Ben Graham: 10 Punkte-Checkliste zur Aktienauswahl

Inhalt

Die 10 Punkte-Checkliste von Ben Graham

Die Checklisten bzw. Ansätze von bekannten und erfolgreichen Investoren sind immer ein guter Startpunkt und können uns als Inspiration dienen, um unsere eigenen Checklisten und Ideen daraus zu entwickeln. Eine dieser Checklisten (allerdings eine weniger bekannte) stammt von Ben Graham, dem ehemaligen Professor von Warren Buffett an der Columbia Business School und dem Autor der All-Time Classics “Security Analysis” und “The Intelligent Investor ” (auf deutsch “Intelligent Investieren“).

Die Checkliste ist mutmaßlich weniger bekannt, weil Graham den Ansatz erst kurz vor seinem Tod publizierte, nachdem er drei Jahre lang zusammen mit dem Investor James Rae daran gearbeitet hatte. Deshalb ist die Checkliste bzw. Methodik auch als “Graham’s Testament” bekannt.

Die Idee hinter der Checkliste bestand darin, einen möglichst automatisierten Ansatz zu finden, mit dem diejenigen Aktien mit dem höchsten Return-Potenzial relativ zum Risiko ermittelt werden können. Ben Graham ging übrigens damals sehr mechanisch vor. In einer Zeit vor Aufkommen der Computer nutzte er tatsächlich so etwas wie ein Formblatt, in das er alle Kriterien manuell eintrug. Und das für mehrere 100 Aktien.

In diesem Artikel gehe ich einmal auf die einzelnen Punkte der Checkliste und ihre Relevanz in der heutigen Zeit ein.


Was du in diesem Artikel lernst

  • Wie die 10 Punkte-Checkliste von Ben Graham aussieht
  • Ob die Nutzung der Checkliste tatsächlich überdurchschnittliche Ergebnisse produziert hat (Backtests mit historischen Daten)
  • Wie (und ob) wir die Checkliste auch noch heute nutzen können

Die Ben Graham Checkliste

Die  Graham-Checkliste hat 10 Punkte, die sich jeweils grob in die Kategorien Preis bzw. Return (5 Punkte) und Risiko (ebenfalls 5 Punkte) unterteilen lassen.

Mithilfe der ersten 5 Punkte sollen Aktien mit starkem Rendite-Potenzial identifiziert werden (über KGV-Betrachtungen etc.). Mithilfe der zweiten 5 Punkte sollen Aktien mit niedrigem Risiko identifiziert werden (geringe Schulden, hohe Liquidität, gleichförmige, stabile Performance etc.).

Hier die Checkliste:


Preis bzw. Return

1. Earnings Yield (= 1/KGV) > 2 x Anleihezinsen (für Bonds mit AAA-Rating)

2. KGV bzw. P/E Ratio < 40% des höchsten KGV über die letzten 5 Jahre

3. Dividendenrendite > 2/3 der Rendite auf eine Anleihe mit einem AAA-Rating

4. Aktienkurs < 2/3 des greifbaren Buchwerts je Aktie (Buchwert minus immaterielle Vermögenswerte minus Goodwill)

5. Aktienkurs < 2/3 des Net Current Asset Value (NCAV)


Risiko

6. Gesamtschulden < Buchwert

7. Current Ratio > 2

8. Gesamtschulden < 2 x Net Current Asset Value (NCAV)

9. Gewinnwachstum der letzten 10 Jahre > 7% p.a. im Durchschnitt

10. Stabiles Gewinnwachstum über die letzten 10 Jahre (maximal zwei Gewinnrückgänge von 5% oder mehr sind erlaubt)


Historische Backtests

Die Ben Graham Checkliste wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach auf Basis historischer Kursdaten getestet, unter anderem von Ben Graham selbst. Neben Graham machten auch Henry Oppenheimer, die Société Générale, die beiden Südafrikaner Klerck und Maritz sowie Jae Jun von OldSchoolValue.com ein paar Backtests:

  • BenGraham selbst testete die Kriterien auf Basis von Kursdaten über einen extrem langen Zeitraum. In 5 von 6 Jahrzehnten erzeugte der Screen laut eigener Aussage überdurchschnittliche Resultate.
  • Henry Oppenheimer testete den Ansatz mit Daten von 1974 bis 1981 und fand heraus, dass Aktien, die nur auf Basis der Kriterien 1, 3 und 6 ausgewählt wurden, eine jährliche Rendite von 29% erzielten.
  • Die beiden Südafrikaner Klerck und Maritz testeten Kombinationen von einzelnen Kriterien (1 und 6; 3 und 6; 1, 3 und 6) mit Aktien an der Johannesburg Stock Exchange (JSE). Als Basis für die Analyse nutzten sie Daten zwischen 1977 und 1994. In allen drei Kombinationen übertraf die Rendite diejenige des Industrie-Index um 9 bis 12% p.a. (Hier auch nochmal das pdf zum Download.)
  • Die recht aktuelle Analyse der Société Générale kommt zu dem Ergebnis, dass Aktien mit einem Score von 9 oder 10 auf der Checkliste (also diejenigen die i.W. alle Kriterien erfüllen) einen jährlichen Return von 37-49% erreichen.
  • Jea Jun von OldSchoolValue.com testete ebenfalls mehrere Kombinationen von Kriterien. Laut der Analyse erzeugt ein Screen auf Basis der Kriterien 1, 2, 6 und 7 die besten Ergebnisse

