An meinem letzten Artikel zur Funktionsweise des Geschäftsmodells einer Bank ist es an der ein oder anderen Stelle denke ich schon angeklungen: Es gibt ggf. eine Reihe an bewertungsrelevanten Unterschieden zwischen Banken bzw. Finanzdienstleistungsunternehmen und “gewöhnlichen” Unternehmen (Industrieunternehmen, Retailer, E-Commerce-Firmen etc.).
Bewertungsrelevant bedeutet in diesem Fall, dass es sich um Unterschiede handelt, die dazu führen, dass wir eine Bank, eine Versicherung oder einen anderen Finanzdienstleister (z.B. eine Leasingfirma) ggf. nicht mit den gleichen Verfahren und Methoden bewerten können, wie wir das von anderen Unternehmen gewohnt sind.
In diesem Artikel möchte ich daher nochmal sehr explizit auf die wesentlichen und für die Ableitung eines passenden Bewertungsverfahrens relevanten Unterschiede zwischen Banken und anderen Unternehmen eingehen… und auch darauf, warum diese Unterschiede zu einigen Schwierigkeiten bei der Unternehmensbewertung führen können.
Dies sollte allerdings auch der letzte “einführende” Artikel zum Thema sein, bevor wir tatsächlich zu den Bewertungsverfahren und einigen konkreten Beispielen kommen.
Intro: Wesentliche Charakteristika von Banken
Die Geschäftsmodelle von Banken (und auch anderen Finanzdienstleistungsunternehmen) haben bestimmte Besonderheiten bzw. Charakteristika, die sich – wie wir gesehen haben -, teilweise substanziell auf den Jahresabschluss bzw. die Financial Statements auswirken können. Aswath Damodaran hat in seinem Little Book of Valuation einmal die folgenden vier Hauptunterschiede herausgearbeitet:
- Zum einen unterliegen die meisten Banken bzw. Finanzdienstleister mehr oder weniger strengen aufsichtsrechtlichen Beschränkungen hinsichtlich der Art und Weise, wie sie ihre Geschäfte führen und wie viel (Eigen)Kapital sie zurücklegen müssen, um im Krisenfall den Betrieb aufrechterhalten zu können (Stichwort Systemrelevanz). Auf diese so genannte Kapitalquote bin ich ja in meinem letzten Beitrag bereits grob eingegangen
- Zweitens weichen die Rechnungslegungsvorschriften für die Erfassung von Erträgen und Vermögenswerten bei Banken an einigen Stellen von den Rechnungslegungsvorschriften anderer Unternehmen ab
- Drittens ist Fremdkapital für Finanzdienstleister eher ein “Rohmaterial” als eine Kapitalquelle. Die Logik hinter den Begriffen Kapitalkosten und Enterprise Value kann bzw. muss daher eine andere sein
- Schlussendlich kann es schwierig bis unmöglich sein, die so genannte Reinvestition (Nettoinvestitionen sowie Investition in Working Capital bzw. Betriebskapital) für eine Bank oder ein Versicherungsunternehmen überhaupt zu definieren, weshalb Cash Flows, wie sie üblicherweise definiert werden (FCFF, FCFE, freier Cash Flow), nicht wirklich sinnvoll ermittelt werden können
Im Folgenden möchte ich einmal auf jeden der gerade erwähnten Unterschiede etwas mehr im Detail eingehen. Beginnen wir einmal mit den regulatorischen Aspekten.
Der regulatorische Rahmen von Banken
Finanzdienstleistungsunternehmen sind im Grunde genommen überall auf der Welt stark reguliert, wobei das Ausmaß der Regulierung sich natürlich von Land zu Land ggf. nochmal unterscheidet.
Im Allgemeinen gibt es aber vier Formen von Vorschriften, die übergreifend gelten:
Erstens müssen Banken und Versicherungen eine aufsichtsrechtliche Eigenkapitalquote (“Kapitalquote”) einhalten, die auf der Grundlage des Buchwerts ihres Eigenkapitals (“Eigenmittel”) auf der einen und ihrer operativen Geschäftstätigkeit (“risikoadjustierte Aktiva”) auf der anderen Seite ermittelt wird. Basel III schreibt beispielsweise vor, dass Banken bestimmte Eigenkapitalquoten einhalten müssen, um ihre Risiken abzusichern. Diese Eigenkapitalanforderungen werden in Kennzahlen wie der Common Equity Tier 1 Ratio (CET1) ausgedrückt.
