Eine erfolgreiche (oder auch wenig erfolgreiche) Investition endet nicht einfach mit dem Verkauf der Aktie bzw. des Wertpapiers. Ein substanzieller Teil unserer Arbeit als Investoren beginnt nämlich erst danach – mit der so genannten Post-Mortem-Analyse.
Oder so sollte es zumindest sein… denn dieser oft unterschätzte und vernachlässigte Schritt ermöglicht uns Investoren eine systematische Analyse und Reflexion unserer Eingangshypothesen, Entscheidungen und Ergebnisse.
Vereinfacht könnte man sagen, dass es sich bei der Post-Mortem-Analyse um so etwas wie einen Soll-Ist-Abgleich handelt. Einen Soll-Ist-Abgleich, der sowohl bei erfolgreichen, als auch bei weniger erfolgreichen Investments funktionieren bzw. einen Mehrwert generieren kann.
Damit bietet uns die Post-Mortem-Analyse die Chance, sowohl unseren Investitionsansatz und auch unseren Research-Prozess in einer strukturierten Art und Weise zu hinterfragen, über die Zeit anzupassen und zu besseren Investoren zu werden.
In diesem Artikel werfen wir einmal einen etwas detaillierteren Blick auf die Schlüsselaspekte einer effektiven Post-Mortem-Analyse. Ich hoffe ich kann euch aufzeigen, warum eine solche Analyse für uns im Grunde genommen unverzichtbar ist.
Wann ist eine Post-Mortem-Analyse genau relevant?
Bevor wir uns nun mit dem detaillierten Vorgehen im Rahmen einer Post-Mortem-Analyse beschäftigen, ganz kurz nochmal eine Klarstellung zu den konkreten Anwendungsfällen einer solchen Analyse.
Dass wir eine Post-Mortem-Analyse bei einem fehlgeschlagenen Investment in jedem Fall durchführen sollten, liegt auf der Hand. Obwohl die mentale Beschäftigung mit einer verlustreichen Investition natürlich sehr schmerzhaft sein kann.
Aber um es einmal mit Ray Dalio’s Worten zu sagen:
Schmerz + Reflexion = Fortschritt – Ray Dalio
Warum aber eine Post-Mortem-Analyse auch im Nachgang zu einem vielleicht sehr erfolgreichen Investment? Ist das nicht eigentlich Zeitverschwendung?
Auf die Gefahr hin, dass ich hier etwas zu offensichtliches niederschreibe: Eine positive Rendite allein ist natürlich noch lange kein Beweis dafür, dass wir mit unserer Investment Thesis tatsächlich richtig lagen.
Ganz im Gegenteil kann ein positiver Return auch auf ganz andere – vielleicht noch nicht einmal unternehmensspezifische – Faktoren zurückzuführen sein.
Also ist es auch hier durchaus sinnvoll, das Ergebnis einmal mit der Ausgangshypothese zu vergleichen und daraus ggf. hilfreiche Schlussfolgerungen abzuleiten.
Vorab wichtig: Integrierter Investmentprozess inkl. Pre- und Post-Mortem-Analyse
Nochmal etwas Offensichtliches: Um eine effektive Post-Mortem-Analyse durchführen zu können, benötigen wir im Grunde genommen zunächst einmal eine detaillierte Dokumentation unserer Kaufentscheidung. Ohne diese wird ein Soll-Ist-Abgleich nur schwer möglich sein.
Heißt konkret: Wir müssen die Gründe für das Investment im Rahmen unseres Investmentprozesses in einer systematischen Art und Weise und relativ detailliert festhalten… inkl. unserer Abschätzung der wesentlichen KPIs (d.h. z.B. Umsatzwachstum, Margenentwicklung, EPS-Wachstum, Multiple-Aufweitung, mögliche Katalysatoren etc.).
Für eine grobe Ãœbersicht würde sich z.B. eine Pre-Investment-Checkliste oder aber ein gut strukturierter Steckbrief anbieten… für die Details eine ausformulierte Investment Thesis.
In diesem Zusammenhang sollten wir uns u.a. die folgenden, zugegebenermaßen etwas abstrakteren Fragen bereits vorab stellen:
- Welche asymmetrische Risiko-Ertrags-Chance habe ich identifiziert?
- Welche Katalysatoren könnten die Entwicklung meiner These beeinflussen?
- Vor welchen Risiken sollte ich mich schützen?
Wir sollten also klare Erwartungen und Risikobewertungen möglichst bereits parallel zu unserem initialen Investitionsprozess formulieren (d.h. sozusagen “Pre-Mortem” im Rahmen unserer Aktien- bzw. Unternehmensanalyse), damit wir diese später im Rahmen unserer Post-Mortem-Analyse mit der Realität abgeglichen können.
