Bank Valuation - Übersicht über die Bewertungsverfahren

Bewertung von Banken: Ein kurzer Überblick über die Bewertungsverfahren

Bank Valuation - Übersicht über die Bewertungsverfahren

Inhalt

Die bisherigen Artikel zum Thema Banken (Funktionsweise des Geschäftsmodells einer Bank und wesentliche Charakteristika) bilden wenn ihr so wollt die Grundlage für das, was ich euch in diesem Artikel und den folgenden Artikeln nun vermitteln möchte. In diesem Artikel geht es nun ganz konkret um die Bewertung von Banken und anderen Finanzdienstleistern – eben unter Berücksichtigung der bereits angesprochenen Besonderheiten.

Soviel aber schonmal vorweg: Im Grunde werden wir für Finanzunternehmen die gleichen Bewertungsansätze nutzen wie für alle anderen Unternehmen auch… nur müssen wir halt bestimmte Anpassungen vornehmen und bestimmte Dinge explizit beachten.

Als kurze Rückblende gehe ich im folgenden Absatz nochmal ganz kurz auf diese Besonderheiten ein.


Recap: Besonderheiten von Banken und Finanzdienstleistern

Die Geschäftsmodelle von Banken (und auch anderen Finanzdienstleistungsunternehmen) haben bestimmte Besonderheiten bzw. Charakteristika, die sich teilweise substanziell auf den Jahresabschluss bzw. die Financial Statements und damit auch maßgeblich die Bewertung auswirken können. Hier nochmal die vier wesentlichen Unterschiede im Vergleich zu den meisten anderen Unternehmen:

  • Banken unterliegen i.d.R. strengen aufsichtsrechtlichen Beschränkungen hinsichtlich der Art und Weise, wie sie ihre Geschäfte führen und wie viel (Eigen)Kapital sie zurücklegen müssen
  • Die Rechnungslegungsvorschriften für die Erfassung von Erträgen und Vermögenswerten weichen bei Banken an einigen Stellen von den Rechnungslegungsvorschriften anderer Unternehmen ab (die wichtigsten Stichworte sind hier Mark-to-Market Accounting und Risikovorsorge)
  • Fremdkapital ist für Banken eher ein “Rohmaterial” als eine Kapitalquelle. Zinszahlungen werden daher typischerweise als operative Aufwendungen und damit als Bestandteil des Betriebsergebnisses (und nicht als Bestandteil des Finanzergebnisses) definiert. Die Begriffe Enterprise Value und Kapitalkosten können dem entsprechend i.d.R. nicht so leicht definiert werden
  • Der Begriff der Reinvestition bzw. des Reinvestments – erforderlich für die Realisierung zukünftigen Wachstums – ist für eine Bank oder ein Versicherungsunternehmen nur schwer zu definieren, weshalb typische Cash Flow-Kennzahlen (FCFF, FCFE, freier Cash Flow) nicht sinnvoll ermittelt werden können

Dies vorangeschickt möchte ich nun einmal auf die verschiedenen Bewertungsverfahren eingehen, die typischerweise bei Banken und ähnlichen Geschäftsmodellen zum Einsatz kommen. Zu den wesentlichen Verfahren (DDM, Excess Returns, FCFE) wird es im Anschluss noch ein, zwei konkrete Beispiele geben.


Überblick über die Bewertungsverfahren für Banken und Finanzdienstleister

Bevor wir in die Erläuterung der konkreten Bewertungsverfahren und der in Bezug auf die Bewertung von Banken relevanten Vor- und Nachteile eingehen, im Folgenden noch ein kurzer Überblick über die verschiedenen Ansätze.

Prinzipiell stehen uns für die Bewertung von Banken natürlich erstmal die gleichen Bewertungsverfahren zur Verfügung wie für alle anderen Unternehmen auch. Auf der obersten Ebene lassen sich diese Bewertungsansätze unterteilen in

  • Discounted Cash Flow-Modelle (FCFF, FCFE, DDM, …)
  • Bewertungen auf Basis der Vermögenswerte auf der Bilanz (Asset-based Valuation)
  • Relative Bewertungsmodelle (Nutzung von Multiples)

Aufgrund der Besonderheiten von Banken und Finanzdienstleistern kommen einige der Verfahren für die Bank-Bewertung gar nicht in Frage, andere müssen an einigen Stellen modifiziert werden.

Fangen wir einmal mit den möglichen Discounted Cash Flow-Ansätzen an.


