Intro Earnings Management und “kreatives” bzw. aggressives Accounting

Inhalt

Earnings Management

Die Begriffe Bilanzfälschung oder auch Earnings Manipulation und Earnings Management waren im Jahr 2020 hierzulande in aller Munde. Mit dem Wirecard-Skandal und der Short-Seller Attacke auf die Grenke AG gab es gleich zwei größere Fälle mit (möglichen) Unregelmäßigkeiten in den Jahresabschlüssen, die in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden und noch werden.

Darüber hinaus könnten infolge der Coronakrise in näherer Zukunft noch weitere Fälle von Bilanzfälschung bzw. -manipulation aufgedeckt werden… denn wie Warren Buffett schon sagte:

You only find out who is swimming naked when the tide goes out. – Warren Buffett

Langanhaltende Booms bieten “kreativen” Managern typischerweise massenweise Gelegenheiten, mithilfe eines aggressiven Accountings schlechte Geschäftsmodelle in eine schöne Wachstumsstories zu verwandeln. In einer Krise kann sich das Ganze allerdings schneller ins Gegenteil umkehren, als dem einen oder anderen lieb sein kann.

Grund genug, die Thematik auch hier nochmal etwas genauer zu beleuchten.


Was bisher geschah

Bisher hatte ich das Thema Ergebnisqualität bzw. Earnings Quality auf DIY Investor bereits in vier weiteren Artikeln relativ unabhängig voneinander behandelt:

  • In 10 legale Wege der Bilanzmanipulation hatte ich euch eine Ãœbersicht über die wesentlichen Stellschrauben im Rahmen der gewöhnlichen Rechnungslegungsvorschriften gegeben
  • In Quality of Earnings: Warum uns KGVs oft fehlleiten hatte ich mich dem Konzept der Ertragsqualität eher aus einer strategischen Perspektive genähert
  • Ich hatte euch den Beneish M-Score vorgestellt, eine Kennzahl zur Aufdeckung von aggressiven Accountingtechniken bzw. Jahresabschlussmanipulationen
  • Schlussendlich hatte ich euch eine Ãœbersicht über die Vertrauenswürdigkeit verschiedener in eine mögliche Bilanzmanipulation involvierter Parteien aus Sicht des bekannten Short-Sellers Carson Block vorgestellt

In diesem Artikel nun möchte ich gerne einmal auf ein paar ganz konkrete Ansätze zur Ersteinschätzung der Ergebnisqualität bzw. Earnings Quality eingehen. Zuvor allerdings möchte ich die verschiedenen Optionen der Bilanzmanipulation nochmal grob für euch einsortieren und in dem Zuge auch die vier bisherigen Artikel in den Kontext setzen.


Earnings Management: Fokus auf Gewinne

Die Erfahrung zeigt, dass ca. 90% der Bilanzmanipulationen irgendwo mit der Gewinn- und Verlustrechnung zu tun haben, also mit Umsätzen, Aufwendungen, Erträgen und Verlusten.

Aus diesem Grund werden die Begriffe “Earnings Management” bzw. “Earnings Manipulation” und “Financial Statement Manipulation” bzw. Bilanzmanipulation oft synonym verwendet.

Um unseren Fokus aber nicht zu sehr auf die Gewinn- und Verlustrechnung zu lenken: Tatsächlich werden auch Bilanz und Kapitalflussrechnung regelmäßig manipuliert, typischerweise um die Verschuldung geringer bzw. den operativen Cash Flow (OCF) höher aussehen zu lassen.


Warum manipulieren Manager die Zahlen ihres Unternehmens?

Die erste Frage, die sich viele Investoren im Zusammenhang mit dem Thema Earnings Management stellen sollten, ist die Frage nach der Motivation der beteiligten Manager. Wie kommen Manager überhaupt in eine Situation, in der sie meinen, die Zahlen ihres Unternehmens manipulieren zu müssen oder zu wollen?

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe an möglichen Motiven, wobei allein das Wissen um diese Motive für uns Investoren bereits einen Wert an sich darstellen kann.

