Wenn ihr DIY Investor bereits seit einiger Zeit folgt und beispielsweise die verschiedenen Artikel zum Forecast der Financials, zur Ermittlung von NOPAT und ROIC oder zur DCF-Bewertung gelesen habt, dann werdet ihr sicher bereits festgestellt haben, dass das Thema Steuern für die Bewertung überaus relevant und wichtig ist. In diesem Zusammenhang spielen vor allem zwei Dinge eine Rolle: (1) der so genannte Tax Shield bzw. die Unterscheidung zwischen operativen und nicht-operativen Steuern und (2) die häufig vorkommenden Unterschiede zwischen Effektiv- und Grenzsteuersatz.
Intro: Ermittlung der Steuern für die Bewertung in zwei Schritten
Aus dieser Zweiteilung ergibt sich für die Prognose der Unternehmenssteuern das folgende Vorgehen:
- Wir unterteilen zunächst die effektiven Steuern aus der GuV in einen operativen und einen nicht-operativen Anteil, d.h. wir ermitteln i.W. den Tax Shield sowie den Steueranteil der nicht-operativen Erträge
- Anschließend prognostizieren wir den operativen Steuersatz unter Berücksichtigung möglicher Verlustvorträge etc. sowie den Tax Shield auf Basis von sich ändernden Zinsaufwendungen
- Wir kombinieren operative Steuern und nicht-operative Steuern bzw. Tax Shield zu einer Gesamtsteuerbelastung (nur erforderlich, wenn wir die GuV bis hinunter zum Nettogewinn bzw. zum Gewinn je Aktie (EPS) benötigen)
In diesem Artikel möchte ich zunächst einmal etwas detaillierter auf die Berechnung des Tax Shield eingehen.
Was ist eigentlich ein Tax Shield?
Ein Tax Shield (zu deutsch laut Google Translate übrigens Steuerschild genannt… habe ich aber noch nie jemanden sagen hören) ist der steuerliche Vorteil, der sich für ein Unternehmen aus der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen ergibt.
Steuerliche Abzugsfähigkeit bedeutet nichts anderes, als dass der Unternehmensgewinn zunächst um die Fremdkapitalzinsen reduziert werden kann, bevor darauf basierend die zu zahlenden Unternehmenssteuern ermittelt werden.
Und falls ihr es irgendwo anders einmal lest: Auch Abschreibungen werden schonmal als Bestandteil des Tax Shield bezeichnet. Diese betrachten wir allerdings im Kontext unserer Prognose der Financials bzw. Unternehmensbewertung als operative Kosten. D.h. diese hätte ein Unternehmen auch, wenn es sich zu 100% mit Eigenkapital finanzieren würde.
Der Tax Shield kann mithilfe der folgenden Formel ermittelt werden:
Tax Shield = Zinsaufwendungen x Grenzsteuersatz
Der Grenzsteuersatz (die Marginal Tax Rate) ist der Steuersatz, mit dem der jeweils nächste verdiente Euro Gewinn versteuert werden muss. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn wir eine progressive Steuerlogik haben, d.h. wenn der Steuersatz mit dem zu versteuernden Einkommen ansteigt. Dann müssen wir nämlich zunächst einmal schauen, in welcher Einkommenskategorie wir uns gerade befinden, um den marginalen Steuersatz zu ermitteln. Beispiel: Wer als Privatperson mehr verdient, der zahlt z.B. in Deutschland nicht nur absolut, sondern auch anteilig mehr Steuern.
Die Regeln zur Unternehmensbesteuerung sind üblicherweise zwar unabhängig vom zu versteuernden Gewinn, d.h. der gesetzlich festgelegte Ertragssteuersatz ist gleichzeitig auch der Grenzsteuersatz.
Unter Umständen gibt es aber doch Freibeträge (z.B. bei der Gewerbesteuer), die alle Einkünfte bis zu einem bestimmten Betrag als steuerfrei behandeln und so einen Einfluss auf die effektiv zu zahlende Steuer haben.
Exkurs: Tax Shield im Rahmen des Adjusted Present Value (APV)
Der Begriff Tax Shield wird in der Literatur auch oft in Zusammenhang mit dem so geannnten Adjusted Present Value (APV) verwendet.
Der Adjusted Present Value ist eine Sonderform des Discounted Cash Flow Verfahrens. In diesem wird der Free Cash Flow to Firm (FCFF), also der allen Kapitalgebern gleichermaßen zur Verfügung stehende Cash Flow, zunächst mit den Eigenkapitalkosten zu einem fiktiven Unternehmenswert bei angenommener 100%iger Eigenfinanzierung abgezinst.
Anschließend wird der Barwert des Tax Shield – abgezinst mit den entsprechenden Fremdkapitalkosten – als zusätzlicher Wertbeitrag der Fremdfinanzierung berücksichtigt.
Im “Standard” DCF-Modell wird der Vorteil aus Fremdfinanzierung übrigens über die Gesamtkapitalkosten (den WACC) entsprechend berücksichtigt. Die Logik des APV hat aber durchaus ihren Charme, weil der positive Effekt der Fremdfinanzierung dadurch viel deutlicher herauskommt.
