Der Begriff “aktivierte Eigenleistungen” ist vielleicht dem ein oder anderen von euch bereits untergekommen. Unter einer aktivierten Eigenleistung versteht man im weiteren Sinne die (mindestens anteilige) Erstellung von Vermögenswerten mithilfe interner Ressourcen… d.h. mit eigenem Personal und eigens eingekauften Rohstoffen / Materialien. Im Speziellen ist mit dem Begriff die entsprechend benannte Position in der Gewinn- und Verlustrechnung (nach dem Gesamtkostenverfahren) gemeint.
In diesem Artikel möchte ich euch einmal die relevanten Begrifflichkeiten erläutern und euch auch ein Unternehmen vorstellen, bei dem mir aktivierte Eigenleistungen im Rahmen der Bilanzanalyse und der Bewertung kürzlich wieder untergekommen sind.
Intro: Selbst erstellte Anlagegüter bzw. Vermögenswerte
Unter aktivierten Eigenleistungen versteht man wie gesagt im Unternehmen selbst erstellte Vermögensgegenstände (Assets), die nicht verkauft werden, sondern planmäßig über einen längeren Zeitraum im Unternehmen verbleiben sollen (nicht zu verwechseln also mit Produkten, die in der Regel für den direkten Verkauf vorgesehen sind und sich deshalb bestenfalls nur kurzfristig im Lager befinden).
Anstatt die für die Herstellung der Vermögenswerte entstandenen Kosten also direkt in der GuV gewinnmindernd zu buchen, werden diese (zunächst) auf der Bilanz aktiviert… wie genau das funktioniert erfahrt ihr weiter unten.
Aber erstmal: Ganz grundsätzlich kann es sich bei aktivierten Eigenleistungen sowohl um Sachanlagen als auch um immaterielle Vermögenswerte handeln. Auch durch das Unternehmen ggf. selbst durchgeführte Großreparaturen bzw. Instandsetzungsmaßnahmen werden als aktivierte Eigenleistungen klassifiziert.
Für selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte gelten allerdings bestimmte Zusatzregeln (siehe § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB und § 268 Abs. 8 HGB):
- Zum einen besteht für diese ein so genanntes Aktivierungswahlrecht (d.h. selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände können als Aktivposten in die Bilanz aufgenommen werden, müssen aber nicht)
- Zum anderen gilt dieses Wahlrecht – im negativen Sinne – nicht für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und vergleichbare immaterielle Vermögensgegenstände. Für diese gilt i.W. ein Aktivierungsverbot, d.h. die Nutzung aktivierter Eigenleistungen kommt für diese Art von selbst erstellten Vermögenswerten nicht in Frage
- Darüber hinaus: Sind selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte einmal aktiviert worden, dürfen Gewinne nur solange ausgeschüttet werden, wie die frei verfügbaren Rücklagen mindestens so hoch sind, wie der angesetzte Wert (etwas vereinfachte Erläuterung)
Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass der Ansatz von aktivierten Eigenleistungen per Definition nur bei Nutzung des Gesamtkostenverfahrens möglich ist… aber dazu gleich mehr.
Recap: Unterschiede zwischen Umsatz- und Gesamtkostenverfahren
Die grundsätzliche Struktur der Gewinn- und Verlustrechnung wird im §275 des Handelsgesetzbuchs geregelt (gilt aber analog auch für Unternehmen, die nach IFRS reporten). Für den Ausweis der Umsatz- und Kostenpositionen gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten:
Beim Umsatzkostenverfahren enthält die Gewinn- und Verlustrechnung nur die erzielten Umsätze sowie die Aufwendungen (Umsatzkosten), die zur Erzielung dieser Umsätze entstanden sind.
Beim Gesamtkostenverfahren werden alle entstandenen Kosten bzw. Aufwendungen berücksichtigt, was auf der Umsatzseite aus Konsistenzgründen dazu führt, dass auch die zunächst auf Lager hergestellten Produkte sowie die selbst erstellten Vermögenswerte (die aktivierten Eigenleistungen) angesetzt werden müssen. Die Summe aus Umsatzerlösen, Bestandsveränderungen und anderen aktivierten Eigenleistungen (Positionen 1 bis 3 der GuV-Struktur) wird dabei auch als Gesamtleistung bezeichnet.
Mehr Details zu den Unterschieden findet ihr in folgendem Post: Umsatzkostenverfahren vs. Gesamtkostenverfahren: Hier liegen die Unterschiede.
