Für Unternehmen mit vielen Wachstumsoptionen kann es einen substantiellen Unterschied machen, in welche Geschäfte das Management den erwirtschafteten operativen Cash Flow lenkt bzw. wo das Kapital reinvestiert wird.
Wird das Kapital in Geschäfte mit hoher Kapitalrendite und substantiellem Wachstumspotenzial investiert, kann sich der Cash Flow in kurzer Zeit vervielfältigen, fließt es in Geschäfte ohne Wettbewerbsvorteile und ohne Wachstum, dann ist es so, als würde man das Kapital einfach das Klo runterspülen.
“Lollapaloozas” occur when competitive advantage & capital allocation work together to compound value. – Pat Dorsey
Die Qualität der Kapitalallokation des Managements spielt dem entsprechend eine wesentliche Rolle für jedes Wachstumsunternehmen.
Wie können wir also bewerten, ob ein Management das Kapital in die richtigen Kanäle lenkt?
Eine Möglichkeit besteht darin, einfach über die Zeit zu schauen, wie hoch die Investitionen in einzelne Geschäftsteile ausgefallen sind und welche Margen bzw. welche Kapitalrenditen mit diesen Geschäften erzielt wurden. Dieses Vorgehen möchte ich im Folgenden einmal am Beispiel von LVMH (Moet Hennessy Louis Vuitton) illustrieren.
Intro LVMH
LVMH ist neben Richemont und Kering das weltweit führende diversifizierte Luxusgüter-Unternehmen. Von Fashion über Luxusuhren bis hin zu Spirituosen und Schmuck hat LVMH im Grunde genommen alle Produkte im Portfolio, die wir mit einem luxuriösen Lebensstil verbinden würden.
Diese Logik findet sich auch in der Unternehmensorganisation wieder… LVMH ist nämlich entlang der folgenden 5 operativen Segmente organisiert (daneben gibt es noch die Holding, in der i.W. die Overhead-Kosten auflaufen):
- Wines and Spirits
- Fashion and Leather Goods
- Perfumes and Cosmetics
- Watches and Jewelry
- Selective Retailing
Zu den wesentlichen Fashion-Marken von LVMH gehören z.B. Louis Vuitton (klar), Christian Dior, Fendi, Celine, Loewe und Rimova (LV und Dior übrigens beide unter den Top 10 Luxusmarken der Welt). Darüber hinaus unter anderem Tiffany und Bulgari beim Schmuck sowie Hennessy, Moet & Chandon, Dom Perignon und Veuve Clicquot bei den Spirituosen. Und wenn ihr z.B. mal auf dem Luxusuhrenportal Chronext schaut, dann findet ihr dort viele der LVMH-Marken wieder… u.a. Tag Heuer, Hublot und Zenith.
LVMH: Bewertung der Kapitalallokation
Um nun einschätzen zu können, wie gut das Management rund um CEO und Hauptaktionär Bernard Arnault in der Vergangenheit darin war, den operativen Cash Flow ins Geschäft zu reinvestieren, gehen wir zunächst in zwei sequentiellen Schritten vor
- Bestimmung der Kapitalrendite (ROCE) aus den Segmentdaten
- Abgleich von Kapitalrendite und getätigten Investitionen
Anschließend versuchen wir darüber hinaus, die generellen Investitionsentscheidungen mit der Entwicklung über die Zeit abzugleichen.
1. Ermittlung des ROCE für die einzelnen Segmente
Um die Qualität der Kapitalallokation für LVMH zu bewerten, müssen wir zunächst einmal die Kapitalrendite (ROCE, ROIC, CFROI oder eine ähnliche Kennzahl) für das Unternehmen ermitteln.
Ganz generell berechnen wir den ROCE als Quotient aus operativem (Nachsteuer-)Gewinn und eingesetztem Kapital (Capital Employed). Ganz analog zur DuPont-Formel können wir den ROCE aber auch nochmal weiter zerlegen in operative Marge und Kapitalumschlag und somit den aus meiner Sicht sehr hilfreichen Link zwischen Profitabilität und erforderlichem Kapitaleinsatz herstellen:
Als Ausgangspunkt können wir die Segmentberichterstattung von LVMH verwenden, die glücklicherweise seit 2005 in quasi unveränderter (recht detaillierter) Form im jährlichen Geschäftsbericht erscheint. Hier z.B. einmal die Zahlentabelle für das Jahr 2020:
Segmentberichterstattung LVMH 2020; Quelle: LVMH Geschäftsbericht
Exkurs: Berechnung des ROCE auf Basis der Segmentdaten
Bevor wir den ROCE tatsächlich berechnen und mit den Investitionen abgleichen: Welche Art von Analyse erlaubt uns diese Segmentberichterstattung überhaupt?
Wenn wir einmal durch die Liste der Kenngrößen durchgehen, dann finden wir dort zunächst den Umsatz sowie den operativen Gewinn aus den wiederkehrenden Geschäften (in etwa äquivalent zum EBIT würde ich sagen)… darüber hinaus aber auch ein paar Bilanzkennzahlen, u.a. die Bilanzsumme sowie die operativen Verbindlichkeiten und die operativen Investments (d.h. den CapEx ohne Cash Outflows für Akquisitionen).