Gründe für Earnings Management

Manager manipulieren den Jahresabschluss in der Regel aus einem der folgenden sechs Gründe:

  • GuV-basierte Incentivierung bzw. Vergütung des Managements: Heißt im Grunde genommen, dass die Manager für eine Manipulation der Zahlen vergütet werden, weil ihre Boni an bestimmte Accounting-Kennzahlen, wie z.B. den Umsatz, das Umsatzwachstum, den Gewinn je Aktie, den EBITDA oder den EBIT gekoppelt sind
  • Kurze Sperrfristen (“Vesting Periods”) für Aktienoptionen: Wenn Manager die Möglichkeit haben, ihre Aktienoptionen kurzfristig umzuwandeln und die Aktien anschließend zu verkaufen, dann haben sie unter Umständen einen Anreiz, den Aktienkurs durch einen übermäßig positiven Gewinnausweis zu beeinflussen
  • Vermeidung einer Verletzung der Debt Covenants: Haben sich die Kennzahlen in einer Weise verschlechtert, dass die Covenants (z.B. das Financial Leverage oder das Interest Cover) möglicherweise mit der nächsten Berichterstattung verletzt werden könnten, hat das Management einen Anreiz diese Verletzung zu vermeiden. Folge wäre nämlich ein so genannter “technischer Default”, also ein Verstoß gegen die Vereinbarungen des Kreditvertrags. Solche Verstöße haben im Grunde zwar nichts mit der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Zins- und Tilgungszahlungen zu tun, werden aber von den Banken trotzdem sehr ernst genommen, weil sie ja die zukünftige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens betreffen
  • Reduzierung politischer Kosten: Die Manipulation von Gewinnen kann auch in die andere Richtung funktionieren. Unternehmen wie Microsoft, Facebook oder Google haben unter Umständen einen Anreiz, ihre Gewinne besonders niedrig auszuweisen, um die Notwendigkeit einer Regulierung durch die Behörden herunterzuspielen
  • Maximierung der Einnahmen aus Börsengängen: Wenn ein IPO bevorsteht, haben Manager in der Regel einen Anreiz, Umsatzwachstum, Gewinne etc. noch etwas aufzuhübschen. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Unternehmen kurz vor dem IPO viel aggressivere Accounting-Policies haben, als andere Unternehmen (Kontrollgruppe)
  • Minimierung des Preises für einen Management Buyout: Hier gilt genau die umgekehrte Logik zum IPO

Laut Finance-Professor David Young (lehrt der Insead Business School) ist die  Incentivierung anhand von GuV-basierten Kennzahlen  die mit Abstand häufigste Ursache für eine Gewinnmanipulation.


Kategorien des Earnings Management

Im Grunde genommen lassen sich die größtenteils legalen Bemühungen des Managements, bessere oder besser gesagt ihrer Zielsetzung entsprechende Zahlen auszuweisen, in drei Kategorien einteilen (wobei der Fokus des Themenkomplexes “Earnings Management” meist auf den ersten beiden Kategorien liegt):

  • Falsches Reporting (“Misreporting”): Das direkte Beeinflussen des Jahresabschlusses
  • “Echtes” Earnings Management: Das indirekte Beeinflussen des Jahresabschlusses durch geschicktes Timing unternehmerischer Entscheidungen
  • Nutzung von “Non-GAAP” bzw. “Non-IFRS” Metriken, insbesondere des “Adjusted EBITDA” und des “Adjusted EBIT”, vor allem in Investorpräsentationen

Die Grenze zwischen fehlerhaftem Accounting, legalem Earnings Management und illegaler Bilanzfälschung ist übrigens meist fließend: Einerseits beruht die Bilanz an verschiedenen Stellen regelmäßig auf gewissen Annahmen (bestes Beispiel: Abschreibungs- bzw. Nutzungsdauern) und es ist somit nicht ungewöhnlich, dass Ergebnisse – mutmaßlich ohne böse Absicht und ganz legal – in gewissen Grenzen beeinflusst werden. Andererseits funktioniert das eigentliche Regulativ, nämlich die Aufsicht bzw. Kontrolle durch die Wirtschaftsprüfer, an vielen Stellen aufgrund von Interessenskonflikten nicht fehlerfrei, sodass auch illegale Bilanzfälschungen durchaus nicht ausgeschlossen werden können.

Bessere Reporting-Standards und auch bessere Durchsetzung dieser Standards hat in Summe nicht notwendigerweise zu einer Abnahme von Bilanzfälschungen geführt. Allerdings gibt es heutzutage vermutlich weniger “Misreporting”. Stattdessen findet mehr “echtes” Earnings Management statt.

