Je weniger historische Daten es zu einem Unternehmen gibt, desto schwieriger ist typischerweise eine solide Bewertung. Aus diesem Grund gehören Startups bzw. junge an der Börse gelistete Wachstumsfirmen zu den am schwierigsten zu bewertenden Unternehmen überhaupt.
In diesem Artikel möchte ich einmal auf ein paar Spezifika eingehen, die wir für die Bewertung von Wachstumsfirmen beachten müssen.
Was du in diesem Artikel lernst
- Welches die wesentlichen Charakterstika junger Wachstumsfirmen, also eines Startups bzw. einer Second-Stage Company sind
- Wo die wesentlichen Probleme bei der Bewertung von jungen Wachstumsfirmen bzw. Startups liegen
- Welche Ansätze es für die Bewertung von Startups bzw. jungen Wachstumsfirmen gibt und welche Dinge wir für die intrinsische und die relative Bewertung beachten sollten
Was charakterisiert junge Wachstumsfirmen bzw. Startups
In den meisten Fällen sind junge Wachstumsfirmen noch in privater Hand. Oft handelt es sich dabei quasi noch um Startups, die vom jeweiligen Gründer oder von einzelnen Risikokapitalgebern (Venture Capitalists) finanziert werden. Allerdings gibt es speziell im Technologie-Bereich seit ca. 20 Jahren eine Tendenz dazu, relativ früh an die Börse zu gehen… siehe Zalando, Lieferheld, Groupon, Twitter, LinkedIn etc.
Quelle: Aswath Damodaran: The Little Book of Valuation
Die Equity Story basiert dann meist auf den zukünftigen Wachstumsaussichten und den riesigen Marktchancen. Wie ihr am obigen Schaubild aus dem Little Book of Valuation sehen könnt, zeigen Startups typischerweise stark wachsende Umsätze, allerdings auch signifikante (und ebenfalls ansteigende) Verluste. Erst nach weiterem Wachstum kommen diese Firmen typischerweise in die Gewinnzone (wenn sie bis dahin noch nicht insolvent gegangen sind). Im Wesentlichen haben alle gelisteten Startups bzw. junge Wachstumsfirmen darüber hinaus die folgenden Charakteristika gemeinsam:
- Keine historischen Performance-Daten: Die meisten gerade frisch gelisteten Startups haben maximal 1-2 Jahre an operativen Daten und Finanzdaten vorzuweisen
- Noch verhältnismäßig geringe Umsätze (allerdings stark wachsend) und operative Verluste: Aufwendungen stehen oft noch eher im Zusammenhang mit dem Aufbau des Unternehmens und der Geschäftsprozesse als mit der Generierung von Umsätzen
- Ein Großteil der Firmen wird nicht überleben: Mehrere Studien belegen, dass ein Großteil der Startups die ersten 4-5 Jahre nicht übersteht. Nach 7-8 Jahren sind die meisten Startups dann Geschichte
- Illiquide Investments: Startups im Allgemeinen können als illiquide Investments klassifiziert werden. Das gilt auch für diejenigen Unternehmen, die bereits an der Börse gehandelt werden. Diese haben typischerweise noch sehr geringe Marktkapitalisierungen und werden selten gehandelt
- Zusätzliche Ansprüche aufs Eigenkapital: Oft haben bestimmte Anteilseigner (nämlich die Gründer und/oder die ersten Risikokapitalgeber) besondere Rechts, z.B. Rechte an den Dividendenzahlungen oder zusätzliche Stimmrechte
Speziell viele der obigen Charakteristika in Kombination erschweren die Bewertung und die Einschätzung solcher Firmen doch erheblich. Aus diesem Grund bewegen sich die meisten Value Investoren (inklusive mir selber) auch nicht auf diesem Terrain.
Typische Probleme bei der Bewertung junger Wachstumsfirmen
Im Rahmen einer intrinsischen Bewertung (also der Bestimmung des intrinsischen Wertes eines Unternehmens) müssen wir im Wesentlichen 4 verschiedene Dinge abschätzen:
- Die Cash Flows generiert mit den existierenden Vermögenswerten
- Das zukünftige Wachstum dieser Cash Flows
- Den Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen bzw. das Produkt den Hochpunkt des Lebenszyklus erreicht und die Gewinne/Cash Flows somit abflachen
- Das Investitionsrisiko und damit den Abzinsungsfaktor für die Umrechnung der Cash Flows (Kapitalkosten bzw. WACC)
Für junge Wachstumsfirmen bzw. Startups sind alle der oben genannten Abschätzungen eine Herausforderung. Die existierenden Assets generieren in vielen Fällen bisher nur sehr geringe oder sogar negative Cash Flows und die Abschätzung der zukünftigen Umsätze bzw. des Investitionsrisikos sind aufgrund der fehlenden Historie schwierig. Dazu kommt natürlich das erhöhte Insolvenzrisiko und ggf. die Rechte der Gründer an bestimmten Cash Flows.
