In meinem 1×1 der Bewertungsverfahren bin ich vor einiger Zeit bereits grob auf die Unterschiede zwischen dem Wert der operativen Assets (oder Enterprise Value bzw. EV) und dem Wert des Eigenkapitals (oder Equity Value) eingegangen.
Was steckt aber nun genau hinter der Umrechnung? Welche Bilanzpositionen müssen wir eigentlich genau abziehen und welche hinzuaddieren? Auf diese Fragen bin ich bisher zugegebenermaßen nicht im Detail eingegangen.
In diesem Artikel möchte ich das einmal nachholen und die konkrete Umrechnung zwischen Enterprise Value und Equity Value etwas näher beleuchten.
Recap: Equity Value versus Enterprise Value
… oder Wert des Eigenkapitals versus Wert der operativen Assets!
Wenn wir ein Unternehmen bewerten, dann geht es uns als Privatinvestoren in den meisten Fällen (oder vermutlich sogar in allen Fällen) um die Bestimmung des fairen Werts des Eigenkapitals. Wir möchten also wissen, ob wir beim aktuellen Kurs die Aktien eines Unternehmens am besten kaufen sollten… oder lieber doch nicht.
Allerdings berechnen wir mit den meisten Bewertungsverfahren den Wert des Eigenkapitals nicht direkt, sondern machen den Umweg über den Enterprise Value.
Egal ob DCF auf Basis des FCFF, Earnings Power Value, EBIT Multiple oder SOTP: In jedem dieser Bewertungsverfahren berechnen wir zunächst den Wert der operativen Assets. Erst im Anschluss leiten wir daraus dann den Wert des Eigenkapitals bzw. den Equity Value ab.
In meinem 1×1 der Bewertungsverfahren hatte ich die folgende Darstellung zur Erläuterung des Unterschieds zwischen Enterprise Value und Equity Value verwendet:
Auf der einen Seite haben wir den Wert der operativen Assets. Das ist alles, was mithilfe der im Unternehmen vorhandenen produktiven Vermögenswerte erwirtschaftet wird. Vorhandenes Cash und gehaltene Beteiligungen sind also außen vor.
Auf der anderen Seite haben wir den Wert des Eigenkapitals, der sich aus dem Wert des Gesamtunternehmens (Firmenwert) nach Abzug der Gesamtschulden ergibt.
Der Enterprise Value ist also NICHT gleich dem Firmenwert.
Wir haben hier zwei verschiedene Perspektiven, die wir betrachten müssen:
- die Sicht der Kapitalgeber: Der EV steht allen Kapitalgebern zur Verfügung, der Equity Value nur den Eigenkapitalgebern
- den Bewertungsumfang: Der EV repräsentiert nur den Wert der operativen Assets, der Equity Value den entsprechenden Anteil am Firmenwert
Die Formel für die Überführung von Enterprise Value in Equity Value sieht folgendermaßen aus:
Wert des Eigenkapitals = Wert der operativen Assets – Nettoverschuldung
oder etwas detaillierter
Wert des Eigenkapitals = Wert der operativen Assets – Schulden & Äquivalente – Minderheitsanteile – Vorzugsaktien + Barmittel & Äquivalente
bzw.
Equity Value = Enterprise Value – Debt & Debt Equivalents – Non-controlling Interest – Preferred Stock + Cash & Cash Equivalents
Im Folgenden gehe ich einmal auf die einzelnen Bestandteile der Formel ein und erläutere, ob und mit welchem Bewertungsansatz wir bestimmte Bilanzpositionen berücksichtigen sollten.
Etwas verwirrend könnte hier übrigens der Umstand sein, dass der Begriff Nettoverschuldung nicht immer einheitlich verwendet wird. Aber dazu gleich mehr.
Schulden & Äquivalente
Eine allgemeine Regel besagt zunächst einmal, dass die Schulden, die wir vom Wert der operativen Assets subtrahieren, mindestens den Umfang der zur Berechnung der Kapitalkosten herangezogenen Schulden haben sollten.
Folgende Bilanzpositionen können (!!) für die Berechnung der Schulden im Rahmen der Unternehmensbewertung relevant sein:
- alle zinstragenden Schulden (kurzfristig und langfristig)
- erwartete Verbindlichkeiten aus Rechtsstreitigkeiten etc.
- ungedeckte Pensionsverpflichtungen
- Latente Steuerschulden
- Operative Leasingverträge
- Weitere Off-Balance Sheet Verpflichtungen
Zinstragende Schulden
Die zinstragenden Schulden, in der Bilanz oft mit “Long-term Debt” und “Current Portion of Short-term Debt” bezeichnet, sind für die Berechnung der Nettoverschuldung gesetzt.
Im einfachsten Fall entspricht die Nettoverschuldung also einfach den zinstragenden Schulden korrigiert um die vorhandenen Barmittelbestände (die ja direkt verwendet werden könnten, um die Schulden zu tilgen).
