Aswath Damodaran ist vielen von euch bestimmt auch bekannt als der „Dean of Valuation“. Damodaran lehrt seit fast vier Jahrzehnten Unternehmensbewertung an der New York University – Stern School of Business und ist auch online sehr aktiv… Damodaran hat beispielsweise seine ganzen Unterrichtsmaterialien und auch eine ganze Reihe an Exceltabellen for free auf seiner Internetseite veröffentlicht (wobei der Fokus allerdings eher auf den Inhalten und nicht so sehr dem Design der Seite liegt 🙂 ).
Damodaran hat über die Zeit tatsächlich so viel geschrieben (nicht nur Unterrichtsmaterialien und Research Papers, sondern auch Bücher und Blogartikel), dass es schwerfällt, sein gesamtes Wissen in einem Artikel zusammenzufassen.
Ich kann jedenfalls sagen, dass mir Aswath Damodaran insbesondere durch seine Arbeiten zum Thema Unternehmensbewertung bekannt ist (z.B. das “Little Book of Valuation” oder seine Lernmaterialien zum Thema Kapitalkosten / WACC). Insbesondere seine Vorlesungsunterlagen sind an vielen Stellen so technisch und zahlen- bzw. formellastig, dass man meinen könnte, Damodaran würde bewertungsrelevante weiche Faktoren, wie z.B. Wettbewerbsvorteile bzw. “Moats“, die Qualität des Managements etc. komplett ignorieren.
Dem ist allerdings nicht annähernd so. Im Gegenteil hat sich Damodaran insbesondere auch damit beschäftigt, was einen guten Investor ausmacht und des Öfteren klargestellt, dass er einen zu starken Fokus auf “Formellösungen” und insbesondere auch einen zu hohen Detaillierungsgrad von Bewertungsmodellen für nicht unbedingt hilfreich hält.
Im Folgenden möchte ich daher einmal drei aus meiner Sicht ganz wichtige Learnings aus den Schriften, Podcasts, Interviews von Aswath Damodaran mit euch teilen (sehr subjektive Auswahl).
Aswath Damodaran: Das “Bewertungs-Bermuda-Dreieck” bzw. das “Valuation Bermuda Triangle”
Zum Themenkomplex “Valuation Bermuda Triangle” gibt es eine ca. 20-seitige PDF-Präsentation sowie auch einen Artikel im Forbes Magazine, wobei letzterer sehr viel kürzer gefasst und auch prägnanter geschrieben ist. Mit der Bezeichnung “Bewertungs-Bermuda-Dreieck” verweist Damodaran ganz konkret auf drei Punkte, die den eigentlich einfachen Prozess der Unternehmensbewertung zu einem schwierigen (und jedenfalls im Vermögenssinne auch risikoreichen) Unterfangen machen können:
- Voreingenommenheit (“Biases”)
- Unsicherheit (“Uncertainty”)
- Komplexität (“Complexity”)
Im Folgenden ein paar Worte zu jedem der drei Punkte.
Umgang mit Biases: Transparenz bzgl. unserer Beweggründe
Kurzfassung: Wenn wir im Vorfeld unserer Bewertung bereits irgendeine Vorstellung des fairen Wertes haben (z.B. weil ein Screener uns ein Unternehmen mit einem sehr niedrigen KGV angezeigt hat), sind wir bereits voreingenommen (die Frage ist nur in welchem Ausmaß… und in welche Richtung).
Im Resultat besteht daher die große Gefahr, dass unsere Bewertung fast zwangsläufig größenordnungsmäßig in der Nähe dieses bereits unterschwellig gesetzten Ankers herauskommen wird.
In einem idealen Bewertungs- bzw. Investmentprozess würden wir die Bewertung eines Unternehmens (oder auch einer Immobilie oder eines anderen Assets) ohne jegliche Vorurteile und nach bestem Wissen und Gewissen durchführen. In der Praxis beginnen wir allerdings so gut wie nie mit einem weißen Blatt Papier. Dass wir im Vorfeld noch nie etwas über ein zu bewertendes Unternehmen gehört haben, ist heutzutage höchst unwahrscheinlich. Ironischerweise ist unsere Voreingenommenheit umso stärker ausgeprägt, je mehr wir bereits über ein Unternehmen erfahren haben… oder je mehr wir mit dem Management oder anderen unternehmensnahen Stakeholdern in Berührung gekommen sind (z.B. über Earnings Calls, Investmentkonferenzen oder Kapitalmarkttage).
Und in der Bewertungspraxis gibt es wie wir wissen jede Menge Möglichkeiten, um das Bewertungsergebnis so zu “tweaken”, dass am Ende der gewünschte Wert herauskommt (Wachstumsraten, Terminal Value, Margenannahmen, WACC etc.).
Das gilt umso mehr, wenn wir uns des gesetzten Ankers gar nicht explizit bewusst sind.Aswath Damodarans Meinung dazu: Analysten sollten sich selbst gegenüber ehrlich sein und ihre Biases klar und ehrlich benennen. Dies kann aus meiner Sicht z.B. gut über die Nutzung einer Pre-Investment Checkliste bzw. einer “emotionalen Checkliste” umgesetzt werden.