In der Realität versuchen sich deshalb die meisten Investoren gar nicht erst an einer Bewertung, sondern schauen vor allem auf die Wachstumsstory und das Management Team, um ihre Investitionsentscheidungen zu begründen bzw. zu rechtfertigen.
Zwar stellen die meisten Firmen einen Businessplan oder ähnliches zur Verfügung (ein Beispiel für die Anforderungen bzw. typischen Inhalte eines Businessplans findet ihr z.B. bei Lexware). Auch eine Projektion der wesentlichen Financials wie GuV, Bilanz und Cash Flow Rechnung (sogar meist bereits erstellt mit einer professionellen Software) sind in den Businessplänen enthalten.
Diese muss man allerdings als das sehen, was sie sind, nämlich eine Art Marketing Material basierend auf einer Reihe noch nicht bestätigter bzw. verifizierter Annahmen.
Auch die relative Bewertung auf Basis von Multiples ist für junge Wachstumsfirmen nicht unbedingt einfacher. Auch wenn einige Analysten sich an einer Bewertung auf Basis von Multiples versuchen, gibt es doch typischerweise die folgenden Probleme:
- Welches ist der Skalierungsfaktor? Da die meisten Startups noch Geld verlieren, kommt eine Kennzahl wie Nettogewinn, EBIT oder sogar EBITDA oft nicht in Frage. Die Umsätze sind darüber hinaus noch auf einem sehr geringen Niveau
- Welches ist ein passendes Vergleichsunternehmen? Gerade im Bereich der Technologie-Unternehmen (oder z.B. auch im Bereich der Biotechnologie, wo viele Firmen recht früh an die Börse gehen) ist die Bandbreite an Produkten und Lösungen so groß, dass es im Markt quasi keine vergleichbaren Unternehmen gibt
- Wie wird das Insolvenzrisiko berücksichtigt?
Ansätze für die Bewertung von Startups
Um die oben beschriebenen Probleme zu lösen, sind bestimmte Annahmen erforderlich. Aswath Damodaran beschreibt in seinem Little Book of Valuation die Bewertung des Solarunternehmens Evergreen Solar (für weitere Details lest euch am besten das Buch einmal durch – ist sehr kurzweilig und voll mit interessanten Beispielen und Insights).
Intrinsische Bewertung
Starten wir mit den intrinsischen Bewertungsverfahren, also Owner Earnings, Earnings Power Value, DCF etc. Besonderheiten im Vergleich zur Bewertung von reifen und lange existierenden Unternehmen finden wir vor allem bei der Ermittlung der zukünftigen Cash Flows, bei der Abschätzung der Kapitalkosten bzw. des Abzinsungsfaktors und bei der Berechnung des intrinsischen Wertes (Stichwort “Adjustment for Survival”, also Berücksichtigung einer Überlebenswahrscheinlichkeit).
Zukünftige Cash Flows
Für die Berechnung der zukünftigen Cash Flows sind i.W. drei Abschätzungen erforderlich:
- Umsatzentwicklung bzw. Abschätzung Marktgröße und Marktanteil
- Operative Zielmarge sowie mögliche Entwicklung der Marge über die Zeit
- Voraussichtliche Unternehmenssteuern unter Berücksichtigung von steuerlichen Verlustvorträgen (Tax Loss Carryforwards)
- Erforderliche Investitionen
Alle diese Abschätzungen sind recht anspruchsvoll und – jedenfalls basierend auf meiner bisherigen Erfahrung – liegt man mit der Abschätzung z.B. von Marktgrößen und -anteilen oft kilometerweit daneben.
