Im Rahmen einer Unternehmens- bzw. Aktienbewertung nutzen wir in den meisten Fällen die Gewinne (EBIT, Nettogewinn etc.) bzw. Cash Flows (freier Cash Flow, FCFE, FCFF, Owner Earnings FCF) des letzten Geschäftsjahres als Ausgangspunkt – es sei denn, wir schauen in guter alter Graham-Manier vorrangig auf die Bilanz. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir den intrinsischen Wert auf Basis von Multiples, mithilfe eines DCF-Modells oder auf andere Art und Weise bestimmen. Wenn wir also hier mit einem Gewinn oder Cash Flow rechnen, der nicht repräsentativ ist, dann machen wir ggf. einen Fehler. Aus diesem Grund sollten wir die Cash Flows bzw. die Gewinne normalisieren, bevor wir in die eigentliche Bewertung einsteigen.
Was du in diesem Artikel lernst
- Warum und in welchen Fällen wir die Gewinne normalisieren sollten
- Für welche Firmen wir die Gewinne normalisieren können
- Welche Optionen es gibt, um die Gewinne bzw. Cash Flows zu normalisieren
- Was wir in Bezug auf die verschiedenen Bewertungsverfahren beachten sollten
Warum sollten wir die Gewinne eines Unternehmens normalisieren?
Die Gewinne von Unternehmen sind typischerweise weder konstant, noch bewegen sie sich kontinuierlich in eine Richtung. In der Regel schwanken die Gewinne über Zeit, u.a. auch in Abhängigkeit von der generellen wirtschaftlichen Entwicklung. Das heißt über einen Zeitraum von 10 Jahren gibt es wahrscheinlich sowohl zwei besonders gute als auch zwei besonders schlechte Jahre.
Oder aber ein Unternehmen befindet sich gerade in finanziellen Schwierigkeiten oder hat mit einem Skandal zu kämpfen (z.B. VW mit Dieselgate). Auch in diesem Fall werden die Gewinne für einen gewissen Zeitraum (bis zu mehreren Jahren) niedriger ausfallen.
Wenn wir uns also eine Aktie anschauen und den intrinsischen Wert des Unternehmens ermitteln möchten, dann sollten wir vorher analysieren, wo das Unternehmen gerade im Zyklus steht. Es besteht nämlich die Gefahr, dass wir den Unternehmenswert signifikant zu hoch oder zu niedrig abschätzen. Je nachdem, ob wir unsere Bewertung auf Basis eines zu hohen bzw. zu niedrigen Gewinns durchführen.
In diesen Fällen ist eine Normalisierung sinnvoll
Eine Normalisierung der Gewinne macht deshalb in folgenden Fällen Sinn:
- Das Unternehmen hatte gerade ein außergewöhnlich gutes oder schlechtes Jahr und es wird nicht erwartet, dass dies ein nachhaltiger Zustand ist. Das heißt es handelt sich eigentlich um ein finanziell gesundes Unternehmen, dessen aktuelle Probleme als temporär angesehen werden
- Das Unternehmen ist aktuell in finanziellen Schwierigkeiten und die aktuellen Gewinne sind unterdurchschnittlich oder sogar negativ. Wir gehen aber davon aus, dass dieser Zustand nur ein vorübergehender ist
- Es handelt sich um eine neue Firma bzw. ein Startup in einer Industrie, in der die durchschnittliche Firma eigentlich profitabel ist
Wir sollten außerdem darauf achten, dass wir nicht in eine typische psychologische Falle tappen und ein überdurchschnittlich gutes Jahr als repräsentativ annehmen. In vielen Fällen haben wir nämlich eine Tendenz (ein Bias), die Entwicklung zu positiv zu sehen, speziell wenn wir gerne in ein Unternehmen investieren möchten und vergleichsweise viel Zeit in die Analyse stecken bzw. gesteckt haben.
