Hierzulande ist Harris Associates aktuell vor allem durch den medienwirksamen Rückzug als größter Einzelaktionär bei Credit Suisse ein Begriff… und durch die von Harris gemanagten Oakmark Fonds (insbesondere den Oakmark Select). Aktuell besitzt Harris u.a. größere Anteile an ThyssenKrupp (laut TIKR ~5%), Daimler Trucks (3%), Bayer und Allianz. Einer der bekanntesten Köpfe von Harris Associates ist Bill Nygren, seit nunmehr über 40 Jahren in verschiedenen Positionen für Harris Associates tätig (inzwischen als Partner und CIO für das Geschäft mit US Equities).
Kürzlich wurde Nygren im Rahmen des “Value Investing with Legends” Podcasts der Columbia Business School von den beiden Hosts Tano Santos und Michael Mauboussin über eine Stunde lang zu vielen interessanten Themen interviewt (den Podcast habe ich euch unten auch verlinkt). Darüber hinaus gibt es noch einige andere Artikel, Interviews etc. mit Nygren (u.a. bei CNBC), die sehr viel Aufschluss über Nygren’s Art und Weise zu investieren geben.
In diesem Artikel möchte ich euch einmal eine Zusammenfassung der wesentlichen Investitionsprinzipien von Bill Nygren bzw. Harris Associates geben und auch detailliert auf den Investmentprozess der Firma eingehen… wie ich finde sehr aufschlussreich!
Hintergrund Bill Nygren
Bill Nygren hat ursprünglich im Jahr 1983 bei Harris Associates angefangen. (Zur Info: Harris ist seit 1995 Teil von Natixis Investment Managers.) Heute ist er der Chief Investment Officer für US Equities bei Harris sowie gleichzeitig verantwortlich für einige der bekannten Oakmark Fonds (u.a. den Oakmark Select Value Fonds).
Hier ein kleiner Überblick über seine ersten beruflichen Stationen:
- 1981-83: Investment Analyst bei der Northwestern Mutual Life Insurance Co.
- 1983-90: Equity Analyst bei Harris Associates
- 1990-98: Director of Research bei Harris Associates
Nygren hatte schon immer ein starkes Interesse an Zahlen. Rückblickend war es vielleicht sowas wie ein glücklicher Zufall, dass die Aktienkurse in der lokalen Tageszeitung immer direkt neben den Baseball-Statistiken abgedruckt waren und deshalb bereits früh seine Aufmerksamkeit erregten.
Nygren’s heute präferierte Art zu investieren (ich würde es mal als Value Investing à la Warren Buffett beschreiben) entspringt laut eigener Aussage wenigstens in Teilen ebenfalls seinen Kindheitserfahrungen (z.B. war er damals regelmäßig mit seiner Mutter als Schnäppchenjäger in den verschiedensten Supermärkten unterwegs). Später konnte er sich schnell mit den Werken von Ben Graham, John Templeton oder Warren Buffett identifizieren.
Investitionskriterien Harris Associates
Um es ins Portfolio (oder erstmal auf die Watchlist bzw. die so genannte “approved list”) von Harris Associates zu schaffen, muss ein Unternehmen bzw. eine Aktie zunächst drei Kriterien erfüllen:
- Es muss eine substantielle Unterbewertung verglichen mit den unterliegenden Geschäftswert bzw. “business value” (= innerer oder fairer Wert) vorliegen
- Es muss ein substantielles Potenzial zur Steigerung des Gewinns je Aktie vorhanden sein (“grow per share value over the long term”)
- Das Management-Team muss auf die zukünftige Wertsteigerung fokussiert sein und idealerweise die gleichen Anreize besitzen, wie die Unternehmenseigentümer (“think and act like owners”)
Im Folgenden einmal ein paar Details zu den einzelnen Punkten.
Günstige Bewertung
Eine günstige Bewertung ist für Harris Associates, wie auch für die meisten traditionellen Value Investoren, die erste und wichtigste Voraussetzung für ein mögliches Investment.
Den angesprochenen unterliegenden Geschäftswert (“business value”) definiert Bill Nygren folgendermaßen:
Der Geschäftswert repräsentiert den maximalen Preis, den ein sachkundiger Investor für ein Geschäft in Cash (also ohne zusätzliches Leverage) bezahlen würde und mit dem er noch einen akzeptablen Return erzielen würde.