Kapitalkosten und Abzinsungsfaktoren
Bzgl. der Abschätzung der Abzinsungsfaktoren für junge Wachstumsfirmen gibt es zwei Problemstellungen. Zum einen ist die Historie am Markt zu kurz um zuverlässige Kosten für die Aufnahme von Fremdkapital sowie auch die Eigenkapitalrisikoprämie bzw. den Beta-Faktor abzuleiten (sofern denn die klassischen Ansätze zur Abschätzung der Kapitalkosten für uns überhaupt in Frage kommen… Warren Buffett definiert das Investitionsrisiko ja auch anders).
Zum zweiten werden sich die Kapitalkosten vermutlich über die Zeit verändern und abnehmen, je mehr sich das Startup entwickelt und je reifer das Produkt wird. Splitten wir das Ganze in Eigenkapital- und Fremdkapitalkosten auf, dann sehen wir über die Zeit zwei Effekte:
- Die Eigenkapitalkosten nehmen mit dem Investitionsrisiko ab (ob wir es nun durch Beta ausdrücken oder nicht)
- Sobald das Unternehmen stabil Gewinne schreibt UND die steuerlichen Verlustvorträge aufgebraucht sind, sinken die Fremdkapitalkosten durch die Steuerabzugsfähigkeit signifikant ab
Aswath Damodaran schlägt in diesem Fall vor, Durchschnittswerte des betreffenden Industriesektors zu verwenden, korrigiert um das erhöhte Risiko der jungen Wachstumsfirma.
Intrinsischer Wert und Überlebenswahrscheinlichkeit
Haben wir die Cash Flows einmal für die nächsten paar Jahre ermittelt und abgezinst, dann stellt sich noch die Frage nach der weiteren Entwicklung. Was passiert also über die nächste paar Jahre hinaus mit dem Unternehmen? In den wesentlichen Annahmen unterscheidet sich die Berechnung des Terminal Value für Startups nicht von der Berechnung für ein beliebiges anderes Unternehmen:
- Die langfristige Wachstumsrate sollte unterhalb des Wirtschaftswachstums liegen
- Es müssen ausreichend Reinvestitionen getätigt werden, um das langfristige Wachstum zu ermöglichen
- Die Kapitalkosten und auch die Kapitalrendite sinken auf das Level einer etablierten Firma ab
Allerdings kommen noch zusätzlich zwei weitere, für Startups bzw. junge Wachstumsfirmen spezifische Faktoren ins Spiel:
- Die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz z.B. durch Aufbrauchen der verfügbaren liquiden Mittel
- Der Verlust von wesentlichen Mitarbeitern in der Firma (Gründer, andere wesentliche Mitarbeiter der ersten Stunde)
Wie auch bei der Bewertung von anderen Unternehmen, kann der Endwert, der so genannte Terminal Value einen Großteil des intrinsischen Wertes ausmachen. Weil die Cash Flows der ersten Jahre meist noch negativ sind, kann der Anteil des Endwertes sogar bei signifikant über 100% liegen.
Überlebenswahrscheinlichkeit
Mit dem Risiko einer Insolvenz können wir wie folgt umgehen. In einem ersten Schritt bewerten wir die Firma so, als ob sie überleben und zu einer stabilen und profitablen Unternehmung werden würde. In einem zweiten Schritt korrigieren wir diesen Wert dann mithilfe einer Überlebenswahrscheinlichkeit, die wir z.B. aus den verschiedenen Studien von Institutionen wie Forbes, dem Bureau of Labor Statistics BLS etc. entnehmen können. Natürlich können wir weitere firmen-spezifische Anpassungen vornehmen, z.B. für die Qualität des Managements, den Zugang zu frischem Kapital etc.
Der um die Überlebenswahrscheinlichkeit korrigierte intrinsische Wert lässt sich dann wie folgt bestimmen:
Angepasster intrinsischer Wert = Intrinsischer Wert x Überlebenswahrscheinlichkeit + 0 x (1 – Überlebenswahrscheinlichkeit)
Hierbei gehen wir davon aus, dass die Aktie im Falle einer Insolvenz also komplett wertlos ist, d.h. einen Wert von Null besitzt.
Verlust wesentlicher Mitarbeiter
Junge Wachstumsfirmen bzw. Startups sind oft überdurchschnittlich stark von ein paar wesentlichen Mitarbeitern (in vielen Fällen den Gründern selbst) abhängig. Dem entsprechend kann die Bewertung durchaus stark abnehmen, sollten diese Mitarbeiter einmal nicht mehr Bestandteil der Firma sein. Und in der Tat steigen viele der ersten Mitarbeiter (inkl. der Gründer) aus, wenn das Unternehmen wächst und mehr Struktur benötigt (weil dann der Startup-Charakter etws verloren geht).
