Sum-of-the-Parts (SOTP): Firmen mit unabhängigen Segmenten bewerten

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Sum-of-the-Parts SOTP

Wie ich in einem früheren Artikel einmal beschrieben hatte, sind Unternehmen mit versteckten Assets bzw. vom Markt nicht richtig wahrgenommenen Vermögenswerten eine gute Möglichkeit, um interessante Investitionsgelegenheiten zu finden. Unternehmen mit teilweise voneinander mehr oder weniger unabhängigen operativen Segmenten oder Business Units fallen ebenfalls in diese Kategorie. Hin und wieder kommt es nämlich vor, das ein Gesamtunternehmen vom Markt niedriger bewertet wird, als die einzelnen Segmente zusammengenommen. Wenn wir die Einzelsegmente separat bewerten und dann zum Gesamtkonzern aufaddieren, um solch eine Abweichung aufzudecken, dann sprechen wir von der so genannten Sum-of-the-Parts bzw. SOTP Bewertung.

In diesem Artikel möchte ich einmal kurz beschreiben, wie so eine Sum-of-the-Parts Bewertung genau funktioniert und worauf wir dabei achten müssen. Das Beispiel inkl. Excel um Download gibt es dann in einem der nächsten Artikel.


Die große Black Box

Typischerweise steht bei den meisten Investoren – uns eingeschlossen – das Gesamtunternehmen im Fokus. In vielen Fällen machen wir uns – jedenfalls aus Bewertungsgesichtspunkten – gar nicht die Mühe, auf die einzelnen Segmente und Geschäftsfelder eines Unternehmens einzugehen.

Das ist auch in Ordnung so, weil die meisten Unternehmen aus recht homogenen und miteinander in starkem Zusammenhang stehenden Segmenten bestehen.

Aber es gibt auch Ausnahmen, nämlich die uns bekannten Mischkonzerne bzw. Konglomerate. Dies sind Unternehmen, die aus mehreren, teilweise nicht zusammenhängenden Geschäftsfeldern bzw. Segmenten bestehen (z.B. Gasturbinen und Züge bei Siemens).

Im Rahmen der Bewertung solcher Konglomerate kann es nun sinnvoll sein, noch ein Level tiefer zu gehen und unsere Bewertung auf Basis der Einzelsegmente durchzuführen.

Gerade wenn ein Unternehmen nämlich mehrere verschiedene und unterschiedlichen Treibern unterliegende Geschäfte hat, kann es schonmal vorkommen, dass die Summe der Einzelteile (Sum-of-the-Parts) weitaus mehr wert ist als uns die Gesamtbewertung auf Basis eines KGV oder einer ähnlichen Kennzahl suggeriert.

Bewerten wir die Einzelsegmente zunächst separat und addieren diese dann zum Gesamtunternehmen auf, dann sprechen wir von einer so genannten Sum-of-the-Parts oder abgekürzt SOTP Bewertung (manchmal auch nur Sum-of-Parts bzw. SOP genannt).

Segmente müssen klar voneinander abgrenzbar sein

Je unterschiedlicher die Segmente sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Markt bestimmte Assets übersieht und wir eine größere Abweichung der Sum-of-the-Parts Bewertung von der Gesamtbewertung feststellen können.

Haben wir andererseits Segmente, die stark miteinander verwoben sind, z.B. weil ein Segment ein großer Lieferant eines anderen Segments ist oder weil die Segmente sehr ähnlichen Treibern unterliegen (ähnliches Geschäftsmodell, ähnliche Bewertungslogik, ähnliche Returns), dann werden Gesamtbewertung und SOTP Bewertung vermutlich recht ähnliche Resultate liefern.

Diesen Aspekt sollten wir im Vorfeld einer möglichen Sum-of-the-Parts-Bewertung also einmal prüfen, um ggf. unnötige Arbeit zu vermeiden.

Die Sum-of-the-Parts Bewertung ist eins der effizientesten Bewertungsverfahren, wenn es um die Bewertung von Konglomeraten mit voneinander unabhängigen und anderen Treibern unterliegenden Geschäftsfeldern geht.

Für die Durchführung des SOTP Bewertungsverfahrens benötigen wir ein Grundverständnis über ein paar der bekannten Bewertungsverfahren. Im Wesentlichen geht es dabei um Enterprise Value und Equity Multiples.