Misreporting

Mit dem Begriff “Misreporting” (auch als “Accruals”-basierte Gewinnmanipulation bezeichnet) ist im Wesentlichen das  direkte Beeinflussen der Jahresabschlusszahlen  gemeint.

In dieser Kategorie gibt es für kreative Manager eine ganze Reihe an Möglichkeiten. Ich möchte eure Aufmerksamkeit hier jedoch einmal auf fünf der relevantesten bzw. am häufigsten vorkommenden Optionen für die Manipulation der GuV lenken:

  • Ausweis fiktiver Umsätze
  • Zu früher Ausweis von Umsätzen
  • Keine Gegenbuchung von Reklamationen, Rabatten etc. im Umsatz
  • Ansatz zu hoher Rückstellungen und anderer Periodenabgrenzungen (“Overprovisioning”)
  • Ansatz zu geringer Rückstellungen und anderer Periodenabgrenzungen (“Underprovisioning”)

Für eine umfangreichere Liste schaut euch auch den oben angesprochenen Artikel zu den 10 legalen Wegen der Bilanzmanipulation an.


Ausweis fiktiver Umsätze

Der Ausweis fiktiver Umsätze – z.B. Umsätze mit Firmen, die von so genannten “Related Parties”, also dem Unternehmen sehr nahe stehenden Personen, kontrolliert werden – beinhaltet regelmäßig auch die Vorbereitung falscher “Beweise” (Rechnungen. Lieferscheine etc.) für die Abschlussprüfer (EY, KPMG, PWC und Co.).

An dieser Stelle wird dem entsprechend die Grenze zwischen halblegaler Ergebnismanipulation (Earnings Manipulation) und illegaler Bilanzfälschung (Accounting Fraud) überschritten, mit allen typischerweise damit zusammenhängenden juristischen bzw. rechtlichen Risiken und Konsequenzen (bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung und Gefängnisstrafen).

Aus diesem Grund wird das “Erfinden” von Umsätzen von den meisten Managern tatsächlich nicht ernsthaft in Betracht gezogen (jedoch nicht von allen, wie wir am Beispiel Wirecard gelernt haben).


Umsätze zu früh ausweisen (wenn noch nicht “verdient”)

Viel verbreiteter ist im Vergleich dazu der vorzeitige Ausweis von Umsätzen in der GuV.

Dies trifft oft auf Unternehmen zu, die ein physisches Produkt herstellen und transportieren müssen. Automobilhersteller beispielsweise sind dafür bekannt, neue Autos regelmäßig bereits ohne feste Bestellung durch die Händler auszuliefern, um entsprechende Umsätze bereits früh ausweisen zu können.

Im Englischen wird dieses Vorgehen auch als “Channel Stuffing” bezeichnet.


Keine Gegenbuchung von Reklamationen und Rabatten im Umsatz

Nach IFRS müssen Rabatte und Reklamationen bzw. Rücksendungen als “Contra-Revenue” bzw. als negativer Umsatz gegengebucht werden.

Schlüsselt ein Unternehmen die Reklamationskosten und Rabatte allerdings den Betriebskosten zu, erscheint das Umsatzwachstum stärker auszufallen, als es eigentlich ist.


Overprovisioning

Wenn ein Unternehmen z.B. beschließt, Unternehmensteile oder Geschäfte im Ausland zu restrukturieren bzw. sogar zu schließen, dann muss es sowohl laut IFRS, als auch laut US GAAP zum Zeitpunkt der Entscheidung die zu erwartenden Kosten der Restrukturierung (Abfindungen, Renaturierungen, Auflösung der Bilanz etc.) als Verlust ausweisen und als Verbindlichkeit auf die Bilanz nehmen (das Ganze passiert i.W. durch das Bilden einer Rückstellung). Soweit, so gut.

Allerdings – und jetzt wird es interessant – kommt es hin und wieder vor, dass Unternehmen die Restrukturierungskosten ganz bewusst zu hoch ansetzen (z.B. 140 Mio. EUR anstelle der eigentlich erwarteten 100 Mio. EUR) und sich damit eine versteckte Reserve (auch “Hidden Reserve” oder “Cookie Jar Reserve”) in die Bilanz einbauen.

