Beim Dividend Discount Model (DDM) handelt es sich um eine der ältesten und konservativsten Methoden zur Bewertung von Aktien, jedenfalls wenn es um die Bewertung auf Basis zukünftiger Cash Flows geht – die von Ben Graham entwickelten bilanziellen Ansätze zur Bewertung also einmal außen vor gelassen (Stichwort Net Net bzw. Deep Value Investing). Obwohl das DDM heute nur noch eine sehr geringe praktische Bedeutung besitzt, stellt es doch eine der grundlegenden Anwendungen der Finanztheorie dar und kommt deshalb in so gut wie jedem Grundlagenkurs zum Thema Valuation bzw. Unternehmensbewertung vor. Im Grunde handelt es sich beim Dividend Discount Model um den Vorreiter der heutigen Discounted Cash Flow Modelle.
Das DDM wird vermutlich in der Theorie genau deshalb oft genutzt, weil es so eingängig und so einfach zu erklären ist (wie ihr gleich noch sehen werdet 🙂 ). Allerdings erfordert das Modell in der Praxis eine Vielzahl von Annahmen, insbesondere über die nachhaltigen Dividendenzahlungen, die erwartete Wachstumstrajektorie des Unternehmen sowie die künftigen Zinssätze bzw. Eigenkapitalkosten… aber dazu im Folgenden noch mehr.
Intro Dividend Discount Model (DDM)
Falls ihr euch an die DIY Investor Artikel / Einführungen zur DCF-Modellierung erinnert: Grundsätzlich entspricht der Wert eines Unternehmens dem Barwert der dem Unternehmen in der Zukunft zufließenden Cash Flows.
Oder um es mit einem Zitat von Warren Buffett aus 1992 zu sagen:
In the Theory of Investment Value, written over 50 years ago, John Burr Williams set forth the equation for value, which we condense here: The value of any stock, bond or business today is determined by the cash inflows and outflows – discounted at an appropriate interest rate – that can be expected to occur during the remaining life of the asset. – Warren Buffett 1992
Diese Logik trifft grundsätzlich auch auf das Dividend Discount Model zu.
Während wir bei der Discounted Cash Flow Bewertung allerdings auf ALLE zufließenden Cash Flows schauen, also unabhängig davon, ob diese zu irgendeinem Zeitpunkt auch an die Anteilseigner / Aktionäre ausgeschüttet werden, verfolgen wir mit einer Bewertung mithilfe des Dividend Discount Models einen durchaus (viel) konservativeren Ansatz.
Das DDM berücksichtigt nämlich nur die tatsächlich gezahlten Dividenden.
Alle einbehaltenen und vielleicht für zukünftige Wachstumsinvestitionen oder auch Aktienrückkäufe zurückgelegten Kapitalzuflüsse werden also komplett ignoriert.Wir können also vereinfacht sagen: Eine Bewertung mithilfe des Dividend Discount Model entspricht von der Logik her im Wesentlichen einer DCF-Bewertung, wobei allerdings die Cash Flows anders definiert werden:
In der Logik des DDM werden nur die den Aktionären tatsächlich zufließenden Dividenden als Cash Flows berücksichtigt.
Nur nochmal für den historischen Kontext: Tatsächlich beschäftigten sich sowohl John Burr Williams im Jahr 1938 wie auch Myron J. Gordon und Eli Shapiro im Jahr 1956 in ihren richtungsweisenden Veröffentlichungen (“The Theory of Investment Value” bzw. “Capital Equipment Analysis: The Required Rate of Profit“) zunächst vorrangig (bzw. ausschließlich) mit der Bewertung zukünftig zufließender Dividenden. Das heißt die Discounted Cash Flow Modelle, wie wir sie heute kennen, entwickelten sich daraus erst im Zeitverlauf.
Berechnungslogik DDM
Um ein Unternehmen mit Hilfe des DDM zu bewerten, berechnen wir einfach den Barwert der erwarteten zukünftigen Dividendenzahlungen, die eine Aktie unserer Meinung nach in den kommenden Jahren abwerfen wird. Im einfachsten Fall, d.h. bei einer erwarteten konstanten Dividendenzahlung sieht das folgendermaßen aus:
V0 = Dividende / r
wobei
- V0 = Preis zum Zeitpunkt 0
- r = Abzinsungs- bzw. Diskontierungsfaktor
Bei der obigen Berechnungsformel handelt es sich übrigens nur um die Kurzfassung der folgenden Gleichung:
V0 = Div / (1 + r) + Div / (1 + r)2 + … + Div / (1 + r)n = Div / r
Ich gehe hier einmal davon aus, dass ihr mit dem Konzept der ewigen Rente und dem Zeitwert des Geldes bzw. der Diskontierung bereits vertraut seid. Im Zweifel könnt ihr aber den hervorgehobenen Links folgen und euch da noch etwas tiefer einlesen.
Betrachten wir der Einfachheit halber ein Unternehmen mit einer jährlichen Dividende von 1 EUR je Aktie. Wenn wir davon ausgehen, dass das Unternehmen diese Dividende auf unbestimmte Zeit zahlen kann (und auch wird), dann müssen wir uns fragen, was wir bereit sind, heute für einen solchen zukünftigen Zahlungsstrom zu zahlen.