Die vier Elemente einer Post-Mortem-Analyse
Mit Blick auf die Post-Mortem-Analyse gibt es vier typische Teilanalysen bzw. Abgleiche, die wir durchführen sollten:
- Eine Performance-Analyse, also einen Abgleich des erzielten Returns mit dem Erwartungswert unter Berücksichtigung marktspezifischer Effekte
- Eine Analyse der Fundamentaldaten
- Ein Assessment der Sichtweise von Mr. Market
- Und schlussendlich (mit dem vorherigen Punkt zusammenhängend) eine Analyse der relevanten Trigger-Events bzw. Catalysts
Schauen wir uns die einzelnen Aspekte einmal etwas mehr im Detail an und beginnen mit der Performance-Analyse.
Performance-Analyse: Absoluter versus risikobereinigter Return
Nach dem Eintritt eines relevanten Trigger-Events (so genannter Katalysator) – etwa der Veröffentlichung von Quartalszahlen, einer Produktpräsentation oder einem CEO-Wechsel – prüfen wir zunächst, wie unser Investment seit dem Kauf abgeschnitten hat (heißt wir ermitteln den tatsächlichen Return auf Basis der Kursentwicklung und gleichen diesen mit unserer Erwartung zum Kaufzeitpunkt ab).
Dabei ist insbesondere wichtig, das Ergebnis soweit wie möglich zu normalisieren, um etwaige übergeordnete Marktbewegungen zu bereinigen. Für eine solche Bereinigung können wir verschiedene Ansatzpunkte wählen:
- Korrelation: Wir können bzw. sollten zunächst einmal analysieren, wie unsere Position im Kontext des Gesamtmarktes performt hat. Dazu können wir einfach die Kursentwicklung über die Zeit mit der des Marktes vergleichen und schauen, ob und inwieweit die Kurven miteinander korrelieren (geht ggf. sogar ohne eine dedizierte Regressionsanalyse einfach nur durch hinschauen 🙂 )
- Volatilität: Wir können Durchschnittsreturns und Standardabweichungen ermitteln, um herauszuarbeiten, ob die Standardabweichung unserer Position sich sowohl relativ als auch absolut in einem akzeptablen Korridor bewegt hat
- Beta: Wir können ein nachträgliches Beta-Adjustment in unserem Bewertungsmodell vornehmen, um die übergeordneten Marktbewegungen auszublenden
Wir sollten allerdings bei der Performance-Analyse auch eine gewisse Vorsicht walten lassen. Es könnte nämlich gut sein, dass ein schlechtes Investment nach Bereinigung der Markteffekte plötzlich als relative Outperformance gewertet werden kann. Daher ist in diesem Zusammenhang eine nüchterne und ehrliche Betrachtung des Ergebnisses erforderlich.
Fundamentaldaten: Erwartungen vs. Realität
Im nächsten Schritt vergleichen wir unsere ursprünglichen Annahmen im Hinblick auf die Fundamentaldaten / KPIs mit den tatsächlich durch das Unternehmen erzielten Werten, wobei wir einen besonderen Fokus auf die Genauigkeit unserer Prognose(n) legen.
(Prozentuale) Abweichung
Da wäre zunächst die (prozentuale) Abweichung: Wie groß ist die Diskrepanz der berichteten Kennzahlen von unserer Erwartung bzw. unseren Szenarien (z.B. Pessimistisch, Basis, Optimistisch)?
Und anschließend die Folgefragen:
Nummer 1: Wie ist die Marktreaktion ausgefallen? Entsprach diese unseren Erwartungen? Falls nicht, aus welchem Grund?
Und Nummer 2: Was war die operative Ursache für die Abweichung(en)? Warum beispielsweise hat das Unternehmen “nur” ein Umsatzwachstum von 3% erreicht, während wir mit 5-7% gerechnet hatten?
In diesem Kontext kann z.B. auch relevant sein, welches Wachstum das Management des Unternehmens selbst erwartet hat und ob (und warum) unsere eigene Erwartung davon abgewichen ist.
Ihr seht: Unserer Kreativität im Hinblick auf die Durchführung der Abweichungsanalyse und das Erforschen der Hintergründe und Ursachen sind im Grunde keine Grenzen gesetzt.
KPIs
Relevant für die Abweichungsanalyse sind vor allem diejenigen KPIs, die wir selbst im Rahmen unserer Unternehmensanalyse angeschaut haben und die gleichzeitig auch vom Unternehmen selbst publiziert werden (hier kann es ggf. unterschiedliche Detailgrade im Jahres- und im Quartalsreporting geben).
