In meinem Artikel von letzter Woche bin ich aus Sicht eines Value Investors etwas detaillierter auf das Thema Unternehmensstrategie eingegangen und habe zwischen der so genannten Corporate Strategy (Unternehmensstrategie) und der Business Strategy (Geschäftsstrategie) differenziert. Viele von euch werden bei den Themen Corporater Strategy und Portfolio Design bzw – management vermutlich direkt das Stichwort “Konglomeratsabschlag” im Kopf haben und sich denken, dass speziell bei einem Mischkonzern der Gesamtwert eigentlich doch immer kleiner sein muss, als die Summe der Einzelteile (Sum-of-the-Parts bzw. SOTP).
In diesem Artikel möchte ich einmal illustrieren, warum das nicht unbedingt stimmen muss bzw. warum es sogar auch Mischkonzerne gibt, die mit einem Premium am Markt gehandelt werden.
Drei Hebel der Wertgenerierung in einem Mischkonzern
In einem Mischkonzern bzw. einem so genannten Konglomerat hat das Corporate Headquarter oder Corporate Center (es gibt wohl hierfür keine gescheite deutsche Übersetzung) im Wesentlichen drei Möglichkeiten, um Wert für die einzelnen Geschäfte bzw. Business Units und den Gesamtkonzern zu schaffen. Diese drei Hebel sind
- Führung: Das Führen der einzelnen Geschäfte über eine effiziente Kapitalallokation, das Setzen der richtigen Anreize für die Management-Teams, ggf. aktives Management, die Bereitstellung von Methodenkompetenz und Tools etc.
- Synergien: Vorteile aus der Beziehung der Geschäfte bzw. Tochtergesellschaften untereinander. Hier kann es z.B. um den gemeinsamen Einkauf von Rohmaterialien, den Wissenstransfer oder die gemeinsame Nutzung einer starken Konzernmarke gehen
- Services: Im Wesentlichen die zentrale Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen, wie z.B. die Anfertigung der Steuererklärung, der IT-Helpdesk, die zentrale Weiterbildungseinrichtung etc.
Hier einmal eine grafische Darstellung der wesentlichen Werthebel für “Corporate” in einem Mischkonzern:
Die Tatsache, dass die überwiegende Zahl der Mischkonzerne am Markt mit einem Abschlag (dem so genannten Konglomeratsabschlag oder Conglomerate Discount) bewertet wird, spricht dafür, dass der Markt meist nicht an die Existenz dieser Werthebel glaubt oder daran, dass das Management diese Werte heben kann.
Es könnte aber natürlich auch sein, dass der Markt die Vorteile der Konzernstruktur nicht versteht. Als Value Investor darauf zu setzen, ist aber vielleicht nicht die beste Idee. Nicht weil es nicht stimmen könnte, sondern vor allem, weil aufgrund der aktuellen Trends am Kapitalmarkt vermutlich kein Katalysator bzw. Catalyst existieren wird, der dazu führt, dass der Aktienkurs in einer unveränderten Struktur wieder nach oben geht und den Wert richtig reflektiert.
Schauen wir uns die einzelnen Werthebel aber einmal kurz an.
Services
Ich glaube, dass die Bereitstellung von zentralen Dienstleistungen, also z.B. die Anfertigung einer gemeinsamen Steuererklärung oder die Bereitstellung einer einheitlichen IT-Infrastruktur, der am klarsten definierte und verständliche Werttreiber für einen Mischkonzern darstellen.
Wobei aber auch hier nicht unbedingt von einer kosteneffizienten Bereitstellung ausgegangen werden kann. Es gibt leider auch sehr oft den Fall, dass die Business Units bzw. Tochtergesellschaften quasi gezwungen werden, zentrale Dienstleistungen vom Konzern zu beziehen, die über den freien Markt – also von extern – viel günstiger eingekauft werden könnten (selbst mehrfach beobachtet).
Die Themen Führung und Synergien hingegen sind nicht nur schwer zu greifen. Als Investor muss man diese Punkte auf Basis von Outside-In Informationen auch erstmal verstehen können.
Führung
Das Thema Führung kann ein signifikanter Wertreiber für einen Mischkonzern sein. Tatsächlich gibt es einige Konglomerate, die vor allem wegen des Führungsaspekts vom Markt nicht mit einem Konglomeratsabschlag versehen werden, sondern stattdessen sogar mit einem Premium.
Berkshire Hathaway ist vermutlich das beste und bekannteste Beispiel. CEO Warren Buffett lässt dem Management der einzelnen Geschäfte große Freiräume und nutzt ein Incentive-System, welches die Vergütung der Manager sehr stark an den Unternehmenserfolg koppelt. Dies hat in der Vergangenheit bestens funktioniert und zu einer Premiumbewertung geführt.