Wenn wir einmal unterstellen, dass unser erwarteter Return (d.h. unsere Zielrendite) für einen reinen Dividendenzahler bei ca. 5% liegt, dann sollten wir bereit sein, ca. 20 EUR für die einzelne Aktie zu zahlen… oder anders ausgedrückt: Der faire Wert der Aktie sollte – ohne die Unterstellung einer zukünftigen Dividendensteigerung und auf Basis unseres Return-Ziels von 5% – bei 20 EUR je Aktie liegen:
Fairer Wert V0 = 1 EUR Dividende je Aktie / 5% = 20 EUR je Aktie
Wie ihr euch denken könnt, ist die oben dargestellte Bewertungslogik in mehrerlei Hinsicht als konservativ einzuschätzen:
- Cash Flows, die das Unternehmen einbehält, um z.B. Schulden zu tilgen, Aktienrückkäufe zu tätigen oder zukünftige Investitionen oder Akquisitionen durchzuführen (und damit weiteres Wachstum zu generieren), werden komplett unberücksichtigt gelassen
- Es wird keine zukünftige Steigerung der Dividende unterstellt
Zusammenfassend kann man aus meiner Sicht deshalb das Folgende festhalten: Das klassische Dividend Discount Model bzw. DDM eignet sich am besten für die Bewertung von reifen Unternehmens, die den größten Teil ihrer Gewinne bzw. Cash Flows (je nach Policy) als Dividende ausschütten und gerade so viel investieren, dass sie das Geschäft in seinem aktuellen Umfang aufrecht und die Dividende konstant halten können.
Lockern wir die erste Annahme, dann landen wir bei den typischen und bekannten DCF-Bewertungsmodellen. Lockern wir die zweite Annahme, d.h. berücksichtigen ein gewisses Dividendenwachstum, dann landen wir beim so genannten Gordon Growth Model.
Abwandlung DDM: Gordon Growth Model (GGM)
Das Gordon Growth Model (GGM), i.W. ein Dividend Discount Model (DDM) mit einem konstanten Dividendenwachstum, hat seinen Namen vom bereits erwähnten Myron J. Gordon, einem Finance Professor, der unter anderem an der Carnegie Mellon University, am MIT und an der Rotman School of Management in Toronto tätig war.
Vielleicht habt ihr auch die Formel für das Gordon Growth Model bereits irgendwo gesehen:
V0 = Div1 / (r – g)
bzw. etwas detaillierter dargestellt:
V0 = Div1 / (1 + r) + Div1 x (1 + g) / (1 + r)2 + Div1 x (1 + g)2 / (1 + r)3 + … = Div1 / (r – g)
Wie ihr sehen könnt, besteht die wesentliche Veränderung in der Berücksichtigung einer konstanten Wachstumsrate g für die Dividende, welche in der aggregierten Formel einfach im Nenner von den Kapitalkosten bzw. dem unterstellten Zielreturn r abgezogen wird (etwas analog zur Ermittlung des Terminal Value im Rahmen der DCF-Bewertung).
Angenommen, wir gehen davon aus, dass die Dividende des Unternehmens jährlich um 3 % steigen wird. Die Dividende im Jahr 1 und unser Zielreturn sind i.W. unverändert. Der Wert des Unternehmens sollte dann ca. 50 EUR je Aktie betragen (im Vergleich zu 20 EUR je Aktie ohne die Berücksichtigung des zukünftigen Wachstums):
Fairer Wert V0 = 1 EUR Dividende je Aktie / (5% – 3%) = 50 EUR je Aktie
Dieses Ergebnis bestätigt nur eine bekannte Erkenntnis: Für eine Aktie mit einer längeren Wachstumstrajektorie sollten Investoren tendenziell bereit sein, einen höheren Preis zu zahlen.
Multi-Stage Dividend Discount Models
Um das häufige Problem einer unsteten Dividendenentwicklung zu umgehen, können wir mithilfe eines mehrstufigen Modells verschiedene Wachstumsphasen unterstellen.
Dies ist wiederum ganz analog zum Discounted Cash Flow Ansatz, in dem ja ebenfalls drei verschiedene “Modelltypen” unterschieden werden:
Ein mehrstufiges DDM-Modell kann beispielsweise prognostizieren, dass die Dividende eines Unternehmens fünf Jahre lang um 5%, in den folgenden fünf Jahren um 3% und dann in der Terminal Value bzw. Steady-State Phase dauerhaft um 2% steigt… in Excel ganz leicht zu modellieren.
Ich muss aber dazu sagen, dass ich ein solches Modell noch nie in einer praktischen Anwendung gesehen habe und darüber hinaus auch glaube, dass es wenige bis keine Anwendungsfälle dafür gibt (beim klassischen DDM sowie auch beim Gordon Growth Model kann ich die Sinnhaftigkeit hingegen noch erkennen – jedenfalls für Investoren mit Fokus auf Unternehmen mit hohen Ausschüttungen wie REITs etc.).
