Immer wenn der neue Aktionärsbrief von Warren Buffett veröffentlicht wird, gibt es kurz danach eine Vielzahl an Artikeln und Posts, die sich mit den Inhalten und den wesentlichen neuen Insights daraus auseinandersetzen. Auch die großen US-Medien wie das Wall Street Journal und die New York Times schreiben regelmäßig darüber. Seit dem 25. Februar 2023 ist der Shareholder Letter für das abgelaufene Geschäftsjahr 2022 nun zum Download auf der Webseite von Berkshire Hathaway verfügbar.
Ich habe den Brief inzwischen ein paar Mal gelesen. Meine wesentliche Feststellung: Buffett ist über die Jahre sehr konsistent in seinen Aussagen und wiederholt bestimmte Punkte in regelmäßigen Abständen. Es gibt also in diesem Jahr vielleicht nicht viel grundlegend Neues zu lesen, aber dafür wieder eine gute Erinnerung an ein paar von Buffett’s zeitlosen Erkenntnissen und Wahrheiten.
In diesem Jahr besteht der Shareholder Letter in Summe übrigens nur aus 10 Seiten (9 abzüglich der historischen Return-Übersicht ganz zu Beginn). Im Gegensatz zu einigen von Buffett’s älteren Aktionärsbriefen könnt ihr diesen also ganz bequem in einer halben Stunde gründlich durchlesen.
Insights aus Warren Buffetts Aktionärsbrief
In Buffett’s Aktionärsbrief des Jahres 2023 (bezieht sich auf das abgelaufene Geschäftsjahr 2022) habe ich die folgenden 5 besonders erwähnenswerten Punkte identifiziert (mal mit meinen eigenen Worten beschrieben):
- Keine (= Null) Toleranz für persönliches Fehlverhalten im Management. CEO ist gleichzeitig Chief Risk Officer und steht idealerweise mit eigenem Geld mit im Risiko
- Auch Minderheitsbeteiligungen sind Beteiligungen an Unternehmen (und keine “Aktieninvestments”)
- Es braucht nicht viele “Gewinner” im Portfolio, um einen überdurchschnittlichen Return zu erzielen
- GAAP Earnings sind oft nicht besonders aussagekräftig… Adjusted Earnings aber auch nicht unbedingt
- Aktienrückkäufe sollten nicht grundsätzlich verteufelt werden. In bestimmten Konstellationen profitieren im Gegenteil sogar alle Beteiligten davon
Im Folgenden ein paar Details zu den einzelnen Punkten.
1. Qualitäten von CEOs und Managern
Bzgl. der Qualitäten von CEOs und hochrangigen Managern (damit sind in diesem Fall die CEOs der Tochterunternehmen von Berkshire gemeint) geht Buffett in seinem aktuellen Aktionärsbrief auf drei Punkte ein.
Zum einen bekräftigt er nochmal seine “Null-Toleranz-Politik” gegenüber persönlichem Fehlverhalten von CEOs und Managern:
We are understanding about business mistakes; our tolerance for personal misconduct is zero. – Warren Buffett
Damit deckt Buffett nicht nur tatsächlich kriminelles Verhalten ab, sondern auch andere Aspekte, wie z.B. persönliche Bereicherungen (private Nutzung von Firmeneigentum), intransparente bzw. optimierte Rechnungslegung (“Earnings Management“) und so weiter. Was er allerdings explizit ausschließt, sind Fehler im geschäftlichen Kontext, wie z.B. falsche Strategieentscheidungen oder Ähnliches… die können vorkommen und haben nichts mit der Integrität der Person zu tun.
Zum Thema “kreatives Accounting” hier nochmal ein an anderer Stelle im Aktionärsbrief vorkommendes Zitat:
It requires no talent to manipulate numbers: Only a deep desire to deceive is required. “Bold imaginative accounting,” as a CEO once described his deception to me, has become one of the shames of capitalism. – Warren Buffett
Zum anderen hebt Buffett nochmal die Anforderung an ein ausgewogenes Risikomanagement hervor, wobei er die Verantwortung dafür klar beim CEO verortet:
We will also avoid behavior that could result in any uncomfortable cash needs at inconvenient times, including financial panics and unprecedented insurance losses. Our CEO will always be the Chief Risk Officer – a task it is irresponsible to delegate. – Warren Buffett
Ich interpretiere diesen Punkt vor allem als Warnung vor einer zu hohen Verschuldung, die ggf. in Krisenzeiten auf der Cash-Seite zu unkalkulierbaren Risiken führen kann.