Mit diesem engen Korsett im Hinblick auf die Vorhaltung von Eigenmitteln wollen die Regulatoren i.W. sicherstellen, dass die Banken nicht über ihre Verhältnisse wachsen und dadurch die Einlagen ihrer Einleger (und anderer Anspruchsberechtigter) gefährden.
Darüber hinaus müssen Banken zweitens über ein ausgeklügeltes Liquiditätsmanagement verfügen.
Beispiel EU: Die Liquiditätsanforderungen nach Basel III – u.a. die Einhaltung des Liquidity Coverage Ratio (LCR) oder des Net Stable Funding Ratio (NSFR) – sollen dafür sorgen, dass Banken in Krisenzeiten ausreichend liquide Mittel zur Verfügung haben, um kurzfristig fällig werdende Verbindlichkeiten bedienen zu können.
Ganz konkret erfordert die Einhaltung des LCR beispielsweise eine Vorhaltung hochliquider Aktiva in einer Größenordnung, die die Nettozahlungsverpflichtungen für einen Zeitraum von 30 Tagen gewährleisten kann (in einem schweren Stresstest-Szenario wohlgemerkt).
Weil das Geschäftsmodell einer Bank in einem hohen Maße auf Vertrauen basiert, kann ein Liquiditätsengpass nämlich besonders gefährlich werden – wenn es zu einer Panik und einem massiven Abzug von Kapital bzw. Einlagen kommt (Stichwirt “Bank Run”).
Zum dritten sind Finanzdienstleistungsunternehmen oft eingeschränkt in der Art und Weise, wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel investieren können. Entsprechend des Glass-Steagall-Acts (ein Relikt aus der Zeit nach dem großen Wall Street Crash 1929) war es Geschäftsbanken in den USA beispielsweise bis ca. 1999 nicht gestattet, Investment Banking zu betrieben oder sich aktiv an Unternehmen außerhalb des Finanzsektors zu beteiligen (beinhaltete auch das Investment in Public Equities).
Und schließlich viertens wird sowohl der Markteintritt neu entstandener Finanzdienstleister sowie auch der Zusammenschluss von bestehenden Unternehmen sehr eng von den Aufsichtsbehörden kontrolliert.
Warum ist das alles relevant?
Aus der Bewertungsperspektive sind unsere Annahmen für das erzielbare Gewinn- bzw. Cash Flow-Wachstum eng mit unserer Einschätzung der für die Erzielung dieses Wachstums erforderlichen Reinvestitionen verknüpft (weil Wachstum in der Regel ohne die entsprechenden Investitionen nur begrenzt möglich ist… hängt aber natürlich etwas vom Geschäftsmodell ab).
Bei der Bewertung von Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen müssen diese Annahmen im Hinblick auf die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen genau geprüft werden. Die Bank darf natürlich ihr Kreditvolumen nicht unbegrenzt ausweiten, ohne parallel auch die Eigenkapitalbasis zu stärken.
Anmerkung: Für mehr Informationen zum Zusammenspiel von Investitionen, Kapitalrendite und Wachstum schaut euch einmal das Microsoft-Bewertungsbeispiel an.
Darüber hinaus können sich mögliche Veränderungen (insbesondere natürlich Verschärfungen) der aufsichtsrechtlichen Beschränkungen ggf. auf die der Unternehmensbewertung zugrunde liegenden Unsicherheiten bzw. Risiken auswirken und damit einen Einfluss auf die Bewertung haben.
Oder einfacher ausgedrückt: Um Banken, Versicherungsgesellschaften und Investmentbanken zu bewerten, müssen wir die regulatorischen Strukturen kennen und entsprechend berücksichtigen.
Unterschiede in den Rechnungslegungsvorschriften
Die Rechnungslegungsvorschriften, die zur Aufstellung des Jahresabschlusses von Banken und Finanzdienstleistern herangezogen werden, unterscheiden sich in zwei wesentlichen Punkten von denen “gewöhnlicher” Unternehmen.
