Vor kurzem habe ich wieder einmal etwas in Vitaliy Katsenelson’s Buch zum Thema Active Value Investing geblättert. Dabei bin ich auf den Abschnitt “Sell Process – Make Darwin Proud” gestoßen und habe in diesem Zusammenhang Interessantes über Zielkurse, emotionale Bindungen zu einzelnen Aktien, Disziplin und die Nutzung von Stop Loss Orders bzw. Trailing Stops gelesen… und ich habe außerdem festgestellt, dass ich das Thema “Aktien verkaufen” bisher auf DIY Investor noch gar nicht behandelt habe.
Das möchte ich in diesem Artikel einmal nachholen.
Aktien verkaufen: Allgemeines
Grundsätzlich – und das leuchtet wahrscheinlich jedem von euch sofort ein – ist ein disziplinierter Verkaufsprozess ebenso wichtig wie ein günstiger Einstiegskurs. Unser Return ergibt sich ja schließlich aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis… mögliche Dividendenzahlungen und Ordergebühren jetzt mal außen vor gelassen.
Wenn es um das Risiko-Management in einem Long-Only Aktienportfolio geht, dann kommen uns in der Regel die Punkte Aktienauswahl, Bewertung (Stichwort Sicherheitsmarge) und Diversifizierung in den Sinn. Das sind alles Themen, über die wir uns im Vorfeld unserer Kaufentscheidung Gedanken machen… aber danach?
Gewinnerwartungen verändern sich sich über die Zeit, genauso wie Bewertungen, Märkte, Geschäftsmodelle etc. Konsequenterweise müssten wir die Unternehmen in unserem Portfolio also kontinuierlich beobachten und auf Veränderungen unter Umständen mit Aktienverkäufen reagieren.
Eine simple Buy and Hold Strategie ist in vielen Fällen aus verschiedenen Gründen keine gute Lösung.
Warum Buy and Hold oft nicht funktioniert
Wenn in einem Bullenmarkt die P/E Ratios allgemein zunehmen und vielleicht gleichzeitig auch die Gewinne steigen, dann können individuelle Aktien irgendwann ihren fairen Wert erreichen. Der Anstieg des Aktienkurses – per sé ja erstmal eine gute Sache – führt dann parallel zu einem Verschwinden der Sicherheitsmarge. Das weitere Halten der Aktie sollte dann i.W. von den zukünftigen Wachstumsaussichten abhängen. Und diese verändern sich in der Regel über die Zeit.
Andererseits können sich auch die Rahmenbedingungen verändern, d.h. Wettbewerbsvorteile / Moats können versanden bzw. verloren gehen etc. etc. Über die letzten Jahrzehnte haben wir nur sehr wenige Unternehmen beobachten können, die in der Lage waren, ihren Wettbewerbsvorteil über die Zeit zu erhalten und unter Umständen sogar auszubauen.
Ihr kennt die mikroökonomische Logik: Märkte oder Segmente, in denen wenige Unternehmen sehr attraktive Kapitalrenditen (ROICs) erzielen (heißt Kapitalrenditen signifikant oberhalb der Kapitalkosten) ziehen in der Regel so lange neue Wettbewerber an, bis die Kapitalrenditen bis auf die Kapitalkosten oder sogar darunter abgesunken sind (also dann ROIC <= WACC).
Aus diesem Grund ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass die Fundamentals und die Qualität von Unternehmen sich über die Zeit verschlechtern. In unserem Portfolio führt das unweigerlich dazu, dass wir Werte mit höherem Risiko und weniger attraktivem Wachstumsprofil besitzen. Auch hier stellt sich die grundsätzliche Frage nach einer Verkaufslogik.
