Wechselkosten bzw. Wechselbarrieren verstehen: Mit diesem Wissen geht’s

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Wechselkosten

Um für einen Buffett-Style Value Investor als Investment in Frage zu kommen, muss ein Unternehmen über ein gutes Geschäftsmodell verfügen, das auf einem oder auch mehreren nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen (Moats) basiert. Einer dieser Wettbewerbsvorteile kann in dem Vorhandensein von hohen Wechselkosten – oder besser noch Wechselbarrieren -bestehen. Neben Software- und Tech-Firmen wie SAP, Wirecard, Microsoft oder Adobe können Wechselbarrieren auch in vielen “traditionelle” Branchen wie z.B. der Logistik- oder der Telekommunikationsbranche vorkommen.

In diesem Beitrag möchte ich einmal eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Wechselkosten geben und versuchen, diese anhand von ein paar Beispielen zu erläutern.


Was sind Wechselkosten?

Bevor wir in die einzelnen Strategien und Geschäftsmodelle mit hohen Wechselkosten bzw. nachhaltigen Wechselbarrieren einsteigen, zunächst mal eine kurze Erläuterung der Begrifflichkeit.

Als Wechselkosten werden Kosten bezeichnet, die durch die Umstellung bzw. den Wechsel eines Kunden zu einem neuen Anbieter entstehen. Der Begriff “Kosten” bezieht sich dabei allerdings nicht ausschließlich auf monetäre Aufwendungen, sondern kann sich auch auf einen zeitlichen Aufwand oder einfach nur einen psychologischen Aspekt (z.B. Unsicherheit bzgl. der Leistung des neuen Anbieters oder der Qualität des neuen Produktes) beziehen.

Wir können die Wechselkosten deshalb grob folgendermaßen klassifizieren:

  • Monetäre Wechselkosten: Wechselkosten stellen eine wirkliche Ausgabe dar, d.h. der Wechsel zu einem anderen Anbieter kostet Geld
  • Zeitliche Wechselkosten: Ein Anbieterwechsel kostet zwar nichts, ist dafür aber sehr zeitaufwendig
  • Psychologische Wechselkosten: Mit einem Anbieterwechsel sind wir dem Risiko einer Verschlechterung der Funktionalität oder der Qualität des Produkts ausgesetzt

Wechselkosten waren früher eher im B2B-Bereich anzutreffen, sind aber durch die Digitalisierung vieler Geschäftsmodelle nun zunehmend auch im B2C-Bereich präsent. In Marktsegmenten mit extrem hohen Wechselkosten sind außerdem oft Monopoliserungstendenzen zu beobachten.

Kurzgesagt: Wechselbarrieren sind Barrieren monetärer, zeitlicher oder psychologischer Natur, die einen Kunden davon abhalten, zu einem anderen Anbieter (eines Produkts oder einer Dienstleistung) zu wechseln.

Arten von Wechselkosten

Fast jedes Unternehmen verfolgt grundsätzlich das Ziel, den Kunden oder Konsumenten so eng wie möglich an sich zu binden und den Wechsel zur Konkurrenz so gut es geht auszuschließen. Vielen Firmen gelingt dies, indem sie ein attraktives Wertversprechen schaffen, das einen Wechsel für den Kunden sehr unattraktiv macht… anderen einfach nur, indem sie einen Wechsel durch vertragliche Aspekte erschweren.

Werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Strategien, die Unternehmen verwenden, um Kunden bzw. Nutzer durch Wechselbarrieren an sich zu binden. Nach meiner Einteilung sind es derer acht… da psychologische Wechselkosten häufig im Zusammenhang mit monetären oder auch zeitlichen Wechselkosten auftreten, habe ich hierfür keine separate Kategorie definiert:

Monetäre Wechselkosten

  • Basisprodukt plus Verbrauchsmaterial
  • Basisprodukt plus Wartungsvertrag
  • Angebote mit hohem einmaligen Integrationsaufwand
  • Angebote mit Treueprogrammen

Zeitliche Wechselkosten

  • Ökosystem Daten
  • Produkte mit Lernkurve
  • Produkte als “Industriestandard”
  • Lange Laufzeiten und Kündigungsfristen

Darüber hinaus können auch sehr hochpreisige oder sehr günstige Produkte und Dienstleistungen zu einer Art Wechselbarriere führen. Tendenziell werfen wir teure Produkte nämlich nicht einfach weg, nur weil sie uns doch nicht gefallen.


