Die Analyse der Strategie bzw. genauer gesagt der Unternehmensstrategie ist eine der Hauptaufgaben eines jeden Value Investors. Ich denke da sind wir uns einig, denn wir möchten ja verstehen, wie das Geschäft eines potenziellen Investments funktioniert und wo das Management das Unternehmen hin entwickeln möchte. Nur wie gehen wir an diese Fragestellung heran? Ansätze zur Analyse bzw. strategische Frameworks gibt es ja reichlich (z.B. Porter’s 5 Forces). Aber müssen (können) wir wirklich jeden einzelnen Bestandteil eines solchen Frameworks analysieren? Oder gibt es vielleicht ein paar Bereiche bzw. Themen, auf die wir unsere Aufmerksamkeit konzentrieren sollten?
Ich habe einmal versucht, die wesentlichen Themen im Hinblick auf die Unternehmensstrategie aus Sicht eines Value Investors zusammenzustellen und hoffe, dass wir damit die wesentlichen strategischen Fragestellungen abdecken können.
2 Ebenen der Strategieanalyse
Viele gelistete Unternehmen haben eine Struktur, die in etwa so aussieht wie in der folgenden Grafik dargestellt. D.h. im Wesentlichen gibt es eine Unternehmenszentrale, also ein “Corporate Headquarter” sowie verschiedene Geschäftseinheiten (meist Business Units genannt), die unter dem Dach dieses Headquarters gebündelt werden.
Handelt es sich um ein Großunternehmen oder einen Mischkonzern, dann gibt es zwischen der Unternehmenszentrale und den Business Units noch eine weitere Ebene, auf der die Geschäftsbereiche dann oft noch zu mehreren Divisionen zusammengefasst werden. Bei Nebenwerten bzw. kleineren Unternehmen sind Geschäfts- und Unternehmensstrategie dann quasi deckungsgleich.
Dem entsprechend können wir auch unsere Analyse der Unternehmensstrategie grob in zwei Bestandteile zerlegen:
- die Analyse der Corporate Strategy (Konzern- bzw. Unternehmensstrategie)
- die Analyse der Business Strategy (Geschäftsstrategie) der einzelnen Business Units
Während wir uns im Rahmen der Analyse der Konzern- bzw. Unternehmensstrategie eher auf die Themen Portfoliooptimierung und Finanzierungsstrategie des Gesamtkonzerns fokussieren, interessieren uns bei der Analyse der einzelnen Geschäfte (d.h. der Business Units) dann die spezifischen Charakteristika des jeweiligen Geschäftsmodells, also Wettbewerbsvorteile, Eintrittsbarrieren etc.
Corporate Strategy bzw. Unternehmensstrategie
Im aktuellen Buyout-Markt sehen sich neuerdings auch europäische Unternehmen mit zunehmendem Druck konfrontiert, ihr Geschäftsportfolio bzw. ihr Beteiligungsportfolio aktiv zu managen. Eine neue Art von Investoren, namentlich Private-Equity-Firmen, Hedge-Fonds und Aktivisten (siehe Elliott Management bei E.ON/Uniper, thyssenkrupp etc.), sucht offensiv nach Möglichkeiten, Werte aus Portfolio-Bewegungen in Unternehmen zu generieren.
Darüber hinaus haben viele Unternehmen inzwischen festgestellt, dass der traditionelle Ansatz, nämlich den freien Cash Flow in (teils marginal) attraktivere Unternehmen mit mutmaßlich hohen Synergien zum bestehenden Portfolio zu investieren, wenig Wert generiert.
Unsere Analyse der Unternehmensstrategie fokussiert sich daher auf die wesentlichen Steuerungsthemen, nämlich
- das Portfolio Design bzw. die Portfoliostrategie
- das Portfoliomanagementbzw. die Portfoliosteuerung
- die Finanzstrategie
Portfolio Design
Ein optimales Portfolio Design leitet sich im Wesentlichen aus den Kernkompetenzen des Unternehmens sowie auch der Attraktivität der einzelnen zum Unternehmen gehörenden Geschäfte bzw. Geschäftsbereiche ab. Dieser Zusammenhang wird aus meiner Sicht sehr gut im folgenden Schaubild verdeutlicht:
Quelle: McKinsey
Im Wesentlichen gibt es zwei Dimensionen, anhand derer ein Unternehmen entscheiden sollte, in welchen Geschäftsbereichen in Zukunft investiert (entweder in organisches Wachstum oder über Akquisitionen) und welche Geschäftsbereiche eher verkleinert (verkauft, restrukturiert oder sogar geschlossen) werden sollten:
- die Kapitalrendite des Geschäfts(-bereichs)… werden mindestens die Kapitalkosten (WACC) verdient bzw. kann die Kapitalrendite weiter gesteigert werden?