Wenn das Geschäftsjahr nämlich sowieso schon schlecht läuft und vom Kapitalmarkt ein signifikanter Verlust antizipiert wird (z.B. als Folge der Covid-19 Pandemie oder einer anderen übergeordneten Krise), dann spielen ein paar zig Millionen mehr oder weniger keine große Rolle… und mit der genauen Quantifizierung solcher Krisenauswirkungen sind Analysten und Investoren gleichermaßen überfordert.

Mit der späteren Auflösung der Rückstellung und dem entstehenden außerordentlichen Gewinn hingegen können Unternehmen dann positiv überraschen… und den plötzlichen Gewinnsprung am Kapitalmarkt als Restrukturierungserfolg oder Managementleistung platzieren.


Underprovisioning

Viel regelmäßiger gehen Unternehmen allerdings den umgekehrten Weg und unterschätzen erwartete Restrukturierungsaufwendungen in ihren Jahres- und Quartalsabschlüssen ganz bewusst oder schreiben quasi wertlose Vermögenswerte nur unzureichend ab.

Das könnte zum einen auf tatsächliche Schwierigkeiten bei der Quantifizierung des möglichen Schadens zurückzuführen sein. Die Bayer AG beispielsweise bildete zu Beginn der Glyphosat-Prozesse zunächst nur eine Rückstellung in Höhe von ca. 600 Mio. EUR für die recht gut und sicher abschätzbaren erwarteten Gerichtskosten. Bzgl. der Rückstellung für mögliche Ausgleichszahlungen aus den Produkthaftungsklagen wartete man allerdings ab, bis man sich ein hinreichend konkretes Bild von den zukünftigen Strafzahlungen gemacht hatte.

Zum anderen könnte ein Unternehmen es allerdings auch ganz bewusst vermeiden, quasi wertlose Vermögenswerte auf ihren tatsächlichen Wert abzuschreiben. Hierfür kann ich mir im Grunde zwei Ursachen vorstellen:

  1. Die Eigenkapitalquote ist bereits so gering, dass sich das Unternehmen kein weiteres Impairment mehr leisten kann, ohne in die Insolvenz zu rutschen (bzw. negatives Eigenkapital auszuweisen)
  2. Das Unternehmen könnte trotz eines unattraktiven Geschäftsmodells die Equity Story (eine Wachstumsstory) intakt halten wollen. Aus diesem Grund investiert es weiterhin in unprofitables Wachstum (z.B. über die Akquisition wertloser oder überteuerter Assets) und nimmt Wertberichtigungen gleichzeitig nur sehr zögerlich vor

Für letzteres liefert das Buch Fooling Some of the People All of the Time von David Einhorn ein sehr treffendes Beispiel: Allied Capital nahm selbst für bereits lange ausgefallene Kredite keine Sonderabschreibungen vor und bildete auch keine entsprechenden Rückstellungen, um die wahrscheinlichen Zahlungsausfälle abzudecken.


“Echtes” Earnings Management

Der Begriff “echtes” Earnings Management ist quasi eine 1-zu-1 Ãœbersetzung aus dem Englischen, wo diese Art der Gewinnmanipulation als “Real Activities” Earnings Management bezeichnet wird.

Beim “echten” Earnings Management geht es im Wesentlichen um das strategische Timing von Investitionen, Produktionsmengen, Umsätzen und anderer finanziellen Entscheidungen, mit dem Ziel, die gewünschten Effekte in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erzielen.

In Abgrenzung zum oben dargestellten Misreporting findet hier  keine direkte Manipulation der Zahlen  statt. Stattdessen erfolgt diese eher indirekt über den Umweg der strategischen Entscheidungen.

