Ich hatte ja in einigen früheren Artikeln bereits über Peter Lynch geschrieben. Genauer gesagt hatte ich bisher Lynch’s Einteilung in die 6 Unternehmenskategorien vorgestellt und außerdem über seine finale Checkliste für Unternehmen in jeder Kategorie geschrieben.
In diesem Artikel möchte ich einmal 10 weitere hilfreiche Tipps aus seinem Buch One Up On Wall Street (immernoch eins der besten Value Investing Bücher würd ich sagen) mit euch teilen. Es mag zwar hier und da Überschneidungen zur Checkliste geben, aber was solls…
1. Aktie = Unternehmensbeteiligung
Viele Anleger gehen recht naiv an das Investieren am Aktienmarkt heran. Sie kaufen eine Aktie, weil sie sehen, dass diese sich in der letzten Zeit bereits sehr gut entwickelt hat… aber ohne ein Gefühl für den intrinsischen Wert, das Geschäftsmodell oder die Produkte und Märkte des zugehörigen Unternehmens zu haben.
Langfristig funktioniert diese Art des Investierens am Aktienmarkt vermutlich in den meisten Fällen nicht. Darüber hinaus trägt ein solcher Ansatz dazu bei, dass wir regelmäßig Blasen an den Aktienmärkten (oder auch bei anderen Assetklassen) beobachten können.
Zu diesem Punkt sagt Lynch (und Buffett und andere erfolgreiche Investoren ja auch): Eine Aktie repräsentiert einen Anteil an einem realen Unternehmen und es ist wichtig zu verstehen, an was für einem Unternehmen man sich beteiligt.
Diese “Anteilseignersicht” hilft auch ungemein dabei, ganz konkrete Begründungen für einen Aktienkauf zu identifizieren. Dies haben dann meist eher damit zu tun, wie das Geschäft langfristig läuft, und nicht so sehr damit, wie die Aktie kurzfristig performt.
2. Gesamtunternehmen versus Produkt
Es gibt viele Unternehmen über die wir einfach nur stolpern, weil sie ein sehr attraktives oder auch innovatives Produkt im Portfolio haben… ein Produkt, welches wir selbst gut kennen und vielleicht sogar auch selbst nutzen.
Invest in what you know. – Peter Lynch
In etwas zu investieren, dass wir gut verstehen, ist zwar eins der Learnings, welches wir aus Peter Lynch’s Büchern mitnehmen können (und dafür bringt Lynch viele Beispiele wie z.B. Taco Bell, L’Eggs / Hanes etc.).
Allerdings – und das ist ebenso wichtig – immer mit der Einschränkung, dass das Produkt für die Performance des Gesamtunternehmens auch eine wesentliche Rolle spielt.
Klar hat z.B. thyssenkrupp auch eine Wasserstoff-Technologie im Portfolio und klar wird Maggi von Nestlé hergestellt und vertrieben… aber wie relevant sind diese Technologien bzw. Produkte im Gesamtkontext der beiden Unternehmen wirklich?
Der Umsatzanteil von Maggi am Gesamtumsatz von Nestlé beispielsweise ist verschwindend gering und der Erfolg des Produkts deshalb in keiner Weise relevant für den Unternehmenserfolg.
“Gutes Produkt = gutes Unternehmen = gutes Investment”… dieser kausale Zusammenhang gilt also in der Realität nicht immer und unsere Aufgabe als Investoren ist es, herauszuarbeiten, wie wichtig und relevant ein tolles Produkt oder eine tolle Dienstleistung für das Unternehmen tatsächlich sind.
Wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung also keinen bedeutenden Beitrag zum Umsatz bzw. Gewinn des Unternehmens leistet, dann kann bzw. sollte es auch nicht der Hauptgrund für den Kauf der entsprechenden Aktie sein.
3. Wachstum > 50% pro Jahr
Peter Lynch sagt, dass wir bei Unternehmen mit Wachstumsraten oberhalb von 50 oder sogar 100% Vorsicht walten lassen sollten.
Growth for the sake of growth is the ideology of the cancer cell. – Edward Abbey
Hierfür liefert Lynch uns zwei Begründungen:
- Ein so hohes Wachstum kann typischerweise nicht für lange aufrecht erhalten werden (u.a. könnten andere Unternehmen ebenfalls in den Markt einsteigen und ein Stück vom Kuchen abhaben wollen)
- Langfristiges Wachstum erfordert in den meisten Fällen auch substantielle Investments
Zu letzterem Punkt: Am Ende ist es natürlich die inkrementelle Kapitalrendite, auf die es ankommt. Ist diese zu niedrig, dann wirken sich Schuldenaufnahme und Kapitalerhöhungen überproportional negativ für die Aktionäre aus.
