Das Thema Zeitmanagement treibt mich – wie ihr vielleicht wisst – bereits seit längerer Zeit um (insbesondere in meinen Reviews zum Jahresende habe ich das Thema ja bereits mehrfach adressiert).
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz von einem Buch berichten, welches ich kürzlich gelesen habe und welches meinen Blick auf das Thema Zeitmanagement (im Kontext der Aktienanalyse) nochmal signifikant verändert hat… bzw. in vielen Punkten auch bestätigt hat, was mir selbst vermutlich unterschwellig schon seit längerem bewusst war.
Bei dem Buch handelt es sich um den Ratgeber 4000 Wochen (Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement) von Oliver Burkeman… 4000 Wochen deshalb, weil wir alle im Durchschnitt nur ca. 4000 Wochen auf dieser Erde verweilen dürfen (~80 Jahre x ~50 Wochen, im Kontext der gesamten Zeitgeschichte nur eine verschwindend geringe Zeitspanne) und es deshalb immens wichtig ist, was wir in diesen 4000 Wochen mit unserer Zeit anfangen.
Hier mal eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte des Buches – bevor ich auf meine Gedanken im Hinblick auf das Zeitmanagement als Investor eingehe:
Oliver Burkeman: Klassisches Zeitmanagement ist nicht zielführend
Zeitmanagement im klassischen Sinne (d.h., mit dem Ziel immer produktiver zu werden und mehr Aufgaben in der verfügbaren Zeit erledigen zu können) ist nicht zielführend. Tatsächlich erreichen wir damit nur das Gegenteil dessen, was wir eigentlich erreichen wollten.
Aber vielleicht nochmal einen Schritt zurück. Für uns persönlich ist ein effizientes Zeitmanagement in den meisten Fällen vor allem deshalb interessant und relevant, weil wir glauben, uns damit ausreichend Spielraum für die wirklich wichtigen (und interessanten) Themen und Aufgaben freischaufeln zu können. Dies ist allerdings laut Oliver Burkeman eine Illusion (eine Sichtweise, die sich leider auch mit meinen eigenen Erfahrungen deckt).
Herzensprojekte fallen lassen
Das Problem liegt schlicht und ergreifend in der Tatsache begründet, dass es zu viele Dinge gibt, die wir gern tun würden, zu viele Projekte, die wir gerne angehen (und auch abschließen) würden und auch zu viele Plätze, die wir gerne sehen würden (etc. etc.).
Und weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass wir im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden ca. 4000 Wochen nur einen sehr kleinen Teil unserer Pläne überhaupt verwirklichen können, reden wir uns regelmäßig ein, dass dies mit einer optimierten Zeitgestaltung doch noch irgendwie möglich wäre.
Was schlussendlich aber alles nur noch schlimmer macht, weil wir nicht die richtigen Projekte auswählen (wer sich nämlich einredet alles zu schaffen, der muss auch nicht priorisieren).
Das heißt ganz konkret: Wenn wir im Leben tatsächlich etwas für uns Bedeutungsvolles erreichen wollen, dann müssen wir zwangsläufig den Großteil unserer Herzensprojekte unwiederbringlich fallen lassen.
Die echte Schwierigkeit besteht also darin, dass wir Projekte von unserer To-Do-Liste streichen müssen, die uns eigentlich sehr am Herzen liegen… wenn es sich um Aufgaben handeln würde, die wir sowieso nicht unbedingt erledigen wollen (z.B. weil wir damit im Grunde genommen nur jemand anderem bei der Lösung seiner Probleme helfen), dann wäre das ja nicht weiter schwierig.