Auch für das “echte” Earnings Management gibt es eine ganze Reihe an Optionen. Hier einmal eine kleine Auswahl:

  • Budgetkürzung bzw. Reduzierung von Aufwendungen (z.B. R&D, Training / Weiterbildung, Marketing, Neueinstellungen, Geschäftsreisen etc.)
  • Kaufanreize für die Kunden, um die Umsätze in der aktuellen Periode zu pushen (bzw. vorzuziehen)
  • Verkauf von Vermögenswerten, Geschäften oder Geschäftsteilen, um die Erträge in der aktuellen Periode zu steigern (auch ein von Allied Capital häufig genutztes Mittel)
  • Rückkauf eigener Aktien, um den Gewinn je Aktie zu erhöhen (und ohne darauf zu achten, ob der Effekt wertsteigernd ist oder nicht)… das erforderliche Cash wird in solchen Fällen übrigens oft mithilfe zusätzlicher Schulden finanziert

Natürlich nutzt ein Management Team den ihm zur Verfügung stehenden Werkzeugkasten insbesondere, um auf Veränderungen des Marktumfelds etc. zu reagieren… völlig in Ordnung und legitim.

Soll allerdings die Höhe der Boni etc. darüber gesteuert oder ein nicht nachhaltiges Geschäftsmodell verschleiert werden, wird die Argumentation schon schwieriger.


Nutzung von Non-GAAP Kennzahlen

Die Nutzung von Non-GAAP Kennzahlen ist in vielen Unternehmen diesseits und jenseits des Atlantiks weit verbreitet. Quasi in jeder Investorenpräsentation sehen wir Kennzahlen, die in der Form nicht Bestandteil des offiziellen Jahresabschlusses sind (und deshalb auch als “Non-GAAP” bezeichnet werden).

Die wahrscheinlich bekanntesten Non-GAAP Kennzahlen sind Adjusted EBITDA und Adjusted EBIT, wobei die “Adjustments”, also die Anpassungen, sich auf alle mutmaßlich außergewöhnlichen und nicht wiederkehrenden Effekte beziehen.

Welche Effekte dabei als außergewöhnlich und nicht wiederkehrend angesehen werden, liegt allerdings im Ermessen des Managements, weshalb die Kennzahlen unter anderem bei so bekannten Investoren wie Warren Buffett oder Seth Klarman auf wenig Gegenliebe stoßen… denn logischerweise werden die meisten dieser Metriken vorrangig dazu verwendet, um die Zahlen noch etwas besser aussehen zu lassen.


Warnsignale erkennen

Ein wesentliches Ziel des fundamental orientierten Investors bzw. Analysten sollte es sein, sich möglichst schnell eine erste Meinung über die Earnings Quality bzw. die Integrität und Vertrauenswürdigkeit der Jahresabschlüsse eines betrachteten Unternehmens zu bilden. (Für eine detaillierte und abschließende Beurteilung fehlen uns auch schlicht und einfach die Mittel… wir sind schließlich keine Forensiker.)

In diesem Zusammenhang gibt es eine wesentliche übergeordnete Frage, die es zu beantworten gilt: Sind die durch das Unternehmen erzielten Margen nachhaltig? 

Zur Beantwortung dieser Frage gibt es fünf einfache und schnelle Analysen, die wir für eine erste Indikation durchführen können. Wir können

  1. die erwirtschaftete Margen mit dem Wettbewerb vergleichen und die Branche allgemein hinsichtlich der typischen Accounting-Policies bewerten
  2. die durchgeführten Assetkäufe und -verkäufe etwas genauer analysieren
  3. den Umfang und die Entwicklung der Accruals einschätzen
  4. ein Scoring-Modell für eine Ersteinschätzung nutzen
  5. weitere qualitative Indikatoren wie z.B. die Wortwahl des Managements in Analystencalls, bewerten

Branchenvergleich

Wettbewerbsvergleiche als Analysetool zur Aufdeckung von aggressiven Accountingtechniken und aktivem Earnings Management werden von vielen Investoren unterschätzt.

Dabei lassen sich Ungereimtheiten in vielen Fällen am einfachsten über einen externen Vergleich aufdecken. Spezielle Beachtung finden sollten dabei nachhaltige Unterschiede in den operativen Margen sowie Inkonsistenzen zu den ökonomischen Fundamentaldaten (z.B. Wachstumsraten im Vergleich zu individuellen Wettbewerbern, zur Branche oder zur Gesamtwirtschaft).

Operative Margen: Unternehmen mit ähnlichem Geschäftsmodell und vergleichbarer Kostenstruktur, die im gleichen Markt operieren, sollten in einer Durchschnittsbetrachtung recht ähnliche operative Margen erwirtschaften.

Wachstumsraten: Wenn ein Unternehmen in einem quasi stagnierenden Markt über Jahre stärker gewachsen ist, als alle Wettbewerber bzw. die Branche insgesamt, dann sollten wir das als Warnsignal deuten.