Ein weiteres Beispiel für ein Konglomerat, das aufgrund seiner Führungskompetenz vom Markt typischerweise mit einem Premium bewertet wird, ist Danaher (DHR). Danaher ist sowas wie ein Gemischtwarenladen. Zu Danaher gehören ca. 30 im Wesentlichen unabhängige Einzelunternehmen, die 4 verschiedenen Segmenten zugeordnet sind (Life Sciences, Dental, Diagnostics, Environmental).
Ihr könnt bereits erahnen, dass es hier nicht um Synergieeffekte oder um zentrale Dientleistungen geht. Stattdessen liegt der große Wertbeitrag von Danaher in der Bereitstellung von Managementkompetenz. Es wird dem entsprechend nur dort investiert, wo Danaher mit seinen Management Skills einen signifikanten Mehrwert stiften kann. In den Portfoliokriterien steht dann auch geschrieben:
All companies are required to adopt Danaher’s management system, processes and culture (as defined by the Danaher Business System).
Das Danaher Management System ist quasi ein ganzheitliches System bestehend aus einer Reihe von Methoden und Tools, die unter anderem die Themen Prozesse, Lean Supply Chain, Wachstum und Leadership adressieren. Speziell für die kleineren Unternehmen, die Danaher typischerweise akquiriert, können diese Methoden und Tools ein erheblicher Wert-Generator sein.
Die Premium-Bewertung eines Mischkonzerns ist also kein Zufall und ein Konglomeratsabschlag nicht immer gerechtfertigt (sogar, wenn es keine großen Synergieeffekte gibt).
Synergien
Der Begriff Synergien ist ja so etwas wie die Geheimwaffe der CEOs von Mischkonzernen. Wann immer die vermeintlichen Vorteile von Mischkonzernen gegenüber eigenständigen Business Units zur Sprache kommen, fällt regelmäßig auch der Synergie-Begriff. Das gilt übrigens auch für geplante Akquisitionen bzw. Übernahmen. Denn hier sind die erzielbaren Synergien nach einem Zusammenschluss eigentlich immer wesentlicher Teil der Begründung für einen Deal… und dass Synergien nicht unbedingt immer in der entsprechenden Größenordnung existieren, könnt ihr auch in meinem Artikel zum Thema Akquisitionen (und warum diese meist nicht funktionieren) nachlesen.
Synergien können wie oben bereits angesprochen z.B. aus dem gemeinsamen Einkauf von Rohmaterialien entstehen. Aber auch aus einer effizienteren Ausnutzung von Produktionskapazitäten (wobei es sich dabei nicht unbedingt um das gleiche Produkt handeln muss), dem Transfer von Wissen und/oder Technologie und so weiter. Die Nutzung einer gemeinsamen Plattform über die verschiedenen Marken (Audi, VW, Skoda, Seat etc.) hinweg, ist z.B. ein signifikanter Kostenvorteil für den Automobilhersteller Volkswagen (VOW).
Aber auch im Universum der Mischkonzerne gibt es Unternehmen, bei denen Synergien in größerem Maßstab vorliegen und für die deshalb kein Konglomeratsabschlag existiert. Zu nennen wäre da zum Beispiel das Unternehmen 3M (MMM). Das Stichwort hier heißt Innovation. 3M ist durch die Nutzung von Synergien in der Lage, eine enorme Innovationskraft zun entfalten. Das führt regelmäßig dazu, dass ein großer Anteil der 3M-Produkte (schätzungsweise ca. 40%, wenn ich mich recht erinnere) weniger als ein paar Jahre alt sind. Bei über 55.000 Produkten ist das schon sehr beachtlich und ein großer Treiber der Premiumbewertung.
Mischkonzern und Konglomeratsabschlag
In den meisten Fällen sind Synergien in Mischkonzernen nicht unbedingt besonders ausgeprägt, zentrale Dienstleistungen zu teuer und die Steuerung der Geschäfte bzw. Business Units nicht stark bzw. konsequent genug. Eine aktive Portfoliosteuerung (z.B. über eine effiziente Allokation des Invest-Kapitals oder konsequente Portfoliobereinigung) und auch eine klare Incentivierung (z.B. Kopplung eines Großteils der Manager-Vergütung an den Unternehmenserfolg) findet meist nur in (sehr) begrenztem Maße statt. Kein Wunder also, dass der Markt solche Mischkonzerne oft nur mit einem Abschlag gegenüber dem intrinsischen Wert bewertet:
Der Konglomeratsabschlag bzw. Conglomerate Discount wird durch die Analysten oft durch die so genannte Sum-of-the-Parts Bewertung sichtbar gemacht. Nach dieser Logik werden zunächst die einzelnen Geschäfte (Business Units, Tochtergesellschaften oder wie auch immer ihr es nennen wollt) unabhängig voneinander mithilfe von Multiples (meist EV/EBIT oder EV/EBITDA) bewertet. Anschließend werden die Kosten von “Corporate” sowie die Nettoverschuldung und die Minderheitsanteile abgezogen und das Ergebnis mit dem aktuellen Aktienkurs verglichen.