He who chases two rabbits catches neither. – Konfuzius
Drei Prinzipien, um ohne Zeitmanagement die wesentlichen Dinge zu schaffen
Wie kann nun in der Praxis tatsächlich funktionieren? Aus der Sicht von Oliver Burkeman gibt es drei Prinzipien, an denen wir uns orientieren können:
- Zuerst uns selbst “bezahlen”, was die verfügbare Zeit angeht, d.h. immer zuerst an unseren Herzensprojekten arbeiten, bevor wir uns mir irgendetwas anderem beschäftigen
- Die Zahl der laufenden Projekte bzw. Aufgaben auf maximal drei begrenzen und ein neues Projekt bzw. eine neue Aufgabe nur hinzunehmen, wenn ein anderes Projekt erledigt bzw. abgeschlossen ist
- Der Verlockung von Aufgaben mittlerer Priorität widerstehen
Warren Buffett hat ja (angeblich) mit seiner 5/25-Regel etwas sehr ähnliches vorgeschlagen (aus diesem Grund hatte ich den Beitrag zu Buffett’s Regel diesem auch nochmal vorgeschaltet).
Zeitmanagement als Investor: Investmentideen priorisieren
Wenn ich nun einmal reflektiere, was ich im Buch von Oliver Burkeman gelesen habe, dann muss ich unmittelbar an eine der – für mich jedenfalls – schwierigsten Fragestellungen eines Investors denken:
Auf welche der aktuell interessanten Investment-Ideen fokussieren wir uns nun in der uns zur Verfügung stehenden (oft sehr limitierten) Zeit?
Zu viele Analysen, zu wenig Zeit?!
In unserem “Investoren-Mikrokosmos” ist es nämlich nicht viel anders als im wahren Leben: Wir haben ggf. viele, viele interessante und mutmaßlich günstig bewertete Unternehmen auf unserer To Do-Liste und gleichzeitig – jedenfalls gefühlt – immer wenig Zeit… weil sich Aktienkurse ggf. sehr schnell wieder erholen und Investmentgelegenheiten dem entsprechend auch schnell wieder verschwinden. Aber stimmt das denn eigentlich?
Und eine Frage, die sich anschließt: Wie können wir im Falle des Falles vermeiden, dass wir durch neue Ideen immer wieder “von Analyse zu Analyse springen”, schlussendlich aber nirgendwo an den Punkt gelangen, an dem wir uns tatsächlich bereit fühlen, eine finale Entscheidung für oder gegen ein Investment zu treffen?
Fangen wir einmal mit der uns zur Verfügung stehenden Zeit an.
Wie schnell erholen sich Aktienkurse wirklich?
Der Investmentmanager HQ Trust hat für den Zeitraum zwischen 1995 und 2020 auf einer übergeordneten Ebene (d.h. auf Basis der Entwicklung wesentlicher Indizes) einmal analysiert, wie lange es durchschnittlich dauert, bis der Aktienmarkt nach einer Verlustphase wieder das ursprüngliche Kursniveau bzw. ein neues Allzeithoch erreicht.
Bei der Analyse kam folgendes heraus:
Hier erstmal eine kurze Zusammenfassung dessen, was wir auf der linken Seite der obenstehenden Grafik sehen können:
- In rund 85% der Fälle erreichte der Index bereits innerhalb eines Monats wieder ein neues Allzeithoch
- In ca. 13% der Fälle mussten Anleger weniger als ein Jahr warten, bis der Verlust wieder aufgeholt war
- Nur bei den restlichen 2% der Verlustphasen dauerte es wesentlich länger: Die längste Durststrecke hatte eine Dauer von 6 Jahren plus 9 Monaten
Wir können aus den veröffentlichten Daten nun zwar keine expliziten Rückschlüsse auf die Größenordnung der Verluste in den einzelnen Phasen ziehen. Allerdings müsste allein aufgrund der prozentualen Verteilung ein großer Teil der sehr kurzzeitigen Verluste auf 5% oder weniger begrenzt gewesen sein. Ergo müsste es sich um Fälle handeln, die uns aufgrund des begrenzten Upside-Potenzials als Investments nicht wirklich interessieren (langfristige Wachstumswerte vielleicht einmal ausgenommen).
Leider sagt dieser Rückschluss aber noch nichts darüber aus, wie schnell sich die Märkte nach Krisen mit substantiell größeren Verlusten (25% und mehr) erholt haben. Um hier etwas mehr Aussagekraft reinzubringen, habe ich einmal die Daten von Robert Shiller analysiert.