Der angesprochene Abschlag auf diesen Wert sollte in der Größenordnung von ca. 40% liegen, d.h. Harris sucht nach Unternehmen, die für ca. 60 Cent je Dollar Unternehmenswert erworben werden können:
And we wanna pay 60 cents on the dollar, roughly. – Bill Nygren
Dabei versucht Harris gleichzeitig Investments in so genannte “value traps” zu vermeiden, also in strukturell benachteiligte Unternehmen, Unternehmen in Branchen mit größeren und nachteiligen Umwälzungen etc.
Gewinnsteigerung über die Zeit
Die Untergrenze des Return-Ziels für Harris Associates wird definiert durch den Return des S&P 500 (inklusive Dividenden) und liegt dem entsprechend irgendwo in der Größenordnung von 8%… wobei es für Harris keine Rolle spielt, ob der Zielreturn ausschließlich über die Auszahlung einer Dividende oder das Wachstum des Aktienkurses zustande kommt.
Wichtig ist hierbei, dass der Return durch eine Steigerung des Geschäftswerts über die Zeit zustande kommt… also i.W. durch ein kontinuierliches Wachstum des Gewinns je Aktie.
Auf Wertsteigerung fokussiertes Management-Team
Bzgl. des Management-Teams schaut Harris Associates insbesondere auf drei Themen: Kapitalallokation, Unternehmensstruktur und Vergütung bzw. Anreize.
Kapitalallokation: Insbesondere Unternehmen mit einer vergleichsweise niedrigen Marktbewertung (d.h. im Wesentlichen einem geringen KGV) haben oft das Problem der fehlenden Wachstumsopportunitäten im Kerngeschäft. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass das Management-Team eine ganz genaue Vorstellung davon hat, mit welchen Maßnahmen bzw. Investments es den bestmöglichen Return erzielen kann (auch um die so genannte DiDOWRSEification zu vermeiden). Neben einer Untersuchung der verschiedenen internen und externen Wachstumsoptionen, sollten regelmäßig auch Aktienrückkäufe und Dividenden geprüft werden.
Unternehmensstruktur: In vielen Fällen besteht ein Unternehmen bzw. ein Konzern aus mehreren Geschäftsbereichen, Business Units oder Divisionen. Da diese nicht immer optimal zusammen passen und das Unternehmen für einzelne Geschäfte oft nicht der “Best Owner” ist, sollte das Management in regelmäßigen Abständen strategische Reviews durchführen und Abspaltungen, (Teil)Verkäufe, Joint Ventures etc. prüfen.
Vergütung bzw. Anreize: Nicht immer hat ein Management-Team bzw. ein CEO bereits einen Track Record vorzuweisen, der auf ein tiefergehendes Verständnis des Themas Kapitalallokation schließen lässt. Insbesondere in einem solchen Fall schaut sich Harris Associates die Vergütungsmodelle des Unternehmens genau an.
Dafür gibt es vor allem einen wesentlichen Grund:
We believe that most people are more likely to follow a path that maximizes their own long-term economics than they are to do something that’s different. – Bill Nygren
Manager (bzw. Menschen im Allgemeinen) verfolgen in der Regel prioritär ihre eigenen Ziele und erst an zweiter Stelle diejenigen des Unternehmens (bzw. die von anderen Menschen).
Variable Vergütungen werden typischerweise an die Erreichung bestimmter Ziele gekoppelt. Dabei ist es wichtig, dass diese Ziele sich mit den Zielen der Investoren bzw. Anteilseigner decken (bzw. diesen nicht entgegen laufen).
To us it matters a lot that all of the management bonuses have a denominator. We don’t want just higher sales, higher income. We want that be measured on a per share basis. We want investment returns to be measured relative to the capital that’s being employed.
Ein Beispiel: Ein hohes Umsatzwachstum für sich genommen muss nicht unbedingt vorteilhaft für die Aktionäre sein, wenn es mithilfe substantieller Eigenkapitalmaßnahmen (d.h. z.B. Kapitalerhöhungen) erkauft werden muss.