Schussendlich könnte es natürlich auch sein, dass wir klassische Value Aktien im Portfolio haben… Unternehmen also, die bereits in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld agieren, wenig bis kein Wachstum generieren, gerade so ihre Kapitalkosten verdienen (oder auch nicht) und beim Kauf einfach ziemlich günstig waren. Für diese ergibt sich per Definition nur ein begrenztes Zeitfenster für ein Investment, wie ihr der folgenden Abbildung entnehmen könnt:
Drei Gründe für den Verkauf einer Aktie
Die große Mehrheit der Verkaufsentscheidungen im Portfolio eines langfristig orientierten Investors fällt deshalb in zwei Kategorien (die dritte Kategorie würde ich einmal in Klammern setzen, da sie von der Logik her der Nummer 2 recht ähnlich ist):
- Der Aktienkurs ist bis auf den fairen Wert angestiegen (d.h. die Sicherheitsmarge ist aufgezehrt)
- Die Fundamentals (Qualität des Geschäftsmodells, Wettbewerbssituation, Wachstumsaussichten, Wettbewerbsvorteile bzw. Moat etc.) haben sich zum Negativen hin verändert bzw. wir erwarten, dass sie sich entsprechend verändern
- Wir haben die Qualität des Unternehmens von vornherein falsch (d.h. zu gut) eingeschätzt oder bei unserer Analyse einen für die Bewertung wesentlichen Faktor übersehen
Aktien verkaufen, wenn der Zielkurs erreicht ist
Grundsätzlich sollten wir Aktien dann kaufen, wenn das so genannte Risk-Reward-Ratio zu unserem Vorteil ausschlägt und Aktien verkaufen, wenn dies nicht mehr der Fall ist.
Aktien, die ihren fairen Wert erreicht haben und wo darüber hinaus die zukünftigen Return-Erwartungen (Gewinnwachstum plus Dividende) unterhalb unseres Zielkorridors liegen, sollten wir verkaufen.
I never owned a stock I was not willing to sell. – Rod David
“Ich habe noch nie eine Aktie besessen, die ich nicht gewillt war zu verkaufen.” Dieses Zitat deutet bereits etwas auf den emotionalen Aspekt eines Aktienverkaufs hin.
Tatsächlich sind wir regelmäßig eher zögerlich, wenn es darum geht eine Aktie zu verkaufen, mit der wir bisher einen guten Return erzielt haben… das kennt ihr bestimmt! In vielen Fällen bauen wir nämlich eine gewisse Bindung zu den bereits im Portfolio befindlichen Unternehmen bzw. Aktien auf, sodass der Verkauf zu einem sehr emotionalen Prozess werden kann, emotionaler sogar als der Kaufprozess.
Wenn wir über die Zeit viele Geschäftsberichte gelesen, Newsartikel analysiert, Earnings Calls gehört, Bewertungsmodelle gebaut und angepasst und vielleicht sogar selbst einmal mit Investor Relations oder dem Management gesprochen haben, ist das Entstehen einer emotionalen Verbindung ja auch kein Wunder.
Es gibt nun laut Vitaliy Katsenelson drei verschiedene Strategien, um mit diesen Emotionen umzugehen:
- Die Entscheidungspunkte bereits im Vorfeld (also beim Kauf) festlegen
- Die Verantwortung für den Verkauf an jemand anderen delegieren
- Stop Loss Orders bzw. Trainling Stops nutzen
Auf diese Punkte möchte ich nun einmal im Einzelnen kurz eingehen.
Die Entscheidungspunkte bereits beim Kauf festlegen
Jede Aktie hat einen Preis, bei dem wir gewillt sein sollten, zu verkaufen. Die einfachste Möglichkeit, um mit einer möglichen emotionalen Bindung zu einem Unternehmen bzw. einer Aktie umzugehen, ist es, bereits vor dem Kauf festzulegen, wann und unter welchen Umständen verkauft werden soll. Beim Kauf einer Aktie sind wir typischerweise weniger emotional als beim Verkauf.
Die Festlegung eines Verkaufspreises (z.B. Aktien verkaufen bei 75 EUR) oder besser sogar einer “Verkaufsbewertung” (z.B. Aktien verkaufen bei einem P/E von 18 oder einem P/B von 3,5) zum Zeitpunkt des Kaufes und natürlich die strikte Befolgung der Regel sollte uns dabei helfen, uns von unseren Emotionen frei zu machen.
Sobald der Preis bzw. die Bewertung das avisierte Zielniveau erreicht hat, sollte der Verkauf automatisch und emotionslos erfolgen.
Natürlich kann die Aktie auch weiterhin gehalten werden. Allerdings sollte die Beweislast in diesem Fall umgekehrt werden. Konkret bedeutet das, dass eine fundierte Begründung für das weitere Halten der Aktie geliefert werden muss (im Gegensatz zur nochmaligen Begründung der ursprünglichen Verkaufsentscheidung). Grundsätzlich sollte die damals getroffene, faktenbasierte Verkaufsentscheidung also stärker gewichtet werden.