Von Sell-Side-Analysten, die ihre Ergebnisse offenlegen, würde Damodaran sich mehr Transparenz bzgl. der Motive und Voreingenommenheiten wünschen… aber das ist eine andere Geschichte.
Umgang mit Unsicherheiten: Unternehmensbewertung ist keine Wissenschaft
Viele von uns tendieren dazu, sich zu stark an der mathematischen Logik der Unternehmensbewertung zu orientieren und dabei insbesondere die Bewertungs-Inputs auf einer viel zu granularen Ebene zu definieren und abzuschätzen. Der Zielwert für einen Aktienkurs wird dann auch schonmal mit einer Genauigkeit von zwei Stellen hinter dem Komma ermittelt. Spontan kommt mir hierzu der Begriff “Scheingenauigkeit” in den Sinn.
Leider (oder glücklicherweise) ist die Unternehmensbewertung aber nunmal keine exakte Wissenschaft, sondern tatsächlich sogar relativ weit davon entfernt.Um es mal etwas überspitzt auszudrücken: Typischerweise wählen wir aus einer Anzahl hochgradig unsicherer Zukunftsszenarien doch nur das für uns passendste aus und schätzen darauf basierend ganz grob den Unternehmenswert ab… anhand dessen wir schließlich die Entscheidung für oder gegen einen Kauf einer Aktie treffen.
Laut Aswath Damodaran besteht ein guter Ansatz für den Umgang mit dieser Unsicherheit darin, mit verschiedenen Szenarien und korrespondierenden Eintrittswahrscheinlichkeiten zu arbeiten… und darüber hinaus ein hohes Maß an Bescheidenheit und Vorsicht an den Tag zu legen, wenn es um die Interpretation der Ergebnisse geht.
Umgang mit Komplexität: Bewertungsmodelle vereinfachen und auf das Wesentliche fokussieren
Wie grade bereits angeklungen: Wenn wir wollen, können wir die Unternehmensbewertung zu einer scheinbar sehr genauen und akkuraten Übung ausarten lassen.
Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir zunächst etwas genauer verstehen, welche Faktoren eine Unternehmensbewertung überhaupt erst zu einem so komplexen und schwierigen Unterfangen werden lassen. Damodaran geht auf mehrere Faktoren ein:
- Erstens müssen wir als Analysten uns im Zuge der Globalisierung zunehmend mit Länder- und Währungsrisiken auseinandersetzen (was in den meisten Fällen auch für lokal ansässige Unternehmen gilt)
- zweitens sehen wir uns mit den Auswirkungen von immer komplexer werdenden Rechnungslegungsstandards und Unternehmensbeteiligungsstrukturen konfrontiert (wobei IFRS und US GAAP sich zugegebenermaßen doch zunehmend aneinander angleichen)
- drittens gibt es heutzutage mehr Unternehmensinfos als je zuvor. Es ist sehr leicht, sich in Details zu verlieren, auch wenn diese unwichtig sind und sich nicht wesentlich auf den Cashflow, das Risiko oder das zukünftige Wachstum auswirken
- und schließlich viertens ermöglichen viele Anbieter von Finanzdaten inzwischen eine einfache und kostengünstige Erstellung relativ komplexer Bewertungsmodelle (bzw. ermöglichen es mindestens, diese einzusehen und mit den Inputs herumzuspielen).
In vielen Fällen sind diese Tools und Modelle allerdings “Black Boxes”, deren Funktions- und Wirkweise wir nicht verstehen… und im schlimmsten Fall auch nicht mehr hinterfragen. Die große Gefahr besteht daher darin, dass wir unseren gesunden Menschenverstand ausschalten und aufhören, Verantwortung für ihre eigenen Bewertungen zu übernehmen.
Wir sollten also – so schlägt Damodaran (der ja eigentlich wie kein zweiter für das Thema Bewertungstechnik steht) es vor – zu den Grundprinzipien der Bewertung und dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ zurückkehren und “leane” Bewertungsmodelle entwickeln, die wir verstehen und effektiver nutzen können.
“Number Crunchers” vs. “Storytellers”
Etwas im Zusammenhang stehend mit dem Umgang mit Unsicherheiten im Rahmen der Unternehmensbewertung fand ich es eine sehr erhellende Erkenntnis Damodarans, dass wir uns im Allgemeinen einer von zwei Investorengruppen zugehörig fühlen, die ich jetzt einmal frei übersetzt und etwas überspitzt als “Number Crunchers” und als “Storyteller” bezeichne (Aswath Damodaran hat da glaub ich andere Begrifflichkeiten verwendet, die ich aber weder im englischen Original noch in der deutschen Ãœbersetzung ganz passend fand).
Ergo bevorzugen einige von uns die quantitative Seite der Bewertung, beschäftigen sich also sehr stark mit der Mechanik des Bewertungsmodells, d.h. z.B. den individuellen Inputs und Verknüpfungen zum Unternehmenswert. Andere wiederum interessieren sich mehr für die eher qualitative “Equity Story” hinter dem potenziellen Investment, also die eigentliche Investment Thesis.