In beiden Fällen sollten längerfristige Abweichungen nach oben fundamental erklärbar sein, z.B. durch bestimmte nachhaltige Wettbewerbsvorteile bzw. Moats.

Ganz generell sollten wir uns außerdem mit der Verbreitung kreativer Accountingtechniken innerhalb einer Branche auseinandersetzen. Hierfür gibt es eine ganze Reihe an Indikatoren:

  • Die Profit Streams sind weniger volatil, als das zugrunde liegende Geschäft (deutsche Automotive OEMs sind bestes Beispiel hierfür – das typische Mittel ist das oben angesprochene Overprovisioning bzw. “Channel Stuffing”)
  • Unternehmen versuchen kleine Verluste zu vermeiden. Große Verluste kommen vor allem vor, weil Unternehmen keine andere Wahl haben. Kleine Verluste hingegen lassen sich oft mit “Cookie Jar Reserven” in kleine Gewinne umkehren
  • Kleine Gewinnrückgänge sind rar, kleine Anstiege hingegen die Norm. Es gilt die gleiche Logik, wie zuvor
  • Das Treffen oder Ãœbertreffen der Gewinnprognosen bzw. der Consensus-Schätzungen ist die Regel
  • Ein Verfehlen der Analystenschätzungen kommt so gut wie gar nicht vor

Diese offenkundige Kurzfristorientierung der CEOs und Manager ist übrigens kein US-amerikanisches Phänomen. Ganz im Gegenteil ist ein starker Kapitalmarktfokus in Europa genauso oder sogar noch weiter verbreitet.


Assetverkäufe

Mithilfe von Assetverkäufen lässt sich ein negatives operatives Ergebnis – jedenfalls für einen gewissen Zeitraum – recht gut kompensieren bzw. verschleiern.

Das in David Einhorn’s Buch beschriebene Unternehmen Allied Capital beispielsweise hatte über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder werthaltige Vermögenswerte abgestoßen und die Bilanz so mit der Zeit immer weiter ausgehöhlt. Zugegebenermaßen hatte Allied Capital dabei allerdings den Vorteil, dass Assetverkäufe einen integralen Bestandteil des Geschäftsmodells darstellten, weshalb die Praxis zunächst kein besonderes Aufsehen erregte.

Wir sollten uns also immer genau ansehen, welcher Anteil am operativen Gewinn regelmäßig durch Veräußerungsgewinne zustande kommt. Ist der Anteil substantiell, könnte das auf ein Problem im operativen Geschäft hindeuten.

Auch die Verbuchung von Veräußerungsgewinnen stellt übrigens eine Abweichung zwischen Gewinn und operativem Cash Flow dar, weil der Mittelzufluss typischerweise als Cash Flow aus Investitionstätigkeit klassifiziert wird.


Assetkäufe (Akquisitionen)

Auch Akquisition bzw. Assetkäufe können von Unternehmen dazu verwendet werden, um zukünftige Gewinne künstlich positiver aussehen zu lassen.

Ganz praktisch funktioniert dies im Rahmen des so genannten Fair Value Adjustment zum Zeitpunkt der Akquisition. Im Grunde genommen wird der faire Wert der erworbenen Vermögenswerte möglichst gering und dem entsprechend der Wert des Goodwill möglichst hoch angesetzt, um die zukünftigen Abschreibungen zu minimieren (und den Gewinn zu maximieren). Goodwill wird ja nicht planmäßig abgeschrieben, sondern nur jährlich im Rahmen des Impairment Tests auf seine Werthaltigkeit hin überprüft… und auf das Ergebnis dieses Impairment Tests hat das Unternehmen – jedenfalls meiner Erfahrung nach – einen nicht unerheblichen Einfluss.

Für eine erste Indikation sollten wir uns also im ersten Schritt einmal die Entwicklung des Goodwill über die Zeit ansehen. In einem zweiten Schritt können wir dann noch tiefer gehen falls erforderlich.

Nur zur Info: Das Accounting von Akquisitionen bietet Unternehmen (speziell solchen, die viele Akquisitionen tätigen) noch weitere Freiheitsgrade bzgl. des Ausweises von Gewinnen. Schaut euch in diesem Zusammenhang beispielsweise unsere Case Study zur Noble Group (Teil 2) an.