Vor allem kommen daher die folgenden finanziellen KPIs in Betracht:
- Umsatz bzw. Umsatzwachstum
- EBIT(DA) und EBIT(DA)-Marge
- Nettogewinn und Gewinn je Aktie (EPS)
- Kapitalrendite (ROCE bzw. ROIC)
Zur Info: Die zuletzt genannte Kapitalrendite wird von den meisten Unternehmen zwar nicht direkt veröffentlicht, kann aber denke ich aus jeder typischen Finanzberichterstattung mehr oder weniger leicht abgeleitet werden.
Über die finanziellen KPIs hinaus kann es außerdem branchen- bzw. unternehmensspezifische KPIs geben, die verglichen werden können, z.B.
- die erzielte Produktions- oder Versandmenge (z.B. in t Stahl, Barrel Öl, Anzahl Mikrochips oder Bits)
- die Entwicklung der zahlenden Nutzer bzw. Abonnenten
- die Anzahl an Transaktionen oder an Bestellungen je Nutzer
- der durchschnittliche Umsatzerlös je Nutzer (ARPU, durchschnittlicher Warenkorb, etc.)
- die Anzahl an neu eröffneten Geschäften
- die “Like-for-Like”-Umsatzentwicklung ( “Same-Store Sales”) oder vergleichbare Kennzahlen
- etc.
Insbesondere die Entwicklung dieser sehr spezifischen KPIs ermöglicht uns i.d.R. gute Rückschlüsse auf die Ursache von Abweichungen in den Finanzkennzahlen zu ziehen. Daher sollten wir ein besonderes Augenmerk auf Abweichungen dieser Art legen.
Eigene Perspektive versus Mr. Market
Wenn der Markt anders reagiert als erwartet, liegt das oft an einem Missverständnis über die Perspektive des marginalen Marktteilnehmers (d.h. desjenigen Marktteilnehmers, welches Angebot und Nachfrage am Ende zum Ausgleich bringt). Schlussendlich definiert nämlich genau dieser marginale Marktteilnehmer mit seinem Gebot bzw. seiner Preiseinschätzung in welche Richtung sich der Kurs bewegt.
In diesem Zusammenhang sollten wir uns insbesondere die folgenden Fragen stellen:
- Wer kauft oder verkauft gegen unsere These?
- Auf welchen Metriken oder Trends basieren die Handlungen dieser Gruppe?
Beispiel: Bei stark spekulativen Aktien wie z.B. GameStop kann das Handelsvolumen durch Retail-Investoren auf Plattformen wie Reddit („r/wallstreetbets“) dominiert werden. Die Entwicklung fundamentaler Kennzahlen kann da ggf. komplett irrelevant sein.
In einem solchen Fall sollten wir ggf. versuchen, eine alternative Strategie für das Identifizieren solcher “spekulativen” Werte zu definieren (und ein Investment in Zukunft besser vermeiden).
Der richtige Katalysator bzw. Trigger-Event
Die Identifikation eines passenden Trigger-Events bzw. Katalysators ist essenziell und sollte obligatorischer Bestandteil einer jeden Investment Thesis sein.
Bei einem umgangssprachlich als Katalysator oder auch Trigger-Event bezeichneten Vorkommnis handelt es sich um einen Event, der eine Aktie in einer relativ kurzen Zeitspanne auf ein ganz anderes Kursniveau bugsieren kann bzw. sie mindestens merklich beeinflusst.
Substanzielle Kursbewegungen können z.B. auf die folgenden Events zurückzuführen sein (nur exemplarisch, die Liste möglicher Events ist lang 🙂 ):
- Veröffentlichung von Quartalsergebnissen
- Produkteinführungen (z.B. neue und aktualisierte Auto-Modelle) bzw. Ergebnisse von Produkttests (z.B. Phase 3-Studien im Pharma-Bereich oder Funktionstests bei Mikrochips)
- ein CEO-Wechsel (erwartet oder unerwartet), ein Wechsel des AR-Vorsitzenden oder andere wichtige Personalveränderungen
- Veröffentlichungen von Beständen entlang der Wertschöpfungskette (z.B. Rohöl, Gas, Stahl)
- Veröffentlichungen von Angebots-Nachfrage-Bilanzen in bestimmten Märkten (z.B. Überkapazitäten bei Bulk Carriern oder Container-Schiffen)
- Berichte zu FDA-Zulassungen oder andere regulatorische Änderungen (z.B. die Einführung von Handelsbeschränkungen)
- etc. etc.