Zum guten Schluss legt Buffett außerdem Wert darauf, dass ein CEO dazu bereit ist, mit seinem eigenen Geld in sich selbst bzw. die Firma, die er leitet, zu investieren. Im Text bezieht er diesen Punkt zwar insbesondere auf seinen eigenen Nachfolger bzw. seine eigene Nachfolgerin bei Berkshire:
Additionally, our future CEOs will have a significant part of their net worth in Berkshire shares, bought with their own money. – Warren Buffett
Ich denke allerdings, dass Buffett auch für seine Beteiligungsunternehmen generell Personen mit “Skin in the Game” bevorzugt.
2. “Business Pickers” versus “Stock Pickers”
Im Shareholder Letter schreibt Buffett an einer Stelle das Folgendes:
Charlie and I are not stock-pickers; we are business-pickers. – Warren Buffett
Auch dieser Punkt ist im Grunde genommen zwar nicht neu (siehe hier). Um zu verstehen, was genau er damit meint, erläutere ich aber einmal kurz das grundsätzliche Setup von Berkshire Hathaway.
Buffett und Munger investieren das ihnen zur Verfügung stehende Kapital i.W. in zwei verschiedene Eigentumsformen:
- Zum einen investieren sie in Geschäfte bzw. Unternehmen, die sie selbst kontrollieren (normalerweise kaufen sie gleich 100% der Anteile). In dieser Kategorie ist Berkshire (Corporate) für die Kapitalallokation zuständig und wählt die CEOs aus, die die täglichen operativen Managemententscheidungen treffen
- Zum anderen investieren sie in börsengelistete Unternehmen. An diesen Unternehmen hält Berkshire dann passiv einen kleineren Anteil und nimmt i.d.R. keinen Einfluss auf die Managemententscheidungen (es sei denn, Berkshire hat einen Sitz im Board of Directors und darüber ein Mitspracherecht – wie z.B. bei Kraft Heinz der Fall)
Gemeinsamer Nenner bei beiden Arten von Investments ist aber der Anspruch, in Unternehmen bzw. Geschäfte (“Businesses”) zu investieren, die langfristig vorteilhafte wirtschaftliche Charakteristika besitzen und von integren, vertrauenswürdigen Managern geleitet werden.
Buffett und Munger investieren also nicht in börsengelistete Unternehmen, um mit kurzfristig orientierten Käufen und Verkäufen eine Marge zu erzielen.
Oder mit Buffett’s eigenen Worten ausgedrückt:
Our goal in both forms of ownership is to make meaningful investments in businesses with both long-lasting favorable economic characteristics and trustworthy managers. Please note particularly that we own publicly-traded stocks based on our expectations about their long-term business performance, not because we view them as vehicles for adroit purchases and sales. – Warren Buffett
Warum aber überhaupt Investments in gelistete Unternehmen, bei denen man nicht die Kontrolle ausüben kann und deren Bewertungen teilweise sehr volatil geworden sind? Nun, vor allem deshalb, weil Anteile an börsengelisteten Unternehmen manchmal zu sehr attraktiven Konditionen erworben werden können (was bei Komplettübernahmen in der Regel nicht der Fall ist).
It’s crucial to understand that stocks often trade at truly foolish prices, both high and low. – Warren Buffett
Laut Buffett existieren Konzepte wie die Effizienzmarkthypothese nur in Textbüchern. In der Realität weichen die Marktwerte zeitweise teils substantiell von den tatsächlichen Werten ab:
“Efficient” markets exist only in textbooks. In truth, marketable stocks and bonds are baffling, their behavior usually understandable only in retrospect. – Warren Buffett
3. Wenige Gewinner reichen aus (“The Secret Sauce”)
Im Berkshire Aktionärsbrief 2023 gibt es einen Abschnitt, der vielsagend mit “The Secret Sauce” betitelt wurde… also übersetzt sowas wie “die geheime Zutat”.
