Aktien-Bewertung: Wie wir die “Richtigkeit” des intrinsischen Wertes einschätzen

Bewertungsansätze für die Aktienauswahl

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Bewertungsansätze für die Aktienauswahl

Es gibt ja etliche Bewertungsverfahren für Aktien oder auch Immobilien und andere Vermögenswerte. Das richtige Bewertungsverfahren für eine bestimmte Situation oder ein bestimmtes Unternehmen zu finden – oder auch eines, das zu unserem Investitionsansatz passt –  ist deshalb oft nicht ganz leicht. Ich bin der Meinung, dass wir standardmäßig verschiedene Ansätze sowie eine Sensitivitätsanalyse für die Bewertung brauchen, um ein Gefühl für die “Richtigkeit” des intrinsischen Wertes zu bekommen.

Ich habe mal versucht, die verschiedenen Bewertungsansätze etwas zu kategorisieren. Und zwar abhängig von der Unsicherheit hinsichtlich unserer Annahmen für die Bewertung. Ich glaube, dass uns das dabei hilft, den Punkt zu identifizieren, an dem wir eigentlich keine Klarheit mehr über die zukünftige Entwicklung eines Unternehmens haben. Mir hat es jedenfalls geholfen.

Eine ähnliche Einordnung hat übrigens auch Howard Marks von Oaktree Capital getroffen. Laut Marks liegt der wesentliche Unterschied zwischen Value Investing und Growth Investing einfach nur darin, dass sich Value Investoren den aktuellen Wert und Wachstumsinvestoren den zukünftigen Wert eines Unternehmens ansehen. Was ja eigentlich nichts anderes ist, als verschiedene Grade der Unsicherheit anzuschauen.

Für mich gibt es deshalb die Differenzierung in Value und Growth auch nicht wirklich. Als Value Investor schaue ich mir natürlich auch die zukünftigen Wachstumsoptionen an. Vor allem möchte ich aber wissen, welcher Anteil des abgeschätzten intrinsischen Wertes in diesem zukünftigen Wachstum steckt.


1. Erstmal keine Wette auf zukünftige Wertsteigerungen eingehen

Mein Ausgangspunkt ist in diesem Fall mein Standardansatz beim Immobilienkauf.

Ich tue dabei erstmal immer so, als ob die Immobilie unverkäuflich wäre. Was sie ja ggf. aufgrund von Kaufnebenkosten, Vorfälligkeitsentschädigungen, Spekulationsfrist etc. auch erstmal ist. Ich stelle mir also die Frage, ob ich bereit wäre, eine Immobilie zum aktuellen Marktpreis zu kaufen, wenn ich wüsste, dass ich die Immobilie nie wieder verkaufen könnte.

Gehe ich so vor, dann kaufe ich eine Immobilie natürlich nur, wenn das Investment bereits zum Kaufzeitpunkt einen positiven Cash Flow plus eine angemessene Rendite erwirtschaftet (diese zwei Punkte hängen zwar natürlich zusammen, je nach Finanzierungsvariante kann es aber schon Abweichungen geben).

Potenzielle Mieterhöhungen in der Zukunft oder allgemein steigende Immobilienpreise (z.B. weil im aktuellen Hype alle unbedingt eine Eigentumswohnung kaufen wollen) sind dann höchstens ein netter positiver Nebeneffekt. Alle diese eher unsicheren Faktoren definieren aber nicht, ob das Investment an sich funktioniert. Und vor allem hängt von diesen Faktoren nicht ab, ob ich eine Investition grundsätzlich tätige.

Ich würde also nie eine Immobilie oder eine Eigentumswohnung kaufen, bei der der Kaufpreis und die aktuellen Mieteinnahmen nicht im richtigen Verhältnis stehen. Von einem hohen Wert auf dem Papier kann ich mir erstmal nichts kaufen, wenn die Mieteinnahmen von vornherein nicht reichen, um die Kreditrate zu bedienen (vereinfacht gesprochen).


2. Unseren Grad der Unsicherheit einschätzen

Genauso können wir grundsätzlich auch bei unseren Aktien-Investments vorgehen. Allerdings ist aus meiner Sicht im Bereich Unternehmens- bzw. Aktienbewertung alles etwas differenzierter zu betrachten.

Wichtige Fragen hier lauten zum Beispiel:

  • Wie sicher fühlen wir uns mit unserer Bewertung?
  • Wie viel Unsicherheit steckt in unseren Annahmen?
  • An welche Wachstumsoptionen glauben wir konkret und warum?

