Jeder von uns kennt Aussagen wie “Ich vertraue hier meiner Intuition” oder so ähnlich. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir selbst diesen Spruch bereits das ein oder andere Mal in unserem Leben verwendet haben. Er bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass wir sozusagen aus dem Bauch raus (oder jedenfalls mit recht geringem mentalen Aufwand) zu einer Entscheidung gelangen und eine Entscheidung treffen können. Im Gegensatz dazu steht das “rationale” Denken, das Abwägen von Vor- und Nachteilen, das Begründen und Erklären etc., was natürlich sowohl Zeit als auch Energie kostet.
Wissenschaftler und Psychologen bezeichnen diese unterschiedlichen Arten zu Denken auch als Denken in System 1 und System 2. Oder analog zu Daniel Kahnemanns Buch auch als “schnelles Denken” und “langsames Denken” (das Buch kann ich jedem übrigens nur empfehlen).
In diesem Artikel möchte ich einmal etwas näher darauf eingehen, was schnelles und langsames Denken für uns als DIY Investoren bedeutet und was wir über uns selbst und für unseren Investment-Ansatz lernen können.
Was du in diesem Artikel lernst
- Welches die Unterschiede zwischen System 1 und System 2 bzw. schnellem und langsamem Denken sind
- Warum wir zu oft in System 1 bzw. “schnell” denken
- Was das “schnelle Denken” für Auswirkungen auf unsere Investitionsentscheidungen hat
- Wie wir unser System 2 aktivieren können und lernen können, “langsam” zu denken
Schnelles Denken und langsames Denken
Schnelles Denken ist wie oben bereits beschrieben ein Denkprozess, der uns recht schnell zu einem Ergebnis führt, weil er einfach ist und wenig Zeit erfordert. Und auch die zugrunde liegenden Ideen sind einfach und befinden sich in der Regel noch auf der ersten Ebene des Denkens (First Level Thinking).
Im Kontext des Investierens wäre ein Beispiel für schnelles Denken z.B. die Auswahl von Aktien anhand des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, des Kurs-Buchwert-Verhältnisses oder der Dividendenrendite. Beides erfordert wenig Zeit und mentale Energie.
Langsames Denken dagegen ist der rational und reflektierte Teil unseres Erkenntnisprozesses. Hierbei gehen wir kontrolliert vor, arbeiten Fragen eine nach der anderen ab. Auf diesem Weg zu einer Entscheidung zu gelangen dauert umso länger und erfordert umso mehr Energie und Geduld. Mit diesem Denkansatz beantworten wir typischerweise die Fragen, die aus unserer Sicht eine besondere Expertise, Reflektion etc. benötigen.
Wir alle denken schnell, schnell in System 1…
Dass die Fähigkeit zum langsames Denken nichts mit hoher Intelligenz oder Ähnlichem zu tun hat, zeigte Shane Frederick, Professor an der Yale University mithilfe eines einfachen Experiments. Er trommelte eine Reihe von US-amerikanischen Elitestudenten (aus Harvard, Yale und vom MIT) zusammen und stellte ihnen die folgenden drei Aufgaben:
- Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 EUR, wobei der Schläger einen EUR mehr kostet als der Ball. Wie viel kostet der Ball? – richtige Antwort: 5 Cent
- Fünf Maschinen brauchen fünf Minuten für die Herstellung von 5 Einheiten eines Produkts. Wie lange brauchen 100 Maschinen für die Herstellung von 100 Einheiten? – richtige Antwort: 5 Minuten
- Auf einem See befindet sich ein Fleck mit Seerosenblättern. An jedem Tag verdoppelt sich die Fläche der Blätter. Nach 48 Tagen ist der See komplett mit Blättern bedeckt. Wie lange dauert es, bis die Blätter die Hälfte der Fläche des Sees bedecken? – richtige Antwort: 47 Tage
Überraschenderweise beantworteten mehr als 50% der mutmaßlich überdurchschnittlich intelligenten Studenten die Fragen falsch. Der Clou bei diesen Fragen ist nämlich der, dass alle uns eine bestimmte, einfache Antwort suggerieren.
Frederick’s zwei Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen:
- Wir sind es nicht gewohnt, intensiv über Probleme nachzudenken und entscheiden uns oft überhastet für die erste plausible Antwort, die uns in den Sinn kommt
- Unser System 2 bietet uns keinen Schutz vor Fehlern, die wir durch schnelles Denken machen. Es gibt also kein Kontrollsystem, dass uns sagt “Denk hierüber besser nochmal etwas länger nach!”
… auch beim Investieren
Auf das Investieren übertragen bedeuten die Ergebnisse erstmal nur, dass vermutlich auch ein Großteil der Investoren Investitionsentscheidungen mithilfe des System 1 bzw. des schnellen Denkens trifft.
In der Praxis sieht das dann zum Beispiel so aus, dass wir uns die Firmen mit den niedrigsten P/E Ratios und historisch attraktiven Dividendenrenditen ansehen, ein paar Headlines der Börsenmagazine lesen und daraus die schnelle Schlussfolgerung ziehen, dass es sich um ein gutes Investment handelt.
Analog zum obigen Experiment müsste das unweigerlich dazu führen, dass wir offensichtliche Fehler machen (vor denen uns unser System 2 natürlich nicht warnt bzw. warnen kann).