Mögliche Fehlerquellen im Hinblick auf die Erwartung eines verändernden Effekts können z.B. sein:
- der Event ist gar nicht eingetreten bzw. die Wirkrichtung war eine andere (die Rohölbestände haben z.B. abgenommen, während wir eine Zunahme erwartet hatten)
- der gewählte Event / Katalysator hatte keine Relevanz für den Markt bzw. hat den Kurs nicht wie erwartet beeinflusst
- ein anderer, stärkerer Event / Katalysator war dominierend
Ein genaueres Verständnis über die Wirkweise möglicher Trigger-Events kann uns für zukünftige Unternehmensanalysen eine große Hilfe leisten (auch und selbst wenn diese “nur” darin besteht, dass wir ein Investment in so genannte “Value Traps” in Zukunft vermeiden).
Post-Mortem-Analyse: Erkenntnisse nutzen, um bisherige Annahmen und Vorgehensweisen zu hinterfragen
Der Schlüssel zur Verbesserung liegt darin, dass wir unsere ursprünglichen Annahmen mit den Ergebnissen unserer Abweichungsanalysen abgleichen und die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen (und diese in unseren Investmentprozess integrieren):
- Richtige Annahmen sollten logischerweise verstärkt und noch tiefer in unserem Prozess verankert, heißt z.B. in unserer Checkliste mit einem doppelten Ausrufezeichen versehen werden
- Falsche Annahmen bzw. Fehleinschätzungen sollten wir für zukünftige Analysen korrigieren bzw. wenn möglich über entsprechende Prüffragen ausschließen
- Wichtige neue Erkenntnisse (d.h. bisherige “Blind Spots”) sollten wir zukünftig in unseren Prozess und / oder unsere Pre-Investment Checkliste integrieren
Zum Thema “Blind Spots”
Blind Spots (auf deutsch etwas unschön “blinde Flecken”) können wir typischerweise in drei Kategorien unterteilen:
- Bekannte Unbekannte: Risiken, die wir bewusst ignoriert haben, z.B. politische Unsicherheiten
- Unbekannte Unbekannte: Faktoren, die wir schlicht und einfach übersehen haben (soll ja vorkommen)
- Und schließlich völlig unvorhersehbare Ereignisse: Seltene „Black-Swan“-Events wie z.B. COVID-19 oder der Ukraine-Krieg… Events die im Grunde nicht vorhergesagt oder in irgendeiner Art von Analyse bzw. Prognose berücksichtigt werden können
Risikofaktoren mit einer gewissen Eintrittswahrscheinlichkeit, die wir bisher übersehen hatten, sollten wir natürlich direkt in unsere Checkliste mit aufnehmen. Das Gleiche gilt für uns bekannte “Blind Spots”, wenn sie doch eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit haben, als wir bisher angenommen hatten.
Meta-Reflexion: Verbesserung des Prozesses
Die letzte Stufe einer Post-Mortem-Analyse sollte immer die Überprüfung des gesamten Investmentprozesses beinhalten. In diesem Zusammenhang sollten wir uns insbesondere die folgenden Fragen stellen:
- Wie können wir unsere Risikobewertung weiter verbessern?
- Welche fundamentalen oder technischen Faktoren sollten wir zukünftig zusätzlich berücksichtigen? Welche können ggf. entfallen?
Take Aways zur Post-Mortem-Analyse
Die Post-Mortem-Analyse ist neben der initialen Unternehmens- bzw. Aktienanalyse eins der Herzstücke eines erfolgreichen Investitionsprozesses. Sie hilft uns dabei, zukünftige Fehler zu minimieren, unsere Annahmen zu verbessern und unsere Strategien zu optimieren.
Eine strukturierte Post-Mortem-Analyse ist unverzichtbar, um unsere Handelsstrategie kontinuierlich zu verbessern. Sie hilft uns dabei, die Genauigkeit unserer fundamentalen Thesen zu steigern, unsere “Blind Spots” zu identifizieren und den Investmentprozess über die Zeit zu verbessern und effizienter zu gestalten.
Nur wer aus seinen Erfolgen und Fehlern lernt, kann langfristig erfolgreich investieren.
Aus diesem Grund würde ich empfehlen, die Post-Mortem-Analyse ganz bewusst und regelmäßig als Werkzeug zu nutzen… nicht nur um besser zu werden, sondern auch um bewusster zu investieren (ich arbeite zugegebenermaßen selbst noch dran 🙂 ).
Und weil eine Post-Mortem-Analyse i.d.R. geistig anstrengend und auch unangenehm konfrontierend für uns sein kann (und deshalb einiges an Disziplin erfordert), empfehle ich nach getaner Arbeit eine Belohnung (ein Kaltgetränk, ein Abendessen oder eine Pause), um die Anstrengung mit einem positiven Gefühl zu verstärken.