Dies ist auch die Definition, die auf den meisten Finanzwebseiten (sofern eine Info zur Nettoverschuldung zur Verfügung gestellt wird) und in den meisten standardisierten Bewertungsmodellen (z.B. auf Gurufocus.com oder Finbox.io) verwendet wird. Das liegt aber vor allem daran, dass sich diese Bilanzpositionen immer recht eindeutig zuordnen lassen.
In der Regel hat ein Unternehmen aber darüber hinaus noch weitere Verpflichtungen, die wir richtigerweise als Schulden klassifizieren müssten.
Erwartete Verbindlichkeiten aus Rechtsstreitigkeiten
… oder Expected Liabilities on Lawsuits.
Da wären zunächst die erwarteten Verbindlichkeiten aus Rechtsstreitigkeiten.
Wenn wir ein Unternehmen analysieren, das aktuell als Beklagter in einen Rechtsstreit involviert ist (und wo ggf. eine hohe Schadenersatzforderung drohen könnte… siehe z.B. VW und Dieselgate), dann sollten wir die erwartete Verbindlichkeit auf Basis der Eintrittswahrscheinlichkeit abschätzen und als Schulden in unserer Kalkulation berücksichtigen.
Wenn also z.B. eine 10%ige Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Unternehmen den Rechtsstreit verliert und die erwartete Schadenssumme bei 1 Mrd. EUR liegt, dann würden wir den Unternehmenswert um 100 Mio. EUR reduzieren (Wahrscheinlichkeit x erwarteter Schaden).
Wenn die erwartete Verbindlichkeit erst in einigen Jahren erwartet wird, dann sollten wir entsprechend nur den Barwert der Schadenssumme berücksichtigen.
Ungedeckte Pensionsverpflichtungen
… oder Unfunded Pension Obligations!
Viele Unternehmen mit einer langen Historie – gerade in Europa oder den USA – haben ihren (ehemaligen) Mitarbeitern in der Vergangenheit relativ hohe Pensionsversprechungen gemacht. Den Barwert dieser zukünftigen Verpflichtungen (Pension Liabilities) müssen wir natürlich wie eine Verbindlichkeit behandeln.
Der Verbindlichkeit gegenüber steht in der Regel das so genannte Pensionsvermögen (die Pension Assets). Das heißt die Unternehmen haben bereits etwas zurückgelegt, um die Pensionen später auszahlen zu können.
Diese Vermögenswerte müssen wir natürlich entsprechend gegenrechnen und berücksichtigen somit nur eine ggf. existierende Nettoverbindlichkeit (die meisten Pensionspläne sind vermutlich nicht zu 100% gedeckt).
Latente Steuerschulden
… oder Deferred Income Taxes!
Latente Steuerschulden sind ebenfalls eine sehr oft vorkommende Bilanzpositionen und zwar sowohl auf der Aktivseite als auch auf der Passivseite der Bilanz.
Diese Positionen haben mit der Tatsache zu tun, dass bestimmte Vermögenswerte oder Schulden für das Finanzamt mit anderen Wertansätzen kalkuliert werden dürfen bzw. müssen. D.h. die steuerrechtliche und die handelsrechtliche Gewinnermittlung unterscheiden sich in gewissen Punkten, was bzgl. der Steuerschulden zu einer Korrekturposition in der handelsrechtlichen Bilanz führt.
Aber wichtig: Diese Unterschiede sollten sich über Zeit wieder auflösen.
Von den hier aufgeführten Verbindlichkeiten sind die latenten Steuerschulden am wenigsten klar definiert. Das liegt vor allem daran, dass meistens nicht klar ist, zu welchem Zeitpunkt (und ob überhaupt) diese Verpflichtung fällig wird.
Komplett ignorieren sollten wir die latenten Steuern aber trotzdem nicht, denn es könnte gut sein, dass eine Firma in der Zukunft diese Steuern zahlen muss.
Aswath Damodaran, Autor des Little Book of Valuation schlägt vor, die Steuerverbindlichkeit erst dann zu betrachten, wenn das Gewinnwachstum eines Unternehmens nachlässt.
Wenn wir also erwarten, dass ein Unternehmen noch 10 Jahre lang stabil wächst, dann sollten wir die Steuerschuld über den entsprechenden Zeitraum abzinsen und den korrigierten Wert vom EV abziehen… wenn erst in 10 Jahren gezahlt wird, ist die Verbindlichkeit unter Berücksichtigung des Zinseszinseffekts heute natürlich viel niedriger.
Operatives Leasing
Bzgl. der Berücksichtigung von operativen Leasingverträgen sollten wir vor allem konsistent sein.