Tatsächlich ist es so, dass es historisch bei großen Krisen mit hohen Kursrückgängen (Crash 1987, Dot-Com-Bubble, Finanzkrise, Corona…) immer zwischen ca. 2-6 Jahren gedauert hat, bis die Märkte das ursprüngliche Kursniveau wieder erreicht hatten:
Nichts desto trotz: Der erste substantielle Aufschwung folgt in der Regel bereits recht kurz auf das absolute Tief (hier sprechen wir von einigen Wochen bzw. Monaten). Die Zeitspanne, die uns durchschnittlich für das Treffen einer Investitionsentscheidung zur Verfügung steht, sollte sich also in dieser Größenordnung bewegen… genug Zeit jedenfalls, um eine Handvoll interessanter Aktien zu analysieren.
Insofern könnte man die für die Aktienanalyse zur Verfügung stehende Zeitspanne auch irgendwo in der Größenordnung von drei Monaten verorten… was aber natürlich nicht bedeutet, dass eine Unterbewertung nicht auch für eine sehr lange Zeit anhalten kann.
Frustration durch Informationsüberflutung und zu viele Ideen
Bzgl. der Priorisierung von Investment-Ideen ist es oft so: Wir haben ein interessantes Unternehmen identifiziert und vielleicht gerade damit begonnen, dieses im Detail durchzuanalysieren, da bekommen wir von einem bekannten Investor einen Artikel mit einer interessanten neuen Investment-Idee weitergeleitet… oder wir sehen, dass eine für uns interessante Aktie ein mutmaßlich sehr attraktives Preisniveau erreicht hat… oder oder oder…
Auf einmal entsteht bei uns die ganz konkrete Sorge, dass wir vielleicht eine noch attraktivere Investmentgelegenheit verpassen könnten und wir wissen plötzlich nicht mehr so genau, auf welches Unternehmen / welche Analyse wir uns am besten fokussieren sollten. Dieser Zustand kann bei uns manchmal zu einer gewissen Überforderung oder sogar einem Gefühl der Ohnmacht führen (jedenfalls geht es mir hin und wieder so).
Am Ende kann diese Überforderung dann in einer Situation resultieren, in der wir viele angefangene Aktienanalysen irgendwo abgespeichert, tatsächlich aber keine wirklich zu Ende geführt haben… was wiederum zu einer anhaltenden Unzufriedenheit bzw. sogar Frustration führen kann (und sogar unseren Spaß am Investieren nachhaltig negativ beeinflussen kann).
Keine Ahnung, ob ihr solche Situationen auch kennt… bei mir tritt das tatsächlich relativ häufig auf.
In der Praxis muss das dann zwar nicht unbedingt bedeuten, dass wir gar keine Investments tätigen. Wenn wir allerdings welche tätigen, dann ggf. auf Basis eines (noch) unzureichenden Informationsstandes (d.h. ohne echte Überzeugung bzw. “Conviction”)… was dann ggf. später bei unerwarteten Neuigkeiten oder Kursschwankungen auch mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein kann, weil wir nicht wissen wie wir damit umgehen sollen.
Wie also priorisieren?
Meine bisherige Reaktion auf diese Problematik war genau die von Oliver Burkeman beschriebene: Ich habe versucht, mit ein paar Zeitmanagementtechniken meine für Aktienanalysen verfügbare Zeit zu optimieren bzw. zu maximieren… obwohl es immer (also wirklich immer) viel mehr “Projekte” gab, als ich realistisch hätte abarbeiten können. Der Ansatz war also irgendwo immer zum Scheitern verurteilt.
Gleichzeitig konnte ich den “kreativen” Teil des Investings, also das Nachdenken und Reflektieren über die analysierten Informationen und die mögliche Equity Story eines Investments über ein zu strukturiertes Zeitmanagement nicht adäquat berücksichtigen.
Welche Ansatzpunkte bzw. Techniken könnten hier also helfen?
Am Ende bin ich hier wieder bei den Schlussfolgerungen von Oliver Burkeman aus 4000 Wochen gelandet: Auch ein noch so ausgeklügeltes Zeitmanagement würde uns vermutlich nur in sehr begrenztem Maße weiterbringen (mal davon abgesehen, dass wir viele Techniken meist gar nicht nachhaltig umgesetzt bekommen).
