Intuitiv wissen wir, dass das Zinsniveau und die Bewertung von Unternehmen an der Börse – ausgedrückt durch das P/E Ratio oder das Kurs-Gewinn-Verhältnis KGV – irgendwie zusammenhängen. Und da auch Warren Buffett diesen Punkt in seinem neuesten Brief an die Aktionäre von Berkshire Hathaway noch einmal hervorgehoben hat (und auch weil es für die relativen Bewertungsverfahren ja ggf. nicht ganz unerheblich ist), möchte ich auf den Zusammenhang in diesem Artikel einmal kurz eingehen.
Hier aber zunächst nochmal das Zitat von Warren Buffett aus dem Shareholder Letter 2018:
I want to quickly acknowledge that in any upcoming day, week or even year, stocks will be riskier – far riskier – than short-term U.S. bonds. As an investor’s investment horizon lengthens, however, a diversified portfolio of U.S. equities becomes progressively less risky than bonds, assuming that the stocks are purchased at a sensible multiple of earnings relative to then-prevailing interest rates. – Warren Buffett (Berkshire Hathaway Aktionärsbrief 2018)
Im Grunde genommen sagt Buffett hier, dass ein Investment in ein diversifiziertes Aktienportfolio weitaus weniger risikoreich ist, als ein Investment in Staats- oder Unternehmensanleihen. Voraussetzung ist allerdings ein Kauf der Aktien zu einem günstigen Price/Earnings Multiple (P/E Ratio bzw. KGV)… und zwar günstig in Relation zum aktuellen Zinsniveau!
Buffett sagt also implizit auch, dass ein Zusammenhang zwischen Zinsniveau und KGV existieren sollte.
Ein Zusammenhang zwischen KGV und Zinsniveau ist logisch
Ein solcher Zusammenhang ließe sich rein logisch ja über die Umschichtungen von Investitionskapital von einer Anlageklasse in die andere erklären:
- Geht das Zinsniveau herunter, wie nach der Finanzkrise im Jahr 2008 geschehen, werden Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere recht unattraktiv (vor allem, wenn der Zins bis auf nahe Null heruntergeht, wie aktuell der Fall)
- Die Investoren fangen dann damit an, ihr Kapital aus den festverzinslichen Wertpapieren abzuziehen und investieren vermehrt in den Aktienmarkt bzw. in alternative Anlagen wie Immobilien (sie schichten also ihr Kapital um)
- Durch die zunehmende Nachfrage nach Aktien steigen die Aktienkurse schneller an, als die Gewinne, was zu einem Anstieg der Kurs-Gewinn-Verhältnisse im Gesamtmarkt führt
Soweit schonmal die Theorie.
Für die konkrete Unternehmenswertung, z.B. mithilfe des relativen Absolute PE Verfahrens von Katsenelson oder des fairen KGV müssten wir allerdings sehr konkret wissen, bei welchem Zinsniveau wir welches PE als Basis KGV nutzen sollten bzw. mit welchem Faktor wir unser Basis KGV/Sockel KGV gg. anpassen sollten.
Die Begriffe Basis PE bzw. Sockel KGV werden in meinen Artikeln zum Absolute PE Modell bzw. zur Bewertung mithilfe des fairen KGV genau erklärt.
Daten zeigen klaren Zusammenhang zwischen P/E und Zinsniveau
Zufälligerweise bin ich nun im Rahmen meines Researchs auf ein paar Daten von Aswath Damodaran, dem Autor des “Little Book of Valuation” gestoßen, in denen der Earnings Yield (also der Kehrwert des KGV bzw. des P/E) in Beziehung zur T-Bond Rate (also dem Zinssatz der 10- bis 30-jährigen US-Staatsanleihen) in Beziehung gesetzt wird.
Die Daten sind natürlich für den US-Markt angegeben, ich glaube aber, dass die Daten in anderen Märkten nicht unbedingt großartig anders aussehen würden (auch nicht, wenn wir noch 10 Jahre mehr zur Analyse hinzufügen).
Hier die Darstellung des Zusammenhangs der Daten (1960-2006):
Quelle: Aswath Damodaran
Wie ihr sehen könnt, gibt es tatsächlich einen relativ klaren Zusammenhang zwischen Zinsniveau und KGV (das KGV ist links in blauer Schrift zu sehen). Je niedriger die Zinsen, desto höher die durchschnittliche Bewertung des Aktienmarktes.
Unsere Theorie von oben wird also auch durch die Daten gestützt. Das ist schonmal gut.
Diese durchschnittliche Bewertung beinhaltet natürlich alle Unternehmen, also diejenigen mit starkem Wachstum (wie z.B. die großen Tech-Firmen), diejenigen mit mittelmäßigen oder niedrigen Wachstum und auch diejenigen ohne irgendwelches Wachstum.