#1: Basisprodukt plus Verbrauchsmaterial: Kaffeepads, Rasierer, Drucker

Das Nespresso-Modell ist einer der Klassiker unter den Geschäftsmodellen mit Wechselbarrieren und ist vielen von euch vermutlich bereits bekannt.

Als Bestandteil dieses Geschäftsmodells locken Unternehmen die Konsumenten mit einem günstigen Basisprodukt in ihr Ökosystem, um anschließend von den für den Betrieb des Produkts erforderlichen und vergleichsweise teuren Verbrauchsmaterialien zu profitieren.

Um beim Beispiel Nespresso zu bleiben: Nespresso-Kaffeemaschinen als Basisprodukt werden quasi zu Herstellkosten (d.h. ohne Gewinn) über fast alle großen Einzelhändler vertrieben. Die hochpreisigen und damit für Nestlé hochprofitablen Kaffeekapseln hingegen werden nur über die unternehmenseigenen Vertriebskanäle in den Markt gebracht.

Über einen gewissen Zeitraum (bis ca. 2011) profitierte Nespresso darüber hinaus von einem weiteren Wettbewerbsvorteil, nämlich einem wirksamen Patentschutz: Kein anderer Produzent durfte die zu den Nespresso-Kaffeemaschinen passenden Kaffeekapseln herstellen… eine Begrenzung des Wettbewerbs für die Verbrauchsmaterialien ist ein weiterer wesentlicher Aspekt dieser Art von Geschäftsmodell.

Ein vergleichbarer Ansatz wird z.B. auch von Gillette (Rasierer als Basisprodukt plus Rasierklingen als Verbrauchsmaterial) oder Hewlett Packard bzw. Canon (Drucker plus Druckerpatronen) verwendet.

Interessanterweise hängt die Kundentreue nicht unbedingt vom Einstiegspreis des Basisprodukts bzw. der Relation zum Preis für die Verbrauchsmaterialien ab. Man würde ja erwarten, dass z.B. im Falle von Gillette vielen Kunden einfach wieder zu einem anderen Produkt wechseln, sobald sie feststellen, dass die Rasierklingen durchaus recht hochpreisig sind. Die Tatsache, dass das kaum passiert, hängt auch mit der hohen Qualität des Produkts zusammen, die in diesem Fall vermutlich den wahren Ursprung der Wechselbarriere darstellt.

Es ist wichtig, die verschiedenen Geschäftsmodelle nicht nur isoliert hinsichtlich ihrer Wechselkosten zu betrachten. In der Regel spielen andere Faktoren wie Patentschutz oder Produktqualität bzw. Werteversprechen sozusagen als Enabler eine wesentliche Rolle, damit das Modell funktioniert.

#2: Basisprodukt plus Wartungsvertrag: Triebwerks- und Komponentenhersteller

Das Geschäftsmodell “Basisprodukt plus Wartungsvertrag” ist sozusagen das Äquivalent zum Nespresso-Modell angewandt auf den B2B-Bereich. Im Wesentlichen bündelt ein Unternehmen hier Produkt und nachgelagerte Dienstleistung zu einem Paket. Das Stichwort lautet Wartungs- bzw. Servicevertrag.

Ein gutes Beispiel für diese Art von Geschäftsmodell bzw. Wechselbarriere finden wir in der Luftfahrtbranche.

Bereits vor etlichen Jahren erzielten Triebwerkshersteller wie Rolls Royce oder Pratt & Whitney ihre Gewinne hauptsächlich mit langlaufenden Wartungsverträgen. Um diese Verträge zu erhalten, verkauften sie die Triebwerke in Teilen sogar zu Preisen unterhalb der Herstellkosten an die Airlines.

Inzwischen sind die Triebwerkshersteller bereits einen Schritt weiter. Mit dem so genannten “Power by the Hour” Modell bieten sie den Airlines die Nutzung der Triebwerke gegen eine Pauschalgebühr an…  Leasing, Wartung und ggf. Austausch inklusive.

Dieses Modell funktioniert natürlich nur, weil Rolls Royce durch die Umstellung des Geschäftsmodells nun Zugang zu einem immensen Datenpool bekommen hat und sehr gut prognostizieren kann, wann ein Triebwerk kaputt geht und wann es präventiv gewartet werden muss. Alle Triebwerke sind mit einem zentralen Data-Center vernetzt, in dem die Daten zusammenlaufen und die Turbinen in Echtzeit überwacht werden.


