Es gibt ja in der Theorie eine recht scharfe Abgrenzung zwischen fundamentaler und technischer Analyse (also i.W. dem langfristig orientierten Value Investing und der kurzfristig orientierten Chartanalyse). Vielleicht habt ihr euch aber auch schonmal gefragt, ob wir als Value Investoren nicht auch die Ansätze der technischen Analyse gewinnbringend einsetzen können. Unter den bekannten Value Investoren bzw. Investment Gurus herrschen zu diesem Thema jedenfalls verschiedene Meinungen vor.
Während einige – z.B. Buffett und Lynch oder auch Howard Marks – die Chartanalyse komplett ablehnen, gibt es andere Value Investoren – z.B. Michael Burry oder Walter Schloss -, die die Konzepte der Charttechnik in ihren Investment-Ansatz haben einfließen lassen und davon überzeugt sind bzw. waren.
In diesem Artikel möchte ich einmal kurz auf die verschiedenen Sichtweisen unter den Value Investoren eingehen. Zunächst aber mal etwas Theorie.
Was ist technische Analyse bzw. Chartanalyse?
Vor vielen Jahren sagte Ben Graham, quasi der Erfinder des Value Investing einmal:
In the short term the market is a voting machine, but in the long run it is a weighing machine. – Ben Graham
Und damit hatte er Recht. Kurzfristig geht es im Aktienmarkt oft um Mehrheiten und Trends, langfristig um echte Werte. Dies ist auch ein guter Ansatzpunkt für die Unterscheidung zwischen Value Investing und technischer Analyse bzw. Chartanalyse.
Technische Analysten interessieren sich in der Regel nicht für die Fundamentaldaten (also Umsätze, Kosten, Gewinne etc.) eines Unternehmens. Bei der technischen Analyse bzw. der Unterart des Momentum Investing steht das Timing im Vordergrund.
Die Annahme ist Folgende: Eine Aktie, deren Preis bereits längere Zeit angestiegen ist, wird weiterhin steigen (und umgekehrt). So die Annahme der Momentum Investoren.
Technisch orientierte Investoren treffen ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen also vor allem auf Basis von historischen “Patterns” über Zeit. Sie analysieren die Kursverläufe und versuchen Trends abzulesen, von denen sie annehmen, dass sie sich in Zukunft wiederholen werden.
Und tatsächlich führen ja unsere menschlichen Verhaltensmuster in vielen Fällen dazu, dass sich bestimmte Entwicklungen oder Trends noch weiter verstärken (Stichwort Behavioral Finance, z.B. Herdentrieb). Aktuell sehen wir das ja z.B. auf dem Immobilienmarkt, auf dem sich in den Metropolen so etwas wie eine Blase entwickelt, weil jeder irgendwie dabei sein möchte. Die Logik der technischen Analysten ist also nicht vollkommen abwegig.
Im Gegensatz zu uns Value Investoren haben technisch orientierte Anleger meistens deshalb nur einen recht kurzen Zeithorizont (Tage oder Wochen versus Monate und Jahre). Mehr Details zur technischen Analyse gibt es im Netz reichlich, z.B. unter tradenlernen.de.
Warren Buffett und Peter Lynch
Ein Großteil der bekannten Value Investoren, unter ihnen Warren Buffett und auch Peter Lynch, sind nicht gerade Fans der Idee, dass man Profite mit dem Zeichnen von Linien in ein Chart mit historischen Aktienkursen erzielen kann.
Warren Buffett sagte es einmal recht deutlich:
I realized technical analysis didn’t work when I turned the charts upside down and didn’t get a different answer. – Warren Buffett
Und Lynch:
Charts are great for predicting the past. – Peter Lynch
Anstatt sich also in irgendeiner Weise mit aktuellen Trends und dem Investorenverhalten zu beschäftigen, fokussieren sich die meisten Value Investoren auf die Suche nach langfristigen Werten. Und der Erfolg gibt zumindest Graham, Buffett und Lynch erstmal Recht.
Allerdings gibt es auch diejenigen Value Investoren, die einen klaren Mehrwert darin sahen bzw. sehen, die Erkenntnisse der technischen Analyse bzw. der Chartanalyse in ihren Investmentprozess einfließen zu lassen.
Da wäre zum einen Michael Burry, bekannt geworden aus dem Buch/Film “The Big Short”, weil er als einer der wenigen die Immobilienblase vorhergesehen hat (und zwar weil er die Bestandteile der CDOs etc. im Detail analysiert hatte).
Und zum anderen Walter Schloss, wie Buffett ein Schüler von Ben Graham und nicht weniger erfolgreich.