Die wesentliche Lektion dieses Abschnitts fasst Buffett wie folgt zusammen:
The weeds wither away in significance as the flowers bloom. Over time, it takes just a few winners to work wonders. And, yes, it helps to start early and live into your 90s as well. – Warren Buffett
Mit meinen Worten ausgedrückt: Es braucht nur wenige Gewinner im Portfolio. Langfristig betrachtet werden diese die ebenfalls unvermeidbaren Verlierer klar in den Schatten stellen.
Buffett gibt hierzu ein konkretes Beispiel:
Sowohl in Coca Cola als auch in American Express hat er in den 1990er Jahren ca. 1,3 Mrd. USD investiert… damals (1995) machten diese beiden Beteiligungen zusammengenommen ~50% des Public Equity Portfolios aus. Ende 2022 lag der Marktwert nun in Summe bei ca. 47 Mrd. USD… aktuell ca. 15% des gesamten Equity Portfolios von Berkshire Hathaway.
Hätte Buffett damals nun weitere 1,3 Mrd. USD in ein stagnierendes Unternehmen mit über die Jahre konstanter Marktkapitalisierung investiert, dann würde dieses heute nur noch einen Bruchteil am Gesamtportfolio ausmachen (ca. 0,5%)… verschwindend gering also im Vergleich zu den beiden Gewinnern Coca Cola und AMEX.
Was Buffett in seinem Brief allerdings nicht explizit erwähnt: Der durchschnittliche Return wird durch die fehlgeschlagenen Investments allerdings schon mehr oder weniger stark negativ beeinflusst.
4. “GAAP Earnings” versus “Adjusted Earnings”
Auch in diesem Jahr geht Buffett auf die aus seiner Sicht nicht zielführende Vorgabe von US-GAAP ein, die ihn dazu verpflichtet, nicht realisierte Kursgewinne bzw. -verluste (Capital Gains bzw. Losses) in seinem Beteiligungsportfolio als Gewinn bzw. Verlust in der GuV zu verbuchen, also das so genannte Mark-to-Market Accounting zu verwenden.
Hier Buffett’s Kommentar dazu:
The GAAP earnings are 100% misleading when viewed quarterly or even annually. Capital gains, to be sure, have been hugely important to Berkshire over past decades, and we expect them to be meaningfully positive in future decades. But their quarter-by-quarter gyrations, regularly and mindlessly headlined by media, totally misinform investors. – Warren Buffett
Auch hier zur Illustration ein treffendes Beispiel aus dem eigenen Haus:
GAAP versus Non-GAAP Earnings; Quelle: Shareholder Letter Berkshire Hathaway 2023
Wie ihr sehen könnt, hat Berkshire z.B. im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2022 laut GAAP einen Verlust von fast 44 Mrd. USD ausgewiesen. Entsprechend plakativ haben einige (große) Medienhäuser das Ergebnis kommentiert:
Aus Buffett’s Sicht sind solche Headlines leider dazu geeignet, unbedarfte (und vielleicht etwas uninformierte) Investoren hochgradig zu verunsichern.
Aus diesem Grund veröffentlicht Berkshire eine Kennzahl namens “Operating Earnings”, bei der es sich um einen um ganz bestimmte Sondereffekte bereinigten operativen Gewinn handelt. Buffett rechnet nämlich die oben angesprochenen Buchgewinne bzw. -verluste seines Aktienportfolios aus dem operativen Gewinn nach US-GAAP heraus (ich nenne das jetzt zum besseren Verständnis mal Aktienportfolio, auch wenn Buffett immer von Unternehmensbeteiligungen spricht – siehe Punkt 2).
Die Begründung ist klar: Der Großteil des ausgewiesenen Verlusts ist auf die Reaktion des Aktienmarktes nach dem Ausbruch der Ukrainekrise im Februar 2022 zurückzuführen. Es handelt sich also nicht um real aufgelaufene Verluste. An den Ergebnissen des vierten Quartals lässt sich tatsächlich bereits die entsprechende Gegenbewegung erkennen.
Hätte Buffett nach den Kurseinbrüchen natürlich in Panik alles verkauft (also seine Beteiligungen an Coca Cola, AMEX, Apple etc. abgestoßen), dann wäre das nochmal eine andere Geschichte. So allerdings sind die GAAP-Earnings nicht wirklich repräsentativ für das, was tatsächlich im operativen Geschäft passiert ist.