Discounted Cash Flow Modelle

Im Discounted Cash Flow-Modell (DCF) wird der Wert eines Vermögenswerts aus dem Barwert der zukünftig erwarteten Zahlungsströme hergeleitet.

Grundsätzlich gibt es im Hinblick auf die Anwendung eines DCF-Ansatzes zwei gängige Bewertungsmethodiken:

  • Bei der Bewertung des Gesamtunternehmens (ermittelt wird der so genannte Enterprise Value) werden die erwarteten Free Cash Flows des Gesamtunternehmens (d.h. vor der Berücksichtigung von Zinszahlungen) mit den gewichteten Kapitalkosten (dem WACC) abgezinst. Der Wert des Eigenkapitals wird anschließend durch Abzug der Nettoverschuldung (des Net Debt) ermittelt
  • Bei der Eigenkapitalbewertung (ermittelt wird direkt der Wert des Eigenkapitals) werden die den Eigenkapitalgebern zur Verfügung stehenden Cash Flows mit den Eigenkapitalkosten abdiskontiert

Da der Zinsüberschuss – also der Spread zwischen Zinseinnahmen und Zinszahlungen – für Banken einen integralen Bestandteil des Geschäftsmodells darstellt und sich die Aufwendungen bzw. Zahlungen daher nicht eindeutig zuordnen lassen, gestaltet sich die Ermittlung der freien Cash Flows to Firm (FCFF) für eine Bank etwas schwierig.

 Aus diesem Grund bietet es sich eher an, eine direkte Bewertung des Eigenkapitals vorzunehmen. 

Wohlgemerkt gibt es aber auch hier einige wesentliche Herausforderungen bzw. Restriktionen. Normalerweise wird der Wert des Eigenkapitals anhand des Free Cash Flow to Equity (FCFE) ermittelt, welcher sich nach der folgenden Standardformel berechnet:

FCFE = Nettogewinn − Nettoinvestitionen − Veränderung des Betriebskapitals − (zurückgezahlte Schulden − neu ausgegebene Schulden)

Da jedoch sowohl die Nettoinvestitionen als auch das Betriebskapital bzw. Working Capital einer Bank nur schwer zu definieren sind (siehe dazu die wesentlichen Charakteristika einer Bank), kommen in diesem Fall drei Derivate bzw. Abwandlungen der klassischen FCFE-Bewertung in Frage:

  1. Nutzung der Dividenden als Proxy für den Cash Flow (Dividend Discount Modell): Eine Möglichkeit besteht darin, Dividenden sozusagen als Näherungswert für den Free Cash Flow zu verwenden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Bank ihre freien Cash Flows auch langfristig in Form von Dividenden ausschüttet. Da Dividenden direkt beobachtbar sind, entfällt jedenfalls schonmal die Unsicherheit über die tatsächliche Reinvestitionstätigkeit der Bank
  2. Anpassung des FCFE-Modells an regulatorische Kapitalanforderungen: Alternativ kann das FCFE-Modell so angepasst werden, dass es die spezifischen Reinvestitionen von Banken berücksichtigt, die zur Einhaltung der regulatorischen EK-Anforderungen erforderlich sind (z.B. Kapitalquote i.H.v. 8%). Da Banken im Wachstumsmodus zur Einhaltung dieser regulatorischen Quote regelmäßig Kapital aufstocken müssen, können wir argumentieren, dass es sich dabei in gewisser Weise um Wachstumsinvestitionen handelt
  3. Bewertung auf Basis der Überschussrenditen (Excess Return Methode): Die dritte Methode stellt nicht auf die Prognose von Erträgen, Dividenden oder Wachstumsraten ab, sondern konzentriert sich auf die Bewertung der Überschussrenditen. Dabei wird der jährliche Wertzuwachs entstehend aus dem Spread zwischen Eigenkapitalrendite und Eigenkapitalkosten abgezinst und über die Jahre aufsummiert. Dieser Ansatz kann besonders in den Fällen nützlich sein, in denen Ausschüttungspolitik und / oder Kapitalstruktur über die Zeit stark variieren

Letztlich hängt die Wahl der passendsten Bewertungsmethode davon ab, welche Daten die jeweilige Bank zur Verfügung stellt und welche Annahmen am besten zur spezifischen Situation des Finanzdienstleisters passen. Gehen wir also einmal etwas detaillierter auf die drei angesprochenen Methoden ein.

Hinweis: Unpassende Cash Flow Substitute

In der täglichen Bewertungspraxis werden eine Reihe weiterer, Cash Flow-artiger Methoden verwendet, um Banken und Finanzdienstleister zu bewerten.