Oder: Aktienrückkäufe haben zwar keinerlei Einfluss auf die absolute Top- oder Bottom Line, verbessern aber sehr wohl den Gewinn je Aktie. Konsequenterweise sollte alles auf Basis dieser Kenngröße verglichen und das Management anhand dieser Kenngröße incentiviert werden.
And if management has compensation packages that include a lot of stock ownership, stock options, bonuses that pay based on metrics with denominators we think it’s pretty likely they’ll follow a course that at the same time it’s maximizing their own economics is maximizing the economics of the outside shareholder. – Bill Nygren
Direkter Anteilsbesitz, Aktienoptionen etc. setzen aus Sicht von Bill Nygren gute Anreize für Manager und stellen am ehesten sicher, dass Management und Shareholder in die gleiche Richtung denken und handeln… natürlich vorausgesetzt, dass das Management ansonsten eine hohe Integrität besitzt und nicht über (legale oder illegale) Bilanzmanipulationen o.Ä. den Aktienkurs künstlich nach oben treibt (siehe das besonders abschreckende Beispiel Enron).
Ideengenerierung bei Harris Associates
Der Prozess zur Ideengenerierung bei Harris Associates unterscheidet sich grundsätzlich nicht besonders von den Ansätzen anderer Value Investoren. Ganz generell erregen vom Markt abgestrafte Aktien natürlicherweise das Interesse der Analysten… so wie beispielsweise auch Managementwechsel o.Ä. (insbesondere, wenn es sich um Manager mit einem entsprechenden Track Record handelt).
Insgesamt lässt sich aber laut Bill Nygren festhalten, dass qualitative Einschätzungen heutzutage viel häufiger als Ausgangspunkt tiefergehender Analysen genutzt werden, als quantitative Einschätzungen (also eine günstige Bewertung). Das liegt insbesondere an der uns allen bekannten Entwicklung der Informationstechnologien in den letzten Jahrzehnten.
The value investors that are stuck in just looking at the lowest 10% P/E Ratio or the lowest decile on price/book. That doesn’t create nearly as interesting hunting ground as it did 40 years ago when actually knowing which names were in the bottom decile was something that wasn’t on most people’s fingertips. – Bill Nygren
Weil hochqualitative Unternehmensdaten nämlich heute im Grunde genommen für jeden in Echtzeit verfügbar sind, hat der Wert dieser Daten für den einzelnen Investor stark abgenommen.
Aktienauswahl bei Harris Associates
Bei Harris Associates wird weniger in Rollen, als eher in der Allokation der verfügbaren Zeit gedacht. Bzgl. der Analyst:innen gibt es zwei wesentliche zeitbeanspruchende Tätigkeiten:
So for us the real difference for us becomes: How much of your time do you spend analyzing a company and then internally trying to sell it to get it into a portfolio. – Bill Nygren
Ein Großteil der Zeit geht mutmaßlich für die Identifikation von Investment-Ideen, die Analyse und das Spiegeln mit den Investment-Kriterien der Firma drauf. Die Analysten schreiben also zunächst einen drei bis vierseitigen Report (plus Anhang), in dem sie die wesentlichen Investment-Kriterien beleuchten. Dabei gehen sie insbesondere auf die folgenden Fragen ein:
- Welcher intrinsische Wert ergibt sich für das Unternehmen und lässt sich ein entsprechender Discount (ca. 40% ggü. Geschäftswert) ermitteln?
- Wie wird der innere Wert in der entsprechenden Branche bzw. Industrie typischerweise ermittelt?
- Welche Akquisitionen bzw. M&A-Transaktionen hat es in der Branche in der jüngeren Historie gegeben?
- Zu welchen Multiples bzw. Bewertungen wurden die Unternehmen verkauft (“transaction multiples”)?
- Zu welchen Bewertungen werden die Unternehmen der Branche an der Börse gehandelt (“trading multiples”)?
- etc.
- Lässt sich für die nächsten 7 Jahre ein Wachstum mindestens entsprechend des erwarteten Marktwachstum ableiten (im Grunde eine Analyse analog zur Perspektive eines Private Equity-Investors)?
- Welcher Kapitalbedarf ergibt sich aus den Wachstumsplänen?
- Muss zur Umsetzung zusätzliches Kapital extern beschafft werden oder verbleibt nach allen Investitionen noch ein Kapitalüberschuss?
