Benjamin Graham

Deep Value Investing nach Benjamin Graham: Hier liegen die Probleme

Benjamin Graham

Inhalt

Benjamin Graham
Bildquelle: Investopedia

Der Begriff Deep Value Investing wurde von Benjamin Graham, dem Mentor von Warren Buffett, geprägt und bedeutet soviel wie “Aktien mit einem hohen Abschlag (einem Deep Discount) zum Wert der vorhandenen Vermögenswerte kaufen”. Auf den Ansatz selbst bin ich bereits in meinem Artikel zum Net Net Investing – Ben Graham Style etwas detaillierter eingegangen.

In diesem Artikel möchte ich nun nochmal etwas mehr auf die inhärenten Probleme mit dem Deep Value Ansatz eingehen.


Deep Value Investing nach Benjamin Graham

Im Grunde genommen ist die Idee hinter dem Deep Value Investing Ansatz ziemlich einfach:

Kaufe einen Dollar, aber bezahle nicht mehr als 40 Cent dafür. – Warren Buffett

Es ist kein Zufall, dass dieses Zitat von Warren Buffett stammt. Denn auch wenn Buffett heute einen etwas anderen Value Investment-Ansatz verfolgt (nämlich großartige Unternehmen zu einem fairen Preis kaufen), war er gerade zu Beginn seiner Karriere mit dem Deep Value Ansatz extrem erfolgreich.

Deep Value Investoren kaufen Aktien zu einem Preis, der unterhalb des abgeschätzten Wertes der Vermögenswerte liegt. Der Fokus liegt hier also ausschließlich auf der Analyse der Bilanz. Die Gewinn- und Verlustrechnung, das Geschäftsmodell, die Wettbewerbsvorteile, das Management etc. spielen eigentlich keine Rolle.

Unter den intrinsischen Bewertungsverfahren ist der Deep Value Ansatz, also der Fokus auf den Sachwert, der konservativste.

Damit die Strategie funktioniert, benötigen Deep Value Investoren wie Benjamin Graham eine ausreichend große Sicherheitsmarge… einerseits um den Return zu garantieren, andererseits aber auch als Schutz vor möglichen Fehlern bei der Analyse. Graham hatte darüber hinaus als weiteres Risikomanagement-Tool ein sehr diversifiziertes Portfolio, teilweise bestehend aus über 100 verschiedenen Aktien.

Zur Abschätzung des intrinsischen Wertes der Assets gibt es fünf verschiedene Möglichkeiten, die davon abhängen, wie konservativ wir an die Bewertung herangehen möchten:

  1. Buchwert (Book Value)
  2. Materieller Buchwert (Tangible Book Value)
  3. Net Current Asset Value (NCAV)
  4. Net Net Working Capital (NNWC)
  5. Net Cash

Die simple Analyse des Buchwertes ergibt typischerweise den höchsten Wert, die Analyse des Net Cash den niedrigsten:

Deep Value Investing Benjamin Graham

Hier eine kurze Ãœbersicht. Auf NCAV und NNWC gehe ich nicht nochmal im Detail ein, sondern verweise euch auf den angesprochenen Artikel zum Net Net Ansatz.


1. Buchwert

Wahrscheinlich ist der Buchwert je Aktie bzw. das Kurs-Buchwert-Verhältnis in vielen Fällen die erste Kennzahl, mit der ein am Value-Ansatz interessierter Investor in Berührung kommt.

Der Buchwert repräsentiert den Wert der Vermögenswerte eines Unternehmens, der nach Abzug aller Schulden noch übrig ist. In der Bilanz könnt ihr den Buchwert direkt als Wert des Eigenkapitals ablesen.

Ein niedriges Kurs-Buchwert-Verhältnis (in der Regel wird hier ein Wert von 1 genannt), gibt einen ersten Hinweis auf eine günstig bewertete Aktie und könnte als Startpunkt für eine Deep Value Analyse dienen.

Vorteil des Buchwerts: Das Kurs-Buchwert-Verhältnis finden wir z.B. auch in den meisten Stock Screenern.

Im Liquidationsfall ist es allerdings meist so, dass die vorhandenen Vermögenswerte nicht zu dem Wert verkauft werden können, der aktuell in den Büchern steht. Vorräte können z.B. veraltet sein, Produktionsanlagen nur noch Schrottwert besitzen, Markenrechte und Goodwill ggf. komplett wertlos sein, usw.

Aus diesem Grund wird der Buchwert im Rahmen des Deep Value Investing in der Regel noch weiter reduziert.