Punkt 1: Bei einem substanziellen Teil der Vermögenswerte (Aktiva) von Banken bzw. Finanzdienstleistern handelt es sich i.d.R. um Finanzinstrumente (Anleihen / Bonds, verbriefte Verbindlichkeiten), für die es einen aktiven bzw. liquiden Markt und einen entsprechenden Marktpreis gibt. Es überrascht daher nicht, dass die Bewertung dieser Vermögenswerte auf der Bilanz typischerweise zu Marktpreisen (und nicht zu Anschaffungskosten) erfolgt… auch wenn diese manchmal unter Zuhilfenahme bestimmter Annahmen abgeschätzt werden (d.h. es kommt das so genannte Mark-to-Market Accounting zur Anwendung).
Kleine Anmerkung: Auch in anderen Industriezweigen wird das Mark-to-Market Accounting immer beliebter bzw. präsenter. Immobilienunternehmen wie Vonovia oder die Deutsche Konsum REIT beispielsweise lassen ihre Immobilienbestände schon seit Jahren regelmäßig neu bewerten, was in der Vergangenheit zwar regelmäßig zu Buchgewinnen geführt, im Zuge des Zinsanstiegs aber einige Unternehmen stark in Bedrängnis gebracht hat.
Punkt 2: Die Geschäftstätigkeit einer Bank ist typischerweise so beschaffen, dass auf längere Perioden mit positiven Ergebnissen kurze Perioden mit stark negativen Ergebnissen folgen. Dem entsprechend wurden Rechnungslegungsstandards entwickelt, um dieser Tendenz entgegenzuwirken und die Gewinne bzw. Erträge über die Zeit zu glätten (Stichwort Risikovorsorge).
Im Folgenden einmal ein paar tiefergehende Erläuterungen zu beiden Punkten.
Mark-to-Market Accounting
Wie eben bereits angesprochen: Bei Banken und Finanzdienstleistern ist das Konzept des Mark-to-Market Accounting, welches aktuell in viele Bilanzen traditioneller Unternehmen Einzug hält, schon länger vorgeschrieben.
Das wesentliche Argument: Die meisten Vermögenswerte einer Bank werden aktiv gehandelt und haben daher einen direkt beobachtbaren Marktpreis… was subjektive Einschätzungen auf ein relativ geringes Maß reduzieren sollte (das Thema Mark-to-Market Accounting ist ja schon bei einigen Unternehmen dazu genutzt worden, um regelmäßige Gewinne zu erzeugen bzw. Verluste zu verschleiern… siehe z.B. die Fallstudien zu Enron und zur Noble Group).
Im Allgemeinen handelt es sich bei den Vermögenswerten von Banken und Versicherungsunternehmen tatsächlich um Wertpapiere, von denen das Gros öffentlich gehandelt wird. Da der Marktpreis dieser Anlagen dem entsprechend gut beobachtbar ist bzw. sein sollte, tendieren die Rechnungslegungsvorschriften dazu, eine Marktbewertung (tatsächlich oder geschätzt) für diese Vermögenswerte im Jahresabschluss vorzuschreiben.
Aus diesem Umstand ergeben sich insbesondere im relativen Vergleich zwischen Banken und anderen Unternehmen einige Schwierigkeiten:
- Erstens: Ein Vergleich bestimmter Bilanzkennzahlen von Banken und Nicht-Finanzdiensleistern ist nicht zielführend. Insbesondere geht es hier um Kennzahlen wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und die Eigenkapitalrendite (ROE)
- Zweitens: Die Bilanzkennzahlen von Banken müssen grundsätzlich anders interpretiert werden. Während die Eigenkapitalrendite eines Nicht-Finanzunternehmens mehr oder weniger als Maß für die Rendite des ursprünglich in Sachanlagen und andere Assets investierten Eigenkapitals angesehen werden kann, gibt die EK-Rendite einer Bank immer das Ergebnis in Bezug zum aktuellen Marktwert des Eigenkapitals an (der u.U. mit dem ursprünglich investieren Kapital nicht mehr viel zu tun hat)
Aus Sicht der Unternehmensbewertung könnte dieser Aspekt allerdings positiv sein: Sofern die Marktbewertungen der Assets tatsächlich fair sind (was allerdings nicht zwangsläufig der Fall sein muss), kann ein Analyst den aktuellen fairen Wert des Eigenkapitals einer Bank direkt aus der Bilanz ablesen.