- Was ist die Philosophie des Managements bzgl. der Verwendung dieses überschüssigen Kapitals (Akquisitionen, Dividenden, Share Buybacks etc.)?
- Ist das Management auf das Wachstum des Shareholder Value fokussiert und hat es die gleiche Interessenlage wie die Anteilseigner?
- Hat das Management bereits einen entsprechenden Track Record vorzuweisen?
- Welche Vergütung erhält das Management? Wie wird das Management incentiviert?
- etc.
Zum konkreten Vorgehen: Die Analysten nutzen neben den verfügbaren Finanzberichte, Investorpräsentationen, Earnings Call-Transkripten etc. insbesondere auch ihre Branchenkontakte. Daneben führen sie intensive Managementgespräche vor Ort, um den Unternehmenswert abzuleiten und die Wachstumsperspektive zu entwickeln.
Bzgl. der internen Kommunikation einer Investment-Idee besteht der Job der Analysten im Wesentlichen darin, die restlichen Analysten und Portfolio-Manager (und insbesondere den aus drei Personen bestehenden Anlage- bzw. Investitionsausschuss) davon zu überzeugen, dass die Aktie einen Platz im Portfolio eines der Oakmark Fonds verdient hat.
Dieser interne Abstimmungsprozess läuft dann folgendermaßen ab:
- Der Report wird jeweils am Montagnachmittag an alle Investment Professionals (Analysten, Portfolio-Manager etc.) versendet
- Von allen wird erwartet, den Report bis zum nächsten Tag einmal durchzulesen und Fragen vorzubereiten. Ein Analyst erhält darüber hinaus den Auftrag, die Konsensus-Meinung der Wall Street aufzubereiten und die Rolle des “devil’s advocate” zu übernehmen
- Am nächsten Vormittag findet dann ein ca. 45-minütiges Meeting in größerer Runde statt (ca. 25 Professionals), um offene Fragen zu besprechen bzw. die Investment Thesis mit ebensolchen zu Fall zu bringen… von außen betrachtet ein sehr einschüchternder Prozess für den Analysten, allerdings laut Bill Nygren sehr gut dazu geeignet, um Fehler möglichst noch vor einem möglichen Investment zu entdecken (und die Atmosphäre ist laut seiner Aussage auch sehr kollaborativ)
- Mach dem Ende des Meetings entscheidet der aus drei Partnern bestehende Anlageausschuss mit einfacher Mehrheit, ob die Aktie auf die ca. 100-300 Werte umfassende Liste der genehmigten Werte aufgenommen wird (die so genannte “approved list”). Die Approved List enthält u.a. auch die entsprechenden Informationen bzgl. Wert, Kaufpreis (ca. 60% des geschätzten inneren Wertes) und Zielkurs (ca. 90% des geschätzten inneren Wertes)
- Für die eigentliche Konstruktion des Portfolios werden die Aktien der “approved list” unter Berücksichtigung der verschiedenen Diversifizierungs- und Strategierichtlinien der Firma (der Oakmark Fonds besteht z.B. aus 50-60 Werten, der Oakmark Select aus ca. 20) und ihrem erwarteten Wertzuwachs gewichtet
Der gleiche Prozess kommt übrigens auch zum Tragen, wenn einer der Senior-Partner selbst eine Idee hat und eine Aktie gerne für einen oder mehrere der Fonds kaufen würde.
Monitoring des Portfolios
Hat es eine Aktie einmal in eins der Portfolios von Harris Associates geschafft, erfolgt mindestens quartalsweise ein strukturierter Review-Prozess, um alle neu verfügbaren und wesentlichen Informationen in der Ermittlung des inneren Wertes zu reflektieren.
Die Analysten prüfen dabei insbesondere, ob sich der Geschäftswert wie erwartet entwickelt hat oder ob das Wachstum in der Realität langsamer oder schneller als geplant erfolgt ist.
Eine Abweichung von mehr als 10% nach unten triggert dabei eine noch engermaschige Überwachung der Entwicklungen im Unternehmen an. Der Analyst wird in diesem Fall aufgefordert, eine komplett neue Investment Thesis zu erstellen… und zu rechtfertigen, warum die Aktie überhaupt im Portfolio bleiben sollte.