2. Materieller Buchwert bwz. Sachanlagen je Aktie (Tangible Book Value)

In einem ersten Schritt wird zunächst für alle immateriellen Vermögenswerte, also z.B. Goodwill, Patente, Markenrechte, ein Wert von Null angenommen.

Hier ist die Wahrscheinlichkeit eines Wertverlustes am höchsten bzw. am wahrscheinlichsten.

Ausgehend vom Buchwert gelangen wir so zum so genannten materiellen Buchwert bzw. Tangible Book Value.

Diese Anpassung kann bereits einen signifikanten Effekt auf die Bewertung haben.

Schaut euch dazu z.B. meinen Artikel zu Kraft Heinz an. Der Aktienkurs liegt zwar aktuell nur leicht über dem Buchwert. Wenn wir allerdings Goodwill und den Wert der verschiedenen Marken (also Heinz Ketchup, Kraft, Philadelphia etc.) unberücksichtigt lassen, dann zeigt sich ein komplett anderes Bild (ca. 80-90% der Vermögenswerte von Kraft Heinz bestehen aus Goodwill und immateriellen Vermögenswerten).

Dieser Ansatz ist also ggf. bereits recht konservativ. Allerdings ging Benjamin Graham bzw. gehen die Deep Value Investoren in der Regel noch einen Schritt weiter.


3. Net Current Asset Value (NCAV)

Womit wir beim Net Current Asset Value wären. Eine Net Net Aktie ist eine Aktie, die so günstig ist, dass der Aktienkurs sogar unterhalb des so genannten Net Current Asset Value (NCAV) liegt.

Zur Berechnung des NCAV wird der Buchwert bzw. der materielle Buchwert um die langfristigen Vermögenswerte (Sachanlagen etc.) verringert. Für alle Gebäude, Grundstücke, Produktionsanlagen wird also ein Wert von Null angenommen.

Der NCAV ist dem entsprechend eine noch konservativere Abschätzung des Liquidationswertes als der (materielle) Buchwert.


4. Net Net Working Capital (NNWC)

Allerdings ist auch bei den kurzfristigen Vermögenswerten eine volle Realisierung des Wertes nicht immer möglich. Es gibt deshalb eine noch konservativere Abschätzung des Liquidationswertes, das so genannte Net Net Working Capital (NNWC).

Für die Berechnung des NNWC werden auch die kurzfristigen Vermögenswerte nochmal mit Abschlägen belegt. In der Regel wird angenommen, dass nur ca. 75% der offenen Forderungen eingetrieben werden können und dass ca. 50% des Lagerbestandes nicht mehr abverkauft werden kann.

Ein kleines Excel Modell zu NCAV und NNWC zum Download findet ihr auf der DIY Tools-Seite.

5. Net Cash

Bei der konservativsten Abschätzung im Rahmen des Deep Value Investing werden nur noch die Barmittel (Cash & Äquivalente) sowie die kurzfristigen Investments (Short-term Marketable Securities) als Vermögenswerte mitgezählt.

Es wird hier also zusätzlich davon ausgegangen, dass alle Forderungen nicht mehr einzutreiben und alle Lagerbestände komplett wertlos sind.

Vielleicht habt ihr schonmal von einer Aktie gehört, bei der die Barmittelbestände (abzüglich Schulden) größer waren, als der Aktienkurs. Eigentlich sind solche Aktien aber sehr sehr selten.


Typische Probleme mit dem Deep Value Ansatz

Warren Buffett hat ja für den Deep Value Ansatz von Benjamin Graham den Begriff “Cigar-butt Investing” (also Investieren in Zigarettenstummel) geprägt… an einem Zigarettenstummel, den man auf der Straße findet, kann man zwar bestenfalls nur noch einmal ziehen. Der günstige Preis macht das “Investment” dann aber doch wieder profitabel (und zwar sehr profitabel… schaut euch dazu auch die Ergebnisse der verschiedenen Backtests in meinem Net Net Investing-Artikel an).