Risikovorsorge bzw. Verlustrückstellungen zur Glättung der Erträge
Auf das Thema Risikovorsorge bin ich ja oberflächlich bereits im Artikel zum typischen Geschäftsmodell einer Bank eingegangen. Betrachten wir auch hier wieder eine Bank, die ihr Geld auf die altmodische Weise verdient, nämlich indem sie Gelder von Einlegern einsammelt und diese anschließend zu höheren Zinssätzen an Privatpersonen und Unternehmen mit Kapitalbedarf weiterverleiht.
Zwar ist der mit den Kreditnehmern abgerechnete Zins höher als derjenige, den die Bank für ihre Einlagen zahlen muss und die Bank verdient mit dem so genannten “Spread” einen Zinsüberschuss. Allerdings hat die Bank auch Risiken, welche sie entsprechend adressieren muss. Neben einem gewissen Liquiditätsrisiko, welches aus der typischerweise unterschiedlichen Fristigkeit der Einlagen einerseits und der vergebenen Kredite andererseits resultiert, ist dies insbesondere das Ausfallrisiko der Kreditnehmer… also das Risiko, dass diese den ihnen gewährten Kredit nicht oder nur teilweise zurückzahlen können. Dieses Risiko und damit die Ausfallquote kann im Laufe der Zeit stark variieren – niedrig in wirtschaftlich guten Zeiten (Boomphasen) und hoch wirtschaftlich schlechten Zeiten (Rezessionsphasen).
Im Sinne der Ertragsglättung passiert nun folgendes: Anstatt die notleidenden Kredite genau dann abzuschreiben, wenn eine Forderung sozusagen als “verloren” klassifiziert werden muss, bilden Banken i.d.R. Rückstellungen für statistisch erwartbare Verluste und buchen diese jährlich gegen den erwirtschafteten Gewinn (so genannte Risikovorsorge aus dem Kreditgeschäft). Grundsätzlich erscheint dieses Vorgehen erstmal nachvollziehbar und im Sinne einer konservativen Geschäftsführung umsichtig zu sein.
Der wesentliche Haken bei der Sache: Die Bank trägt typischerweise die Verantwortung für die Bewertung der erwarteten Kreditausfälle… es gibt auf der einen Seite eher konservative Banken, die über die Zeit einen größeren Risikopuffer bilden als nötig (und dabei auch den Ausweis eines niedrigeren Gewinns in Kauf nehmen). Und es gibt die eher aggressiven Banken, die eine ausreichende Risikovorsorge ihrem erzielten Gewinn opfern (vielleicht um am Kapitalmarkt zu punkten).
Fremd- versus Eigenkapital
Für ein Unternehmen gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten der Finanzierung: Fremdkapital und Eigenkapital. Ganz analog ist dem entsprechend auch die Passivseite einer Bilanz strukturiert. Obwohl diese Logik natürlich grundsätzlich für alle Unternehmen gilt, unterscheiden sich Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen in drei Punkten von Unternehmen aus anderen Bereichen bzw. Branchen.
Verbindlichkeiten äquivalent zu Rohmaterialien, kein Kapitalquelle
Wenn wir über das “Kapital” von Nicht-Finanzunternehmen sprechen (also z.B. das investierte Kapital oder das Capital Employed), dann berücksichtigen wir in der Regel sowohl das Fremd- als auch das Eigenkapital. Ein Unternehmen nimmt i.d.R. sowohl von Eigenkapitalgebern als auch von Anleihegläubigern und Banken Mittel auf, um diese in Cash Flow-generierende Vermögenswerte zu investieren. Wenn wir ein Unternehmen bewerten, dann ermitteln wir in der Regel den Wert der (operativen) Vermögenswerte des Unternehmens (den so genannten Enterprise Value), und nicht nur den Wert des Eigenkapitals.
Bei einer Bank oder einem Finanzdienstleister hingegen hat das Fremdkapital eine etwas andere Bedeutung bzw. erfüllt in gewisser Weise einen anderen Zweck. Die meisten Finanzdienstleister betrachten Verbindlichkeiten entsprechend ihres Geschäftsmodells nämlich nicht als Kapitalquelle, sondern als Rohmaterial.