#3: Produkte mit einmaligem Intregrationsaufwand: Zahlungsabwickler, ERP-Systeme

Auch Produkte bzw. Dienstleistungen mit einmaligem Integrationsaufwand führen in der Regel zu hohen Wechselbarrieren. Hiervon können in der Welt es Einzel- und Online-Handels vor allem Anbieter von Zahlungslösungen wie z.B. Wirecard, aber auch andere Software-Anbieter wie SAP und sogar Logistikdienstleister profitieren.

Die Programmierung einer Zahlungsschnittstelle oder einer Schnittstelle zu einem Fulfillment-Anbieter zur Übertragung von Bestelldaten ans Lagerhaus kostet regelmäßig mehrere Tausend Euro. Hat sich also ein kleiner Online-Shop oder auch ein Ladengeschäft einmal für einen Anbieter entschieden und eine Schnittstelle zu diesem aufgebaut, dann sind die Hürden für einen Wechsel in der Regel relativ hoch. Das gilt selbst für Shops, die mit der gebotenen Leistung durchaus nicht zufrieden sind, da die Unsicherheit bzgl. der Qualität eines neuen Anbieters ebenfalls hoch ist (psychologische Wechselkosten).

Darüber hinaus können ein guter Service wie das automatische Einspielen von Updates und Produkt-Innovationen die Wechselkosten weiter erhöhen. Beispiel Wirecard: Neue und innovative Zahlungsarten wie z.B. Alipay oder WeChat können gerade für Händler an von Touristen stark frequentierten Standorten (Sehenswürdigkeiten, Flughäfen, Bahnhöfe) überaus wertvoll sein.


#4: Angebote mit Treueprogrammen: Fluglinien, Hotelketten, Gastronomie

Treueprogramme sind vermutlich den meisten von euch bekannt: Unternehmen schreiben dem Kunden beim Kauf eines Produkts oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung Sammelpunkte gut, die später – wenn eine bestimmte Anzahl an Punkten erreicht wurde – als Zahlungsmittel im Rahmen des Treueprogramms verwendet werden können.

Das beste Beispiel für ein gut funktionierendes Treueprogramm hierzulande ist vermutlich das Miles & More Programm von Lufthansa. Mit jeder geflogenen Meile sammelt der Kunde Punkte auf seinem Konto. Ist eine bestimmte Anzahl an Punkten bzw. Meilen erreicht, können diese z.B. für den Kauf von Flugtickets oder anderen Produkten aus dem Lufthansa-Shop verwendet werden (ich kann mich noch erinnern, dass ich damals bei Lufthansa u.a. ein iPad und einen Trolley mit Meilen bezahlt habe).

Darüber hinaus gibt es aber noch weitere Vergünstigungen bzw. Service-Angebote: Ab einer bestimmten Meilenanzahl erhält man an den Flughäfen Zugang zu den Lounges der Star Alliance oder wird sogar mit einem separaten Pkw kurz vor Abflug direkt zum Gate gefahren.

Gerade Geschäftsreisende haben bei einem solchen Modell einen großen Anreiz, immer mit der gleichen Airline zu fliegen und in den Hotels der gleichen Kette abzusteigen.


#5: Geschlossene Ökosysteme: Tech, Banken

Neue, auf Technologie und geschlossenen Plattformen bzw. Ökosystemen basierende Geschäftsmodelle sind prädestiniert für den Aufbau von Wechselbarrieren.

Im Grunde genommen geht es dabei gleich um mehrere mögliche Aspekte:

  • Bestimmte Inhalte und Apps werden ausschließlich auf der jeweiligen Plattform gehostet
  • Es gibt in der Regel eine Integration mit einer ganzen Reihe anderer Services und Apps
  • Über die Zeit gesammelte Daten lassen sich nicht einfach zu einem anderen Anbieter übertragen

Nehmen wir einmal das iPhone bzw. das Apple Ökosystem als Beispiel. Zum einen sind einmal erworbene Apps, Musiktitel, Playlists etc. entweder nur im Apple Ökosystem verfügbar oder aber recht schwer zu transferieren. Zum anderen ist die nahtlose Integration und Synchronisation von Emails, Kalendereinträgen, Telefonbüchern, Fotos etc. mit anderen Apple Geräten oder den Diensten von anderen Anbietern wie Microsoft inzwischen so gut, dass Nutzer ggf. eine gewisse Unsicherheit bzgl. eines Wechsels verspüren.

Wir haben hier also sowohl monetäre als auch zeitliche und psychologische Wechselkosten vorliegen.