- die Übereinstimmung der erforderlichen Kernkompetenzen… ist das Unternehmen der natürliche Eigentümer (“Natural Owner”) und gehört der Geschäftsbereich zum Kerngeschäft (“Core Business”)? Oder anders: Ist das Unternehmen wie kein anderes dazu in der Lage, die Kapitalrendite der einzelnen Business Units und insgesamt zu steigern?
Die Frage nach der Attraktivität eines Geschäfts (also i.W. die Frage nach der Kapitalrendite) lässt sich relativ leicht beantworten. Die Antwort auf die Frage, ob ein Geschäftsbereich zum Kern des Unternehmens zählen und damit wesentlicher Teil der Geschäftsstrategie sein sollte, ist da schon etwas komplizierter.
Der wichtigste Faktor ist der Unterschied, den ein bestimmter Eigentümer in einem Geschäft machen kann. Ich denke die Konsumgüterindustrie ist hier ein gutes Beispiel. Im Kern geht es vor allem um das Marketing und den Vertrieb von Produkten. Insofern könnte ein Unternehmen der “Natural Owner” anderer Konsumgüterhersteller sein, deren Produkte über die gleichen Kanäle oder an die gleichen Kunden verkauft werden können.
Es gibt aber natürlich auch viele andere Themen wie operative Synergien z.B. über die Bündelung von Produktionskapazitäten oder einen Technologietransfer. Oder auch Zugang zu bestimmten Märkten oder funktionale Exzellenz. Manche Unternehmen haben eine Historie von erfolgreichen Effizienzsteigerungen.
Die große Herausforderung für uns als DIY Investoren bzw. Value Investoren ist es also, die Portfoliostrategie des Unternehmens im Hinblick auf die geplanten Portfolioanpassungen zu bewerten und dabei vor allem auf die Optimierung der Kapitalrendite und die Ausrichtung auf das Kerngeschäft zu achten.
Portfoliomanagement bzw. Unternehmenssteuerung
Der Begriff Portfoliomanagement beschreibt im Wesentlichen die Art und Weise mit der das Unternehmen auf die einzelnen Geschäftsbereiche einwirkt und wie diese gesteuert werden. Hierbei müssen wir uns natürlich zwangsläufig auch damit befassen, wie viel Autonomie die Geschäftsführer bzw. CEOs der einzelnen Business Units bzw. Tochtergesellschaften haben und wie diese incentiviert werden.
Eine der wesentlichen Fragen dreht sich um die Zentralisierung versus die Dezentralisierung von Funktionen oder Einheiten. Hier einmal eine Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen der verschiedenen Organisationsformen:
Quelle: Alix Partners
Wie ihr sehen könnt, ist das Bild recht uneinheitlich und es gibt keine eindeutige Antwort pro oder contra Dezentralisierung.
Die Zentralisierung kann zwar viele Vorteile mit sich bringen: Kosteneinsparungen, Standardisierung oder den Austausch von Best Practices… laut einer Studie liegt die durchschnittliche Kosteneinsparung (bezogen auf die beeinflussbaren Herstellkosten) bei zentralen versus dezentralen Fertigungsunternehmen bei ca. 10%.
Gleichzeitig birgt die Zentralisierung aber oft auch einige Risiken. Das gilt insbesondere dann, wenn ein bestehendes Geschäft restrukturiert werden muss. Dann nämlich wiegen die verzweigten Hierarchien, die langsamen Prozesse der Entscheidungsfindung und die hierarchische Unterbrechung wichtiger organisationsübergreifender Prozesse schwer. Darüber hinaus ist eine kontinuierliche Portfoliooptimierung, d.h. z.B. der Verkauf von Randaktivitäten etc. mit starken Verzweigungen zwischen den Business Units nur schwer möglich. Aus dieser Sicht spricht also vieles für einen eher dezentralen Ansatz.
Was uns zur richtigen Incentivierung des Managements der einzelnen Geschäfte bringt. Hier ist vermutlich Warren Buffett bzw. Berkshire Hathaway das beste Beispiel für eine wirksame Incentivierung. Buffett bietet seinen Managern nämlich im Gegensatz zu den meisten anderen Arbeitgebern unbegrenzte Anreizprämien bzw. eine direkte Gewinnbeteiligung. Die Gesamtvergütung kann sich dadurch von Jahr zu Jahr schonmal um einen Faktor 20 oder 30 verändern. Mit diesem Ansatz ist Berkshire aber wie ihr euch denken könnt die krasse Ausnahme.
Finanzstrategie
Der dritte wichtige Aspekt bei unserer Analyse der Corporate Strategy bzw. der Unternehmensstrategie ist die so genannte Finanzstrategie. Die Finanzstrategie hilft vor allem dabei, die richtig Balance zwischen der Kapitalrendite, der Liquidität (also der kontinuierlichen Zahlungsbereitschaft) sowie der finanziellen Stabilität (Stichwort Verschuldungsgrad, Leverage oder Gearing) zu finden.