Allerdings gibt es mit dem Deep Value Ansatz von Benjamin Graham heutzutage auch eine Reihe an Problemen:

  • der intrinsische Wert von Unternehmen mit solch niedrigen Bewertungen nimmt in der Regel über die Zeit noch weiter ab (und das teilweise recht schnell)
  • das Timing ist für den Erfolg einer Deep Value Strategie entscheidend
  • Deep Value Aktien sind in der Regel nur zu Krisenzeiten überhaupt verfügbar (allerdings ist eine größere Zahl an Investment-Optionen erforderlich, um eine ausreichende Diversifizierung zu erreichen)
  • Steuerlich und im Hinblick auf die Transaktionskosten ist die Strategie nachteilig, da die Haltedauer in den meisten Fällen recht kurz ist (max. 12 Monate) und stark diversifiziert werden muss (also viele Transaktionen getätigt werden müssen)

Im Folgenden möchte ich auf diese Probleme noch einmal etwas detaillierter eingehen.


Abnahme des intrinsischen Wertes über Zeit

Unternehmen mit einem mittelmäßigen Geschäftsmodell generieren typischerweise keinen Wert für ihre Aktionäre. Im Gegenteil. In der Regel wird über Zeit eher Wert zerstört.

Dies hat auch Auswirkungen auf unsere anfängliche Sicherheitsmarge:

Deep Value Investing Benjamin Graham

Quelle: In Anlehnung an Charlie Tian: Invest like a Guru

Geht nämlich der intrinsische Wert über Zeit zurück, weil das Business Werte vernichtet anstatt generiert, dann nimmt auch unsere Sicherheitsmarge über die Zeit ab (sogar wenn der Aktienkurs nicht ansteigt).

Bestimmte Industrien haben über lange Jahre Werte vernichtet, weil die Kapitalrenditen regelmäßig unterhalb der Kapitalkosten lagen.

Um die Deep Value Strategie von Benjamin Graham also zu einem erfolgreichen Investment werden zu lassen, müssen zwei Dinge eintreten:

  1. Der Aktienkurs muss relativ kurzfristig ansteigen
  2. Wir müssen den richtigen Verkaufszeitpunkt treffen (nämlich bevor der Preis wieder nach unten geht, weil der intrinsische Wert über Zeit abnimmt)

Hierzu Buffett in 1989:

Time is the friend of the wonderful business, the enemy of the mediocre. – Warren Buffett

Die Zeit arbeitet also für die großartigen Unternehmen, aber gegen die schlechten und mittelmäßigen.

Buffett weiß wovon er redet, denn er hat seine Lektion gelernt. Die Akquisition von Berkshire Hathaway, damals eine marode Textilfabrik, war eine Deep Value Aktie und handelte damals sogar zu einem Abschlag auf das Net Net Working Capital (NNWC). Allerdings halbierte sich der intrinsische Wert innerhalb kurzer Zeit, sodass das Investment Buffett und seine Partner schlussendlich Hunderte Millionen USD kostete (siehe Berkshire Hathaway Shareholder Letter 1992).


Timing

Typischerweise sollten wir solche Schnäppchen-Aktien zu einer Zeit kaufen, in der viele Deep Value Aktien in größerer Anzahl verfügbar sind, wie z.B. kurz nach Ausbruch der Finanzkrise in 2008.

Ein Problem entsteht allerdings dann, wenn der Aktienmarkt noch weiter nachgibt… wenn sich eine Krise weiter ausbreitet. In einem solchen Fall werden nämlich in der Regel die Deep Value Aktien noch stärker getroffen, als der Gesamtmarkt. Das liegt einfach daran, dass die Unternehmen intrinsisch schlechter aufgestellt und für eine Krise in der Regel schlecht gerüstet sind. Sollte so ein Rückgang länger anhalten, dann werden viele der Unternehmen nicht nur massive Verluste hinnehmen müssen, sondern auch unmittelbar von der Insolvenz bedroht sein.

Für Deep Value Investoren ist es also in Krisenzeiten umso schmerzvoller, ein Portfolio bestehend aus Deep Value Aktien bzw. “Zigarettenstummeln” zu besitzen.

Darüber hinaus ist es immens wichtig, die Aktien entsprechend schnell wieder abzustoßen, weil der intrinsische Wert weiter abnimmt. Das gilt auch, wenn der Aktienkurs nicht wie geplant ansteigen sollte. Wir müssen also ggf. Verluste minimieren können, d.h. psychologisch dazu in der Lage sein (Stichwort Loss Aversion).

Typischerweise werden die größten Gewinne innerhalb der ersten 12 Monate nach Kauf der Aktie eingefahren.

