Auch wenn sich das Wachstum in den letzten paar Jahren etwas abgeschwächt hat, wächst der Onlinehandel mit ca. 8-9% immernoch vergleichsweise stark (versus ca. 1-2% für den traditionellen Handel). Neben den etablierten stationären Einzelhändlern, also den Händlern mit eigenen Ladengeschäften wie MediaMarkt Saturn oder H&M, versuchen deshalb nach wie vor viele kleinere Onlinehändler im Markt Fuß zu fassen. Gleichzeitig allerdings gehen zur Zeit viele etablierte Onlinehändler wie z.B. Zalando auch genau den umgekehrten Weg und eröffnen eigene Ladengeschäfte. Grund dafür ist das komplexe Geschäftsmodell, welches das Geldverdienen über den Online-Kanal verhältnismäßig schwierig macht.
In diesem Artikel möchte ich einmal auf ein paar wesentliche Aspekte des Geschäftsmodells der Online Retailer eingehen und diese dem stationären Einzelhandel gegenüberstellen. Darüber hinaus möchte ich auch darauf eingehen, ob und unter welchen Umständen ein Online-Händler ein gutes Investment darstellen könnte.
Geschäftsmodelle im Vergleich: Online Retail versus stationärer Einzelhandel
Der Einzelhandel – online wie offline – ist eine sehr vielfältige Branche. Nicht nur wird je nach Segment eine große Bandbreite an Produkten vermarktet bzw. vertrieben. Es gibt darüber hinaus auch eine ganze Reihe verschiedener, größtenteils historisch gewachsener Geschäftsmodelle bzw. Konzepte im Markt, wie ihr der folgenden Abbildung entnehmen könnt:
Aufgrund des hohen Anteils an austauschbaren Gütern bzw. Produkten, die gleichzeitig über eine Vielzahl an Online-Shops und Ladengeschäften erworben werden können, erzielen Einzelhändler typischerweise nur eine recht niedrige Bruttomarge (Größenordnung ~20-40%). Die Onlinehändler sind dabei eher am oberen Ende dieser Spanne angesiedelt, was primär daran liegt, dass Miete, Ladeneinrichtung etc. größtenteils eingespart werden können.
Die ursprüngliche Annahme der ersten Onlinehändler war deshalb auch, dass das Online-Geschäft im Vergleich zum stationären Einzelhandel profitabler sein würde. Dies stellte sich allerdings im Nachhinein als Fehleinschätzung heraus.
Tatsächlich sind nämlich die weiteren operativen Kosten (i.W. die Kosten für Werbung und Kundenakquise) über den Online-Kanal viel höher als im stationären Handel. Sehr deutlich wird dies, wenn wir einmal die Zahlen des Onlinehändlers Zalando mit denjenigen des (größtenteils) stationären Händlers Wal-Mart gegenüberstellen:
Quelle: Morningstar
Während die Bruttomarge von Zalando regelmäßig knapp oberhalb der 40%-Marke liegt, erreicht Wal-Mart im Schnitt nur etwa 25%. Umgekehrt sind die Aufwendungen für den Vertrieb für Zalando ungleich höher, was ihr am Verhältnis der SG&A-Aufwendungen (VVK oder Vertriebs- und Verwaltungskosten) zum erzielten Umsatz erkennen könnt. Zalando muss hier je EUR Umsatz ca. 20% mehr ausgeben als Wal-Mart.
Summa summarum ergibt sich daraus für den Onlinehändler eine niedrigere operative Marge (ca. 3-4 versus ca. 4-5%) sowie auch eine geringere Kapitalrendite (ca. 7,5 versus ca. 10,5%). Je nach Höhe der Kapitalkosten (WACC) – diese habe ich mir noch nicht angeschaut – könnte es außerdem sein, dass Zalando trotz Wachstum keinen positiven Shareholder Value generiert.
Der große Unterschied: Customer Acquisition Costs
Woran liegt es aber nun genau, dass ein Online Retailer so viel mehr für Vertrieb und Marketing aufwenden muss (abgesehen natürlich von der nicht vorhandenen Laufkundschaft)?