Ein häufiger Fehler von Analysten und Investoren besteht darin, einfach die Erträge einer Bank mit einer typischen Wachstumsrate zu multiplizieren und anschließend direkt abzuzinsen und für die Bewertung heranzuziehen (sozusagen als Substitut für den Cash Flow).

Diese Methode basiert typischerweise auf der Annahme, dass Banken so gut wie keine Investitionen im eigentlichen Sinne tätigen müssen und darüber hinaus auch kein Working Capital benötigen (Vorräte und Lieferantenverbindlichkeiten etc. gibt es ja de facto nicht). Das ist zwar erstmal nicht grundsätzlich falsch. Eine gewisse Art von Investition gibt es allerdings schon: Nämlich die Investition in zusätzliches regulatorisch erforderliches Eigenkapital, um im Rahmen der Ausweitung des Kreditgeschäfts nicht unter die gesetzliche Mindestanforderung zu fallen. Wird dies nicht entsprechend berücksichtigt, ist das Bewertungsmodell in sich nicht konsistent.

Eine noch stärkere Verzerrung der Cash Flows entsteht dann, wenn Analysten die Bank im Rahmen der DCF-Bewertung wie ein herkömmliches Industrieunternehmen behandeln, also beispielsweise die in der Kapitalflussrechnung ausgewiesenen Investitionen und Veränderungen des Working Capital in Bezug zu irgendeiner Gewinnkennzahl setzen, um diese fortzuschreiben. Nach klassischer Rechnungslegung sind die Nettoinvestitionen einer Bank meist sehr gering oder sogar negativ, sodass eine unreflektierte Anwendung bestimmter Ratios höchstwahrscheinlich ein falsches Bild der wirtschaftlichen Realität zeichnet. Auch die Nutzung der typischen Working Capital-Definition – die Differenz zwischen kurzfristigen Vermögenswerten (exkl. Cash) und kurzfristigen Verbindlichkeiten (ohne Finanzschulden) – kann zu stark schwankenden und wirtschaftlich wenig aussagekräftigen Werten führen.


Dividend Discount Modelle

Das Dividend Discount Modell (DDM) basiert auf der Annahme, dass der Wert einer Aktie dem Barwert aller zukünftig erwarteten Dividendenzahlungen entspricht (die Dividenden werden also mithilfe der Eigenkapitalkosten abdiskontiert). Hier die grundlegende Formel zur Ermittlung des EK-Wertes:

Obwohl das Dividend Discount Modell ein etwas angestaubtes Image besitzt, bleibt es insbesondere für die Bewertung von Banken und Finanzdienstleistern ein sehr nützliches Instrument (und ist in dieser Nische auch relativ weit verbreitet).

Dividenden sind nämlich wie gesagt direkt beobachtbar und damit für eine Bank – gegeben die Schwierigkeiten mit der Abschätzung des freuen Cash Flows – erstmal der beste verfügbare Indikator für den den Anteilseignern zuordenbaren Cash Flow.

Allerdings hängt die Belastbarkeit der Dividendenzahlung im Hinblick auf die Bewertung – so wie für jedes andere Unternehmen auch – von der konkreten Ausgestaltung der Dividendenpolitik ab.

Schüttet eine Bank nur einen geringen Anteil ihres erwirtschafteten Nettogewinns in Form einer Dividende aus (weil sie z.B. ihre Kapitalbasis über das regulatorisch vorgeschriebene Maß hinaus stärken will), dann könnte ein auf Basis der Ausschüttung ermittelter EK-Wert nicht die volle Ertragskraft der Bank widerspiegeln und die Aktie deshalb überbewertet bzw. zu teuer erscheinen.

Umgekehrt könnte die Dividende allerdings auch zu einem zu hohen Bewertungsergebnis führen, z.B. wenn die Bank – im Extremfall – ihre Dividendenzahlung durch die Aufnahme von Schulden finanziert (und damit de facto die Kapitalbasis schwächt).

Die Dividende sollte deshalb nicht isoliert, sondern immer im Kontext der übergeordneten Strategie zur Kapitalallokation betrachtet werden.