In Summe kommen alle Studien zu ähnlichen Ergebnissen:

  1. Es gibt heute eigentlich keine Aktien mehr, die alle 10 Punkte auf der Checkliste erfüllen
  2. Auch wenn Aktien nur auf Basis von drei bis vier einzelnen Punkten auf der Checkliste gescreent werden, können Investoren damit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen

Können wir die Checkliste also heute noch nutzen?

Das zentrale Problem mit der Ben Graham Checkliste ist allerdings wie gesagt, dass sie auf Basis des heutigen Marktumfelds wenige bis gar keine Ergebnisse liefert. Einige der Kriterien scheinen aus heutiger Sicht zu strikt zu sein, z.B. das Kriterium 5 zusammen mit dem Kriterium 3 und den Kriterien 9 bzw. 10.

Im Klartext: Wir suchen hier nach Aktien, die eine ansehnliche Dividendenrendite und ein stabiles Gewinnwachstum von über 7% aufweisen, GLEICHZEITIG aber so günstig bewertet sind wie eine Net Net Aktie (eine Aktie, die so günstig ist, dass sie unter 2/3 des NCAV handelt).

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir so eine Aktie heute finden? Richtig, die Wahrscheinlichkeit ist nicht besonders hoch.

Aus meiner Sicht gibt es deshalb zwei Möglichkeiten, um die Checkliste auch heute noch zu nutzen:

  1. Wir nutzen die Checkliste tatsächlich wie eine Checkliste (und nicht wie einen Screen) und schauen uns Aktien an, die z.B. mindestens 7 Punkte auf der Checkliste erreichen, also mindestens 7 Kriterien erfüllen
  2. Wir nutzen die Checkliste wie einen Screen und beschränken uns dabei aber auf die relevantesten Kriterien (z.B. die Kriterien 1, 3 und 6). Wobei wir natürlich hier wieder die Problematik haben, dass die Daten für uns als DIY Investoren typischerweise nicht einfach und schnell bzw. kostengünstig verfügbar sind

Verkürzte Version der Checkliste

Eine verkürzte Version der Ben Graham Checkliste bzw. des Screens könnte dann zum Beispiel so aussehen:


Preis bzw. Return

1. Earnings Yield (= 1/KGV) > 2 x Anleihezinsen (Bond mit AAA-Rating)

2. KGV bzw. P/E Ratio < 40% des höchsten KGV über die letzten 5 Jahre

3. Dividendenrendite > 2/3 der Rendite auf eine Anleihe mit einem AAA-Rating


Risiko

6. Gesamtschulden < Buchwert

7. Current Ratio > 2

5 Kommentare zu „Ben Graham: 10 Punkte-Checkliste zur Aktienauswahl“

  1. Hey Axel,
    bin gerade auf deinen Blog gestoßen und schwer begeistert!
    Ich habe direkt Artikel für Artikel verschlungen und habe Freude an deiner stets fundierten Arbeit.
    Dein Lebensweg ist für mich auch interessant, da ich mit dem Gedanken spiele einen CFA an mein Studium zu hängen.
    Danke für die tolle Arbeit!
    Liebe Grüße
    Jasper

  2. Hallo Axel,

    schöne Zusammenfassung der Checkliste. Es wäre interessant zu sehen, wie er seine Kriterien in der heutigen Zeit formuliert bzw. auf die aktuellen Umstände (sehr niedrige Zinsen) angepasst hätte. Wahrscheinlich wäre er bei rein mechanischer Aktienauswahl fast nur noch in Japan investiert 🙂 Ihm ging es halt primär immer vor allem um Risikovermeidung…

  3. Hallo Axel, ich finde diesen Artikel super geschrieben, danke für die Infos!
    Ich suche nun schon seit einiger Zeit nach einem guten Screener, der automatisch nach Grahams Kriterien Aktien screent (global), kann aber keinen finden.
    Weißt du, wie man einfach bei zB Yahoo Finance (oder sonst wo) einen solchen Screener selbst erstellt oder gibt es bereits Templates dafür, die du kennst?

  4. Wenn man alte Wirtschaftsmagazine um 1974 zu Zeiten der ersten Ölkrise liest, so haben dort viele Aktien ein KGV von 2 bis 6 (zwei bis sechs, kein Schreibfehler). Amerikanische Automobilhersteller beispielsweise KGV von 4. Natürlich gab es damals auch teure Aktien mit einem KGV von 40 und mehr, aber die überwiegende Mehrheit hatte ein einstelliges KGV. Diese krisenbedingte Unterbewertung, sinkende Zinsen ab den 80er Jahren und das seitherige wirtschaftliche Wachstum der Unternehmen führte zu den guten Aktienmarktrenditen der 80er und 90er Jahre.

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