Das hört sich zwar im ersten Moment sehr nach einer Schwarz-Weiß-Einteilung an. Ich denke es ist aber hilfreich, um den Punkt zu machen, dass ganz offensichtlich keine der beiden Seiten ohne die jeweils andere sinnvoll funktionieren kann!
Die Empfehlung von Aswath Damodaran lautet also, sich intensiv auch um die von uns eher vernachlässigte Seite zu kümmern, uns beispielsweise als “Number Crunchers” auch intensiv mit der eigentlichen Story hinter dem Investment zu beschäftigen.
In dem Zusammenhang: Damodaran sagt an anderer Stelle, dass weiche Faktoren (wie z.B. der Markenname, die Qualität des Managements etc.) in vielen Fällen zwar als Begründung für eine hohe Bewertung herangezogen werden, in der Praxis aber im Grunde genommen kein Wertbeitrag daraus abgeleitet werden kann… jedenfalls so lange sich nicht explizit etwas Gegenteiliges aus den Finanzberichten herauslesen lässt (womit wir wieder beim Number Crunching wären 🙂 ).
Die Story hinter dem Investment: Die 3 Ps
Bewertungen entstehen aus Stories. Ihr fragt euch bestimmt, was ist damit nun genau gemeint ist? Nun, der Aktienkurs eines Unternehmens basiert in der Regel auf der am Markt vorherrschenden bzw. am ehesten akzeptierten Story… welche aber oft nur eins von vielen verschiedenen Zukunftsszenarien abbildet.
Das bedeutet also auch: Die enormen Diskrepanzen zwischen den Bewertungen ein und desselben Unternehmens sind in den vielen Fällen auf Abweichungen zwischen diesen verschiedenen Stories bzw. Erzählungen zurückzuführen.
Nehmen wir einmal Tesla: Handelt es sich bei dem Unternehmen am Ende doch um einen klassischen Auto-OEM (wenn auch mit Fokus auf E-Autos) oder eher um ein Technologieunternehmen mit einer zukunftsweisenden und vielleicht einzigartigen Technologie? Oder um irgendetwas dazwischen?
Unabhängig davon, wie wir nun diese konkrete Frage tatsächlich beantworten würden, steht eins fest: Die faire Bewertung des Unternehmens würde sich je nach Story vermutlich relativ stark unterscheiden (was wir ja an der Marktbewertung und den vielen verschiedenen Analystenmeinungen tagtäglich auch beobachten können).
Es ist also wichtig, dass wir im Rahmen unserer Bewertung die “richtige”, heißt die wahrscheinlichste aller zukünftigen Stories identifizieren (d.h. anders ausgedrückt das wahrscheinlichste Zukunftsszenario).
Natürlich ist es nahezu unmöglich, das eine richtige Zukunftsszenario ex ante herauszuarbeiten. Eins können wir allerdings laut Aswath Damodaran tun: Wir können die Stories anhand eines relativ einfachen Prüfschemas (die 3 Ps) auf ihre Realisierungswahrscheinlichkeit hin testen.
Im Wesentlichen müssen wir zu jedem Szenario bzw. jeder Story die folgenden drei Fragen stellen (und natürlich auch beantworten):
- Ist das Szenario überhaupt möglich bzw. realistisch? (“Is it possible?”)
- Ist das Szenario darüber hinaus auch plausibel? (“Is it plausible?”)
- Und schlussendlich: Besitzt das Szenario eine gewisse (und nicht zu niedrige) Eintrittswahrscheinlichkeit? (“Is it probable?”)
Viele Zukunftsstories sind möglich, einige Stories sind auch plausibel, nur sehr wenige allerdings sind auch wahrscheinlich.
Bottom Line: 3 Learnings von Aswath Damodaran
Aswath Damodaran, der “Dean of Valuation”, wird als Professor für die Unternehmensbewertung fast zwangsläufig als Methodik-Junkie wahrgenommen (weil es seine Rolle ja auch zu einem gewissen Teil erfordert).
Wer allerdings seine Veröffentlichungen, seien es nun Skripte, Bücher oder auch Podcasts, aufmerksam verfolgt, wird schnell feststellen, dass Aswath Damodaran ein sehr gut austariertes Bild von den Methoden zur Unternehmensbewertung (insbesondere auch vom DCF-Verfahren) zeichnet.
Neben der eigentlichen Mechanik eines DCF-Modells geht er beispielsweise detailliert auch auf die Schwachstellen solcher Modelle ein und hebt die Notwendigkeit nach einer plausiblen Equity Story sowie auch nach einem möglichst einfachen Bewertungsansatz hervor.
Von allen Inhalten von Aswath Damodaran, die ich bisher konsumiert habe (und es waren viele 🙂 ), hat mich die Forderung nach Vereinfachung und nach einer “Top-Down Herangehensweise” (wenn man es so formulieren kann) am meisten beeinflusst.