Ein konsistentes DDM erfordert realistische Annahmen zu drei Faktoren:

  • Eigenkapitalrendite (Return on Equity)
  • Ausschüttungsquote (determiniert Cash Flows und erzielbares Wachstum)
  • Eigenkapitalkosten (Diskontierungsrate zukünftiger Dividenden)

Die ersten beiden Faktoren zusammengenommen bestimmen das mögliche Gewinnwachstum (und damit auch das Wachstum der Dividenden). Die fundamentale Beziehung zwischen Wachstum und Ausschüttung lautet folgendermaßen:

Erwartetes Gewinnwachstum = ROE × (1 − Ausschüttungsquote)

Wenn eine Bank also z.B. 60% ihres Gewinns an die Aktionäre ausschüttet und eine Eigenkapitalrendite (ROE) von 12% erzielt, beträgt das erwartete Wachstum 4,8%.

Wenn ihr euch die Formel einmal etwas genauer anschaut, dann werdet ihr feststellen, dass zwischen Ausschüttung und Wachstum ein gewisser Zielkonflikt besteht… heißt: Man kann im Zweifel nicht beides haben, weil ein hoher Ausschüttungsanteil die Eigenkapitalbildung und damit das zukünftige Wachstum begrenzt.

Langfristig sollte sich das Wachstum allerdings sowieso stabilisieren und ein gewisses Plateau erreichen (heißt eine nachhaltig erzielbare Größenordnung). Ist das der Fall, dann ergibt sich die Ausschüttungsquote sozusagen rückwärts aus dem im Markt noch erzielbaren Wachstum und der nachhaltigen EK-Rendite:

Ausschüttungsquote bei stabilem Wachstum = 1 − (g / ROE)

Nochmal wichtig in Bezug auf die Bewertung einer Bank: Wenn wir das DDM in dieser Art und Weise anwenden, dann sollte die Kapitalstruktur i.W. konstant bleiben (und die erforderliche Kapitalquote entsprechend eingehalten werden). Wenn wir also eine Veränderung in der Kapitalstruktur modellieren möchten – z.B. weil die Kapitalquote der Bank für ein nachhaltiges Wirtschaften tatsächlich zu gering ist, dann können wir das in das Modell einbauen. Wie das geht, zeige ich euch allerdings am besten anhand eines konkreten Beispiels.

Hinweis: Dividenden und Aktienrückkäufe sollten als Gesamtausschüttungsquote betrachtet werden. Um kurzfristige Schwankungen zu glätten, sollten wir uns die Ausschüttungsquote darüber hinaus über einen längeren Zeitraum ansehen und einen passenden Durchschnittswert ableiten.

Cash Flow to Equity Modelle

Wie bereits erwähnt, ist es oft schwierig, den Free Cash Flow einer Bank auch nur annähernd zu bestimmen, da sich die Nettoinvestitionen (CapEx minus Abschreibungen) sowie auch die Veränderung des nicht zahlungswirksamen Betriebskapitals (Non Cash Working Capital) nicht so leicht ermitteln lassen wie bei einem klassischen Industrieunternehmen. Dennoch ist es möglich, den Cash Flow to Equity (FCFE) zu ermitteln und eine Bank auf dieser Basis zu bewerten… sofern… ja sofern wir die Definition der Reinvestition entsprechend anpassen.

Der Cash Flow to Equity gibt an, welcher Cash Flow nach Berücksichtigung der Reinvestitionen und der Nettoneuverschuldung (Neuverschuldung minus Tilgung) für die Eigenkapitalgeber übrig bleibt.

Während Unternehmen aus anderen Branchen typischerweise in Sachanlagen wie Produktionsanlagen oder Maschinen investieren, erfolgt die Reinvestition bei Banken und Finanzdienstleistern primär in Form von regulatorischem Kapital. Dieses von den Aufsichtsbehörden festgelegte bzw. erforderliche Kapital bestimmt maßgeblich die Wachstumsgrenzen für die zukünftige Kreditvergabe.

Daher können wir für den Cash Flow to Equity im Falle einer Bank die folgende Gleichung aufstellen:

FCFEBank = Nettogewinn − Reinvestition in regulatorisches Kapital

Um die Höhe der Reinvestition in regulatorisches Kapital zu bestimmen, sind zwei wesentliche Faktoren zu berücksichtigen.

Der erste Faktor ist logischerweise der Buchwert des Eigenkapitals bzw. die daraus resultierende EK-Quote, welche als Maßstab für die Kapitalanforderungen dient. Diese Quote wird in der Praxis sowohl von den regulatorischen Vorgaben als auch von den strategischen Entscheidungen der Bank beeinflusst.

Heißt im Klartext: Während konservativ geführte Banken oft eine höhere Eigenkapitalquote vorhalten, um sich vor unerwarteten Liquiditätsengpässen zu schützen, nähern sich risikofreudigere Banken häufig den minimalen regulatorischen Anforderungen an.

