Zinseszins und Zeitwert des Geldes bilden sozusagen die theoretische Grundlage allen Vermögensaufbaus. Nicht nur aus einer Laune heraus bezeichnete Albert Einstein den Zinseszins vor Ewigkeiten einmal als das achte Weltwunder.
Auf DIY Investor habe ich ja über die Zeit bereits recht viele Informationen zu Bewertungsansätzen, intrinsischen Werten etc. zusammengetragen. Das Thema Zeitwert des Geldes (und auch das für die Unternehmensbewertung so wesentliche Thema Diskontieren von Cash Flows) hatte ich allerdings bisher quasi als gesetzt angesehen.
In diesem Artikel nun also einmal der Vollständigkeit halber eine kurze Auffrischung der Grundlagen. 🙂
Zeitwert des Geldes und Zinseszins
Um sich dem Thema Zeitwert des Geldes bzw. Zinseszins zu nähern, können wir uns einmal eine ganz einfache Frage stellen, mit der wir quasi direkt ins Zentrum des Investierens (und auch der Unternehmensbewertung) vorstoßen:
Was würden wir bevorzugen: 8.000 EUR jetzt und sofort auf dem Konto oder doch lieber 10.000 EUR in 10 Jahren von heute?
Die Antwort auf diese Frage ist recht einfach: Das hängt davon ab!
Und zwar vom Zinssatz mit dem sich das Kapital zwischen heute und in 10 Jahren verzinsen könnte. Haben wir die Möglichkeit, unsere 8.000 EUR zu einem risikolosen Zinssatz von 2% über 10 Jahre anzulegen, dann ist das natürlich etwas anderes, als wenn wir 5% pro Jahr für unser Kapital erhalten würden:
Wir ihr sehen könnt, sind aus unseren 8.000 EUR bei einer jährlichen Verzinsung von 2% nicht ganz 10.000 EUR geworden. In diesem Fall würden wir also lieber die 10.000 EUR in 10 Jahren erhalten.
Bei einer Verzinsung von 5% hingegen haben wir nach 10 Jahren bereits über 13.000 EUR auf dem Konto, also weit mehr als die uns angebotenen 10.000 EUR. In diesem Fall würden wir also 8.000 EUR sofort bevorzugen.
Warum allerdings verstärkt sich der Effekt bei einer doch eher moderaten Zinserhöhung so sehr?
Der Clou: Die erhaltenen Zinsen verzinsen sich in den Folgejahren natürlich zusätzlich mit… deshalb auch der Begriff “Zinseszins”. Am besten schaut ihr euch als Illustration einmal die folgende tabellarische Aufstellung für den Fall einer Verzinsung mit 5% an:
Wie ihr sehen könnt, erhaltet ihr ab dem zweiten Jahr nicht nur Zinsen auf den ursprünglich investierten Betrag von 8.000 EUR, sondern zusätzlich auch auf die bis zum entsprechenden Jahr aufgelaufenen Zinsen (für das Jahr 2 also zusätzlich 5% von 400 EUR = 20 EUR).
Je höher also die Verzinsung, desto größer wird natürlich mit der Zeit der Zinseszinseffekt sein. Ganz praktisch können wir bei einem konstanten Zinssatz die bekannte CAGR-Formel für die schnelle Berechnung nutzen:
Kapital in der Zukunft = Kapital heute x (1 + Zinssatz)Anzahl Jahre = 8.000 x 1,0510 = 13.031 EUR
Relevanz des Zinseszins für die Unternehmensbewertung
Im Rahmen der Unternehmensbewertung begegnen wir in der Regel dem umgekehrten Fall. Das heißt wir haben eine Vorstellung davon, welche Mittelzuflüsse (Cash Flows) uns aus der Beteiligung an einem Unternehmen oder aus einer Immobilie in Zukunft zufließen werden und möchten gerne wissen, wie viel wir heute für den Erwerb der Beteiligung oder der Immobilie im Hinblick auf unseren Ziel-Return maximal zahlen dürften.
Bleiben wir einmal bei unserem Beispiel von oben und stellen uns eine Investition vor (z.B. per Crowdfunding in ein Start-up), bei der wir in 10 Jahren – beim Exit – eine Auszahlung von 10.000 EUR erhalten würden (wir vernachlässigen für den Moment einfach mal das Risiko welches ein solches Start-up Investment mit sich bringt und gehen davon aus, dass uns diese 10.000 EUR sicher zufließen werden). Für die Beteiligung fordert der Unternehmensgründer eine Kapitalinjektion i.H.v. 8.000 EUR.