Michael Burry – Der bekannte unbekannte Value Investor
Michael Burry war Gründer und Betreiber von Scion Capital, einer Investmentfirma, die mit einem konsequenten Value-Ansatz in den ersten acht Jahren ihres Bestehens (2000-2008) einen Return von fast 500% erzielte. Trotzdem war Burry dann einer der wenigen, der mit Credit Default Swaps auf ein Platzen der Immobilienblase in den USA spekulierte. Und das bereits in 2005/06. Am Ende verlor er mit seiner Strategie zwar das Vertrauen der meisten seiner Investoren (u.a. Joel Greenblatt – der Erfinder der Börsen Zauberformel). Er lag mit seiner Einschätzung aber auch richtig und verdiente mehr als 100 Mio. USD.
Falls ihr „The Big Short“ übrigens noch nicht gelesen habt… das Buch ist sehr zu empfehlen. Ähnlich gut ist meiner Meinung nach der Film. Diesen könnt ihr z.B. bei Netflix oder Amazon Prime ansehen.
In Bezug auf die Chartanalyse nutzt Burry vor allem das Konzept des 52-Wochen-Tiefs, um den richtigen Einstiegszeitpunkt abzupassen:
I prefer to buy within 10% to 15% of a 52-week low that has shown itself to offer some price support. That’s the contrarian part of me. And if a stock — other than the rare birds discussed above — breaks to a new low, in most cases I cut the loss. – Michael Burry
Burry kauft also bevorzugt zu Kursen in der Nähe des 52-Wochen-Tiefs und achtet dabei darauf, dass der Kurs bereits so etwas wie ein Plateau ausgebildet hat. Geht der Kurs aber weiter nach unten, dann steigt er oft direkt wieder aus.
Hier noch ein paar weitere Details:
In futures, I learned a lot about TA. The frustrating thing was it worked. You could actually predict the moves. But slippage ate away everything. I was up big at times, never down big.
Mainly I use it only to avoid falling knives and to find buy points at very solid support. I try not to use it to sell stocks because my horizon remains long term. With the market this toppy though, I find it hard to ignore when TA says sell after a fast rise. It’s the old take the money and run. It has helped me tremendously, and I have been hurt when I ignore it completely. – Michael Burry
Burry nutzt also die Techniken der Chartanalyse meist nur zum Auffinden geeigneter Einstiegszeitpunkte. Weil er als Value Investor aber immernoch einen langfristigen Anlagehorizont hat, nutzt er die technische Analyse in der Regel nicht zum Verkauf.
In der Regel! Manchmal, wenn die Chartanalyse nach einem schnellen und steilen Kurssprung ein Verkaufssignal lieferte, verkaufte Burry auch schonmal. Und laut eigener Aussage ist er damit viel besser gefahren, als wenn er die Verkäufe nicht getätigt hätte.
Walter Schloss – Ein weiterer erfolgreicher Schüler Grahams
Auch Walter Schloss, neben Warren Buffett einer der bekanntesten und auch erfolgreichsten Schüler von Ben Graham, nutzte teilweise die Erkenntnisse der technischen Analyse.
Im Gegensatz zu Buffett blieb Schloss zeitlebens außerdem bei Graham’s ursprünglichen Net Net Anlagestil.
Hier ein Zitat:
When buying a stock, I find it helpful to buy near the low of the past few years. A stock may go as high as 125 and then decline to 60 and you think it is attractive. Three years before, the stock sold at 20, which shows that there is some vulnerability in it.
Auch dieses illustriert meiner Meinung nach recht gut, dass Walter Schloss sich ebenfalls die historischen Charts angeschaut und daraus seine Rückschlüsse gezogen hat.
Allerdings habe ich auch nach detaillierter Recherche keine weiteren Indikationen dafür bekommen, dass andere Value Investoren sich der Konzepte der Chartanalyse bedienen. Kennt ihr da vielleicht noch weitere?
Fazit
Die meisten Value Investoren, darunter z.B. auch Warren Buffett oder Peter Lynch, schauen in der Regel nicht auf kurzfristige Chartverläufe und glauben außerdem nicht an die Relevanz der technischen Analyse bzw. der Chartanalyse.
Ein paar Value Investoren jedoch, im Speziellen Michael Burry und Walter Schloss, nutzten bzw. nutzen die Konzepte der technischen Analyse sehr wohl, und zwar um den richtigen Einstiegszeitpunkt für ihre Value Investments zu finden. Vor allem orientieren sie sich dabei am so genannten 52-Wochen-Tief und verfolgen, ob eine Aktie eine Bodenbildung zeigt.
Für die Ermittlung des richtigen Verkaufszeitpunktes nutzen sowohl Burry als auch Schloss dann wieder Zielkurse auf Basis ihrer Value-Strategie.
Was meint ihr zum Thema Chartanalyse? Ist das für euch relevant? Nutzt ihr einige Techniken vielleicht sogar selbst? Kommentiert einfach unten.