Ich wiederhole nochmal die Logik anhand eines Beispiels:

Eine Geschäftsbank erzielte im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Nettogewinn i.H.v. 15 Mio. EUR.

Szenario Nr. 1: Die Bank hält sich an die regulatorische Kapitalanforderung von 8%, d.h. sie kann je investierten EUR an Eigenkapital insgesamt 12,5 EUR an Krediten vergeben. Wenn die Bank also sagen wir mal 5 Mio. EUR ihres Nettogewinns in Form einer Dividenden an die Aktionäre ausschüttet, dann nimmt das Eigenkapital auf der Bilanz um die restlichen 10 Mio. EUR zu. Dadurch kann die Bank im folgenden Geschäftsjahr zusätzlich 125 Mio. EUR (= 10 Mio. EUR / 8%) an Krediten vergeben, was langfristig zu einer höheren Wachstumsrate führt.

Szenario Nr. 2: Die Bank agiert im Vergleich zur regulatorischen Anforderung etwas konservativer und hält entsprechend ihrer internen Policy eine Kapitalquote von 10% ein. Darüber hinaus verfolgt sie eine Dividendenpolitik, die eine Ausschüttung von zwei Dritteln des erwirtschafteten Nettogewinns vorsieht. Diese Bank schüttet also 10 Mio. USD aus und führt dem entsprechend nur 5 Mio. EUR der Gewinnrücklage zu. Mit diesen zusätzlichen 5 Mio. EUR kann die Bank neue Kredite in einer Größenordnung von 50 Mio. EUR vergeben (= 5 Mio. EUR / 10%). Das zukünftige Wachstum dieser Bank wird also im relativen Vergleich substanziell geringer ausfallen.

Der zweite entscheidende Faktor ist die Rentabilität des Geschäfts, die sich über den Nettogewinn definiert. In unserem Beispiel müssen wir festlegen, wie viel Gewinn die Bank mit den neu vergebenen Krediten erzielt. Liegt die EK-Rendite der Bank z.B. bei 4,0%, würde das zusätzliche Kreditvolumen von 125 Mio. EUR in Szenario 1 ein zusätzliches Nettoeinkommen von 5 Mio. EUR generieren.

Wenn wir das Ganze nun einmal ein Jahr weiterdenken (für Szenario 1), dann sollte die Bank im Folgejahr bei konstanter EK-Rendite einen Nettogewinn i.H.v. 20 Mio. EUR erwirtschaften (die bisherigen 15 Mio. EUR zzgl. des gerade ermittelten Gewinnwachstums i.H.v. 5 Mio. EUR.

Wenn von diesem Nettoergebnis entsprechend der aktuellen Dividendenpolitik wieder ein Drittel in Form einer Dividende ausgeschüttet wird, kann der Rest (13,3 Mio. EUR) für die Generierung weiteren Wachstums genutzt werden. Der FCFE ergibt sich also folgendermaßen:

FCFE = Nettogewinn – Reinvestition in regulatorisches Kapital = 20 Mio. EUR – 13,3 Mio. EUR = 6,7 Mio. EUR

Ihr seht: Wir ermitteln den FCFE also sozusagen rückwärts unter der Annahme, dass der komplette nicht ausgeschüttete Gewinn als zusätzliches regulatorisches Kapital gezählt und in zusätzliches Wachstum übersetzt wird.

Sofern wir also nicht unterstellen, dass sich Cash auf der Bilanz ansammelt, ohne von der Bank im Sinne des regulatorischen Kapitals “genutzt” zu werden, sollte der FCFE also im Grunde genommen 1-zu-1 der Dividende entsprechen. Dem entsprechend sollten beide Modelle normalerweise zu identischen fairen Bewertungen für das EK führen.


Excess Return-Modelle

Mithilfe eines Excess Return-Modells bewerten wir eine Bank anhand ihrer Fähigkeit, eine Ãœberschussrendite, d.h. einen “Excess Return”, zu erwirtschaften. Mit der Begrifflichkeit “Excess Return” ist i.W. eine EK-Rendite oberhalb der Eigenkapitalkosten gemeint (bzw. bei einer Unternehmensbetrachtung ein ROCE oberhalb des WACC).

Der Absolutwert der Ãœberschussrendite wird entsprechend der folgenden einfachen Formel ermittelt:

Überschussrendite = (ROE − Eigenkapitalkosten) × investiertes Eigenkapital

Für ein tiefergehendes Verständnis der Überschussrendite empfehle ich euch unseren Beitrag zum Thema Shareholder Value.