Verantwortung für den Verkauf delegieren
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Verkauf der Aktie an eine andere Person oder eine andere Institution zu delegieren.
Im institutionellen Umfeld wäre das ggf. sogar recht einfach umzusetzen. Die Verkaufsentscheidung könnte einfach bei einem anderen Portfoliomanager liegen, der auch die Gründe für ein Festhalten an der Aktie nochmal evaluieren und abwägen kann.
Im privatem Umfeld ist das Ganze natürlich schon etwas schwieriger, weil es in dort in der Regel nicht so viele fähige / interessierte Personen gibt.
Einen Trailing Stop Loss nutzen
Eine traditionelle Stop Loss Strategie (Verkauf einer Aktie, wenn der Kurs unter einen vorher festgelegten Wert fällt) passt in den meisten Fällen nicht zu den Denkmustern von Value Investoren. Wenn nämlich der Preis einer Aktie fällt – angenommen die Fundamentals sind grundsätzlich unverändert – sollte sie für einen Value Investor grundsätzlich attraktiver werden… nicht unbedingt ein Verkaufsargument.
In einem Szenario, in dem eine Aktie bis auf den fairen Wert angestiegen ist und unter Umständen das Interesse von Wachstumsinvestoren auf sich zieht, könnte allerdings eine so genannte Trailing Stop Loss Strategie sinnvoll sein.
Vitaliy Katsenelson spricht in diesem Fall von der “Growth Investors Gone Wild” Strategie. Was er konkret vorschlägt ist Folgendes: Wir verkaufen einen Teil unserer Position (z.B. 50%) zum von uns vor dem Kauf ermittelten fairen Wert. Den anderen Teil versehen wir mit einem Stop Loss (entweder mechanisch oder auch nur mental), den wir mit dem Anstieg des Aktienkurses immer weiter nach oben anpassen (so genannter Trailing Stop Loss).
Eine solche Strategie (wie auch die grundsätzliche Strategie, sich alle Werte im Detail anzuschauen und mit einem fairen Wert zu versehen) funktioniert entsprechend nur mit einer überschaubaren Anzahl an Aktien im Portfolio, sagen wir mal ca. 10 bis 25 Stück. Ansonsten verlieren wir schnell die Übersicht.
Wir sollten die Strategie außerdem nur bei Aktien verfolgen, die ein entsprechendes Wachstumsprofil haben. Bei klassischen Value Werten, wo unser Return i.W. aus der Schließung der Bewertungslücke (also z.B. der Aufweitung des KGV) kommt, bringt eine Trailing Stop Strategie i.d.R. nicht so viel.
Aktien verkaufen, weil sich die Fundamentals verändert haben
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile bzw. Moats haben unterschiedliche Lebensdauern. Unternehmen mit einem starken Wettbewerbsvorteil müssen sich in der Regel regelmäßig neu erfinden bzw. Strategien entwickeln, um ihren Vorteil zu erhalten oder auszubauen.
Deshalb kann es auch bei großartigen Unternehmen zu einer Situation kommen, in der eine “Buy and Hold Forever” Strategie nicht mehr sinnvoll und haltbar ist. Im Zweifel sollten wir eher proaktiv handeln und verkaufen, bevor die Probleme größer und wesentlicher werden.
Wesentliche KPIs definieren und tracken
Um solche fundamentalen Veränderungen in Marktumfeld, Wettbewerbsintensität, operativer Performance etc. zu identifizieren, sollten wir z.B. im Rahmen unserer Analyse der Unit Economics die relevantesten Key Performance Indicators (KPIs) – sozusagen eine Scorecard für die Unternehmensperformance – identifizieren und tracken. Dies könnte beispielsweise die Entwicklung von Umsatz bzw. das Umsatzwachstum, der operativen Marge (EBIT-Marge) oder auch die Kapitalrendite sein.
Beispiel Einzelhandel:
Für einen Einzelhändler kommen z.B. KPIs wie Same-Store Umsatzwachstum (auch schonmal Like-for-Like bzw. LFL abgekürzt), Lagerumschlag, Umsatz je Quadratmeter, operative Marge etc. in Frage.
Bzgl. der Entwicklung der KPIs sollten wir uns immer zwei Fragen stellen:
- Handelt es sich um ein Problem von kurzfristiger Natur? Oder sehen wir doch eher die Anfänge eines langfristigen Trends?