Accruals und Earnings Quality

Generell ist die Ertragsqualität ist umso höher, je besser das ausgewiesene Ergebnis den tatsächlich erwirtschafteten Cash Flow abbildet, d.h. je höher und stabiler die so genannte „Cash Conversion“, also z.B. der Quotient aus Nettogewinn und freiem Cash Flow, ausfällt. Abweichungen zwischen Gewinn und Cash Flow ergeben sich typischerweise aus den so genannten “Accruals”.

Denn ganz grundsätzlich gilt:  Gewinne, die sich nah am Cash Flow bewegen, sind tendenziell von höherer Qualität, als Gewinne, die auf “Accruals” basieren. 

Um einmal kurz beim Umsatz zu bleiben: Dieser setzt sich zusammen aus den durch die Kunden bezahlten Rechnungen (also quasi dem eingesammelten Cash) sowie der Veränderung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (Receivables):

Umsatz laut GuV = Zahlungen der Kunden + Veränderung Receivables

Bei den Receivables handelt es sich im Wesentlichen um noch nicht gezahlte Rechnungen für eine bereits erbrachte Leistung bzw. ein bereits ausgeliefertes Produkt. Die Receivables (die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) repräsentieren somit zukünftig erwartete Cash Inflows und sind deshalb ein typisches Beispiel für eine Periodenabgrenzung bzw. ein “Accrual”.

Auf den Gewinn lässt sich eine vergleichbare Logik anwenden:

Gewinn = Operativer Cash Flow (OCF) + Accruals

wobei der operative Cash Flow den “hart messbaren” Zufluss an Zahlungsmitteln und die Accruals – also z.B. Receivables, Payables, Rückstellungen etc. – die etwas “softeren” zukünftig erwarteten Mittelzu- bzw. -abflüsse repräsentieren.

Earnings Management - Einteilung

Da es typischerweise eine ganze Reihe an Effekten aus Periodenabgrenzungen gibt (die sich noch dazu per Definition zu einem späteren Zeitpunkt umkehren), sollten wir unsere Aufmerksamkeit speziell auf die kurzfristigen und ungewöhnlichen Effekte lenken.


Ungewöhnliche Veränderungen des Working Capital

Eine wesentliche Bedeutung kommt dabei allen ungewöhnlichen Veränderungen des Working Capital zu. Um diese zu erkennen, können wir einfach die Veränderung der wesentlichen Working Capital Positionen ins Verhältnis zur Umsatzveränderung setzen:

  • Prozentuale Veränderung Receivables / prozentuale Veränderung Umsätze
  • Prozentuale Veränderung Lagerbestände / prozentuale Veränderung Umsätze
  • Prozentuale Veränderung Payables / prozentuale Veränderung Umsätze

Ist der Wert größer als 1, dann ist das eine Indikation für eine Verschlechterung der Ertragsqualität.

Wenn also die Forderungen aus L.u.L. stärker zunehmen, als die Umsätze, dann bedeutet das, dass das Unternehmen für einen größeren Anteil am Umsatz noch kein Cash erhalten hat. Dies könnte – unter anderem – auf Schwierigkeiten des Unternehmens hindeuten, die Forderungen effektiv einzutreiben, was ganz verschiedene Ursachen haben kann:

  • Qualitätsprobleme in der Fertigung und Versand minderwertiger Produkte
  • Schlechte Zahlungsmoral oder sogar schlechte Kreditwürdigkeit der Kunden… vielleicht infolge einer “Wachsen-um-jeden-Preis”-Strategie
  • Ausweis von tatsächlichen “Fake”-Umsätzen (diese sind meist durch das Fehlen eines Cash-Zuflusses gekennzeichnet)

Wenn die Verbindlichkeiten aus L.u.L. stärker ansteigen, als der Umsatz, dann könnte das zwar bedeuten, dass das Unternehmen seine Marktmacht einsetzt, um z.B. die Zahlungsziele zu verlängern. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass sich das Unternehmen in einer finanziellen Notlage (“Financial Distress”) befindet. In einer solchen Situation ist das Nichtzahlen von Lieferantenrechnungen oft der allererste Schritt, um einen weiteren Cash Burn zu vermeiden.