Nutzbarkeit für Bewertungsmodelle
Ich gehe nun einmal davon aus, dass das Basis PE (Katsenelson) bzw. das Sockel KGV (Schmidlin) für einen durchschnittlich bewerteten Aktienmarkt gilt.
Im nächsten Schritt habe ich also einmal Folgendes gemacht: Ich habe (1) den durchschnittlichen Zinssatz sowie das durchschnittliche KGV (arithmetisches Mittel und Median geben hier sehr ähnliche Werte) über den gesamten Zeitraum ermittelt und in die Grafik eingetragen und (2) eine quadratische Trendlinie hinzugefügt.
Hier das Ergebnis:
Wie ihr sehen könnt, betrug der durchschnittliche Zinssatz über den gesamten Zeitraum ca. 6,7%, genauso wie der Earnings Yield, was einem KGV von ca. 15 (genauer gesagt, 14,9) entspricht.
Wenn wir nun einmal die Trendlinie als Annäherung nehmen, können wir folgende Anpassungsfaktoren für das Sockel KGV bzw. Basis PE ermitteln:
Beim aktuellen Zinsniveau – laut dem US-Finanzministerium liegen die Zinssätze für 10- bis 30-jährige Staatsanleihen aktuell bei ca. 2,8 bis 3,0% – müssten wir also nach der Logik von einem Basis KGV von 14,5 ausgehen, eine Erhöhung von 6-7 Punkten gegenüber einem Durchschnittsjahr.
Natürlich kann das Ganze nur eine Annäherung sein und die Berücksichtigung eines Aufschlags auf das KGV aufgrund des aktuell niedrigen Zinsniveaus hängt sehr stark von der zukünftigen Entwicklung des Zinsniveaus ab.
Sollten wir für die Berechnung des fairen KGV eine Anpassung für das Zinsniveau vornehmen
Die wesentliche Frage, die ich mir deshalb stelle: Sollten wir aufgrund des aktuellen Zinsumfeldes einen Aufschlag auf das KGV zahlen, wenn wir eine Aktie sehr langfristig, also über einen gesamten Geschäftszyklus, im Portfolio halten möchten.
Und damit in Zusammenhang stehend:
- Zu welchem Zeitpunkt glauben wir wird die Aktie ihren fairen Wert erreicht haben?
- Werden die Zinsen unserer Meinung nach zu diesem Zeitpunkt noch vergleichbar niedrig sein (und damit die Bewertungen an den Aktienmärkten sowie auch die fairen KGVs nach wie vor unverändert)?
Denn irgendwann wird das Zinsniveau ja wieder nach oben gehen und damit die relativ hohe Bewertung des Aktienmarktes wieder abnehmen.
Ich bin der Meinung (allerdings noch nicht final und unumstößlich :-)), dass wir überlegen sollten, welche Katalysatoren es für einen Kursanstieg geben könnte und wie lange es dauern könnte, bis der Markt den wahren Wert der Aktie erkannt hat.
Auf Basis dieser Einschätzung sollten wir dann überlegen
- wohin die Zinsen sich bis dahin vermutlich entwickeln werden
- wie die Wachstumsrate des Gewinns bis dahin aussieht
- wo das KGV ca. 1-2 Jahre vorher stehen wird
Für die Bewertung bzw. die Berechnung eines faires KGV sollten wir dann entsprechend die passenden Inputdaten verwenden. Allerdings wird das Ganze dann auch wieder etwas kompliziert, was ja eigentlich nicht die Intention der Bewertung mithilfe von Multiples ist.
Möchten wir eine Aktie langfristig (also 5 Jahre +) im Portfolio halten, dann sollten wir vermutlich nicht mit einem solchen Aufschlag arbeiten.
Fazit
Der theoretisch vorhandene Zusammenhang zwischen Zinsniveau und Bewertung des Aktienmarktes (ausgedrückt durch das Kurs-Gewinn-Verhältnis KGV), den auch Warren Buffett bereits mehrmals angesprochen hat, wird durch die realen Daten der Vergangenheit bestätigt.
Im Durchschnitt über alle Jahre (Grundlage waren die Jahre 1960 bis 2006) lag das Zinsniveau für 10- bis 30-jährige T-Bonds bei ca. 6,7%, das KGV bei ca. 15.
Entsprechend der Abhängigkeit vom Zinsniveau – der Referenzzins liegt aktuell bei ca. 3% – sollte das KGV des Aktienmarktes aktuell ca. 6-7 Punkte höher liegen. Dies wäre auch der Aufschlag, den für für eine Berechnung des Basis KGV berücksichtigen könnten, allerdings aus meiner Sicht nur, wenn wir glauben, dass wir die Aktie nicht lange halten werden bzw. der faire Wert bereits kurzfristig (d.h. bevor die Zinsen wieder angestiegen sind) erreicht wird.