. Da die Zinsen aber als Aufwendungen von der Steuer abzugsfähig sind, müssen wir die Fremdkapitalkosten noch um diesen Steuervorteil reduzieren:
Fremdkapitalkosten nach Steuern = Fremdkapitalkosten vor Steuern x (1- Steuersatz)
Bzgl. der Annahme des Steuersatzes haben wir hier eigentlich nur zwei Möglichkeiten:
- Wir können erstens den effektiven Steuersatz verwenden. Das ist der Steuersatz, den das Unternehmen tatsächlich zahlt und kann aus der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt werden
- Wir können den marginalen Steuersatz verwenden: Das ist der Steuersatz, den ein Unternehmen ohne Berücksichtigung von buchhalterischen Effekten zahlen müsste… also eigentlich der gesetzlich vorgeschriebene Steuersatz (meistens um die 30 bis 35%)
Wenn wir Projektionen machen, dann sind wir dem entsprechend eher auf der sicheren Seite, wenn wir den marginalen Steuersatz verwenden. Die Steuern, die ein Unternehmen nämlich durch Accounting Effekte heute spart, werden früher oder später doch gezahlt werden müssen.
Der Ansatz ist also konservativer und damit ganz im Sinne des Value Investing.
Für den Fall dass wir trotzdem den effektiven Steuersatz verwenden wollen, sollten wir diesen aber über Zeit auf den marginalen Steuersatz anheben. Ansonsten überschätzen wir die Cash Flows über den gesamten (im Zweifelsfall unendlichen) Betrachtungshorizont unserer Bewertung.
Der Steuersatz, den wir für die Berechnung der Fremdkapitalkosten verwenden, sollte übrigens identisch sein mit dem Steuersatz, den wir für die Ermittlung des nachsteuerlichen Gewinns bzw. des Cash Flows oder der Owner Earnings bzw des Earnings Power nutzen.
Fazit
Wir benötigen die Fremdkapitalkosten für die Abschätzung der Kapitalkosten und damit des Abzinsungsfaktors für unsere Aktienanalyse bzw. Unternehmensbewertung.
Für die Abschätzung der Fremdkapitalkosten gibt es vier Optionen, abhängig davon, ob das Unternehmen ein eigenes Kredit-Rating besitzt, die Anleihen am Kapitalmarkt gehandelt werden, etc.:
- Die tatsächlich gezahlten Zinsen
- Die Ermittlung aus Basis eines synthetischen Bond Ratings
- Die aktuelle Rendite eines langfristigen (10- bis 30-jährigen) Bonds des Unternehmens
- Die aktuelle Rendite bzw. der aktuelle Default Spread eines langfristigen Bonds eines anderen Unternehmens mit einem vergleichbaren Kredit-Rating
Für unser Beispiel Microsoft erhalten wir ein recht konsistentes Bild. Alle Ansätze liefern uns Fremdkapitalkosten im Bereich zwischen ca. 3,1 – 3,2% (eher kurzfristige Bonds einer Restlaufzeit von 10 Jahren) und 4,2 – 4,5% (eher langfristige Bonds mit einer Laufzeit von 30 Jahren). Für unsere Bewertung können wir deshalb gut mit einem Mittelwert von ca. 3,6 – 3,9% (vor Steuern) arbeiten.
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