Im Gegensatz zu vielen anderen Value Investoren, die eine Position tendenziell noch ausbauen, wenn der Aktienkurs stärker gefallen ist, als der intrinsische Wert, versucht Harris eher auf Nummer sicher zu gehen und abnehmende innere Werte komplett zu vermeiden.
Darüber hinaus strebt Harris bei größeren Beteiligungen an, mindestens einmal im Jahr ein längeres Gespräch mit dem Management vor Ort zu führen (insgesamt handelt es sich hierbei laut der Webseite von Harris Associates um ca. 1.500 Gespräche pro Jahr).
Bill Nygren zum Thema Valuation
Wenn ihr den DIY Investor Blog schon etwas länger kennt und euch schon etwas mit dem Thema Unternehmensbewertung auseinandergesetzt habt, dann wisst ihr, dass es eine ganze Reihe verschiedener Bewertungsverfahren gibt (z.B. Discounted Cash Flow: Equity- und Entity-Verfahren, Multiples: EBITDA, EBIT, KGV, Umsatz, Buchwert, Acquisition versus Trading etc.).
In Bezug auf diese verschiedenen Bewertungsverfahren weist Bill Nygren zunächst einmal auf einen essentiellen Punkt hin:
If your inputs are consistent, mo matter which model you’re using, you should end up in the same ballpark of value. – Bill Nygren
Bei konsistenten Annahmen sollten also alle Bewertungsverfahren grundsätzlich zu gleichen oder aber mindestens zu ähnlichen fairen Unternehmenswerten führen.
Ein wesentlicher Vorteil der parallelen Nutzung mehrerer unterschiedlicher Bewertungsansätze besteht deshalb darin, mögliche Fehler bzw. Ungereimtheiten bzgl. der gewählten Inputgrößen zu identifizieren.
Aus genau diesem Grund nutzen die Analysten bei Harris Associates in der Regel eine ganze Reihe verschiedener Bewertungsverfahren. Nutzen sie ein Discounted Cash Flow-Modell, dann gehen sie in der Regel analog zu einem Private Equity Investor von einem Zeithorizont von 7 Jahren aus.
Heißt konkret: Die Cash Flows der nächsten 7 Jahre werden explizit modelliert, der Endwert bzw. Terminal Value auf Basis eines als realistisch eingeschätzten Multiples ermittelt.
Bill Nygren’s Tipps für angehende Investment-Analysten
Neben seinen detaillierten Aussagen zur Arbeitsweise und Investitionsphilosophie von Harris Associates, gibt Bill Nygren hier und da auch ein paar Tipps für angehende Investment-Analysten bzw. Investoren…. oder macht jedenfalls Aussagen, die man auch als Tipps interpretieren könnte.
Hier die aus meiner Sicht relevantesten.
1. Kenntnisse im Rechnungswesen sind hilfreich
Vielleicht auch aufgrund seines guten Verständnisses für Zahlen wählte Nygren an der Uni das Thema Rechnungswesen bzw. Accounting als Hauptfach. Rückblickend gesehen für seine spätere Tätigkeit genau die richtige Entscheidung.
Auf Basis seiner jahrelangen Erfahrung hält Nygren praktische Kenntnisse im Accounting für das essentielle Handwerkszeug eines jeden angehenden Investors (genauso wie die spanische Sprache für jeden essentiell ist, der gerne langfristig in Südamerika leben und arbeiten möchte):
I’m still amazed how many kids want to come to the investment world today and they don’t have a working knowledge of accounting. To me that would be the equivalent of: If I said I wanted to work in South America but I didn’t want to learn spanish. Accounting is the language of business and if you’re going into the investment business I think you need to know if pretty well. – Bill Nygren
2. Investment-Philosophie der Firma muss zu den eigenen Präferenzen passen
Bill Nygren’s erster Arbeitgeber, die Northwestern Mutual Life Insurance Company, verfolgte keinen konsistenten Investment-Ansatz. Obwohl die Firma zwar grundsätzlich auf Basis fundamentaler Kennzahlen (also im Grunde auf Basis eines Value-Ansatzes) investierte, gab es bestimmte “Zusatzkriterien”:
- Es musste ein ausreichendes Coverage von Seiten der Sell Side geben. Investments in Unternehmen in bestimmten Nischen bzw. Small Caps im Allgemeinen – oft ja die interessantesten Value Investments – waren damit also schonmal so gut wie ausgeschlossen
- Die Charts mussten außerdem “gut” aussehen, d.h. es müssen bestimmte technische Kennwerte bzw. Triggerpunkte erreicht werden
Darüber hinaus war das Investment-Portfolio kein wesentlicher Treiber des Unternehmensergebnisses und wurde dem entsprechend auch ganz anders behandelt, als z.B. bei einem auf Investment-Returns fokussierten Hedge Fonds oder PE Investor.