Der faire Wert des Eigenkapitals der Bank ergibt sich schlussendlich aus der Addition des aktuellen Buchwerts des Eigenkapitals und des Barwerts aller zukünftig erwarteten Überschussrenditen.

In der Konsequenz führt der Bewertungsansatz zu den folgenden Ergebnissen:

  • Liegt die Eigenkapitalrendite (ROE) oberhalb der Eigenkapitalkosten (EK-Kosten), dann wird der faire EK-Wert oberhalb des aktuellen Buchwerts liegen (Marktwert > Buchwert)
  • Ist der ROE gleich der EK-Kosten, reflektiert der Buchwert bereits den fairen Wert (Marktwert langfristig = Buchwert)
  • Liegt der ROE unterhalb der EK-Kosten, dann sollte der faire EK-Wert unterhalb des Buchwerts liegen (Marktwert < Buchwert)

Im Detail bestimmen also zwei zentrale Faktoren die Bewertung:

Während die historische Eigenkapitalrendite natürlich leicht ermittelt werden kann, ist eine realistische Abschätzung der zukünftigen Werte schon etwas anspruchsvoller. Im Grunde müssen wir für eine solide Ableitung Wettbewerbsposition und Markttrends sowie betriebliche Stärken und Schwächen der Bank analysieren.


Vermögensbasierte Bewertung (Asset-based Valuation)

Bei der vermögensbasierten Bewertung oder “Asset-based Valuation” ermitteln wir den Eigenkapitalwert einer Bank, indem wir die bilanziellen Vermögenswerte (wie z.B. das Kreditportfolio) bewerten und anschließend Finanzschulden sowie andere Verbindlichkeiten abziehen.

In dieser Hinsicht kommt uns die breite Anwendung des Mark-to-Market Accounting in der Finanzbranche erstmal zugute. Aber… die auf der Bilanz ausgewiesenen Marktwerte der Assets müssen nicht zwangsläufig auch “richtig” sein bzw. die tatsächlich auch realisierbaren Marktwerte reflektieren. Das liegt unter anderem daran, dass die Marktwerte mindestens zu einem gewissen Teil auf Annahmen des Managements beruhen können (siehe dazu auch unsere Fallstudie zur Noble Group). Und auch den Märkten selbst können wie wir wissen hin und wieder Fehler unterlaufen (siehe die Bewertungen der Mortgage-Backed Securities (MBS) bis kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise).

Wie können wir also vorgehen, um die bilanziellen Marktwerte entsprechend abzusichern und wie prüfen wir beispielsweise ganz konkret das Kreditportfolio einer Bank (oder auch die Policen eines Versicherungsunternehmens)?

Eine Möglichkeit besteht darin, einen hypothetischen Verkaufspreis abzuschätzen (bei einem unterstellten Verkauf an ein anderes Finanzunternehmen). Besser wäre jedoch eine Bewertung anhand der zu erwartenden Zahlungsströme.

Beispiel: Eine Bank besitzt ein Kreditportfolio im Wert von ca. 1 Mrd. EUR und mit einer durchschnittlichen Restlaufzeit von acht Jahren. Das Portfolio generiert darüber hinaus jährliche Zinserträge i.H.v. ca. 70 Mio. EUR (was einem Zinssatz i.H.v. 7% entspricht).

Wenn der Marktzins für ein vergleichbarer Kreditportfolio aufgrund des Ausfallrisikos nun bei 6,5% liegt – eine Kennzahl, die durch Rating-Agenturen oder die Analyse des Ausfallrisikos und der Credit Spreads abgeschätzt werden kann – ergibt sich folgender Wert für das Kreditportfolio:

Wert des Kreditportfolios = 70 Mio. EUR (Barwert der Annuität, 6,5% über 8 Jahre) + 1.000 Mio. EUR / 1,0658 = 426 Mio. EUR + 604 Mio. EUR = 1.030 Mio. EUR

wobei:

  • der erste Teil der Formel die laufenden Zinserträge der Bank aus dem Kreditportfolio über die Laufzeit von acht Jahren mit dem relevanten Marktzins (6,5 %) diskontiert und
  • der zweite Teil die Rückzahlung des verliehenen Geldbetrags zum Ende der achtjährigen Vertragslaufzeit reflektiert (abgezinst auf den heutigen Zeitpunkt).