Um Sicherheit bzgl. unserer Bewertung zu erhalten, können wir nun schrittweise entsprechend dem Grad der Unsicherheit vorgehen.


Starten beim Wert heute

Wir können uns zunächst einmal anschauen, wie viel eine Aktie unter den heute gegebenen Rahmenbedingungen wert ist. Also ohne großartiges Wachstum etc. einzupreisen. Und unter der Annahme, dass Umsätze, Gewinne und Cash Flows in der Zukunft einfach so bleiben wie sie heute sind. Ggf. sollten wir natürlich noch auf ein repräsentatives Durchschnittsjahr normalisieren. Im Vergleich wäre wahrscheinlich nur eine Bewertung über den Liquidationswert noch konservativer.


Gut einzuschätzendes Wachstum

Als nächstes können wir uns dann schrittweise die Wachstumsoptionen ansehen.

Gibt es zum Beispiel bestimmte Produkte, Dienstleistungen etc., die kurz vor dem Release stehen und für die wir mit einiger Sicherheit abschätzen können, wie viel Gewinn bzw. Cash wir damit in den nächsten Jahren generieren werden?

Bei Pharmafirmen lässt sich zum Beispiel auf Basis der vorhandenen Patente oft recht genau abschätzen, was in den nächsten Jahren an Gewinnen zu erwarten ist. Nach Auslaufen der Patente wird die Unsicherheit dann allerdings extrem hoch. Wenn wir diese Wachstumsoptionen bewerten, dann gibt uns das einen zusätzlichen Wert, den wir einfach zum Wert der aktuellen Cash Flows hinzuaddieren können.


Unsicherere Wachstumsoptionen

In einem dritten Schritt können wir uns dann auch weitere, allerdings im Vergleich weitaus unsicherere Wachstumsoptionen ansehen und / oder ein paar Jahre weiter in die Zukunft schauen.

Wie wird sich z.B. das Cloud-Business von Microsoft (MSFT) entwickeln, das derzeit eines der wichtigsten Wachstumsfelder des Unternehmens darstellt?

Hier wird es dann so langsam schwierig und das Stichwort lautet Überzeugung.

Waren wir bei der Abschätzung des Wertes auf Basis der aktuellen durchschnittlichen Gewinne bzw. Cash Flows noch sehr analytisch unterwegs, so ist es bei der Analyse der Wachstumsoptionen umso wichtiger, dass wir uns eine unabhängige Meinung über die Wachstumsoptionen bilden, die ggf. auch einer anders lautenden Meinung des Marktes standhält.

Mit einem Bewertungsmodell, z.B. einem Discounted Cash Flow Modell, können wir nämlich so gut wie alles ausrechnen. Je nach Annahmen und Inputs können wir ein und dasselbe Unternehmen entweder für unterbewertet oder auch überbewertet halten. Wir müssen uns also sehr genau über die Annahmen im Klaren sein, die wir in unser Bewertungsmodell einfließen lassen. Und über die ganzen externen Einflüsse, die unsere Meinung bereits im Vorfeld unterbewusst irgendwo prägen.

Mithilfe dieses schrittweisen Ansatzes können wir uns aber erstmal gut an den intrinsischen Unternehmenswert herantasten. Zusätzlich können wir für uns selbst gut festlegen, an welchen Wert wir noch glauben bzw. ab welchem Punkt die Unsicherheit überwiegt.

Über eine zusätzliche Sensitivitätsanalyse können wir uns außerdem ansehen, wie stark vor allem der Einfluss unserer Annahme bzgl. des Free Cash Flow Wachstums auf den intrinsischen Wert ist.


Welche Bewertungsmethoden bzw. Modelle wir wann nutzen können

Der Discounted Cash Flow Ansatz ist so etwas wie die Geheimwaffe des Value Investors.

Was nicht heißt, dass es grundsätzlich der beste Bewertungsansatz ist, sondern erstmal nur, dass der Ansatz eigentlich in mehr oder weniger allen Fällen funktioniert (mit Ausnahme des Liquidationswerts und des Replacement Value).

Größter Vorteil: Wir können im Rahmen einer DCF-Modellierung auch einzelne Bausteine bzw. Zeiträume separat bewerten und sind bzgl. der Annahmen sehr flexibel. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, welcher Teil des intrinsischen Wertes eines Unternehmens woher kommt und ob wir diesen in unserer Bewertung berücksichtigen möchten (Stichwort Endwert bzw. Terminal Value).

Hier eine Übersicht der Bewertungsverfahren, die wir je nach Grad unserer Unsicherheit nutzen können (natürlich nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit).