Gleichzeitig haben wir als alternative Investitionsgelegenheit eine sichere Unternehmensanleihe, bei der wir eine Verzinsung von 5% pro Jahr erhalten würden. Andere Optionen für die Anlage unseres Kapitals sind kurz- und mittelfristig nicht in Sicht (was eine Erhöhung der Zinsen ebenfalls mit einschließt).
In welche Anlage sollen wir also investieren?
Wir können uns diesem Problem nun auf zwei verschiedene Weisen nähern:
- Wir ermitteln den “intrinsischen Wert” der Investition auf Basis unserer Opportunitätskosten von 5% und vergleichen diesen Wert mit dem Angebot des Investors (also dem Preis, den das Start-up für eine Beteiligung verlangt)
- Wir ermitteln den “Yield” bzw. die interne Verzinsung (IRR) und vergleichen diese mit der uns vorliegenden Alternative, nämlich dem Bond-Investment zu 5% pro Jahr
Dieses Vorgehen spiegelt im Grunde auch das Vorgehen wider, welches wir bei der Auswahl einer Aktie typischerweise wählen würden… mit einem Unterschied:
Im Rahmen der Bewertung nutzen wir oft einen Kapitalkostensatz, der nicht direkt auf dem Vergleich mit einer Alternativoption basiert, sondern auch unterschiedliche Investitionsrisikos berücksichtigt (Stichwort WACC und CAPM)… dazu aber später noch mehr.
Intrinsischer Wert
Wenn wir den heutigen Wert (den Barwert) der uns in 10 Jahren versprochenen 10.000 EUR ermitteln möchten, dann müssen wir die CAGR-Formel einfach nur umstellen:
Barwert = Kapital in der Zukunft / (1 + Zinssatz)Anzahl Jahre
Als Zinssatz wählen wir die Verzinsung unserer alternativen Anlage, also die 5%, die wir für das Investment in die Unternehmensanleihe erhalten würden… das sind unsere Opportunitätskosten.
Liegt der ermittelte Barwert oberhalb dessen, was der Start-up Gründer an Kapital erhalten möchte, dann bedeutet das, dass die Verzinsung besser ist als 5% und wir das Start-up-Investment bevorzugen würden.
Hier einmal die Berechnung grafisch dargestellt:
Wie ihr sehen könnt, entsprechen 10.000 EUR in 10 Jahren bei einer Verzinsung von 5% pro Jahr nur einem Barwert von knapp über 6.000 EUR. Das ist weitaus weniger, als die geforderten 8.000 EUR.
Wir können daraus also schlussfolgern, dass die Verzinsung geringer als 5% ausfallen wird und wir deshalb das Anleihe-Investment bevorzugen sollten.
Yield bzw. Multiple
Die Analyse der internen Verzinsung des Start-up Investments basiert – natürlich – auf dem gleichen mathematischen Zusammenhang. Wir stellen also einfach wieder die CAGR-Formel um:
Verzinsung = (Kapital in der Zukunft / Kapital heute)(1 / Anzahl Jahre) – 1 = (10.000 / 8.000)1/10 -1 = 2,3%
Zum einfachen Verständnis der Rechnung: Wir schauen uns zunächst an, um wieviel Prozent das Kapital über den Betrachtungszeitraum absolut wächst. In diesem Fall sind das 25% (= 2.000 EUR Wachstum geteilt durch 8.000 EUR initiales Investment). Dieses 25%ige Gesamtwachstum teilen wir anschließend gleichförmig auf die einzelnen Jahre auf, über die es erwirtschaftet wird (also 10 Jahre).
Für weitere Details hierzu lest euch auch einmal den etwas detaillierteren Artikel zur CAGR-Formel durch.
Auf Basis der Rechnung können wir nun ebenfalls schlussfolgern, dass das Start-up Investment weniger attraktiv ist, als das Investment in die Unternehmensanleihe, weil wir dafür im Durchschnitt nur eine Verzinsung auf unser Kapital in Höhe von 2,3% erzielen würden (versus 5% pa mit der Unternehmensanleihe).
Zur Info: Im Grunde genommen repräsentiert der Yield bzw. die interne Verzinsung den Kehrwert eines typischen Bewertungsmultiples, ist aber aus meiner Sicht weitaus intuitiver nachvollziehbar. Eine Verzinsung von 5% pro Jahr entspricht also einem Multiple von 20 (= 1 / 0,05).