Aufgrund der höheren Zinsen im Vergleich zum Markt (7,0% versus 6,5%) liegt der faire Wert des Kreditportfolios logischerweise oberhalb des Buchwerts (sofern dieser nicht auf Basis der gleichen Methodik bereits “hochgeschrieben” wurde).

Um aus dem fairen Wert des Kreditportfolios nun den entsprechenden Wert des Eigenkapitals der Bank abzuleiten, müssen wir im nächsten Schritt noch die Werte der entsprechenden Verbindlichkeiten (Einlagen, Anleiheschulden, andere Verbindlichkeiten) abziehen.

Der dargestellte Bewertungsansatz eignet sich insbesondere für etablierte Banken oder Finanzdienstleister, Unternehmen also mit einem relativ geringem Wachstumspotenzial.

Daher auch zwei wesentliche Einschränkungen:

  • Ein mögliches zukünftiges Wachstum (und mögliche Ãœberschussrenditen daraus) kann bei diesem Bewertungsansatz nicht sinnvoll berücksichtigt werden
  • Das Vorhandensein mehrerer sehr unterschiedlicher Geschäftsfelder (Kreditgeschäft, Insurance, Investment Banking etc.) verkompliziert den Ansatz aufgrund der abweichenden Ertragsstrukturen etc. substanziell

Ergo sollte die Bewertung einer Bank auf Basis der vorhandenen cash-generierenden Assets deshalb immer vor dem Hintergrund einer Analyse der langfristigen Wachstumsfelder (und der korrespondierenden Rentabilität – Werden Ãœberschussrenditen erzielt?) durchgeführt werden.


Relative Bewertungsverfahren

Es gibt zahlreiche Multiplikatoren, die typischerweise zur Unternehmensbewertung herangezogen werden. Eine detaillierte Übersicht könnt ihr z.B. im Artikel zur relativen Unternehmensbewertung nachlesen.

Wenn wir uns also einmal direkt auf die Bewertung von Banken und Finanzdienstleistern fokussieren, dann fallen einige gängige relative Bewertungsverfahren schonmal raus:

  • Klassische Unternehmenswert-Multiplikatoren wie EV/EBITDA oder EV/EBIT sind für Finanzdienstleister nur eingeschränkt nutzbar, da sowohl der Unternehmenswert (EV) als auch das Betriebsergebnis (EBITDA bzw. EBIT) von Banken und Versicherungen nicht wirklich sinnvoll ermittelt werden kann
  • Gleiches gilt für das bekannte Kurs-Umsatz-Verhältnis… die Umsätze einer Bank sind ebenfalls nicht sinnvoll ermittelbar

Bleiben im Wesentlichen die beiden am weitesten verbreiteten Multiples übrig:

  • das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV, Price-to-Earnings Ratio, P/E)
  • das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV, Price-to-Book Ratio, P/B)

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) einer Bank oder Versicherung wird grundsätzlich auf dieselbe Art und Weise ermittelt wie bei allen anderen Unternehmen auch:

KGV = Preis je Aktie / Gewinn je Aktie

​Allerdings gibt es einige Besonderheiten, die wir bei der Nutzung des P/E Ratios im Rahmen der Bewertung einer Bank beachten sollten.

Zum besseren Verständnis holen wir hier nochmal etwas aus. Das KGV wird grundsätzlich maßgeblich von drei Faktoren beeinflusst:

  • vom erwarteten Gewinnwachstum: Unternehmen mit höheren zukünftigen Wachstumsraten sollten tendenziell höhere KGVs aufweisen
  • von der Ausschüttungsquote: Höhere Dividendenzahlungen machen eine Aktie attraktiver, was i.d.R. zu einem Aufschlag auf das KGV führt
  • von den Eigenkapitalkosten: Niedrigere Eigenkapitalkosten rechtfertigen ceteris paribus ein höheres Bewertungsniveau

U.a. haben Vitaly Katsenelson (Absolute PE Ansatz) und Nicolas Schmidlin (Faires KGV) mögliche Ansätze zur Bottom-up Ermittlung eines angemessenen KGV vorgestellt… bei Interesse lest euch diese einmal durch.

Eine zentrale Herausforderung bei der Nutzung des KGV im Bankbereich besteht in der Bilanzierung von Rückstellungen (also der inzwischen denke ich bekannten Risikovorsorge):

  • Banken, die besonders konservativ bei der Einstufung potenziell notleidender Kredite vorgehen, weisen tendenziell niedrigere Gewinne aus (was ceteris paribus zu höheren KGVs führt)
  • Banken mit einer weniger vorsichtigen Rückstellungspraxis berichten dagegen höhere Gewinne (und haben tendenziell niedrigere KGVs)

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Diversifizierung vieler Finanzdienstleister. Banken und Versicherungen operieren häufig in mehreren Geschäftsbereichen, die sich hinsichtlich Wachstumspotenzial, Risikoprofil, Kapitalrendite etc. stark unterscheiden können.