Für eine Einordnung und Übersicht der Verfahren schaut euch am besten zunächst die Value Investing Basics: Das 1×1 der Bewertungsverfahren an.


Warum Sum-of-the-Parts bzw. SOTP?

Die meisten Großunternehmen sind nicht mehr nur in einem Geschäftsfeld aktiv, sondern operieren in mehreren, teilweise voneinander unabhängigen Segmenten. Wenn wir ein solches diversifiziertes Unternehmen bewerten möchten, dann benötigen wir separate Bewertungen sowohl der einzelnen Geschäftsfelder, als auch der Unternehmenszentrale bzw. des Headquarters.

Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Wir können natürlich einen DCF-Ansatz oder einen relativen Bewertungsansatz  für die Bewertung des Gesamtkonzerns nutzen. Aber ein solcher Ansatz wird in den meisten Fällen nicht über alle Segmente sinnvoll sein.

Was bringt uns z.B. die Nutzung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV), wenn ein oder mehrere Segmente einen Verlust erwirtschaften? Diesem Segment würden wir dann implizit einen negativen Wert zuweisen, auch wenn vielleicht Assets von signifikantem Wert im Segment vorhanden sind oder es sich um ein Wachstumsgeschäft à la Amazon handelt, das aktuell noch alle Gewinne in weiteres Wachstum reinvestiert.

Das Bewertungsverfahren der separaten Bewertung und anschließenden Aufsummierung der Segmente nennt sich Sum-of-the-Parts bzw. abgekürzt SOTP Bewertung und wird sowohl von Equity Analysten, als auch von vielen Konzernen selbst zu Bewertungszwecken verwendet.


Sum-of-the-Parts Bewertung in 6 Schritten

Die Sum-of-the-Parts Bewertung als Summe der Einzelsegmente liefert uns zunächst den so genannten Enterprise Value, also den Wert aller operativen Assets des Gesamtunternehmens. Um davon ausgehend zum Wert des Eigenkapitals und damit einem Aktienkurs zu gelangen, müssen wir anschließend noch die Schulden abziehen sowie den Cash-Bestand und ggf. andere nicht nicht-operative Assets hinzuaddieren.

Im Rahmen der SOTP Bewertung wird jedes Segment mithilfe von für das jeweilige Segment passenden Bewertungsverfahren bewertet. Diese Verfahren können entweder auf Basis der aktuellen Marktbewertung (Trading Multiples), kürzlicher Transaktionen (Transaction Multiples) oder auch eines intrinsischen Ansatzes (z.B. Earnings Power Value oder DCF) ermittelt werden.

Für die Bewertung relevante Multiples können je nach Wachstum und Profitabilität des Segments auf Umsatz (EV/Umsatz), EBITDA (EV/EBITDA), EBIT (EV/EBIT) oder auch Nettogewinn basieren.

Konkret gehen wir im Rahmen der SOTP Bewertung in 6 Schritten vor:

  1. Wir erheben zunächst die Segmentdaten
  2. Dann nehmen wir ggf. Anpassungen an den Daten vor (z.B. wir normalisieren die Gewinndaten oder schlüsseln noch übergeordnete Kosten – wie die Kosten des Headquarters oder die Konsolidierung – auf die Segmente zu)
  3. Anschließend legen wir die Multiples je Segment fest
  4. Dann ermitteln wir den Enterprise Value (EV) je Segment sowie für das Gesamtunternehmen
  5. Im nächsten Schritt ziehen wir die Nettoverschuldung (Schulden – Cash und Beteiligungen) vom EV ab, um den Wert des Eigenkapitals zu ermitteln
  6. Zum Abschluss berücksichtigen wir ggf. einen Konglomeratsabschlag und ermitteln die Sicherheitsmarge

1. Segmentdaten erheben

Im ersten Schritt müssen wir einmal sehen, welche Informationen das Unternehmen überhaupt auf Segmentebene zur Verfügung stellt.

In der Regel finden wir etwas zur Umsatzentwicklung, eine Profitabilitätskennzahl (z.B. EBITDA, EBIT oder EBT, seltener Nettogewinn) und vielleicht etwas konkretere Versand- oder Produktionszahlen. Mehr aber auch nicht. Auf Segmentebene gibt es typischerweise keine vollständigen Gewinn- und Verlustrechnungen oder Ähnliches.