In der Fußnote zur Segmentberichterstattung finden wir die folgenden zwei Anmerkungen:
- Assets not allocated include available for sale financial assets, other financial assets, and current and deferred tax assets
- Liabilities not allocated include financial debt, current and deferred tax liabilities, and liabilities related to purchase commitments for minority interests’ shares
Das heißt im Grunde genommen nichts anderes, als dass die operativen Bilanzen der Segmente weder Schulden, noch Finanzinvestitionen oder überschüssige Barmittel enthalten. LVMH nutzt also vermutlich einen Cash Pool auf Holding-Ebene aus dem sich die operativen Unternehmen sozusagen bedienen und nimmt dort auch die Schulden auf.
Wenn wir uns einmal die grobe Berechnungslogik des Capital Employed ansehen, dann bedeutet das, dass LVMH den Block “Überschüssige Barmittel und Investments” auf der linken Seite für uns bereits korrigiert hat und wir nur noch die operativen Verbindlichkeiten (hier im Schaubild als “negatives” WC bezeichnet) verrechnen müssen:
Generelle (vereinfachte) Berechnungsmethodik des Capital Employed
Also:
Capital Emloyed = Total Assets entsprechend Segmentberichterstattung – Other Liabilities
Schlussendlich: Weil uns die Aufteilung der Ertragsteuern auf die Segmente fehlt, können wir den ROCE nur vor Steuern ermitteln (was ja auch der von den meisten Unternehmen verwendeten Definition entspricht). Dies sollten wir zwar im Hinterkopf behalten, für unsere Analyse der Kapitalallokation ist dieser Umstand aufgrund des relativen Vergleichs aber erstmal nicht relevant.
Aus diesen Daten ergibt sich nun für 2019 das folgende Bild (ich habe hier 2019 genommen, weil die Zahlen für 2020 aufgrund der Corona-Pandemie kein normales Jahr abbilden):
LVMH: Herunterbruch des ROCE 2019 [%]; Quelle: LVMH, eigene Berechnungen
Was sagt uns nun diese Darstellung?
Zunächst mal, dass LVMH mit dem Segment Fashion & Leather Goods die höchste Kapitalrendite erwirtschaftet, was insbesondere an der hohen operativen Marge von ca. 33% liegt (aus fortgeführter Geschäftstätigkeit). Würde das Geschäft mit einem EUR eingesetztem Kapital mehr als 1 EUR Umsatz generieren können, dann wäre der ROCE sogar noch höher.
Auf Platz 2 folgt das Geschäft mit Parfümen und Kosmetika (Perfumes & Cosmetics), welches zwar nur eine operative Marge von ca. 10% erzielt, dafür aber von allen Segmenten die mit Abstand niedrigste Kapitalintensität bzw. den niedrigsten Kapitalumschlag aufweist… mit einem EUR investiertem Kapital erzielt das Geschäft einen Umsatz von ca. 2,5 EUR.
2. Abgleich mit den Investitionen
Um nun einschätzen zu können, ob das Management das erwirtschaftete Kapital in der Vergangenheit in die richtigen Geschäfte reinvestiert hat, gleichen wir im nächsten Schritt die jährlichen Investitionen mit der Kapitalrendite ab. Für 2019 habe ich das Ergebnis einmal wie folgt dargestellt:
LVMH: ROCE versus CapEx 2019; Quelle LVMH Geschäftsbericht, eigene Berechnungen
Die erste gute Nachricht für einen bereits investierten Anleger: LVMH hat in 2019 mehr als ein Drittel der Gesamtinvestitionen in das Geschäft mit der höchsten Kapitalrendite (Fashion & Leather Goods) investiert.
Auf Platz 2 folgt allerdings – wider Erwarten – nicht das Segment mit der zweithöchsten Kapitalrendite (Perfumes & Cosmetics), sondern Selective Retailing.
Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich für das Jahr 2015 (im folgenden dargestellt) und auch das Jahr 2005:
LVMH: ROCE versus CapEx 2015; Quelle LVMH Geschäftsbericht, eigene Berechnungen
Auch in diesen beiden Jahren hat das Geschäfts Selective Retailing – trotz niedrigerer Kapitalrendite – einen höheren Anteil an den Gesamtinvestitionen allokiert bekommen, als Perfumes & Cosmetics.
Hierfür kann es nun verschiedene Gründe geben, auf die ich im Folgenden einmal eingehen möchte.
Kapitalallokation LVMH: Einschätzung und Interpretation
Um die zukünftige Wertschöpfung zu maximieren, sollte das Kapital – jedenfalls in der Theorie – überproportional denjenigen Geschäften bzw. Segmenten zugewiesen werden, mit denen die höchste Kapitalrendite / der höchste ROCE erzielt wird.
Allerdings gibt es ein paar zusätzliche Rahmenbedingungen bzw. Fragen, die ein Unternehmen bzgl. der Kapitalallokation zunächst klären bzw. beantworten sollte… insbesondere die Frage nach der aktuellen Position im (Produkt-)Lebenszyklus.