Dem entsprechend äußerte sich Charlie Munger:

If you buy something because it’s undervalued, then you have to think about selling it when it approaches your calculation of its intrinsic value. That’s hard. – Charlie Munger

Wenn wir also eine Aktie nur kaufen, weil sie unterbewertet ist (und nicht, weil es sich ggf. um ein tolles Business handelt), dann sollten wir verkaufen, sobald sie Aktie den von uns berechneten intrinsischen Wert erreicht… oder aber sich herausstellt, dass der intrinsische Wert kurzfristig nicht erreicht werden kann/wird.

Dass das nicht so einfach ist, macht auch ein Analogie von Warren Buffett klar. Er vergleicht den Kauf von mittelmäßigen Unternehmen zu Schnäppchenpreisen mit einem Date ohne Heiratsabsicht, wo man ebenfalls den richtigen Exit-Zeitpunkt treffen muss, in vielen Fällen aber verfehlt.


Wenige Aktien verfügbar und Diversifizierung nicht möglich

Deep Value Investing ist sehr fehleranfällig. Das heißt die Quote an Investments, die nicht aufgehen und ggf. sogar zu einem Totalverlust führen, ist ziemlich hoch. Auf der anderen Seite können die erfolgreichen Investments auch zu einem höheren dreistelligen Return führen.

Der wichtige Punkt hier ist aber: Aufgrund der großen Schwankungsbreiten und des großen Risikos eines Totalverlustes können wir die angestrebten ~25% Return nur im Durchschnitt, d.h. mit ausreichender Diversifizierung abbilden. Eine gute Diversifizierung können wir typischerweise schon mit ca. 10 Aktien erreichen, Benjamin Graham hatte damals mehr als 100 im Portfolio.

Das Problem: Wenn der Aktienmarkt einigermaßen hoch bewertet ist, dann ist die Anzahl verfügbarer Deep Value Aktien typischerweise verschwindend gering und eine ausreichende Diversifizierung quasi unmöglich. Selbst zu Krisenzeiten ist die Anzahl laut einer Analyse von Charlie Tian (zu finden in Invest like a Guru) offenbar recht überschaubar.


Steuernachteile und höhere Transaktionskosten

Wie angesprochen ist die Haltedauer von Deep Value Aktien meist recht kurz. Das heißt in der Regel funktioniert eine Deep Value Strategie entweder kurzfristig (heißt spätestens innerhalb von ca. 12 Monaten) oder gar nicht.

Aus diesem Grund hat ein Deep Value Portfolio im Vergleich zu einer simplen Buy and Hold Strategie, aber auch zu einer Strategie a là Warren Buffett, einen gewissen steuerlichen Nachteil, weil Gewinne recht oft realisiert und entsprechende Steuern darauf gezahlt werden müssen. Das führt natürlich auch zu im Vergleich höheren Transaktionskosten.


Fazit

Der Begriff Deep Value Investing wurde von Benjamin Graham, dem Mentor von Warren Buffett, geprägt und bedeutet soviel wie “Aktien mit einem hohen Abschlag (einem Deep Discount) zum Wert der vorhandenen Vermögenswerte kaufen”.

Je nach Risikopräferenz können wir den Buchwert (am wenigsten konservativer Ansatz), den materiellen Buchwert, den Net Current Asset Value, das Net Net Working Capital oder das Net Cash (konservativster Ansatz) verwenden.

Die Returns einer Deep Value Strategie können signifikant sein (~25% im Durchschnitt), das haben verschiedene Backtests und die Performances bekannter Deep Value Investoren (Benjamin Graham, Walter Schloss, Warren Buffett in seinen frühen Jahren) gezeigt.

Allerdings ist das erfolgreiche Verfolgen einer solchen Strategie heute aus verschiedenen Gründen sehr schwierig. Zum einen sind Deep Value Aktien quasi nur zu Krisenzeiten in ausreichender Anzahl verfügbar und deshalb eine ausreichende Diversifizierung nicht möglich. Zum anderen ist die Strategie sehr zeit-sensitiv, weil der intrinsische Wert von Deep Value Aktien typischerweise über Zeit weiter abnimmt und weil wir als Investoren deshalb den richtigen Verkaufszeitpunkt nicht verpassen dürfen.


Weitere Ressourcen

Falls ihr noch mehr über das Thema Deep Value Investing erfahren möchtet, dann solltet ihr euch direkt das Buch Intelligent Investieren von Benjamin Graham zulegen. Eine gute Zusammenfassung des Ansatzes findet ihr im Buch von Charlie Tian, Invest like a Guru.

Invest like a Guru Charlie Tian

Quelle Titelbild: Investopedia

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere relevante Artikel zum Thema

Warenkorb
Nach oben scrollen