Ein Konglomeratsabschlag liegt dann vor, wenn der Aktienkurs unterhalb des ermittelten intrinsischen Wertes liegt. Ganz praktisch gesehen bedeutet dieses Ergebnis, dass eine Abspaltung (z.B. ein Spin-Off oder ein Carve-Out) bestimmter Unternehmensteile sinnvoll sein könnte. Siemens, das deutsche Synonym für einen Mischkonzern überhaupt, macht gerade vor, wie so etwas dann aussieht:
Neue Siemens Organisationsstruktur, Quelle: Investorpräsentation Siemens AG 2018
Im Detail hat Siemens vor, drei große Business Units (bzw. Divisionen, wie die Geschäftsbereiche bei Siemens genannt werden) quasi vom Konzern abzuspalten:
- Der Mobility Bereich soll in ein Joint Venture mit Alstom eingebracht werden
- Die Windkraftsparte (Wind Power) wurde bereits mit der spanischen Gamesa zusammengebracht
- Die Healthcare Sparte wurde als Siemens Healthineers an die Börse gebracht
Damit trägt Siemens der Tatsache Rechnung, dass für bestimmte Segmente bzw. Geschäfte die Vorteile einer Unabhängigkeit die Vorteile einer Konzernzugehörigkeit bei weitem übersteigen. Für Healthineers könnte das der bessere Zugang zu Kapital sein, für die Windkraft und die Zugsparte die durch die Joint Ventures verbesserte Industriestruktur (Stichwort Konsolidierung und Skaleneffekte).
Für Siemens selbst liegen die Vorteile in der reduzierten Komplexität. Das Management um CEO Keaser muss sich nun nur noch auf drei anstatt auf sechs Bereiche konzentrieren.
Technologiekonzerne
Über die bereits genannten Beispiele hinaus gibt es aktuell eine Gattung von Mischkonzernen, die vom Markt ebenfalls nicht mit einem Konglomeratsabschlag, sondern stattdessen mit einem (signifikanten) Premium bewertet werden. Es handelt sich dabei (natürlich) um die großen Technologiekonzerne bzw. Tech-Konglomerate, also um Amazon, Microsoft etc.
Die folgende Abbildung gibt ein paar Anhaltspunkte, wodurch sich die Tech-Konglomerate von den traditionellen Mischkonzernen unterscheiden:
Ich denke daraus wird schnell ersichtlich, warum im Falle der Technologiekonzerne die Summe der Einzelteile tatsächlich weniger wert sein müsste, als das Ganze.
Mal ein konkretes Beispiel: Nachdem Amazon seinen Online-Buchhandel erfolgreich gestartet hatte, haben die Verantwortlichen um Jeff Bezos herum schnell festgestellt, dass speziell nachts die Serverkapazitäten stark unterausgelastet waren. Das lag natürlich daran, dass nachts nicht so viele Besucher auf die Amazon Webseite kamen und Bücher bestellten. Aus diesen freien Serverkapazitäten ist dann AWS entstanden (der Cloud-Dienst von Amazon), heute einer der wesentlichen Ergebnistreiber des Unternehmens.
Im Kern geht haben wir also eine Plattform, die i.W. kontinuierlich erweitert wird sowie eine sehr flexible Organisation mit vielen innovativen Geschäften drumherum.
Fazit: Was wir als Value Investoren lernen können
Was können wir als Value Investoren nun aus all diesen Informationen lernen? Zum einen einmal, dass Mischkonzern nicht gleich Mischkonzern ist. Und dass nicht jeder Mischkonzern auch direkt einen Konglomeratsabschlag verdient.
Eine Unterteilung der Werttreiber in die Themen Führung, Synergien und Services kann uns dabei helfen, den tatsächlichen Wert einer Konzernstruktur bzw. eines Corporate Headquarters besser zu verstehen… und zu verstehen, wie nachhaltig dieser Wertbeitrag eigentlich ist bzw. sein kann (und wovon das abhängt). Im Falle von Berkshire Hathaway würde ich mir zum Beispiel bei einem Rücktritt von Warren Buffett und / oder Charlie Munger weniger Gedanken über die zukünftige Auswahl der richtigen Investments bei Berkshire machen, sondern eher um die Kernaufgabe von “Corporate”, nämlich die effiziente und wertstiftende Führung der einzelnen Geschäfte.
Die Betrachtung eines Tech-Konglomerats wie Amazon kann uns darüber hinaus eine Blaupause dafür liefern, nach welchen Charakteristika wir bei der Analyse eines Mischkonzerns schauen sollten. Die Nachhaltigkeit bestimmter Werttreiber zu analysieren und einzuschätzen (z.B. die der Innovationskraft von 3M) bleibt natürlich am Ende uns überlassen.