Vor allem in zwei Fällen ist eine Abweichung von der oben genannten Logik nämlich vermutlich sinnvoll:
- Reifendes Geschäft mit hohem ROCE: Weiteres Wachstum ist nicht mehr oder nur noch mit verschlechterten Economics möglich (d.h. mit unattraktiveren Margen und / oder höherer Kapitalintensität)
- Geschäft in Einführungs- / Wachstumsphase mit niedrigem ROCE: Weitere Investitionen bzw. Aufwendungen (z.B. für die Bekanntmachung einer Marke) beschleunigen das Wachstum und bringen das Geschäft in eine Größenordnung, in der sich z.B. positive Skaleneffekte ausbilden und in der das Geschäft dann eine attraktive Kapitalrendite erwirtschaften kann / wird
Darüber hinaus kann natürlich auch eine Begrenzung der interne Ressourcen zu einer Limitation des möglichen Wachstums führen (wir betrachten hier ja erstmal nur die organischen Wachstumsoptionen) und damit die Investitionen limitieren.
In der Praxis könnte es also durchaus sein, dass in bestimmte Geschäftsbereiche – trotz hoher Kapitalrendite – nur ein unterproportionaler Anteil des Gesamt-CapEx reinvestiert wird (und umgekehrt).
Im Falle von LVMH gestaltet sich das nun folgendermaßen:
- Fashion & Leather Goods: Als insgesamt größtes und attraktivste Geschäft bekommt das Segment Fashion & Leather Goods den (mit Abstand) größten Anteil des Investitionskapitals zur Verfügung gestellt, allerdings mit leicht abnehmendem Trend. Die Kapitalrenditen sind hier nachhaltig hoch und der Wettbewerbsvorteil (u.a. sehr starke Marken) dem entsprechend vermutlich sehr stabil… die Frage ist allerdings, wie viel Wachstum, z.B. in Form neuer Louis Vuitton-Stores hier zukünftig noch möglich ist
- Selective Retailing und Watches & Jewelry: Beide Geschäfte haben in jedem der betrachteten Jahre trotz schlechter bis mittelmäßiger Kapitalrenditen vergleichsweise viel Investitionskapital erhalten bzw. weisen einen leicht ansteigenden Trend aus. Durch die Skalierung der Geschäfte hat sich die Kapitalrendite z.B. im Geschäft mit Schmuck und Luxusuhren seit 2005 ca. vervierfacht (von 2% in 2005 auf 8% in 2019)
Was wir hier bisher nicht betrachtet haben: LVMH hat natürlich über die Zeit auch eine ganze Reihe an M&A-Transaktionen getätigt.
Wenn wir uns also die Entwicklung des Gesamtumsatzes von LVMH ansehen, dann müssen wir das immer vor diesem Hintergrund sehen:
LVMH: Umsatzentwicklung nach Segmenten; Quelle Statista, LVMH Geschäftsbericht
Insbesondere die Segmente Fashion & Leather Goods sowie Watches & Jewelry sind seit Anfang der 2010er Jahre stark durch Zukäufe gewachsen… prominenteste Beispiele: Die Akquisition von Christian Dior in 2017 (Fashion) und der Kauf von Tiffany & Co in 2021 (Jewelry).
Dior hat den ROCE des Fashion-Segments offensichtlich nicht negativ beeinflusst, wie das bei Tiffany sein wird, bleibt abzuwarten
Dies ist also ein weiterer Punkt, der im Hinblick auf die Kapitalallokation nochmal etwas näher untersucht werden sollte.
Fazit
Insgesamt kann man auf Basis der vorliegenden Informationen durchaus zu dem Schluss kommen, dass LVMH das Kapital auf lange Sicht gesehen richtig auf die Geschäfte allokiert hat. Für diese Schlussfolgerung können wir drei Argumente anführen:
Erstens wurden die Investitionen in das attraktivste Geschäftsfeld (Fashion) konstant hochgehalten und erhielt im Vergleich zu den anderen Segmenten immer den höchsten CapEx-Anteil.
Zweitens ist zwar Kapital überproportional auch in Geschäftsbereiche mit niedrigerem ROCE geflossen… insbesondere die Segmente Selective Retailing und Watches & Jewelry. Allerdings haben diese Investitionen auch zu einem substantiellen Anstieg des ROCE über die Zeit geführt (wie angesprochen für Watches & Jewelry von ca. 2% in 2005 auf 8% in 2019).
Drittens – und ist denke ich auch erwähnenswert, obwohl hier bisher nicht explizit thematisiert – verdienen alle Geschäfte mindestens ihre Kapitalkosten.
Nächste Schritte: Im Hinblick auf eine mögliche zukünftige Entwicklung müssten wir uns nun ansehen, wie viel organisches Wachstumspotenzial die einzelnen Geschäfte (insbesondere die attraktiven) noch haben… vor allem auch vor dem Hintergrund der mutmaßlich sehr teuren Akquisition von Tiffany & Co sowie der Ankündigung eines ersten Aktienrückkaufprogramms im Dezember 2021 (Volumen 300 Mio. EUR). Dies wird Bestandteil der nächsten Fallstudie zu LVMH sein.