Das heißt im Umkehrschluss auch, dass wir ggf. nicht jedes beliebige Bewertungsverfahren anwenden können, sondern uns auch an der Verfügbarkeit der Daten orientieren müssen.

Die besten Quellen für diese Daten sind normalerweise die Geschäfts- bzw. Quartalsberichte des Unternehmens.


2. Anpassungen an den Daten vornehmen

Am Ende müssen die Segmentdaten, nachdem wir sie aufsummiert haben, den Daten des Gesamtunternehmens entsprechen.

Falls erforderlich müssen wir also eine Kategorie “Sonstige” einführen bzw. die Kategorie “Konsolidierung” oder “Corporate” mitführen.

Alternativ können wir natürlich die Kosten auf Konzernebene nach einer bestimmten Logik, z.B. nach Umsatz oder Gewinn auf die Segmente zuschlüsseln. Gleiches gilt für die Abschreibungen, sollten diese nur auf Konzernebene veröffentlicht werden.

Wir sollten uns außerdem überlegen, ob wir die Segmentdaten normalisieren müssen. Planen wir ein langfristiges Engagement, dann sollten wir in jedem Fall die nachhaltige und über den Geschäftszyklus durchschnittlich realistische Profitabilität für die Bewertung ansetzen.

Rechnen wir andererseits kurzfristig mit einer Restrukturierung oder einem Spin-Off bestimmter Geschäfte (solch ein möglicher Katalysator ist ja oft der Ausgangspunkt für eine SOTP Analyse), dann kann es sinnvoll sein, eher eine kurzfristige Sicht einzunehmen und auch die letzten Infos zum Geschäftsverlauf aus den Quartalsberichten zu berücksichtigen.


3. Multiples je Segment festlegen

Im nächsten Schritt legen wir das zu nutzende Multiple bzw. das Bewertungsverfahren für jedes der Segmente fest. Für den “Corporate” Teil können wir z.B. einen Mittelwert aus allen Segment-Multiples verwenden oder aber wie oben angesprochen eine Allokation der Kosten auf die Segmente vornehmen.

Diese Multiples – nehmen wir mal ein EBITDA Multiple als Beispiel – können wir auf verschiedene Arten und Weisen ermitteln:

  1. Trading Multiples: Mittelwert der aktuellen Marktbewertungen der verschiedenen Wettbewerber in einem Segment (idealerweise Pure Plays, also Wettbewerber mit nur dem einen Geschäftsfeld). Beispiel Stahlsparte thyssenkrupp: Aktuell werden die wesentlichen Wettbewerber im Stahlbereich (also z.B. Salzgitter, voestalpine, ArcelorMittal) an der Börse zum ca. 6-fachen EBITDA gehandelt (also Enterprise Value = 6 x EBITDA)
  2. Transaction Multiples: Kürzlich im Rahmen einer Übernahme eines ähnlichen Unternehmens gezahlter Preis. Beispiel PSA: PSA zahlte für die Übernahme von Opel ca. den 4-fachen EBITDA

Alternativ können wir die Segmentbewertung natürlich auch auf Basis eines intrinsischen Bewertungsverfahrens durchführen, im Zweifel fehlen uns aber die Daten (d.h. Informationen zu Cash Flows etc. auf Segmentebene), um diese Verfahren mit ausreichender Sicherheit anzuwenden.

Je nach verwendetem Verfahren sollten wir uns außerdem immer darüber im Klaren sein, dass es eine Unterscheidung gibt zwischen dem intrinsischen Wert des Unternehmens (bestimmen wir über intrinsische Verfahren, z.B. ein DCF-Modell) und der aktuellen Bewertung im Vergleich zu den anderen Playern auf Segmentebene (bestimmen wir mithilfe der aktuellen Bewertungs-Multiples).