Wie wir die Gewinne normalisieren können
Für die Normalisierung der Gewinne können wir entsprechend vier Arten von Unternehmen unterscheiden:
- Das Unternehmen ist aufgrund einer Rezession in Schwierigkeiten, die Größe des Unternehmens ist allerdings über Zeit recht konstant geblieben
- Die Firma ist aufgrund einer Rezession in Schwierigkeiten, die Größe des Unternehmens hat sich über Zeit stark verändert
- Das Unternehmen steckt aufgrund firmen-interner Probleme in der Krise, dem Rest der Industrie geht es aber gut
- Es handelt sich um eine Wachstumsfirma, d.h. die Umsätze steigen stark an, die Gewinne sind aber niedrig bzw. noch negativ
Rezession, konstante Unternehmensgröße
In Jahren einer Rezession bzw. in Jahren mit einer im Vergleich schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung weisen viele Firmen niedrigere Gewinne aus. Die Umsätze und die Vermögenswerte, d.h. die Unternehmensgröße, bleiben in den meisten Fällen aber relativ konstant. Die Normalisierung der Gewinne ist in diesem Fall recht einfach:
Wir können einfach die durchschnittlichen Gewinne der letzen 5 bis 10 Jahre verwenden.
Normalisierter Gewinn = Durchschnittlicher Gewinn der vergangenen 5 bis 10 Jahre
Rezession, schrumpfende Unternehmensgröße
Der Ansatz über die durchschnittlichen Gewinne funktioniert allerdings nicht mehr, wenn es sich um ein Unternehmen handelt, das keine konstante Größe hat (definiert über Umsatz oder Vermögenswerte bzw. Buchwert des Eigenkapitals).
Für die Normalisierung der Gewinne haben nur nun i.W. zwei Möglichkeiten:
- Wir nutzen für die Herleitung des durchschnittlichen Gewinns die durchschnittliche Eigenkapitalrendite (Return on Equity oder ROE) des Unternehmens über die letzten 5 bis 10 Jahre
- Wir nutzen für die Herleitung die durchschnittliche Netto-Marge oder die durchschnittliche EBIT-Marge der letzten 5 bis 10 Jahre (je nachdem, ob wir z.B. bei der Cash Flow Berechnung vom Nettogewinn oder vom EBIT ausgehen)
Also
Normalisierter Gewinn = Aktueller Buchwert bzw. Eigenkapitalwert * Durchschnittliche Eigenkapitalrendite der Firma (Return on Equity bzw. ROE)
oder
Normalisierter Gewinn = Aktueller Umsatz * Durchschnittliche Netto-Marge der Firma
Firmen-interne Probleme
Wenn wir als Value Investoren bzw. DIY Investoren uns ein Unternehmen detaillierter ansehen, dann handelt es sich oft um ein Unternehmen, dass aktuell mit ein paar firmen-internen Problemen bzw. irgendeinem Skandal zu kämpfen hat.
Mir fallen hier neben VW und Dieselgate spontan BP (Deepwater Horizon) und Gagfah bzw. heute Vonovia (drohende Strafzahlung der Stadt Dresden) ein. Diese Unternehmen weisen dann höchstwahrscheinlich über einen gewissen Zeitraum niedrigere bzw. unterdurchschnittliche Gewinne aus.
In diesem Fall können wir uns die Margen bzw. EK-Renditen der Wettbewerber anschauen und diese als Basis nutzen, um die Gewinne zu normalisieren.
Wir nutzen für die Herleitung des normalisierten Gewinns die durchschnittliche Eigenkapitalrendite (Return on Equity oder ROE) von vergleichbaren Firmen in der gleichen Industrie.
Normalisierter Gewinn = Aktueller Buchwert bzw. Eigenkapitalwert * Durchschnittliche Eigenkapitalrendite für vergleichbare Firmen (Return on Equity bzw. ROE)
Wachstumsfirma
In der heutigen Zeit sind Wachstumsfirmen oft Firmen aus dem Technologie-Sektor, die extrem stark wachsen, aber aktuell nur geringe bis gar keine Gewinne abwerfen (z.B. Amazon, Facebook etc.). Auch diese können für Value Investoren sehr interessant sein, weil hier ggf. Unternehmen mit sehr stabilen und nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen entstehen.
Aufgrund des Charakters dieser Firmen sollten wir uns überlegen, was eine nachhaltige Gewinnmarge bzw. eine nachhaltige Eigenkapitalrendite sein könnte und diese entsprechend auf den aktuellen Umsatz bzw. EK-Wert beziehen.
In den meisten Fällen wird es allerdings schwierig sein, für eine solche Abschätzung vergleichbare und gleichzeitig profitable Unternehmen zu finden. D.h. hier müssen wir recht pragmatisch vorgehen.