Zinseszins und Investitionsrisiko
Natürlich ist es in der Praxis leider nicht so, dass alle verfügbaren Investitionsgelegenheiten direkt miteinander vergleichbar sind. Nur sehr wenige werden vermutlich die Aussage anzweifeln, dass ein Investment in ein Start-up durchaus ein (substantiell) höheres Risiko mit sich bringt, als ein Investment in eine sichere Unternehmensanleihe.
Ganz konkret und auf das vorliegende Beispiel angewandt bedeutet das nichts anderes, als dass aus unserem möglichen 8.000 EUR Investment in 10 Jahren nicht zwangsläufig die versprochenen 10.000 EUR werden müssen. Es können genauso gut auch nur 5.000 EUR sein, möglicherweise aber auch 15.000 EUR oder mehr.
Diesem zusätzlichen Investitionsrisiko können wir in der Bewertungspraxis auf zwei Wegen begegnen:
- Wir passen die Opportunitätskosten (alternativ: Abzinsungsfaktor, Hurdle Rate, Kapitalkosten, WACC…) nach oben an, verlangen also für ein risikoreicheres Investment eine höhere Verzinsung
- Wir schätzen die Cash Flows so konservativ ab, dass sie mit hoher Sicherheit realisiert werden und nutzen die Opportunitätskosten der risikolosen Anlage zur Abzinsung
Der zweite Ansatz impliziert natürlich, dass für ein Investment nur Geschäftsmodelle in Frage kommen, für die eine Abschätzung der Cash Flows mit hinreichender Sicherheit überhaupt möglich ist. Ein Start-up Investment könnte also in diesem Fall per Definition nicht Bestandteil des Optionenraums sein.
Warren Buffett und Charlie Munger sind übrigens starke Verfechter des zweiten Ansatzes und liefern dafür zwei Begründungen (in den Shareholder Letters von Berkshire Hathaway findet ihr eine ganze Reihe an Verweisen auf Hurdle Rates, Opportunitätskosten usw.):
- Man sollte sich ein potenzielles Investition grundsätzlich nur ansehen, wenn man etwas vom Geschäftsmodell und den unterliegenden Wertreibern versteht (Stichwort Circle of Competence bzw. Kompetenzradius)
- Konservative Cash Flows und gleichförmige Kapitalkostenabschätzungen ermöglichen einen direkten Like-for-Like Vergleich der verschiedenen Investment-Alternativen
Speziell der zweite Aspekt wurde in der Vergangenheit sowohl von Buffett als auch von Munger öfter mal hervorgehoben, beispielsweise hier:
In order to calculate intrinsic value, you take those cash flows that you expect to be generated and you discount them back to their present value – in our case, at the long-term Treasury rate. And that discount rate doesn’t pay you as high a rate as it needs to. But you can use the resulting present value figure that you get by discounting your cash flows back at the long-term Treasury rate as a common yardstick just to have a standard of measurement across all businesses. – Warren Buffett
Fazit
Der Zeitwert des Geldes bzw. Zinseszins bilden die Grundlage für den Vermögensaufbau mittels Investitionen: Je höher die durchschnittliche Verzinsung eines Investments, desto höher auch der Zinseszinseffekt und damit der zukünftige Wert einer Anlage.
Oder anders ausgedrückt: Je höher also die Verzinsung, desto eher würden wir den sofortigen Erhalt eines Geldbetrages bevorzugen (im Vergleich zum Erhalt zu einem Zeitpunkt irgendwann in der Zukunft).
Konzeptionell stellt der Zeitwert des Geldes neben der Abschätzung der zukünftigen Cash Flows das Kernstück der Unternehmensbewertung dar. Im Rahmen der Unternehmensbewertung nutzen wir typischerweise einen so genannten Abzinsungsfaktor, um den heutigen Wert (Barwert) der von uns abgeschätzten zukünftigen Mittelzuflüsse zu bestimmen.
3 Kommentare zu „Der Zeitwert des Geldes: So funktionieren Zinseszins und Compounding“
Hi,
super Artikel. Viele Menschen unterschätzen den Effekt des Zinseszins. Dies ist aber zum Beispiel der Grund warum Warren Buffet so reich geworden ist.
Beste Grüße,
Vielen Dank,
Ihre Artikel sind extrem gut und hilfreich!
Danke, das freut mich zu hören.