Gewinne regelmäßig größer als Cash Flows

Ein weiteres sehr deutliches Warnsignal liegt vor, wenn der Nettogewinn den operativen Cash Flow (CFO oder OCF) über einen längeren Zeitraum übersteigt.

Für die große Mehrheit der Unternehmen sollte es nämlich umgekehrt sein und der operative Cash Flow sollte grundsätzlich den Nettogewinn übersteigen… vor allem wegen der zusätzlichen Berücksichtigung wesentlicher nicht-zahlungswirksamer Aufwendungen (im Speziellen Abschreibungen und Amortisation) im Nettogewinn.

Ein gutes Beispiel für eine solche Situation stellt die Noble Group dar. Das Unternehmen hat es in den sieben Jahren vor 2015 tatsächlich in jedem Jahr geschafft, einen Nettogewinn oberhalb des operativen Cash Flows auszuweisen. Die Schlussfolgerung der Short Seller (u.a. Carson Block bzw. Muddy Waters Research) war damals, dass der Accounting Profit, also der Gewinn laut GuV, signifikant übertrieben sein musste.


Scoring-Modelle

Über die Zeit wurden eine Reihe an quantitativen Scoring-Modellen für die Aufdeckung von Ergebnismanipulationen entwickelt.

Das bekannteste Scoring-Modell in diesem Zusammenhang ist vermutlich der oben bereits angesprochene Beneish M-Score.

Ein weiteres relevantes Scoring-Modell wurde von James Montier entwickelt (der Montier C-Score).


Weitere Red Flags bzw. Warnsignale

Neben den bisher betrachteten eher quantitativen Analysen gibt es noch eine ganze Reihe an Indizien, die auf ein umfangreicheres Earnings Management und im Zweifel sogar eine Bilanzfälschung hindeuten könnten. Zu diesen weiteren Warnsignalen zählen unter anderen

  • eine ungewöhnliches Wortwahl im Bestätigungsvermerk des Wirtschaftprüfers
  • Verschiebungen des Veröffentlichungstermins von Geschäftsberichten etc. Dies deutet meist auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Unternehmen und Wirtschaftsprüfer hinsichtlich der Bewertung bestimmter Geschäftsvorfälle hin
  • Abnehmende Wachstumsraten bei Wachstumsunternehmen
  • In den ersten ein bis zwei Jahren der Vertragslaufzeit eines CEO gibt es tendenziell mehr Earnings Manipulation. Vermutlich um die Position erstmal zu festigen.
  • eine ungewöhnliche Wortwahl des CEOs in Earnings Calls. Empirische Studien (Basis: 30.000 Conference Call Transcripts aus den Jahren 2003 bis 2007) haben gezeigt, dass zwischen der Wortwahl des CEOs in Earnings Calls und der Manipulation des Jahresabschluss in vielen Fällen ein Zusammenhang besteht. Inzwischen gibt es sogar spezialisierte Firmen, die von professionellen Investoren für eine Analyse der Transcripts engagiert werden (z.B. Qverity, ein Unternehmen von den Autoren von Spy the Lie)

In diesem Zusammenhang könnte es sinnvoll sein, eine kurze Checkliste mit den wesentlichen zu prüfenden Sachverhalten zu erstellen.


Fazit Earnings Management

Weil sich der Großteil der Manipulationen typischerweise auf die Gewinn- und Verlustrechnung bezieht, wird der Begriff Ergebnismanipulation (Earnings Management) oft als Synonym für das (meist legale) Manipulieren des Jahresabschlusses verwendet.

Eine Manipulation des Jahresabschlusses findet üblicherweise entweder direkt durch falsches oder kreatives Reporting oder aber indirekt über das Timing mutmaßlich strategischer Entscheidungen statt.

Um als Investor oder Analyst einen einen schnellen, aber fundierten Eindruck von der Qualität eines Jahresabschlusses zu erhalten, bieten sich verschiedene Analysen an.

Dazu zählen unter anderem die Analyse der Veränderung des Working Capitals, der Vergleich von Gewinnen und Cash Flows sowie die Betrachtung der wesentlichen Assetverkäufe und des entsprechenden Anteils am Gewinn.

1 Kommentar zu „Intro Earnings Management und “kreatives” bzw. aggressives Accounting“

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