Es wird also nicht gehen, ohne dass wir die zu analysierenden Aktien für uns strikt priorisieren (und damit unter Umständen für immer auf bestimmte andere und ggf. sogar attraktivere Investitionsgelegenheiten verzichten)!Ich bin ja grundsätzlich kein besonderer Freund von High-Level-Kennzahlen. Für unsere Priorisierung können KGV, EV/EBITDA und Co. uns allerdings ggf. nützliche Dienste leisten. Ich denke in Kombination mit einem groben Verständnis der aktuellen Marktbedingungen sollte eine Priorisierung auf die 2-3 Aktien mit dem höchsten Return-Potenzial auf jeden Fall möglich sein.
Darüber hinaus: Unsere persönlichen Interessen und Kenntnisse sollten ebenfalls in die Priorisierung einbezogen werden (Stichwort: “Circle of Competence“).
Etwas abweichend von Burkeman’s drei Lösungsansätzen würde ich allerdings sagen: Wir können uns zwar parallel vielleicht mit bis zu drei Unternehmen gleichzeitig befassen. Wir sollten aber im Zweifel nur tage- bzw. ggf. sogar nur wochenweise zwischen den Analysen hin- und herspringen (muss allerdings natürlich jeder für sich selbst einschätzen).
Fazit Zeitmanagement und Investieren
Auf Basis des Buches 4000 Wochen von Oliver Burkeman habe ich meinen bisherigen Ansatz im Hinblick auf die Optimierung der verfügbaren Zeit für Unternehmensanalysen mehr oder weniger auf links gedreht.
Im Grunde genommen hatte ich schon immer das Gefühl, dass ich durch die Nutzung der typischen Zeitmanagement-Techniken schlussendlich keinen nachhaltig positiven Effekt erzielen konnte. Die zur Verfügung stehende Zeit war einfach nie ausreichend. Punkt.
Wenn wir das Ganze also einmal zu Ende denken, dann können wir nur zum gleichen Schluss kommen, wie Burkeman in seinem Buch: Wir müssen uns eingestehen, dass wir nicht alle Unternehmen analysieren können und damit leben bzw. akzeptieren, dass viele unter Umständen auch sehr attraktive Investitionsgelegenheiten an uns vorbeiziehen werden.
Nur dann haben wir eine reale Chance, die angefangenen Analysen tatsächlich auch abzuschließen und zu einer Überzeugung hinsichtlich der Investitionsentscheidung zu gelangen… und damit einhergehend natürlich ein weitaus höheres und nachhaltiges “Zufriedenheitslevel” zu erreichen.
Habt ihr irgendwelche Gedanken zu dieser Thematik? Kennt ihr das Problem überhaupt? Falls ja, wie geht ihr damit um? Über Rückmeldungen und Anregungen hierzu würde ich mich freuen.
Weitere Ressourcen
- 4000 Wochen: Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement von Oliver Burkeman
- Warren Buffett’s 5/25-Regel
1 Kommentar zu „Zeitmanagement als Investor – Meine Gedanken dazu“
Danke für die Denkanstöße. Meine “Meinung” ist, dass je nach Investitionsstil sich der Effekt stärker oder schwächer ausprägt. Einfaches Beispiel: Ein Stil welcher die aktuellen News und Noise verwendet wird sich stark – was die Dringlichkeit einer Entscheidung angeht – von antizyklischem Verhalten unterscheiden.
Hinzu kommen immer die persönlichen Neigungen und Ticks welche die Analyse Paralyse begünstigt, im Gegensatz zu denen, die Fakten über eine Abkürzung im intuitiven Denken herleiten und eine gewisse Blindheit gegenüber Gefahren auslösen. Glück zählt aber in beiden Fällen zu dem treibenden Faktor. Im ersteren ist die Überlegung natürlich solider und wird wahrscheinlich eine um einiges höhere Trefferquote haben. 😉 Wir sollten trotzdem dem Perfektionisten in uns mahnen, dass es anmaßend ist zu meinen alles Verstehen zu können.