Als Value Investoren nähern wir uns diesem Thema vorrangig über die Analyse der relevanten Finanzkennzahlen (i.W. Stabilitäts- und Liquiditätskennzahlen). Uns sollte aber z.B. bei der Analyse der finanziellen Stabilität nicht nur interessieren, ob das analysierte Unternehmen eine ausreichende Eigenkapitalquote besitzt, sondern auch, ob diese Eigenkapitalquote aus unserer Risk-Return Überlegung heraus auch optimal ist bzw. ob das Management bzw. im Speziellen der CFO ein Verständnis über den optimalen Zielkorridor für die Verschuldung besitzen.
Einfach gesprochen: Eine 100%ige Eigenkapitalfinanzierung ist zwar sehr risikoarm, stellt aber vermutlich nur sehr selten die optimale Form der Finanzierung dar, weil durch die Aufnahme eines gewissen Anteils an Fremdkapital die Kapitalkosten signifikant gesenkt und damit die Eigenkapitalrendite signifikant gesteigert werden können (ohne dass das Insolvenz-Risiko o.Ä. dadurch signifikant zunimmt). Die Zusammenhänge hierzu könnt ihr z.B. im Artikel zur DuPont-Formel nachlesen.
Business Strategy bzw. Geschäftsstrategie
Auch wenn die Corporate Strategy bzw. die Unternehmensstrategie einen wesentlicher Treiber der Unternehmenserfolgs und damit des Shareholder Returns darstellt, sollten wir die Analyse der Geschäftsstrategien der einzelnen Business Units nicht vernachlässigen. Denn hier kommen die Wettbewerbsvorteile etc. zum Tragen.
Im Grunde genommen würden wir für eine Analyse der Geschäftsstrategie bzw. der Wettbewerbsstrategie auf ein Strategieframework wie z.B. das 5 Forces Modell von Michael Porter zurückgreifen. Das 5 Forces Modell analysiert im Wesentlichen die folgenden 5 Aspekte (für weitere Details lest euch auch den Artikel zum 5 Forces Modell einmal durch):
- Wettbewerbsvorteile bzw. Markteintrittsbarrieren
- Wettbewerbsintensität / Konkurrenzanalyse
- Regulierung, Umweltauflagen etc.
- Verhandlungsmacht gegenüber Kunden und Lieferanten
- Substitute
Ganz am Anfang sollte allerdings die Analyse der Markteintrittsbarrieren bzw. des Wettbewerbsvorteils und dessen Nachhaltigkeit stehen, denn der Wettbewerbsvorteil steht wie kein anderes Kriterium in Zusammenhang mit einer dauerhaft hohen Kapitalrendite.
Das sieht z.B. auch Bruce Greenwald so, der mit seinem Buch Competition Demystified aus meiner Sicht eines der besten Bücher zum Thema Unternehmensstrategie geschrieben hat. Das gilt wahrscheinlich gerade auch deshalb, weil Greenwald ebenfalls ein passionierter Value Investor ist (u.a. ja Professor an der Columbia Business School und damit quasi Nachfolger von Ben Graham sowie Autor des ebenfalls sehr guten Buches Value Investing).
Quick and Dirty Test: Die Unternehmensstrategie in 35 Wörtern
Um ganz einfach zu prüfen, ob eine Unternehmensstrategie klar und sinnvoll ist, solltet ihr übrigens einmal versuchen, die Strategie in maximal 35 Wörtern zusammenzufassen. Im Harvard Business Review erschien dazu im Jahr 2008 ein Artikel mit dem Titel “Can You Say What Your Strategy Is?“.
In diesem Artikel geht es wie gesagt darum, die Strategie eines Unternehmens in maximal 35 Wörtern zu beschreiben. Wichtig ist dabei, dass folgende Elemente in der Strategieformulierung enthalten sind:
- Das mittelfristige Ziel des Unternehmens bzw. der Unternehmenszweck (Objective)
- Der Fokusmarkt bzw. das Fokussegment des Unternehmens (Scope)
- Der Wettbewerbsvorteil, mit dessen Hilfe das Ziel erreicht werden soll (Advantage)
Hier z.B. einmal das Strategie-Statement aus dem Artikel:
Grow to 17,000 financial advisers by 2012 [from about 10,000 today] by offering trusted and convenient face-to-face financial advice to conservative individual investors who delegate their financial decisions, through a national network of one-financial-adviser offices.
Wie ihr seht ist das Ganze sehr konkret und gut fassbar.
Ich denke das dieser kleine Test uns schon sehr viel über die Strategie eines Unternehmens sagen kann. Wenn wir nicht in der Lage sind, Objective, Scope und Advantage aus der Kapitalmarktkommunikation des Unternehmens bzw. den Aussagen des Managements in den Earnings-Calls abzuleiten, dann sollten wir jedenfalls sehr genau hinsehen.