Mit anderen Worten: Schulden sind für eine Bank das, was Stahl für einen Auto-OEM ist: Ein Rohstoff, der durch das Unternehmen zu einem anderen Produkt weiterverarbeitet wird, welches anschließend mit zusätzlicher Marge weiterverkauft werden kann.
Von der Logik her passt dieser Vergleich gut zu einer Bank: Diese “nimmt” die ihr für einen bestimmten Preis (den Einlagezins) zur Verfügung gestellten Mittel und erstellt daraus ein neues Produkt (einen Kredit), den sie zu einem höheren Preis (d.h. einem höheren Zins) an einen Kunden “verkauft”.
Dem entsprechend wird der Begriff “Kapital” für eine Bank bzw. einen Finanzdienstleister i.d.R. enger ausgelegt, als für ein gewöhnliches Unternehmen… so eng, dass es im Grunde nur das Eigenkapital und einige wenige eigenkapitalähnliche Instrumente (z.B. Vorzugsaktien oder Hybridkapital) umfasst.
Wie wir weiter oben bereits gelesen haben, ist dies eine Definition, der auch die Aufsichtsbehörden folgen, indem sie die Einhaltung von Kapitalquoten etc. ebenfalls hauptsächlich an das Eigenkapital knüpfen.
Definition von (Finanz)Schulden
Neben der Anrechnung von Fremdkapital als Kapitalquelle ist auch die allgemeine Definition von (Finanz)Schulden für ein Finanzinstitut etwas schwieriger. Wichtig ist das vor allem aus folgendem Grund:
Klassifizieren wir die erhaltenen und verzinslichen Einlagen entsprechend der üblichen Logik als Finanzschulden, dann müssten die Zinsaufwendungen in der GuV konsequenterweise als “nicht-operative Aufwendungen” unterhalb der EBIT-Linie aufgeführt werden.
Dies würde dann allerdings dazu führen, dass die typischerweise mit Abstand größte Aufwandsposition nicht im operativen Ergebnis berücksichtigt wäre… etwas problematisch das Ganze.
Aus diesem Grund werden Zinsaufwendungen i.d.R. als operative Ausgaben und damit als Bestandteil des Betriebsergebnisses berücksichtigt (im Rahmen der Berechnung des Zinsüberschusses).
Der Grad der finanziellen Verschuldung
Unabhängig davon, ob wir die Einlagen nun als Finanzschulden oder als Betriebskapital definieren. Im Hinblick auf die typische Verschuldung einer Bank gibt es noch eine weitere Problemstellung: Banken haben ganz generell einen viel höheren Fremdkapitalanteil und ein viel höheres Leverage als Nicht-Finanzunternehmen.
Historisch gibt es ein paar gute Gründe für diese Tatsache: Zum einen war das Geschäftsmodell einer typischen Bank immer relativ risikoarm, zum anderen gab es die Aufsichtsbehörden und einen entsprechenden regulatorischen Rahmen.
Nichts desto trotz hat der hohe Verschuldungsgrad Konsequenzen für die Bewertung. Da das Eigenkapital wie gesagt nur einen Bruchteil des Gesamtwerts einer Bank bzw. eines Finanzdienstleisters ausmacht, können kleine Veränderungen des Enterprise Value große Schwankungen des Eigenkapitalwerts zur Folge haben… ein wesentlicher Grund, warum sich die Praktiker im Hinblick auf die Bewertung einer Bank eher auf Eigenkapital-basierte Modelle und eine direkte Abschätzung des EK-Werts fokussieren.
Die Schätzung von Cashflows ist schwierig
Wir sind weiter oben bereits darauf eingegangen, dass Banken und andere Finanzdienstleistungsunternehmen regulatorisch von den zuständigen Behörden stark eingeschränkt werden. Wo und wie eine Bank ihre Mittel investieren kann / darf und auch in welcher Größenordnung wird von den Regeln der Aufsichtsbehörden beeinflusst.