Konservative Bewertung (eher analytisch)

  • Wert der Assets im Liquidationsfall. Dies ist der Wert, den wir noch bekommen, wenn das Unternehmen pleite ist und die Vermögenswerte einzeln verkauft werden. Bei einer Immobilie wäre das Äquivalent hier vermutlich mehr oder weniger der Grundstückswert. Dieser Ansatz ist also sehr konservativ. Wir schauen eigentlich erstmal gar nicht auf Gewinne, Cash Flows oder Wachstum, sondern nur auf die Bilanz und die Werthaltigkeit der einzelnen Vermögenswerte (auch bekannt als Net Net Investing)
  • Intrinsischer Wert heute (z.B. der Wert der aktuellen, normalisierten Cash Flows ohne Annahme von Steigerungen in der Zukunft). Hierfür können wir geeignete Multiples (z.B. EBIT Multiple oder noch besser FCF Multiple) oder eine Abzinsung der aktuellen Cash Flows als ewige Rente (einfachste Form eines DCF-Modells) nutzen. Simple KGVs würde ich aufgrund der Accounting-Einflüsse nur im Ausnahmefall nutzen

Wachstumsoptionen

  • Wertsteigerung resultierend aus einem konservativ abgeschätzten Wachstum der Cash Flows für die nächsten 2-5 Jahre (vielleicht noch korrigiert um Änderungen der Finanzierungskosten). Die Bewertung kann gestaffelt mithilfe eines Discounted Cash Flow Modells erfolgen, z.B. zunächst über eine Bewertung der relativ sicheren Wachstumsoptionen
  • Wertsteigerung resultierend aus weiteren, allerdings schwerer abzuschätzenden Wachstumsoptionen für die nächsten 2-5 Jahre. Auch hierfür kann ein DCF-Modell der richtige Ansatz sein
  • Langfristiges Wachstum über den einigermaßen sicher abzuschätzenden Zeitraum hinaus. Auch hier können wir mit einer Kombination aus einer Multiple-Bewertung und einem DCF-Modell arbeiten. Wir können also z.B. den über ein Cash Flow Multiple oder eine ewige Rente ermittelten Aktienkurs in 5 Jahren mithilfe der DCF-Methode auf das aktuelle Jahr abzinsen
  • Ersatzwert (Replacement Value). Dies ist im Wesentlichen das Geld, welches ein Wettbewerber investieren müsste, um das zu bewertende Unternehmen komplett zu kopieren. Und zwar inklusive aller Produktionsstätten, Vertriebsstandorte und -netzwerke, Kundenbeziehungen, der Marke etc.

Lessons Learned

Unabhängig von der Art des Vermögenswertes (Immobilie oder Aktie) ist mein Ansatz eher konservativ. Das heißt ich investiere grundsätzlich nur in Vermögenswerte, die aus heutiger Sicht, also auf Basis der aktuellen (oder der recht kurzfristig erzielbaren) Cash Flows, nicht überbewertet sind. Nicht überbewertet heißt folgendes: Der aktuelle Marktpreis oder angebotene Verkaufspreis liegt um einiges unter meinem errechneten intrinsischen Wert (Stichwort Sicherheitsmarge).

Ist das nicht gegeben, dann investiere ich nicht.

Den intrinsischen Wert können wir auf verschiedene Arten und Weisen abschätzen. Um ein Gefühl für die “Richtigkeit” des von uns ermittelten intrinsischen Wertes zu bekommen, sollten wir verschiedene Bewertungsansätze wählen (Wert der aktuellen Cash Flows, Wert der zusätzlichen Cash Flows aus Wachstum in den nächsten 2-5 Jahren etc.) und zusätzlich eine Sensitivitätsanalyse hinsichtlich unserer Wachstumsannahmen durchführen.

Analytisch ein Unternehmen zu bewerten ist eigentlich kein Hexenwerk. Die größte Schwierigkeit liegt für mich persönlich eher darin, unter Unsicherheit zu einer “argumentationssicheren” Meinung zu gelangen.

Hierfür ist die Verwendung mehrerer Bewertungsverfahren und eine Unterteilung des intrinsischen Werts z.B. in einen “sicheren”, einen “unsicheren” und einen “unklaren” Teil ein erster Schritt. Ich nähere mich dem ganzen Thema Unsicherheit also zunächst einmal über die Analytik an.


Was sonst noch?

Habt ihr ggf. eine Meinung oder einen guten Ansatz zum Umgang mit Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung? Falls ja: Lasst sie mich wissen, z.B. über einen Kommentar oder eine Email.

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