Ganz allgemein ist die Abschätzung des richtigen Multiples der schwierigste Part der Sum-of-the-Parts Bewertung. Je nach verwendetem Multiple können wir ganz unterschiedliche Unternehmenswerte bzw. Werte der operativen Assets (Enterprise Value) herausbekommen. Darüber hinaus kann die Bandbreite verschiedener Bewertungen innerhalb der Kategorien teilweise recht hoch sein, z.B. weil der Markt verschiedene Unternehmen der gleichen Industrie stark unterschiedlich bewertet:

Auch die Auswahl der Unternehmen bzw. Peers für die Bestimmung eines realistischen Multiples ist oft schwierig, da wir ja idealerweise nach Unternehmen suchen, die mehr oder weniger 1-zu-1 das betrachtete Segment repräsentieren. In vielen Fällen wird es aber nur eine sehr geringe Anzahl solcher “Pure Plays” geben, die noch dazu oft nicht an der Börse gelistet sind.

Es ist deshalb immens wichtig, dass wir hier ausreichend Zeit investieren und auch die entsprechenden Vergleiche anstellen.

Hier einmal ein paar Anhaltspunkte für die Auswahl der Multiples:

Sum-of-the-Parts SOTP Auswahl Multiples

4. Enterprise Value ermitteln

Der Enterprise Value eines Einzelsegments bestimmen wir dann ganz einfach über eine Multiplikation aus Kennzahl und Multiple, also z.B.:

Enterprise Value Segment 1 = EBITDA Segment 1 x EBITDA Multiple Segment 1

Anschließend summieren wir die individuellen Werte der Einzelsegmente auf und bestimmen somit den Enterprise Value (EV) – also den Wert der operativen Assets – für das konsolidierte Unternehmen.


5. Wert des Eigenkapitals bestimmen

Um vom Enterprise Value ausgehend zu einer Bewertung des Eigenkapitals bzw. zu einem Aktienkurs zu gelangen, tun wir einfach das Gleiche, was wir auch im Rahmen der DCF-Bewertung oder der EBIT Multiple Bewertung tun würden: Wir ziehen die Nettoverschuldung vom Enterprise Value ab und addieren ggf. andere nicht-operative Bestandteile hinzu.

Den Aktienkurs bestimmen wir dann, indem wir den bestimmten Eigenkapitalwert durch die Anzahl umlaufender Aktien teilen.


6. Sicherheitsmarge bzw. Abweichung von der Gesamtbewertung ermitteln

Abschließend vergleichen wir noch unseren sozusagen Bottom-Up ermittelten Wert mit der aktuellen Marktbewertung des Gesamtunternehmens.

Finden wir heraus, dass die Summe der Einzelsegmente signifikant mehr wert ist als das Gesamtunternehmen, dann können wir über ein Investment nachdenken.

Allerdings nur, wenn wir glauben, dass durch bestimmte Umstände oder Events (die bereits angesprochenen Katalysatoren) kurz- bis mittelfristig eine faire Bewertung der Segmente erreicht werden kann.

Sehen wir aktuell keinen bestimmten Auslöser für die Auflösung der Unterbewertung, dann können wir alternativ einen realistischen Abschlag auf den SOTP Wert definieren (typischerweise 10-20%) und schauen, ob wir nach wie vor eine attraktive Investmentchance sehen.


Potenzielle Katalysatoren

Im Falle von Mischkonzernen bzw. Konglomeraten kommen vor allem zwei Katalysatoren in Betracht, um die Marktbewertung näher an die Sum-of-the-Parts Bewertung heranzubringen:

  • eine Restrukturierung, also z.B. ein Carve-Out (Börsengang/IPO), ein Spin-Off, ein Split-Off oder die Ausgabe von Geschäftsbereichsaktien (Tracking Stocks, in Deutschland mehr oder weniger unbekannt) einer oder mehrerer Sparten
  • eine Übernehme des gesamten Unternehmens, in deren Verlauf das Management typischerweise versucht, den Unternehmenswert entsprechend hoch anzusetzen

Ohne einen solchen Katalysator kann eine Unterbewertung über einen langen Zeitraum anhalten und die Investition zu einer so genannten Value-Falle (Value Trap) werden.


What’s next?

In diesem Artikel bin ich auf den zugegebenermaßen recht theoretischen Teil der Sum-of-the-Parts Bewertung eingegangen. In einem der nächsten Artikel kommt dann aber wie üblich ein recht konkretes Beispiel inkl. Excel-Download zum selbst ausprobieren.

Falls ihr bis dahin Fragen oder Anregungen habt, dann kommentiert gerne unten bzw. sendet einfach eine Email.

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