Das P/E-Multiple, welches ein Investor beispielsweise für Gewinne aus dem klassischen Kreditgeschäft zu zahlen bereit wäre, unterscheidet sich ggf. erheblich von demjenigen, das er für Erträge aus Handels- oder Investmentbanking-Aktivitäten aufrufen würde.

Für einen wirklich aussagekräftigen Vergleich kann es deshalb insbesondere bei stark diversifizierten Finanzinstituten sinnvoll sein, die Gewinne nach Geschäftsbereichen aufzuschlüsseln und für jede Sparte ein separates P/E Multiple zu definieren.


Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV)

Neben dem KGV stellt das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) oder Price-to-Book Ratio (P/B) die zweite zentrale Kennzahl für die Bewertung von Banken und Finanzdienstleistern dar. Wie vermutlich bereits bekannt, lässt sich das KBV rechnerisch folgendermaßen ermitteln:

KBV = Preis je Aktie / Buchwert des Eigenkapitals je Aktie

Ein hohes KBV deutet darauf hin, dass Investoren dazu bereit sind, einen Aufschlag auf das buchhalterische Eigenkapital eines Unternehmens zu zahlen… ein Umstand, der meist in Zusammenhang steht zu einer hohen (erwarteten) Eigenkapitalrendite und / oder einer hohen Wachstumserwartung.

Ganz generell wird die Höhe des KBV aber noch von ein paar weiteren Faktoren beeinflusst:

  • von der Eigenkapitalrendite bzw. dem ROE (die wichtigste Determinante des KBV): Banken mit überdurchschnittlicher Rentabilität weisen oft ein höheres KBV auf
  • vom erwarteten Gewinnwachstum: Höhere künftige Gewinne rechtfertigen ein höheres KBV
  • von der Ausschüttungsquote: Unternehmen mit attraktiven Dividendenrenditen erzielen tendenziell höhere Bewertungen
  • von den Eigenkapitalkosten: Geringere Kapitalkosten erhöhen den Barwert zukünftiger Erträge und damit das KBV

Diese Faktoren sollten wir dem entsprechend bei der Festlegung eines angemessenen Kurs-Buchwert-Verhältnisses berücksichtigen.

Bei Finanzdienstleistern besteht ein besonders enger Zusammenhang zwischen KBV und ROE, da der Buchwert des Eigenkapitals oft eine realistischere Annäherung an den tatsächlichen Marktwert der Vermögenswerte darstellt als in anderen Branchen. Auch dieser Umstand sollte in die Bewertung mit einfließen.


Bottom Line

Obwohl die bekannten Bewertungsverfahren grundsätzlich auch für Banken und Finanzdienstleister zur Anwendung kommen, gibt es einige Spezifika, die eine differenzierte Herangehensweise (heißt im Zweifel eine Anpassung des jeweiligen Bewertungsmodells) erfordern.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Bewertung von Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen eine detaillierte Analyse nicht nur der finanziellen Kennzahlen, sondern auch der regulatorischen Rahmenbedingungen erfordert.

Aufgrund der strukturellen Besonderheiten von Banken und Finanzdienstleistern kommen für die Bewertung nur ausgewählte Bewertungsverfahren in Betracht. Als besonders “passend” hervorzuheben sind hier insbesondere

  • die Bewertung auf Basis der ausgeschütteten Dividenden (sofern stabil und repräsentativ)
  • die Bewertung auf Basis eines angepassten Free Cash Flows to Equity (mit den Zuführungen zum regulatorischen Kapital als Proxy für die Wachstumsinvestitionen)
  • die Bewertung auf Basis der erwarteten Ãœberschussrenditen (“Excess Returns”)

Wenn darüber hinaus das zukünftige Wachstum nur eine nachrangige Rolle spielt, können eine Bewertung auf Basis der vorhandenen Vermögenswerte (“Asset-based Valuation”) bzw. des Kurs-Buchwert-Verhältnisses sinnvolle Alternativen darstellen.

Um das Ganze noch etwas greifbarer zu machen, werde ich in den Folgeartikeln einmal ein paar etwas konkrete Bewertungsbeispiele vorstellen.

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