In einem typischen Bewertungsmodell gehen wir nun typischerweise davon aus, dass ein bestimmtes Maß an Reinvestition notwendig ist, um zukünftiges Wachstum zu erzielen. Die Reinvestition wird dabei folgendermaßen definiert:
Reinvestition = Nettoinvestitionen + Investition in Working Capital = CapEx – Abschreibung + Investition in Working Capital
Diese Reinvestition wird anschließend mit der nachhaltig erzielbaren Kapitalrendite multipliziert, um das zukünftig realisierbare Gewinn- bzw. Cash Flow-Wachstum zu ermitteln:
Gewinnwachstum = Reinvestition x Kapitalrendite
Die resultierenden Cash Flows werden anschließend auf Basis entsprechenden WACC abgezinst und ergeben den Wert der operativen Assets (Unternehmenswert bzw. Enterprise Value).
Leider ist sowohl die Ableitung der Nettoinvestitionen als auch des Investments ins Working Capital für ein Finanzunternehmen nicht so ganz leicht… etwas beschönigt ausgedrückt.
Betrachten wir zunächst einmal die Nettoinvestitionen. Im Gegensatz zu einem produzierenden Unternehmen, das vornehmlich in Produktionsanlagen, Ausrüstungen und andere Sachanlagen investiert, investieren Finanzdienstleister insbesondere in immaterielle Vermögenswerte wie z.B. ihre Marke oder in qualifiziertes Personal (Humankapital).
Folglich werden die Wachstumsinvestitionen einer Bank im Accounting typischerweise als Betriebsausgaben klassifiziert. Dies hat zur Folge, dass in der Kapitalflussrechnung einer Bank meist nur sehr geringe Investitionen und Abschreibungen ausgewiesen werden. Softwareunternehmen haben in diesem Zusammenhang jedenfalls noch aktivierte Entwicklungskosten.
Beim Betriebskapital bzw. Working Capital haben wir eine andere Schwierigkeit: Wenn wir das Betriebskapital vereinfacht als Differenz aus Umlaufvermögen (ohne Cash) und den kurzfristigen Verbindlichkeiten (ohne Finanzschulden) definieren, dann würde vermutlich der größte Teil der Aktiv- und Passivseite der Bankbilanz in eine der beiden Kategorien fallen. In der Konsequenz kann das resultierende Working Capital sowohl riesengroß als auch sehr volatil erscheinen… und wird vermutlich keinen echten Bezug zu den Reinvestitionen für zukünftiges Wachstum haben.
Aufgrund dieser Schwierigkeiten stoßen wir bei der Bewertung von Banken bzw. Finanzunternehmen auf zwei ganz praktische Probleme:
- Wir können die zukünftigen Cash Flows im Grunde nicht ermitteln, ohne die Reinvestition abschätzen zu können
- Die Schätzung des erwarteten künftigen Wachstums wird ohne ein Verständnis hinsichtlich der erforderlichen Reinvestitionen substanziell erschwert
Bottom Line
Die Geschäftsmodelle von Banken und Finanzdienstleistern weisen Besonderheiten auf, die sich direkt auf ihre Finanzberichterstattung und auch unsere Bewertung auswirken. Es gibt vier zentrale Unterschiede, die wir berücksichtigen müssen:
Erstens unterliegen Banken strengen regulatorischen Vorgaben, die ihre Geschäftstätigkeit und Kapitalstruktur beeinflussen. Die Höhe des Eigenkapitals, das sie zur Absicherung vorhalten müssen, wird i.d.R. von den Aufsichtsbehörden festgelegt.
Zweitens weichen die Rechnungslegungsvorschriften von denen anderer Unternehmen ab, insbesondere bei der Bewertung von Vermögenswerten und Erträgen (Stichwort Mark-to-Market Accounting).
Drittens dient Fremdkapital den Banken nicht nur als Finanzierungs- bzw. Kapitalquelle, sondern ist stattdessen integraler Bestandteil des Geschäftsmodells – beispielsweise in Form von Kundeneinlagen. Dadurch unterscheidet sich die Definition von Kapitalkosten und Unternehmenswert erheblich.
Schließlich gestaltet sich die Definition der Nettoinvestitionen sowie der Investitionen ins Working Capital für Banken als schwierig. Klassische Free Cash Flow-Konzepte lassen sich nicht ohne Weiteres anwenden, was alternative Bewertungsmethoden erforderlich macht.
In den nächsten Artikeln dieser Reihe werde ich einmal etwas tiefergehend auf die eigentlich Bewertung von Banken und Finanzdienstleistern eingehen (und dabei u.a. auch das Beispiel der InnoBank aus dem letzten Artikel wieder aufgreifen)..