Relevanz des Tax Shield für die Unternehmensbewertung
Ihr fragt euch nun bestimmt, was das Ganze mit der Prognose der Financials und der Unternehmensbewertung (beispielsweise mittels des DCF-Verfahrens) zu tun hat.
Die Antwort auf diese Frage ist eigentlich ganz einfach:
- Wenn ein Unternehmen in neue Vermögenswerte investiert (CapEx), dann nimmt es dafür in der Regel Fremdkapital auf
- Die Investitionen führen (hoffentlich) zu einem operativen Gewinnwachstum, das Fremdkapital allerdings zu höheren Zinsaufwendungen
- Je nach dem, wie sich das Verhältnis zwischen operativem Ergebnis und Zinsaufwendungen verändert, verändert sich ceteris paribus auch der durchschnittliche Steuersatz
Um also ein in sich geschlossenes und konsistentes Excel-Modell herzustellen, müssen wir operative Steuern und nicht-operative Steuern separat betrachten.
Ermittlung von Tax Shield und operativen Steuern
In der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) wird zwar nur ein aggregierter Effektivsteuersatz angegeben. Tatsächlich setzt sich die in der GuV ausgewiesene Steuer aber aus drei verschiedenen Bestandteilen – d.h. ggf. auch drei verschiedenen Steuersätzen – zusammen:
Steuern laut GuV = Operative Steuern + Steuern auf Zinserträge – Tax Shield Zinsaufwand
Bei Zinserträgen und vereinnahmten Dividenden greift in der Regel die jeweils offizielle Regelung für Kapitalerträge, in Deutschland die so genannte Abgeltungssteuer von 25% plus Solidaritätszuschlag.
Die aus den abzugsfähigen Fremdkapitalzinsen resultierende Steuerersparnis wird wie bereits erläutert auf Basis des marginalen, also des gesetzlichen Grenzsteuersatzes ermittelt.
Insgesamt ergibt sich also in etwa die folgende Logik:
Um also die Größenordnung der operativen Steuern abschätzen zu können – die einzige verbliebene Unbekannte in der Gleichung und gleichzeitig Ausgangspunkt für die weitere Berechnung -, stellen wir die obige Gleichung einfach folgendermaßen um und teilen das Ganze durch den EBIT, sozusagen die Bemessungsgrundlage für die operativen Steuern:
Operativer Steuersatz = (Steuern laut GuV – Steuern auf Zinserträge + Tax Shield Zinsaufwand) / EBIT
Berechnung operative Steuern und Tax Shield: Beispiel Bayer AG
Im Folgenden möchte ich die Logik einmal am Beispiel der Bayer AG verdeutlichen.
In meinem Artikel zur Berechnung von NOPAT, investiertem Kapital und ROIC hatte ich das das nachhaltige Ergebnis vor Steuern für die Bayer AG zu 7,56 Mrd. EUR abgeschätzt. Der erwartete Steuersatz – also der gewichtete internationale Steuersatz ohne Effekte aus Steuersatzänderungen, periodenfremden Steuererträgen, Nutzung latenter Steuer-Assets etc. – liegt laut Präsentation vom Capital Markets Day aktuell bei ca. 23%:
Analog zur obigen Formel ermitteln wir zunächst den Tax Shield bzw. die Steuern auf die nicht-operativen Erträge. Für beides nutzen wir der Einfachheit halber in diesem Beispiel einen marginalen Steuersatz bzw. Grenzsteuersatz von 30%. Wir gehen also davon aus, dass der Großteil der Zinsaufwendungen in Deutschland anfällt.
Um nun die operativen Steuern auf den EBIT abzuschätzen, addieren wir einfach den Tax Shield zu den Steuern laut GuV hinzu bzw. ziehen die Steuern auf die nicht-operativen Erträge ab:
Als Ergebnis erhalten wir einen operativen Steuersatz von ca. 24,3% auf dessen Basis wir den aktuellen NOPAT bzw. freien Cash Flow ermitteln können. Dieser Steuersatz ist außerdem der Ausgangspunkt für unsere Prognose des Steuersatzes in die Zukunft.
Key Takeaways
Beim Tax Shield handelt es sich um die Steuerersparnis, die auf Basis der abzugsfähigen Zinsaufwendungen zustande kommt.
Der Tax Shield wird auf Basis des jeweiligen marginalen Steuersatzes ermittelt.
Sowohl für die detaillierte Prognose der Financials, als auch für die Berechnung von NOPAT und Free Cash Flow to Firm (FCFF) ist eine Unterscheidung der Steuern (des Steuersatzes) in einen operativen und einen nicht-operativen Anteil erforderlich… wobei der nicht-operative Anteil i.W. den Tax Shield repäsentiert.
Für konkrete Ansätze zur Modellierung des operativen Steuersatzes schaut euch Teil 2 dieses Artikels an: Modellierung Steuersatz Teil 2: Effektiv- versus Grenzsteuersatz.