Dann haben wir auf einmal Werte wie E.on oder RWE im Portfolio ohne auch nur annähernd verstanden zu haben, was z.B. die Energiewende für diese Firmen eigentlich bedeutet (um mal ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung zu nehmen).
Wie wir System 2 aktivieren und langsames Denken lernen können
Die Frage ist also, wie wir unser System 2 aktivieren bzw. lernen, es in solchen Situationen entsprechend zu nutzen. Aus meiner Sicht sind dazu drei Dinge nötig (die analog zu oben keinen überdurchschnittlichen IQ erfordern):
- Ausreichend Zeit für eine gründliche Analyse der Investments
- Ein hohes Energielevel, weil langsames Denken ja mentalen Aufwand bedeutet
- Die richtigen Hilfsmittel
1. Langsames Denken erfordert Zeit
Langsames Denken funktioniert nur, wenn wir unserem Denkprozess ausreichend Zeit geben. Wenn wir also glauben, dass wir innerhalb eines Tages zu einer Investitionsentscheidung kommen müssen (z.B. weil ansonsten der Aktienkurs schnell wieder hoch geht), dann stehen wir uns vielleicht selbst im Weg.
Viele Value Investoren schauen sich interessante Unternehmen über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder manchmal sogar mehreren Monaten an, ohne sich von kurzfristigen Kursentwicklungen leiten zu lassen. Im Grunde genommen brauchen wir ja nur zwei bis vier gute Investments pro Jahr, mehr nicht (siehe meine Artikel über Mohnish Pabrai).
Also warum sich nicht die Zeit zugestehen, die interessanten Unternehmen auch im Detail zu verstehen? Das würden wir ja z.B. beim Kauf einer Eigentumswohnung auch machen.
2. Langsames Denken erfordert Energie
Wie jede physische Tätigkeit auch, erfordert die intensive inhaltliche Beschäftigung mit einem Thema eine Menge Energie. Das gilt vor allem, wenn im Rahmen unserer Analyse die Geschäftsberichte etc. der Unternehmen gelesen werden müssen.
Nach den letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu urteilen, ist die uns täglich zur Verfügung stehende Energie allerdings begrenzt. So etwas wie eine Willenskraft, mit der wir uns auch nach einem langen Arbeitstag noch dazu antreiben können, die Analysen zu machen, gibt es aus meiner Sicht nicht.
Aus diesem Grund sollten wir ganz allgemein die wichtigsten Dinge dann tun, wenn wir noch ausreichend Energie zur Verfügung haben. Um auf der sicheren Seite zu sein, kümmere ich mich deshalb um meine Investments vor allem morgens vor allen anderen Dingen. Und zwar jeden Tag!
3. Langsames Denken erfordert die richtigen Tools
Das langsame Denken unterscheidet sich vom schnellen Denken außerdem nur, wenn wir die richtigen Hilfsmittel nutzen und unser System 2 entsprechend “aktivieren”.
Es ist nämlich so: Genauso wenig, wie wir ohne die richtigen Hilfsmittel und Zutaten gut kochen können, können wir ohne die richtigen Tools und Ressourcen erfolgreich langsam denken und investieren (Dank an Robert Hagstrom für diesen Vergleich).
Zu den richtigen Tools und Ressourcen können nun je nach Detailgrad der Analyse viele verschiedene Dinge gehören.
Es fängt an mit einem soliden Investment-Prozess bzw. einer Checkliste, die uns sagt, welche Schritte wir im Detail unternehmen müssen, um zu einer Einschätzung bzw. Bewertung des Unternehmens zu gelangen. Dann haben wir wie oben angesprochen die Geschäftsberichte bzw. Unternehmensinformationen, die wir durchlesen können. Schließlich sollten wir ein entsprechendes Bewertungstool haben (z.B. EBIT Multiple oder DCF), mit dem wir den intrinsischen Wert der Firma grob ermitteln können.
Nutzen wir diese Tools über einige Zeit konsequent, dann werden wir nach einiger Zeit in der Lage sein, System 2 bewusst einzusetzen.
Fazit: Am Ende geht es um Geduld und Routinen
Wie ihr gesehen habt, denken wir allzu oft in System 1 (also schnell, schnell), ohne uns dessen überhaupt bewusst zu sein. Das führt in vielen Fällen dazu, dass wir offensichtliche Fehler machen.
Um diese Fehler zu vermeiden, müssen wir das langsame Denken bzw. das Denken in System 2 lernen. Dies geht vor allem über die Nutzung der richtigen Tools und Hilfsmittel (wie Checklisten, Bewertungsmodelle etc.), erfordert aber auch entsprechende Routinen. Und vor allem viel Geduld und eine gewisse Ignoranz gegenüber dem aktuellen Marktgeschehen.
1 Kommentar zu „Langsames Denken: So investieren wir erfolgreicher“
Super cooler Artikel! 🙂 Also ich denke gerne langsam … vlt. bin ich auch nicht der Schnelldenker, weil ich es gar nicht so sehr kann. Aber ich bin grundsätzlich der Überzeugung, dass in der Ruhe die Kraft liegt. Trotz allem vertraue ich auch gern auf meine Intuition. Da kann ich das Buch “Cafe am Rande der Welt” empfehlen. Ich denke langsam und vertraue auf mein Bauchgefühl! 🙂