Berücksichtigen wir die Leasingverträge als zusätzliche Schulden (fügen sie also zur Passivseite der Bilanz hinzu), dann sollten wir entsprechend auch die Gewinn- und Verlustrechnung und die Aktivseite der Bilanz anpassen (wie das geht erfahrt in in meinem Artikel zum operativen Leasing).
Für die Ermittlung des Eigenkapitalwertes ziehen wir die kapitalisierten Schulden dann vom Enterprise Value in voller Höhe ab.
Weitere Off-Balance Sheet Verpflichtungen
Es kann darüber hinaus noch weitere Verpflichtungen geben, die zwar nicht als Schulden in der Bilanz erscheinen, trotzdem aber eine Verbindlichkeit darstellen, die wir ggf. berücksichtigen sollten.
Ein Beispiel für eine solche Verpflichtung wäre ein so genannter Take-or-Pay Vertrag. Dabei handeltes sich um einen Vertrag, der ein Unternehmen dazu zwingt, eine bestimmte Menge eines Rohstoffes oder eines Vormaterials abzunehmen (und auch zu bezahlen), unabhängig davon, ob dieser Rohstoff in der Produktion aktuell überhaupt gebraucht wird.
An dieser Formulierung könnt ihr schon erkennen, wann das eventuell relevant werden würde.
Solange wir keinen größeren Einbruch des operativen Geschäfts prognostizieren, werden die Materialien in der Regel für den kurzfristigen Verbrauch im Business eingekauft. In diesem Fall würden wir die Verpflichtung nicht nochmal zusätzlich als Schulden abziehen.
Umgekehrt verhält es sich für den Fall eines erwarteten Rückgangs des operativen Geschäfts. In diesem Fall müsste das Unternehmen die Materialien ggf. trotzdem abnehmen, obwohl kein Bedarf danach besteht. Dies wäre dann eine Verbindlichkeit, die wir berücksichtigen müssten.
Infos zu solchen Verbindlichkeiten finden sich, sofern vorhanden, im Anhang zu den Financials.
Minderheitsanteile (Minority Interest)
Dieser Punkt ist glaub ich relativ klar.
Wenn es Minderheitenaktionäre gibt, d.h. ein Teil des Unternehmens also jemand anderem als den Aktionären gehört, dann müssen wir das entsprechend berücksichtigen und den Anteil dieser Minderheiten vom Enterprise Value abziehen.
Vorzugsaktien (Preferred Stock)
Ähnlich verhält es sich mit so genannten Vorzugsaktien.
Wenn ein Unternehmen Vorzugsaktien begeben hat, dann sollten wir auch den Wert dieser Aktien vom Enterprise Value abziehen, um den Wert des Eigenkapitals bzw. des Stammkapitals zu ermitteln.
Idealerweise sollten wir den Wert der Vorzugsaktien auf Basis des aktuellen Marktwertes bestimmen (sofern die Aktie gehandelt wird). Alternativ können wir den Marktwert auf Basis des Wertes der Stammaktien abschätzen.
Cash & Äquivalente
Haben wir einmal den Enterprise Value um die Schulden, die Minderheitsanteile sowie den Wert der Vorzugsaktien gemindert, müssen wir abschließend die verfügbaren Barmittel wieder hinzuaddieren, um den Wert des Eigenkapitals bzw. den Equity Value zu erhalten.
Als Barmittel bzw. Cash & Äquivalente werden in diesem Fall die folgenden Bilanzpositionen bezeichnet (schaut euch hierzu auch meinen Artikel zur Definition von Cash an):
- Cash & Äquivalente
- Kurzfristige investments (Short-Term Marketable Securities)
- Langfristige Investments (Long-Term Marketable Securities)
Gegebenenfalls sollten wir noch einen Teil der Barmittel (eine Regel besagt ca. 2% des Umsatzes) als operativ benötigtes Cash klassifizieren. Dies wäre dann implizit bereits im Enterprise Value enthalten und sollte deshalb von uns nicht nochmal hinzuaddiert werden.
Es ergibt sich also folgende Berechnungsmethodik:
Cash & Äquivalente = Barmittel & Äquivalente + kurzfristige Investments + langfristige Investments – für den operativen Betrieb erforderliche Barmittel
Fazit
Der Enterprise Value entspricht nicht dem Firmenwert, sondern repräsentiert “nur” den Wert der operativen Assets eines Unternehmens.
Aus diesem Wert der operativen Assets können wir den Wert des Eigenkapitals ableiten, indem wir die Werte von Schulden, Minderheitsanteilen, und Vorzugsaktien vom Enterprise Value abziehen sowie die nicht für den operativen Betrieb des Unternehmens benötigten Barmittel & Äquivalente hinzuaddieren.
Bzgl. der Schulden interessieren uns in der Regel nicht nur die zinstragenden Verbindlichkeiten, sondern auch andere schuldenähnliche Verpflichtungen wie ungedeckte Pensionsverpflichtungen, Steuerschulden, nicht aktivierte Leasingverträge etc.