Nachteile des Dividend Discount Model
Wie die meisten anderen Bewertungstools auch, führt das Dividend Discount Model natürlich auch nur in bestimmten Situationen zu sinnvollen Ergebnissen. Wie bereits angesprochen eignet sich der Ansatz insbesondere für stabile Unternehmen mit gut prognostizierbaren Erträgen und hohen Ausschüttungsquoten.
Nachteile hat das DDM dem entsprechend in so gut wie allen anderen Situationen.
Nichtberücksichtigung der einbehaltenen Cash Flows
Einen der wesentlichsten Nachteile des Dividend Discount Model habe ich weiter oben bereits angesprochen: Das DDM ignoriert vollständig diejenigen Cash Flows, welche nicht an die Anteilseigner ausgeschüttet, sondern für zukünftige Investitionen, Aktienrückkäufe, Schuldentilgungen etc. vom Unternehmen einbehalten werden.
Aus einer sehr konservativen Sichtweise heraus könnte man diesen Fokus auf die reinen Dividendenzahlungen daher auch als implizites Misstrauensvotum ggü. CEO und Management interpretieren (weil der Investor nicht daran glaubt, dass das Management das einbehaltene Kapital in der Zukunft gewinnbringend einsetzen kann oder wird). In einem solchen Fall stellt sich allerdings die Frage, ob diese Annahme erstens in allen Fällen begründet ist und / oder ob es zweitens nicht andere Unternehmen mit besseren Management-Teams gibt, denen man genau dieses Vertrauen entgegenbringen kann.
Bewertung von Unternehmen ohne Dividendenzahlung nicht möglich
Darüber hinaus ist außerdem (natürlich) eine Bewertung von Unternehmen, die auf absehbare Zeit keine Dividende ausschütten werden, mit dem DDM schlicht und einfach nicht möglich (bzw. das DDM würde hier einen Wert von Null suggerieren, was natürlich in den meisten Fällen doch sehr abwegig sein sollte).
Probleme mit hohen Wachstumsraten
Als weiterer Nachteil wird an vielen Stellen im Netz außerdem die Problematik von Wachstumsraten oberhalb der Kapitalkosten genannt. Es ist natürlich richtig, dass die Bewertung in einem solchen Fall mit einem einstufigen Dividend Discount Model mathematisch nicht zielführend ist (da der Nenner der Gleichung in dem Fall ja negativ werden würde).
Die gleiche Problematik ergibt sich allerdings für alle anderen Cash Flow-basierten Modelle im Grunde genommen genauso und kann mit einem mehrstufigen Ansatz recht einfach gelöst werden… von der Annahme einer “Steady-State” Wachstumsrate oberhalb der Kapitalkosten (also quasi bis ins Unendliche) sollten wir ja sowieso absehen… welches Unternehmen kann schon unendlich lange mit einer Rate von >6-10% jährlich wachsen?
Die Prognose der Dividenden
Befürworter des Dividend Discount Models führen oft an, dass nur künftige Bardividenden eine zuverlässige Schätzung für den inneren Wert eines Unternehmens liefern können.
Als Antwort darauf würde ich entgegnen: Mit Ausnahme der wenigen so genannten “Dividendenaristokraten”, die eine sehr lange und kontinuierliche Dividendenentwicklung vorweisen können und deren Investorenbasis zu einem großen Teil aus einkommens-orientierten Investoren besteht, ist die Abschätzung der zukünftigen Dividende mit eben so vielen Unsicherheiten behaftet, wie die Abschätzung von Gewinnen und Cash Flows.
Hieraus ergibt sich also für das Dividend Discount Model nicht wirklich ein Vorteil.
Bottom Line
Das Dividend Discount Model ist heutzutage eher ein Mittel, um Einsteiger in die Welt des Investierens in die Methodik der Discounted Cash Flow Modelle einzuführen. Dennoch regt uns das Wissen um die Funktionsweise des DDM dazu an, über den tatsächlichen Wert einer Aktie nachzudenken.
Zumindest demonstriert die DDM das zugrunde liegende Prinzip, dass sich der Wert eines Unternehmen aus der Summe der in der Zukunft erwarteten Cash Flows ableiten lässt.
Ob die Dividenden dann tatsächlich das richtige Maß für den Cash Flow sind, ist allerdings nochmal eine ganz andere Frage. Zwar kann die Herangehensweise über die Dividenden als recht konservativ angesehen werden, weil im Grunde genommen ja alle einbehaltenen Cash Flows sozusagen als “wertlos” betrachtet werden (obwohl diese ja in der Regel ebenfalls genutzt werden, z.B. um Schulden zu tilgen, eigene Aktien zurückzukaufen etc.).
Allerdings können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass mindestens der Markt auch in dem einbehaltenen Teil des Gewinns einen potentiellen zukünftigen Werthebel sehen und dies in die Aktienkurse entsprechend einpreisen wird (in vielen Fällen auch zu Recht). Allein diese Tatsache könnte bzw. wird bei der Bewertung mithilfe des DDM in vielen Fällen zu einer Überbewertung vieler Aktien führen.