Ein weiterer Aspekt ist darüber hinaus psychologischer Natur: Selbst ein kurzfristiger “Dip” in der Wachstumsrate kann für den Aktienmarkt bereits einen Schock bedeuten und zu einem starken und nachhaltigen Einbruch des Aktienkurses eines einst gefeierten Wachstumsstars führen… ihr wisst ja:
In the short run, the market is a voting machine but in the long run, it is a weighing machine. – Benjamin Graham
4. DiWORSEifikation
Ich glaube es war Lynch selbst, der den Begriff DiWORSEification geprägt hat.
Was er damit meint: Unternehmen, die andere Unternehmen mit der Begründung übernehmen, ihr eigenes Geschäft “sicherer” und “stabiler” aufstellen zu wollen (also über Wachstum zu diversifizieren), tun dies oft, um Probleme im Kerngeschäft zu marginalisieren… oder weil der CEO ein großes Ego hat und unbedingt eine Wachstumsstory präsentieren will.
In diesen Fällen – und das ist der wesentliche Punkt hier – verbessern die Akquisitionen meist weder die Bottom Line (also den Nettogewinn… das was unter dem Strich übrigbleibt), noch die Kapitalrendite (z.B. den ROCE oder ROIC) und es wäre eigentlich die bessere Strategie, das Kapital z.B. über Aktienrückkäufe oder Dividenden an die Anteilseigner zurückzuführen.
Was Unternehmen mit einer “Diversifizierungsstrategie” angeht, sollten wir also vorsichtig sein.
5. Nutzen des Wissensvorsprungs
Viele Privatanleger haben aufgrund ihres Jobs in einem bestimmten Bereich einen Wissensvorsprung, den sie allerdings in vielen Fällen nicht nutzen.
Wer z.B. in einer Bank arbeitet und deshalb die Funktionsweise des Geschäftsmodells und auch die Bilanzstruktur einer Bank gut versteht, der sollte besser dazu in der Lage sein ein attraktives Investment im Bankensektor zu identifizieren, als die meisten anderen Investoren.
Anstatt ihren Wissensvorsprung zu ihrem Vorteil zu nutzen, setzen viele Privatanleger allerdings eher auf den nächsten Biotech- oder Digitalisierungstrend, ohne die Branchen, Spieler und Geschäftsmodelle im Detail zu verstehen… und vielleicht sogar getriggert durch eine von einem “Robo-Writer” verfassten Kauf-Empfehlung auf Wallstreet-Online oder so.
Natürlich – und das sagt auch Peter Lynch – spricht nichts dagegen, seinen “Circle of Competence” über die Zeit zu erweitern und sich mit neuen Branchen und Geschäftsmodellen zu befassen. Im Gegenteil spricht sogar Vieles dafür.
Allerdings, und das ist hier der wesentliche Punkt: Wenn man in irgendeinem Bereich einen Wissensvorsprung besitzt, dann sollte man sich diesen in jedem Fall auch beim Investieren zu Nutze machen.
6. Tipps von erfolgreichen Managern
Die Portfolios der bekanntesten und erfolgreichsten Fondsmanager sind online für alle von uns einsehbar. Inzwischen gibt es viele Privatinvestoren, die die Empfehlungen bzw. reporteten Käufe ihrer Lieblings-Fondsmanagers nachahmen… oder einer konkreten Empfehlung aus den Börsenmedien (TV, Print) folgen.
Peter Lynch sieht diesen Ansatz eher kritisch, insbesondere deshalb, weil in vielen Fällen weder die Beweggründe noch das eingegangene Risiko (d.h. z.B. die Positionsgröße im Portfolio des Managers) oder der tatsächlich realisierte Kaufpreis von außen betrachtet transparent sind.
Auch wenn wir also einen bestimmten Fondsmanager sehr für seine Erfolgsbilanz und seinen Investmentstil schätzen, sollten wir trotzdem noch unsere eigene Due Diligence durchführen und uns selbst eine Meinung zu den getätigten Investments bilden.
Eine gute Inspirationsquelle sind die Investments bekannter Investoren ja allemal. Das stellt natürlich auch Lynch nicht in Abrede.
7. Hässliche Entlein
Dies ist einer von Lynch’s bekanntesten Tipps: Investiere in einfache Unternehmen… Unternehmen, die langweilig und uninteressant erscheinen, die nicht trendy sind und von den Analysten mehr oder weniger ignoriert werden.
Lynch geht sogar so weit zu sagen, dass die Unternehmen idealerweise einen nicht besonders attraktiven und eingängigen Unternehmensnamen haben sollten… vielleicht so im Stil der Dotcom-Pleitefirmen aus Ende der 1990er Jahre. 🙂
Aber Spaß beiseite: Es gibt eine ganze Reihe an kleinen und profitablen Unternehmen, die weder auf dem Radar der Investmentbanken, noch dem der institutionellen Investoren auftauchen und deshalb oft zu einem günstigen Kurs zu haben sind.