- Könnte sich das Problem zu einem Problem größeren Umfangs auswachsen?
Sobald einige der KPIs unsere Erwartungen nicht mehr erfüllen oder von den Prognosen des Managements abweichen, ohne dass dieses eine saubere und glaubhafte Begründung parat hat, sollten wir die Entwicklung des Unternehmens sehr eng beobachten… aber Vorsicht: Hier geht es nicht darum, quartalsweise Gewinnziele zu definieren und deren Einhaltung zu prüfen (Wallstreet lässt grüßen!). Es geht vielmehr darum, fundamentale Veränderungen frühzeitig zu erkennen und zu verstehen. Falls innerhalb einer vordefinierten Zeitspanne (höchstens ein paar Quartale) keine Verbesserung eintritt, sollten wir verkaufen.
Die Sicht eines Outsiders einnehmen
Eine weitere wertvolle Strategie kann darin bestehen, uns von unserer früheren Kaufentscheidungen zu distanzieren und die Sicht eines Outsiders einzunehmen.
In diesem Zusammenhang bringt Vitaliy Katsenelson in seinem Buch eine Analogie von Andy Grove (ehem. CEO von Intel):
I looked out the window at the ferris wheel of the Great America amusement park revolving in the distance when I turned back to Gordon [Moore – der Gründer von Intel], and I asked: ‘If we got kicked out and the board brought in a new CEO, what do you think he would do?’ Gordon answered without hesitation: ‘We would get us out of memories.’ I stared at him, numb, then said, ‘Why shoudn’t you and I walk out the door, come back, and do it ourselves?’ – Andy Grove
Grove fragte sich also, was ein externer Manager tun würde, wenn er ihn als CEO ersetzen und die Probleme des Unternehmens neutral und unvoreingenommen angehen würde.
Übertragen auf die Aktienanalyse kann uns etwas Distanz zu unserer ursprünglichen Analyse und Kaufentscheidung dabei helfen, die Erfordernis eines Aktienverkaufs neutraler zu bewerten.
Fazit
Es gibt mehrere Gründe, die für das regelmäßige Überprüfen von Aktienverkäufen (versus einer “Buy and Hold Forever” Strategie) in unserem Portfolio sprechen. Zum einen können Aktien ihren fairen Wert erreichen und für die Zukunft (im Vergleich zu anderen verfügbaren Investments) nur noch begrenztes Return-Potenzial liefern. Zum anderen können Wettbewerbsvorteile erodieren und die grundsätzliche Investitionslogik in Frage stellen.
Aktien verkaufen kann eine sehr emotionale Angelegenheit sein, weshalb wir einen disziplinierten Verkaufsprozess benötigen. Dieser Verkaufsprozess kann das Festlegen eines Ziel- bzw. Verkaufspreises bereits beim Kauf, das Delegieren der Verkaufsentscheidung an jemand anderen, das Tracken bestimmter KPIs über die Zeit oder auch das Nutzen von Stop Losses (bzw. Trailing Stops) beinhalten.
3 Kommentare zu „Aktien verkaufen: Zielkurs, Disziplin, Trailing Stop Loss!“
Der faire Wert einer Aktie kann sich aber auch verändern über die Zeit. Wenn ich beim Kauf schon den Verkaufspreis festlege, ist dies übereilt. Unternehmen wachsen, Umsätze und Gewinne steigen.
Ich denke es geht eher darum, die Beweislast umzukehren… d.h. das weitere Halten der Aktie zu rechtfertigen und nicht umgekehrt.
Hallo Alex,
also ich mache “buy and hold” .. und generell zum Verkauf … die Frage kaufen oder verkaufen stellt sich bei langfristigen Aktionären nicht … sie bleiben dem Unternehmen verbunden … auch in schlechten Zeiten … wer verkauft hat seine Hausaufgaben vorher nicht gemacht …. Aktien für immer … Krisen passieren … dazu ist die Welt insgesamt mittlerweile zu sehr miteinander verwoben und dementsprechend “dünnhäutig” …fragil …. da helfen nur solide Informationen wie beispielsweise die langfristige Entwicklung von Dividenden Z.B beim DAX … das hilft bei der (vorherigen) Einschätzung einer Aktie …
Schöne Grüße