Die Übertragung eines Online-Depots zu einem neuen Broker ist ähnlich gelagert. Auch hier kann es sehr umständlich und kompliziert sein, die Aktienbestände zu einem anderen Anbieter zu transferieren. Manche Banken bieten zwar einen kostenlosen Wechselservice an. Reibungslos funktionieren tut das allerdings nicht unbedingt.


#6: Produkte mit Lernkurve: Software

Auch schwer zu erlernende Software-Produkte oder Dienstleistungen können von hohen Wechselbarrieren bzw. Wechselkosten profitieren. Die so genannte „Lernkurve“ spiegelt dabei den Aufbau der Fähigkeiten in der Bedienung eines komplexen Produkts über die Zeit wieder.

Der Zeitaufwand für das Erlernen des Umgangs mit einem neuen System kann dabei eine substantielle Wechselbarriere darstellen. Dieser Umstand wird unter anderem von Anbietern wie Salesforce (CRM-System), Adobe (Photoshop) oder Nemetschek (Anbieter von CAD-Software) ausgenutzt.

Niemand, der sich jahrelang in die CAD-Lösung von Nemetschek eingearbeitet und jeden Kniff verstanden hat, wird ohne Weiteres den Anbieter wechseln… eher im Gegenteil.

Der Übergang zu Produkten, die als “Industriestandard” eingestuft werden können, ist in dieser Kategorie oft fließend.


#7: Produkte als “Industriestandard”: Standardsoftware

Manchmal haben wir einfach keine andere Wahl, als ein bestimmtes Produkt zu verwenden. D.h. in bestimmten Fällen hat sich ein Produkt im Laufe der Zeit quasi als “Industriestandard” etabliert, sodass Alternativlösungen so gut wie keine Verbreitung finden.

Als Beispiele können hier unter anderem Microsoft (Windows und Office), Adobe (Acrobat Reader) und SAP genannt werden.

Google hat z.B. erfolglos versucht, ein Office-Paket in Konkurrenz zu Microsoft zu etablieren. Obwohl die Software einige Vorteile gegenüber der lange Zeit etwas angestaubten Microsoft-Lösung bietet (siehe z.B. das DIY Portfolio-Tool 4.0) und mehr oder weniger kompatibel ist, konnte sie sich in der Masse nicht durchsetzen.


#8: Lange Laufzeiten und Kündigungsfristen: Telekommunikations- und Stromanbieter

Lange Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen zwingen Kunden dazu, ein Produkt für einen bestimmten in einem Vertrag festgelegten Zeitraum (oft bis zu zwei Jahre) zu verwenden. Wenn der Kunde vorzeitig von dem Vertrag zurücktreten möchte, muss er in vielen Fällen eine Gebühr für die vorzeitige Kündigung entrichten oder wird einfach gar nicht aus dem Vertrag gelassen.

Diese Strategie wird häufig von Telekommunikationsanbietern wie der Deutsche Telekom, Unitymedia oder Drillisch 1&1 angewandt, um Kunden davon abzuhalten, vor Vertragsende zu einem Wettbewerber zu wechseln. Auch für Stromanbieter oder Banken (z.B. bei Krediten mit Zinsbindung) sind lange Laufzeiten und Kündigungsfristen oft Bestandteil des Geschäftsmodells.


Fazit

Wechselbarrieren bzw. Wechselkosten repräsentieren einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil, der – bei starker Ausprägung – Unternehmen zu einer Quasi-Monopolstellung in dem entsprechenden Marktsegment verhelfen kann.

Wechselbarrieren können in monetärer Form (es kostet etwas zu einem anderen Anbieter zu wechseln), in Form eines Zeitaufwandes (es kostet viel Zeit, alles auf das neue Produkt bzw. den neuen Anbieter umzustellen) oder auch als psychologische Hürde (es ist unsicher, ob das neue Produkt besser ist) auftreten. Bei meiner Recherche habe ich acht verschiedene Arten von Wechselkosten identifiziert, die allesamt zu signifikanten nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen beitragen können.

In der Regel spielen zusätzliche Faktoren wie Patentschutz oder Produktqualität bzw. Werteversprechen sozusagen als Enabler eine wesentliche Rolle, damit das Geschäftsmodell funktioniert und die Wechselbarriere wirksam wird.


Weitere Ressourcen

  • Business Model Generation: Ein tolles Buch, in dem verschiedene Geschäftsmodell-Archetypen im Detail analysiert und mit vielen Beispielen hinterlegt werden. Auch verschiedene Arten von Wettbewerbsvorteilen werden betrachtet
Wechselkosten Geschäftsmodell

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