Aswath Damodaran schlägt für diesen Fall vor, den voraussichtlichen Einfluss direkt durch eine Anpassung der zukünftigen Umsätze, Gewinne und Cash Flows zu berücksichtigen. Ist allerdings aus meiner Sicht sehr schwer abzuschätzen, vor allem von außen.
Relative Bewertung
Die relative Bewertung von jungen Wachstumsfirmen ist fast noch etwas herausfordernder, vor allem aufgrund der folgenden Charakteristika von gelisteten Startups:
- Die Position im Lebenszyklus eines Unternehmens definiert stark die Fundamentaldaten, d.h. Risiko, Cash Flows, Wachstum unterscheiden sich für junge Wachstumsfirmen und reife Unternehmen signifikant
- Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist für ein Startup im Durchschnitt nicht sehr hoch
- Skalierungsvariable: Junge Firmen haben oft nur eine kurze Historie an Finanzdaten. Die Umsätze sind in der Regel noch niedrig, Gewinne aufgrund der Kosten für den Aufbau der Firmenstrukturen noch nicht vorhanden. Ein Multiple auf eine dieser Kennzahlen anzuwenden, führt also meist zu merkwürdigen Resultaten
- Liquidität: Die Aktien junger Wachstumsfirmen sind an der Börse oft noch nicht besonders liquide. Auch aus diesem Grund können Multiples nur schwer von bereits etablierten auf junge Firmen übertragen werden
Folgende simple Regeln können uns dabei helfen, die Bewertungsqualität für solche Firmen stark zu verbessern:
- Forward Revenues bzw. Earnings nutzen: Sollte das Startup aktuell noch keine signifikanten Umsätze vorweisen können und außerdem noch keine Gewinne erzielen, können wir Umsätze und Gewinne für einen späteren Zeitpunkt (z.B. in 5 Jahren) prognostizieren und die Bewertung auf Basis dieser zukünftig erwarteten Kennzahlen durchführen
- Dementsprechend sollten wir auch unser Multiple auf die zukünftigen Charakteristika der Firma anpassen (die Wachstumsrate nach Jahr 5 ist vermutlich schon weitaus moderater als aktuell). Das ist ein Vorteil, denn auf diese Weise können wir ggf. ein Vergleichsmultiple der bereits etablierten Firmen des gleichen Sektors verwenden
- Analog zu den intrinsischen Bewertungsansätzen sollten wir noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit berücksichtigen, dass die Firma innerhalb der nächsten Jahre in die Insolvenz abgleiten wird
Beispiel einer relativen Bewertung
Umsatzprojektion in 5 Jahren: 500 Mio. EUR
Umsatzmultiple (EV/Revenue) auf Basis größerer etablierter Firmen im Sektor: 1,5
Kapitalkosten: 10%
Überlebenswahrscheinlichkeit: 70%
EV (Jahr 5) = 500 x 1,5 = 750 Mio. EUR
EV (heute) = 750 / 1,105 = 466 Mio. EUR
Survival-adj EV (heute) = 466 x 70% = 326 Mio. EUR
Um zum fairen Aktienkurs zu gelangen, müssen wir dann noch die Cash Bestände hinzuaddieren und die Schulden abziehen. Mehr Details zur Überleitung findet ihr in meinem Artikel Vom Enterprise Value zum fairen Wert je Aktie.
Fazit
Startups bzw. junge an der Börse gelistete Wachstumsfirmen gehören zu den am schwierigsten zu bewertenden Unternehmen überhaupt.
Ursächlich hierfür sind vor allem die fehlende Historie und Transparenz sowie das in den meisten Fällen noch sehr niedrige Umsatzniveau und die fehlenden Gewinne.
Allerdings können sowohl die intrinsischen, als auch die relativen Bewertungsverfahren recht einfach in der Art und Weise angepasst werden, dass sie diese speziellen Charakteristika berücksichtigen.
Was allerdings bleibt, ist die Schwierigkeit der Abschätzung der einzelnen Datenpunkte (Umsatz und Marge in 5 Jahren, Überlebenswahrscheinlichkeit etc.).
Ich jedenfalls würde aufgrund der großen Unsicherheit von einem Investment in junge Wachstumsfirmen eher absehen.