Cash Flows normalisieren?
Manche von euch haben sich bestimmte gefragt, warum im Titel über die Normalisierung der Cash Flows gesprochen, im Artikel selbst aber nur auf die Normalisierung der Gewinne eingegangen wird.
Normalisieren wir also die Cash Flows doch nicht? Die einfache Antwort lautet: Jein. Jedenfalls normalisieren wir die Cash Flows nicht direkt.
Weil die Cash Flows aber in der Regel aus dem EBIT bzw. dem Nettogewinn abgeleitet werden, würden wir über eine Normalisierung der Gewinne ebenfalls eine Normalisierung der Cash Flows erreichen.
Wir sollten den Begriff Normalisierung hier allerdings nicht verwechseln mit den Anpassungen, die wir im Rahmen der Owner Earnings Berechnung ggf. noch an den Cash Flows vornehmen. Bzw. sollten wir hier etwas vorsichtig sein und darauf aufpassen, dass wir diesbezüglich konsistent und sauber sind.
Normalisierter Gewinns vs. Bewertungsverfahren
Die Nutzung eines normalisierten Gewinns hängt nicht nur vom jeweiligen Bewertungsverfahren ab, sondern im Zweifelsfall auch davon, wie wir ein bestimmtes Bewertungsverfahren nutzen.
Nehmen wir einmal beispielhaft die Bewertung über ein EBIT-Multiple und die DCF-Bewertung.
- EBIT Multiple: Nutzen wir eine EBIT-Multiple Bewertung (oder auch eine DCF-Bewertung auf Basis einer ewigen Rente) als Bewertungsverfahren, sollten wir von einen normalisierten Gewinn bzw. Cash Flow ausgehen, da wir aus diesem direkt den Unternehmenswert ableiten
- DCF-Bewertung mit individueller Modellierung der ersten Wachstumsphase, also z.B. der nächsten 5 bis 10 Jahre: In diesem Fall können wir annehmen, dass die Gewinne bzw. Cash Flows über einen gewissen Zeitraum vom derzeitigen Niveau auf den normalisierten bzw. durchschnittlichen Gewinn ansteigen und anschließend mit einer nachhaltigen Wachstumsrate weiterrechnen
In jedem Fall sollten wir im Rahmen der DCF-Modellierung den Ausgangspunkt, also den Gewinn bzw. den Cash Flow (FCFE oder FCFF) auf die gewählte Wachstumsrate der Cash Flows abstimmen. Wir sollten also nicht gleichzeitig einen normalisierten, höheren Gewinn für das Basisjahr verwenden und diesen dann mit einer (ebenfalls höheren) Rate wachsen lassen, die sich eigentlich auf den aktuellen, niedrigeren Gewinn bezieht.
Fazit
Im Vorfeld unserer Unternehmensbewertung sollten wir darauf achten, als Ausgangspunkt einen normalisierten bzw. repräsentativen Gewinn zu verwenden. Setzen wir auf einem zu niedrigen oder zu hohen (nicht nachhaltigen) Gewinn auf, dann werden wir den Unternehmenswert ggf. zu niedrig bzw. zu hoch abschätzen.
Beides ist gleichermaßen ungünstig. Schätzen wir den Wert zu niedrig ein, entgeht uns vielleicht eine gute Investment-Gelegenheit. Schätzen wir den Wert zu hoch ein, zahlen wir evtl. zu viel und verdienen nur eine unzureichende Rendite mit unserem Investment.
Die Normalisierung der Gewinne (und daraus resultierend auch der Cash Flows) ist eigentlich ganz einfach. Sie basiert je nach Unternehmenstyp und Situation auf den Durchschnittswerten der Gewinne bzw. der Marge oder Eigenkapitalrendite der letzten 5 bis 10 Jahre.
1 Kommentar zu „Cash Flows bzw. Gewinne normalisieren – So geht’s“
Hallo Axel,
ich bin zwar kein Value-Investor, bewerte aber natürlich interessante Unternehmen vor einer Kauf- oder Verkaufsentscheidung. Meine Bewertungstiefe hast du sicherlich um den ein- oder anderen Aspekt erweitert. Vielen Dank dafür!
Schöne Grüße
Marco