Das bedeutete für Nygren in der Praxis, dass er eine hohe Frustrationstoleranz entwickeln musste: Die Unternehmen bzw. Aktien, die er selbst auf Basis seiner Analysen interessant fand und auch regelmäßig zum Kauf empfahl, wurden von den Portfolio-Managern regelmäßig abgelehnt bzw. ignoriert.
Nygren’s wesentliches Learning hieraus:
You can’t be an effective analyst unless the firm you’re working with shares the same investment philosophy. – Bill Nygren
Für seinen nächsten Job schaute Nygren also nach einer Firma mit einem starken Bekenntnis zum Value Investing sowie einer stärkeren Verlinkung zwischen Investment-Returns und Unternehmensergebnis bzw. -zielen.
Schon beim Interview mit Harris Associates stellte sich dann heraus, dass Nygren im Grunde genommen genau die gleichen Unternehmen auf seiner Watchlist / im Portfolio hatte, wie die Firma selbst.
We had this meeting of the minds of what we were looking for when we were investing. – Bill Nygren
3. Als Generalist hat man Vorteile auf dem Weg zum Portfoliomanager
Aus Bill Nygren’s Sicht besteht eine wesentliche Fähigkeit erfolgreicher Portfoliomanager darin, über den Tellerrand der eigenen Branche hinausblicken zu können (wenn es denn eine solche Spezialisierung überhaupt gibt).
Most firms today are still set up that you specialize by industry. […] I think that makes the transition to portfolio management very difficult. – Bill Nygren
Seine Empfehlung – und so funktioniert auch Harris seit der Gründung in den späten 12970er Jahren – besteht also darin, eher eine übergeordnete Perspektive einzunehmen und einen Einblick in verschiedene Branchen zu erhalten (also mit anderen Worten ein Generalist zu bleiben).
Bei Harris hat jeder Analyst im Grunde genommen freie Hand bzgl. des Auffindens und der Auswahl geeigneter Unternehmen. Einzige Einschränkung: Die Investitionskriterien der Firma sollten eingehalten werden… was kein Problem darstellen sollte, denn auf den “Fit” von Firmenphilosophie und Investmentansatz der Analysten wird bereits beim Auswahl- bzw. Einstellungsprozess viel Wert gelegt.
Interessanter Fact: Bei Harris Associates gibt es grundsätzlich keine hierarchischen (und gehaltlichen) Unterschiede zwischen Analysten und Portfolio-Managern. In beiden Rollen ist eine Weiterentwicklung bis zum Partner möglich… basierend auf den Präferenzen bzw. Vorlieben der jeweiligen Person (analysieren und intern pitchen versus extern kommunizieren etc.).
4. Sell Side Research und Netzwerk sind hilfreiche Inputgeber
Weil Harris Associates wie angesprochen vor allem auf Analysten setzt, die das Zeug zu einem sehr guten Value Investor haben (und nicht so sehr auf Leute mit einem starken Interesse an einer bestimmter Industrie, Branche oder Firma), ergeben sich logischerweise manchmal Wissenslücken oder “white spots”.
Z.B. erfordert die Analyse eines Versicherungsunternehmens in der Regel tiefergehende branchenspezifische Kenntnisse der Rechnungslegung.
In solchen Fällen nutzt Harris Associates insbesondere die Expertise spezialisierter Analysten von der Sell Side oder von anderen Experten aus den persönlichen Netzwerken der Mitarbeiter.
Im Gegensatz zu einigen anderen Value Investoren, die Sell Side Research aktiv ignorieren, sieht Nygren einen hohen Wert in der Branchenexpertise der Analysten von der Sell Side.