Ganz einfach: Die Komplikation liegt in der Kundenakquise. Die so genannten Customer Acquisition Costs, also die Kosten um einen neuen Kunden zu gewinnen, sind im Vergleich zum stationären Einzelhandel ungleich höher. Dieser Umstand hat vor allem mit dem Gesetz des sinkenden Grenzertrags (dem “Law of Diminishing Returns in Customer Acquisition”) zu tun:
- Die erste Kundengruppe (die kleine Gruppe der “Early Adopters”) ist in der Regel die profitabelste
- Mit zunehmender Größe wird der ROI (Return on Investment) immer schlechter bzw. sogar negativ, d.h. die Kosten für die Akquisition neuer Kunden nehmen immer weiter zu und werden irgendwann nicht mehr durch die erwirtschafteten Umsätze abgedeckt. Das liegt zum einen daran, dass es sich nicht mehr um die loyalen und begeisterten Erstkäufer handelt, zum anderen aber auch daran, dass der Wettbewerb um den einzelnen Kunden tendenziell sehr intensiv ist
Viele Online Händler nehmen in der Regel trotzdem hohe Kosten für die Kundenakquise in Kauf, weil sie auf die Loyalität der Kunden setzen (der zweite Kauf des akquirierten Kunden hätte ja im Grunde genommen Akquisitionskosten von Null)… oder unter Umständen auch, weil sie von Investoren Geld eingeworben haben, welches sie entsprechend ausgeben müssen.
Exkurs: Law of diminishing Returns (Gesetz des sinkenden Grenzertrags)
Das Gesetz des sinkenden Grenzertrags, vielen vielleicht besser bekannt als das “Law of diminsihing Returns”, besagt, dass es auf einer Ertragskurve (wie viel Output erzielt ein Unternehmen bei welchem absoluten Input) einen optimalen Punkt gibt, bis zu dem jede zusätzlich aufgewendete Einheit eines Inputs zu einem mindestens gleich großen Output führt.
Ãœber diesen Punkt – in der unten stehenden Grafik als “Beginn abnehmender Erträge” gekennzeichnet – hinaus, so die Faustregel, nimmt das Wachstum des Outputs immer weiter ab und nähert sich schließlich der Nulllinie an… ab diesem Punkt reduziert sich der Gesamtoutput sogar mit jeder neu hinzugefügten Input-Einheit.
Gilt das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, wäre es für viele Online Retailer allerdings profitabler, wenn sie ihr Geschäft auf den ertragsoptimalen Punkt ausrichten und weiteres Wachstum über zusätzliche Marketingausgaben vermeiden würden. Dies funktioniert in der Regel am besten, wenn der Händler eine klare Nischenstrategie verfolgt (wie z.B. Otto Office).
Komplikation: Die Messbarkeit des Marketing-ROI ist schwierig
Gleichzeitig lässt sich der ROI der verschiedenen Marketingkanäle allerdings nur schwer messen bzw. gegenüberstellen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass viele Online Retailer erst an den finalen Zahlen (und ggf. erst nach einiger Zeit) sehen, welchen Effekt die Marketing-Maßnahmen tatsächlich in der Praxis gehabt haben.
Eine etwas gröbere Unterteilung der Marketingkanäle kann übrigens mithilfe der Bezeichnungen “Performance Marketing” (alles, was irgendwie gemessen werden kann) und “Brand Marketing” vorgenommen werden.
Ersteres, nämlich potenzielle Kunden z.B. über die Onlinesuche oder die Social Media Kanäle auf die Webseiten zu lotsen, wird immer kostspieliger und aufwendiger. Organischer Traffic war in der Vergangenheit größtenteils abhängig vom Google-Ranking oder von der Anzahl der facebook Follower. Heutzutage schaltet Google ganz oben auf den Ergebnisseiten immer mehr bezahlte Anzeigen bzw. facebook priorisiert bezahlte Werbung im Newsfeed… und das bei gleichzeitig weiter wachsenden Budgets für die Online-Werbung (und damit zunehmendem Wettbewerb).
Mögliche Auswege: Hybride Geschäftsmodelle und Marketplaces
Als Resultat gibt es nur wenige große und gleichzeitig profitable “standalone” Online-Händler. Und wenn wir einmal genauer hinsehen, dann können wir bei vielen Händlern entweder eine Art von Diversifizierungs- oder aber eine Nischenstrategie ausmachen.
Zu diesen diversifizierten, hybriden Geschäftsmodellen gehört unter anderem die Einführung von Eigenmarken oder auch die Etablierung von so genannten Marketplaces, d.h. die Öffnung der Verkaufsplattform für externe Anbieter / Händler. Amazon beispielsweise ist mit seinem Marketplace sehr profitabel… diese Entwicklung war allerdings eher ein Resultat aus der fehlenden Profitabilität des eigenen Online-Handelsgeschäfts.
Ursächlich für die höhere Profitabilität (d.h. operative Marge oder EBIT-Marge) des Amazon-Marketplaces ist übrigens eine im Vergleich etwas andere Logik für die Realisierung von Umsätzen (in etwa zu vergleichen mit den Franchise-Umsätzen von Systemgastronomen wie McDonalds’s oder Vapiano). Während nämlich beim eigenen Handel die Umsätze quasi durch den Verkaufspreis der Produkte definiert werden, besteht die Umsatzseite bei den Third-Party Umsätzen lediglich aus den durch Amazon einbehaltenen Provisionen.