Accounting von aktivierten Eigenleistungen im Gesamtkostenverfahren
Als aktivierte Eigenleistung bezeichnet man bei der Gewinn- und Verlustrechnung nach dem Gesamtkostenverfahren (§ 275 Abs. 2 HGB) folgenden Sachverhalt:
- ein Unternehmen erstellt einen Vermögensgegenstand selbst (also z.B. eine Maschine oder ein Gebäude), kauft diesen also nicht wie sonst meist üblich bei einem externen Lieferanten ein
- das Unternehmen aktiviert diesen selbst erstellten Vermögensgegenstand zu Herstellungskosten auf der Bilanz, was die Bildung eines Ertragspostens in der GuV in Höhe der entstandenen Aufwendungen nach sich zieht (nämlich die Position “aktivierte Eigenleistungen”)
Bei den entstandenen Aufwendungen handelt es sich i.d.R. im Wesentlichen um Personal- und Materialkosten, aber auch Abschreibungen können eine Rolle spielen (z.B. wenn für die Erstellung des Vermögenswertes Maschinen aus dem Anlagevermögen eingesetzt werden).
Bei der Aktivierung des Vermögenswertes bzw. der Bildung der Position “aktivierte Eigenleistungen” gelten i.W. die folgenden Regelungen:
- Die Herstellkosten werden für materielle und immaterielle Vermögenswerte in den § 255 Abs. 2 und 2a des HGB definiert
- Sofern es sich grundsätzlich um einen abnutzbaren Vermögensgegenstand handelt, wird dieser über die Nutzungsdauer abgeschrieben
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass in der Gewinn- und Verlustrechnung ein Ertrag verbucht wird, der die für die Erstellung des Vermögenswertes entstandenen Kosten bzw. Aufwendungen genau ausgleicht und dem entsprechend äquivalent sein sollte zu den Herstellkosten.
Der Gewinn fällt also ceteris paribus erstmal höher aus, als wenn keine Aktivierung stattfinden würde (bei materiellen Vermögenswerten besteht hier allerdings wie angesprochen kein Wahlrecht).
Gleichzeitig wird der Bilanz ein Vermögenswert in entsprechender Höhe hinzugefügt (d.h. die Kosten werden “aktiviert”). Über die planmäßige Abschreibung dieses Vermögenswertes kommen die ursprünglichen Aufwendungen also über die Zeit wieder in der GuV an, wo sie den Gewinn mindern.
In der Theorie bildet dieses Konstrukt also auch eine Möglichkeit, um Kosten aus der Gegenwart in die Zukunft zu verschieben (bzw. kurzfristige Gewinne zu generieren).
Da die aktivierte Eigenleistung typischerweise nicht mit einer entsprechenden Einzahlung (also einem Cash Inflow) einhergeht, muss der gebuchte Ertrag in der Kapitalflussrechnung korrigiert (d.h. vom Gewinn abgezogen) werden.
Selbst erstelle Vermögenswerte im Umsatzkostenverfahren
In der GuV-Struktur für das Umsatzkostenverfahren (§ 275 Abs. 3 HGB) sind aktivierte Eigenleistungen als Ertragsposten nicht vorgesehen.
Es stellt sich also die Frage, wie in diesem Fall mit selbst erstellten Vermögenswerten umgegangen wird?
Im Grunde genommen gibt es hier zwei mögliche Ansatzpunkte:
- die beanspruchten Aufwandskonten werden in Höhe der Herstellkosten (äquivalent zur aktivierten Eigenleistung) ent- und das betroffene Bilanzkonto entsprechend belastet
- der Betrag wird in der GuV unter dem Posten “sonstige betriebliche Erträge” verbucht
Beide Alternativen führen in der Konsequenz dazu, dass die aktivierten Eigenleistungen für die Erstellung materieller Vermögenswerte weder in der GuV, noch in der Bilanz direkt als solche erkennbar sind (weil ggf. mit anderen betrieblichen Erträgen vermischt bzw. schlicht als “Maschinen”, “Immobilien” o.Ä. klassifiziert).
Im Falle der selbst erstellten immateriellen Vermögenswerte hingegen gibt es eine separate Bilanzposition, die wir einsehen können, um ein besseres Verständnis über die hinterliegenden Sachverhalte zu erlangen (nämlich die Position “selbst geschaffene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte”… analog § 266 HGB zur Bilanzstruktur).
Beispiel für eine aktivierte Eigenleistungen
Die Entstehung einer aktivierten Eigenleistung in der GuV (nach dem Gesamtkostenverfahren) lässt sich vermutlich am besten anhand eines konkreten Beispiels erläutern.
Stellt euch einen Immobilienkonzern vor, der in ein neues Verwaltungsgebäude ziehen und dieses mit seinen vorhandenen Kapazitäten (z.B. der eigenen Development- / Bauabteilung) selbst bauen möchte.
Wenn die für den Bau des Verwaltungsgebäudes entstehenden Personalaufwendungen nun 25 Mio. EUR betragen und die entsprechenden Baustoffe bzw. das entsprechende Material mit 10 Mio. EUR zu Buche schlagen, dann ergeben sich die Herstellkosten für das Gebäude zu insgesamt 35 Mio. EUR.
Natürlich erscheinen die Ausgaben für Personal und Material zunächst mal als Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung (siehe die linke Spalte der unten stehenden Grafik).