Quasi im gleichen Atemzug, mit dem er die Anpassung der GAAP-Kennzahl befürwortet, spricht er allerdings auch eine Warnung aus:
Even the operating earnings figure that we favor can easily be manipulated by managers who wish to do so. Such tampering is often thought of as sophisticated by CEOs, directors and their advisors. Reporters and analysts embrace its existence as well. Beating “expectations” is heralded as a managerial triumph. – Warren Buffett
Selbst die von ihm favorisierte Kennzahl für das Betriebsergebnis kann von weniger integren Managern leicht manipuliert werden… was laut Buffett oftmals leider als besondere Fähigkeit angesehen und von wesentlichen Stakeholdern (Aufsichtsräte, Berater, Analysten, Journalisten) sogar explizit gefeiert wird. Aus diesem Grund sollten Investoren bei Unternehmen mit “kreativem Accounting” besonders aufpassen (Stichwort Integrität der handelnden Personen).
5. Aktienrückkäufe
Auch das Thema Aktienrückkäufe ist uns aus Buffett’s älteren Aktionärsbriefen schon recht gut bekannt. Im aktuellen Brief geht Buffett auf die manchmal in der Öffentlichkeit und auch der Wirtschaftsliteratur vertretene Sichtweise ein, dass Aktienrückkäufe ganz generell den Aktionären schaden… oder aber ausschließlich dem CEO nutzen:
When you are told that all repurchases are harmful to shareholders or to the country, or particularly beneficial to CEOs, you are listening to either an economic illiterate or a silver-tongued demagogue (characters that are not mutually exclusive). – Warren Buffett
Buffett hat seinen Standpunkt hierzu schon des Öfteren artikuliert (siehe auch meine Artikel zum Thema Aktienrückkäufe bzw. Share Buybacks): Solange es sich um wertsteigernde Aktienrückkäufe handelt – d.h. diese unterhalb des fairen Wertes der Aktie durchgeführt werden – kommen sie zwar insbesondere den verbleibenden Aktionären zu Gute.
Wenn allerdings ein gut informierter Aktionär seine Aktien aus bestimmten Gründen verkaufen möchte und den aktuellen Preis als attraktiv einschätzt, dann stellt ein Verkauf an das Unternehmen selbst auch für ihn eine attraktive Option dar. Diesen Punkt illustriert Buffett mit dem folgenden Beispiel:
Imagine, if you will, three fully-informed shareholders of a local auto dealership, one of whom manages the business. Imagine, further, that one of the passive owners wishes to sell his interest back to the company at a price attractive to the two continuing shareholders. When completed, has this transaction harmed anyone? Is the manager somehow favored over the continuing passive owners? Has the public been hurt? – Warren Buffett
Key Take Aways
Der im Februar 2023 veröffentlichte Brief an die Berkshire Hathaway Aktionäre beinhaltet auch in diesem Jahr wieder ein ganze Reihe interessanter Zitate und “Investorenweisheiten”.
Inhaltlich enthält der Brief zwar nichts wesentlich Neues. Allerdings versteht es Buffett nach wie vor wie kein Zweiter, die Dinge auf den Punkt zu bringen und anschaulich zu erklären.
Also zusammenfassend: Wieder einmal eine gute Auffrischung bestimmter Themenkomplexe rund um das Thema Value Investing.
Weitere Ressourcen
Überblick über interessante und lesenswerte Aktionärsbriefe:
- Der Brief an die Aktionäre: Wichtiger Einstieg in die Lektüre des Geschäftsberichts
- Must Read: Die Aktionärsbriefe der Top-Investoren
- Gute Shareholder Letters Teil 2: Deutsche Beteiligungsgesellschaften
- Investorenbriefe Teil 3: Kleinere Value Fonds und Fonds Advisors
Meine Zusammenfassungen der letzten Berkshire Hathaway Shareholder Letter:
- Meine Top 4 Learnings aus dem 2017 Berkshire Shareholder Letter
- Lessons Learned aus dem 2018 Berkshire Hathaway Aktionärsbrief
- Buffett’s Brief an die Berkshire Hathaway Aktionäre 2019: Das können wir lernen
- Buffett’s Brief an die Berkshire Hathaway Aktipnäre 2020: Meine 5 Take Aways
- Buffett’s Shareholder Letter 2021: Wieder guter Lesestoff