Interessanterweise führt deshalb ein im Vergleich zum eigenen Onlinehandel größeres Wachstum des Marketplaces zu einer Verringerung des Umsatzwachstums des Gesamtkonzerns bei gleichzeitig steigender Profitabilität. Nach Amazon haben übrigens bereits weitere Online Retailer externe Verkäufer auf ihren Seiten zugelassen, wobei allerdings nur Amazon das komplette Fulfillment-Paket anbietet.
Grundsätzlich: Wesentliche Erfolgsfaktoren und KPIs im Online Retail
Abschließend möchte ich noch einmal kurz auf die aus meiner Sicht wesentlichen Erfolgsfaktoren und KPIs (Key Performance Indicators) für ein Unternehmen aus dem Bereich des Online Retail eingehen… was ja in der Regel bereits recht stark mit den Kriterien für ein Investment in ein Unternehmen aus der Branche korreliert.
Wir haben oben bereits gesehen, dass den Marketingkosten bzw. den Kosten für die Neukundenakquise im Online-Bereich eine ganz besondere Bedeutung zukommt und dass dieser Aspekt auch einen signifikanten Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Deshalb sollten wir als Investoren versuchen, diesen Kostenblock genau zu verstehen. Dazu kann dann z.B. gehören
- die Analyse der Entwicklung der Marketingkosten als %-Anteil vom Umsatz über die Zeit: Sehen wir, dass der Anteil sich erhöht, können wir unter Umständen auf eine abnehmende Effizienz des Marketing bzw. abnehmende Grenzerträge schließen
- die Aufteilung der Marketingkosten auf die einzelnen Kanäle, beispielsweise in Performance- und Brand-Marketing
- die Untersuchung der Markenbekanntheit: Starke Privat- oder Exklusivmarken können überdurchschnittliche Margen erzielen, während sie gleichzeitig die Kundenbindung stärken
- usw.
Darüber hinaus spielt neben den Volumen und Marktanteilen oder Nischenposition im ausgewählten Segment außerdem die Produkt- und Servicequalität eine wichtige Rolle.
In puncto KPIs sind neben dem bereits genannten SG&A-Anteil am Umsatz für einen Online Retailer vor allem die folgenden Kennzahlen interessant:
- Unit Economics: Sehen wir eine überdurchschnittlich hohe Produktivität, z.B. einen hohen durchschnittlichen Warenkorb je Kunde oder eine hohe durchschnittliche Anzahl an Bestellungen je Kunde, dann ist das ein gutes Zeichen
- Bruttomarge: Eine gleichbleibende Entwicklung der Bruttomarge weist auf ein starkes Working Capital Management hin. Dies ist besonders relevant für saisonale Produkte
- Umsatzwachstum, EBITDA-Marge und Fixkostenintensität / Economies of Scale: Eine überdurchschnittliche und über die Zeit zunehmende EBITDA-Marge deutet auf die Nutzung von Skaleneffekten hin. Umgekehrt kann eine abnehmende Marge abnehmende Grenzerträge (d.h. zu hohe Marketingkosten) bedeuten
- Cash Conversion Cycle, im Speziellen Lagerumschlag (DIO oder Days Inventory Outstanding) und Kreditorenlaufzeit (DPO oder Days Payables Outstanding): Eine Verschlechterung des Lagerumschlags kann auf schlecht zu vermarktende Produkte hindeuten (aber auch einfach nur saisonale Ursachen haben); grundsätzlich führen geringe Lagerbestände zu einem geringeren Wertberichtigungsrisiko
Fazit
Online Retailer haben im Vergleich zu stationären Einzelhändlern zwar höhere Bruttomargen, da sie auf das Betreiben von eigenen Ladengeschäften in teuren City-Lagen verzichten können. Gleichzeitig müssen sie aber vergleichsweise viel für die Kundenakquise ausgeben, was schlussendlich zu niedrigeren operativen Margen und Kapitalrenditen führt.
Viele Onlinehändler versuchen deshalb, ihr Geschäftsmodell zu stabilisieren, indem sie etwa externen Verkäufern Zugang zu ihrer Plattform gewähren (so genannte Marketplaces) oder aber selbst in die Produktion einsteigen und so genannte Eigenmarken (im Lebensmittelbereich Handelsmarken genannt) etablieren.
Als Investoren sollten wir bei der Analyse von Unternehmen aus dem Bereich Online Retail vor allem auf die Entwicklung der Bruttomargen, die Effizienz des Marketings (im ersten Schritt abzulesen an der SG&A / Umsatz Kennzahl) sowie den Cash Conversion Cycle (insbesondere den Lagerumschlag) achten… wobei die Analyse der genannten KPIs natürlich jeweils einen ganz konkreten Bezug zur Analyse der Wettbewerbsposition haben sollte.