Um nun einen Vermögenswert ins Sachanlagevermögen der Bilanz “einbuchen” zu können, muss dieser Aufwand zunächst egalisiert werden… denn ansonsten hätten wir eine Situation, in der die entstandenen Kosten einmal komplett im Jahr der Entstehung (als Personal- und Materialaufwand) sowie in den Folgejahren in Form einer Abschreibung in der GuV angesetzt werden würden.
Wie ihr sehen könnt, wird in der GuV eine Ertragsposition namens “aktivierte Eigenleistungen” hinzugefügt sowie auf der Bilanz ein entsprechender Vermögenswert berücksichtigt (beides i.H.v. 35 Mio. EUR).
Die selbst erstellte Immobilie wird anschließend über einen Zeitraum von 50 Jahren abgeschrieben (also der typischen Nutzungsdauer einer Immobilie). Auf diese Weise werden die für den Bau entstandenen Kosten also erst über die Zeit gewinnwirksam.
Beispiel: Aktivierte Eigenleistungen bei der Vonovia SE
Ein bekanntes Unternehmen, welches nach dem Gesamtkostenverfahren reportet und regelmäßig substantielle aktivierte Eigenleistungen in der GuV ansetzt, ist die im DAX gelistete Vonovia SE.
Nur nochmal etwas zum Hintergrund: Analog zu vielen anderen Immobiliengesellschaften klassifiziert Vonovia den Großteil des eigenen Immobilienbestands im Rahmen der Rechnungslegung nach IFRS als so genannte Investment Properties (und nicht als Sachanlagen). Dies hat den angenehmen Vorteil, dass auch Aufwertungen über die Herstellkosten hinaus erlaubt sind, was in der Vergangenheit regelmäßig auch zu substantiellen nicht-zahlungswirksamen Buchgewinnen geführt hat. Im Gegensatz dazu müssten die Immobilien bei einer Klassifizierung als Sachanlage über die Zeit gewinnmindernd abgeschrieben werden.
Falls euch interessiert, wie diese Bewertungseffekte auch sozusagen als Wachstumsmotor genutzt werden können, dann schaut euch mal die Case Studies zur Portfoliobewertung und zur Kapitalallokation bei der Deutsche Konsum REIT AG an.
Zurück zum Thema: Wenn wir uns jedenfalls die Entwicklung des Werts dieser “Investment Properties” einmal ansehen, dann stoßen wir unter anderem auch auf eine Position mit dem Namen “aktivierte Modernisierungskosten” (in 2021 ca. 1,124 Mrd. EUR). Hierbei handelt es sich um die regelmäßig erforderlichen Modernisierungen des Immobilienbestandes, also im Grunde um etwas umfangreichere Instandhaltungsmaßnahmen, die eine Aktivierung auf der Bilanz erlauben bzw. erfordern.
Entwicklung der Investment Properties der Vonovia SE 2021; Quelle: Geschäftsbericht Vonovia SE 2021, Anhang Nr. 28
Diese Modernisierungen werden bei Vonovia zu einem großen Teil mit eigenem Personal durchgeführt (Vonovia hat sich über die Zeit eine schlagkräftige eigene Handwerkerorganisation aufgebaut). Im Jahr 2021 machten die mit internem Kapazitäten durchgeführten Modernisierungsarbeiten etwas mehr als 50% des Gesamtkuchens aus… zu erkennen an den aktivierten Eigenleistungen in der GuV i.H.v. ~663 Mio. EUR.
Analog zum vorgestellten fiktiven Beispiel repräsentieren die aktivierten Eigenleistungen hier einen Ertrag, der die in den Personal- und Materialkosten enthaltenen relevanten Aufwendungen genau ausgleicht.
Interessant in diesem Fall: Auch die wertsteigernden aktivierten Modernisierungskosten werden nicht abgeschrieben, sondern im Rahmen des fortlaufenden Bewertungsprozesses der Assets bilanziert… aber das ist thematisch eine andere Baustelle.
Fazit
Unter einer aktivierten Eigenleistung versteht man die mindestens anteilige Erstellung von Vermögenswerten mit internen Ressourcen, also mit eigenem Personal und eigens eingekauften Materialien.
Entsprechend der geltenden Rechnungslegungsgrundsätze (HGB, IFRS), müssen diese Eigenleistungen auf der Bilanz als Vermögenswert aktiviert werden, was zur Bildung einer neutralisierenden Ertragsposition in der GuV führt (den so genannten aktivierten Eigenleistungen).
Grundsätzlich besteht – sofern die entsprechenden Wertgrenzen überschritten werden – bei materiellen Vermögenswerten eine Aktivierungspflicht. Bei bestimmten immateriellen Vermögenswerten besteht ein Aktivierungswahlrecht.
Wesentliche Konsequenz: Bereits entstandene Kosten bzw. Auszahlungen werden erst über die Zeit, nämlich über die Nutzungs- bzw. Abschreibungsdauer des erstellten Vermögenswertes, wirksam. Damit besteht für ein Unternehmen ggf. in gewissen Grenzen die Möglichkeit, die aktuellen Gewinne durch Aktivierungen von “Vermögenswerten” etwas attraktiver aussehen zu lassen, als sie eigentlich sind.