8. Schuldenfreie Unternehmen
Eine sehr wichtige Lektion von Peter Lynch besteht darin, die Verschuldungssituation eines Unternehmens richtig zu interpretieren.
Unternehmen, die stark wachsen, werden vom Aktienmarkt in vielen Fällen uneingeschränkt als attraktiv angesehen.
Oftmals allerdings sind diese Unternehmen so auf die nachhaltige Fortsetzung der Wachstumsstory fokussiert, dass sie schlussendlich ihre Bilanzen ruinieren und einen Großteil des in den frühen Wachstumsjahren generierten Wertes wieder vernichten.
Oder vereinfacht ausgedrückt: Ein mit Schulden finanziertes Wachstum in unattraktive Assets oder Geschäftsmodelle wird sich irgendwann rächen. Deshalb schaut Lynch per sé nach Unternehmen mit einer starken und stabilen Bilanz:
What you want to see on a balance sheet is at least twice as much equity as debt, and the more equity and the less debt the better. – Peter Lynch
9. Zeitinvestment
Privatinvestoren gibt Lynch den Tipp, mindestens eine Stunde pro Woche mit Investment Research zu verbringen (wobei das Zählen der erhaltenen Dividenden und die Berechnung des Wertzuwachses des Portfolios nicht dazu zählen).
Der Grund dafür ist einfach: Lynch glaub, dass eine unabhängige Sicht auf den Markt bzw. die Unternehmen in direktem Zusammenhang mit dem Anlageerfolg stehen.
Oder anders ausgedrückt: Es gibt keine Rechtfertigung dafür, sich intensiver mit dem Kauf eines neuen Kühlschranks auseinanderzusetzen, als mit der Auswahl eines neuen Investments.
10. “When in doubt, leave it out”
Auch zur eigentlichen Entscheidungsfindung (d.h. Investment ja oder nein) gibt es ein gutes Zitat von Peter Lynch:
The key organ for investing is the stomach, not the brain. – Peter Lynch
Die Aussage würden wahrscheinlich die meisten direkt unterschreiben… die Frage ist aber doch, wie sie tatsächlich gemeint ist…
Eine Interpretation besagt, dass wir bei der finalen Entscheidung einfach auf unser Bauchgefühl hören sollten. Eine andere geht davon aus, dass uns unser Gefühl vielleicht täuscht und wir uns erst nochmal selbst mit ein paar entsprechenden Fragen in die richtige Richtung leiten müssen.
Die Leitfrage wäre also die folgende: Was könnte uns davon abhalten, eine Aktie zu kaufen, obwohl wir im Grunde genommen ein gutes Bauchgefühl damit haben?
Hier ein paar spezifischere Fragen zur Illustration bzw. Vertiefung der Problemstellung:
- Sind wir vielleicht voreingenommen, weil wir bereits zehn Tage oder mehr damit verbracht haben, das Unternehmen zu recherchieren und weil wir diese Zeit nicht als “verloren” ansehen wollen?
- Sind wir unter Umständen generell zu selbstsicher, was das Verständnis der Branche und des Unternehmens angeht (d.h. leiden wir am Overconfidence Bias)?
- Ist der CEO ein sehr guter Kommunikator und hat uns vielleicht nur das erzählt, was wir hören wollten?
- Gefällt uns die Aktie im Grunde genommen nur, weil sie im Preis gefallen ist und wir Angst davor haben, eine vermeintlich gute Gelegenheit zu verpassen, wenn wir nicht sofort handeln?
- Gefällt uns die Aktie nur, weil sie uns von einem von uns als Experte (oder vielleicht sogar Autorität) eingeschätzten Kontakt empfohlen wurde und wir uns nicht trauen, das zu hinterfragen?
Grundsätzlich: Wenn wir eine oder mehrere dieser Fragen mit einem “Ja” beantworten sollten, dann ist das ein Anzeichen dafür, dass wir die Idee vielleicht doch nochmal etwas überdenken sollten, anstatt direkt die Kaufentscheidung zu fällen. Es gibt Investoren, die lassen eine Idee monatelang liegen, bevor sie eine finale Entscheidung treffen… einfach für ein paar Tage oder 1-2 Wochen etwas Abstand gewinnen und nochmal reflektieren kann aber auch schon helfen.
Weitere Details bzw. Fragen zum Thema könnt ihr nochmal im Artikel Pre-Investment Checkliste: Emotionaler Check nachlesen.
1 Kommentar zu „10 Investing-Tipps aus Peter Lynch’s “One Up on Wall Street”“
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