Im Rahmen der Unternehmensanalyse beschäftigen wir uns alle relativ intensiv mit Prognosen. Prognosen das Unternehmen betreffend, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung betreffend etc. Die Entscheidungsfindung läuft dabei meist eher subjektiv ab. Wir sammeln (teilweise gegenläufige) Informationen, bewerten diese, setzen sie in Relation zu anderen Informationen und kommen meist irgendwie zu einer Meinung. Gegebenenfalls ist diese intuitive Herangehensweise sogar gar nicht so schlecht, denn Forschungen haben gezeigt, dass viele Experten sich selbst überschätzen und dass es oft Laien sind, die mithilfe intuitiv gefundener Regeln bessere Prognosen erstellen können.
In diesem Artikel möchte ich einmal 8 wesentliche Grundsätze für eine gute Prognose vorstellen. Diese 8 Grundsätze (plus 3 weitere und noch viel mehr zum Thema Entscheidungsfindung) könnt ihr im Buch Superforecasting von Philip Tetlock nachlesen.
Prognose: Mensch versus Maschine
Bevor wir uns tiefer mit den 8 Grundsätzen für eine gute Prognose auseinandersetzen, vielleicht noch ein paar Worte zur Entscheidungsfindung mithilfe von Algorithmen… denn man könnte ja argumentieren, dass heutzutage künstliche Intelligenzen vermutlich weitaus besser dazu in der Lage sind, Prognosen über die Zukunft abzugeben.
Laut der Forschung von Philip Tetlock trifft das allerdings nur auf bestimmte Bereiche und Sachverhalte zu. Gerade ökonomische Problemstellungen wie wir sie hier vor uns haben, sind oft so gestrickt, dass sie nicht mithilfe einer Analyse von Daten aus der Vergangenheit gelöst werden können (“lösen” ist in diesem Zusammenhang vermutlich auch nicht der richtige Begriff). Und selbst wenn die Möglichkeit bestünde, müssten die relevanten Daten und Algorithmen erstmal auch für uns verfügbar sein.
Es ist also für uns DIY Investoren durchaus sinnvoll, sich einmal mit der “manuellen” Erstellung guter Prognosen auseinanderzusetzen… womit wir bereits bei den 8 Grundsätzen für eine gute Prognose wären!
1. Die richtigen Fragen stellen
Die richtigen Fragen zu stellen, ist die erste und damit wichtigste Grundvoraussetzung für eine gute und vor allem auch relevante Prognose. Die Fragen sollten sich weder im Nachhinein als irrelevant für die eigentliche Problemstellung, noch als unmöglich zu durchdenken herausstellen.
Im Unternehmenskontext sollten wir uns also zunächst überlegen, welche 2 bis 3 wesentlichen Fragen wir beantworten müssen, um z.B. die zukünftige Gewinnentwicklung des Unternehmens mit einiger Sicherheit zu prognostizieren.
Für Facebook könnten die Fragen z.B. auf die möglichen die Implikationen der zunehmenden Datenschutzanforderungen und des zunehmenden politischen Drucks abzielen. Darüber hinaus ist vermutlich auch die weitere (Nutzer-)Entwicklung der Netzwerke (also Facebook, Instagram, WhatsApp) und die Frage nach möglichen, neu entstehenden Wettbewerbern relevant (Wie stark ist eigentlich der Netzwerkvorteil?).
Für Vapiano beispielsweise wären die Realisierung profitablen Wachstums sowie auch die Steigerung der Kundenzufriedenheit wesentliche Erfolgstreiber.
2. Probleme herunterbrechen in lösbare Teilaspekte
Haben wir die grundsätzlichen Fragen (im Unternehmenskontext könnten wir diese vielleicht auch Werttreiber nennen) einmal definiert, dann sollten wir versuchen, diese in kleinere und besser beherrschbare Detailfragen herunterzubrechen. Hierzu können wir uns das Konzept eines Treiberbaums (vom Englischen “driver tree” oder “value driver tree”) zunutze machen. Idealerweise stellen wir im Prozess bereits fest, dass wir einige dieser konkreteren Fragen schon beantworten können… und andere wiederum nicht.
Die Strukturierung und Unterteilung der komplexen und umfangreichen Fragestellungen sollten wir bis zu der Ebene vornehmen, die uns als lösbar erscheint.
Um einmal beim Beispiel Vapiano zu bleiben. Die Realisierung profitablen Wachstums hängt z.B. von der Standortwahl ab (von der Lage, vom Wettbewerb am Standort, von der Kundenfrequentierung etc.), von den Fähigkeiten des Franchise-Partners bzw. den Skills des Betriebsleiters usw.
Die Kundenzufriedenheit hängt insbesondere an der Reduzierung der Wartezeit an Theke und Kasse sowie der Qualität des Essens und der Atmosphäre im Restaurant. Die letzteren beiden Punkte lassen sich vermutlich gut durch ein paar Tests bzw. Befragungen eruieren. Punkt 1 hängt stark mit der Digitalisierung und der Bereitstellung von Bestell-Apps bzw. Order-Terminals zusammen. Ob und inwieweit Vapiano dies vorantreibt, müssten wir also noch irgendwie herausfinden und bewerten.
3. Externe Vergleichswerte heranziehen
Unternehmen sind – wie auch Einzelpersonen – oft übertrieben optimistisch, was die zukünftige Entwicklung des Umsatzes oder der Marge angeht. Gleiches gilt z.B. auch für die Realisierung von Synergien bei einem Unternehmenszusammenschluss.
In solchen Fällen hilft es oft, externe Vergleichswerte oder Durchschnitte heranzuziehen und die unternehmensinterne Prognose so auf ein realistisches Maß anzupassen.
Gerade was das Heben von Synergien nach einer Akquisition angeht, haben die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt, dass Synergieeffekte in der Regel (natürlich gibt es Ausnahmen) nur zu einem gewissen Teil realisiert werden können. Gleiches gilt für die positiven Effekte aus Restrukturierungs- bzw. Kostensenkungsprogrammen.
Durch den Abgleich mit der externen Welt bzw. externen Vergleichswerten können wir unsere Vorhersagen also ggf. signifikant verbessern.
4. Neue Informationen mit der gebotenen Vorsicht berücksichtigen
Für die Aktualisierung und Verbesserung unserer Prognose kann es wichtig sein, aus dem Rauschen des Newsflow genau diejenigen Signale herauszufiltern, die für unsere Prognose am relevantesten sind… und diese gleichzeitig unabhängig von unserem eigenen Wunschdenken zu berücksichtigen.
Um diese Fähigkeit zu entwickeln, sollten wir uns vorab die folgende Frage stellen:
Was müsste passieren, damit Ereignis X eintritt?
Nur die Antwort auf diese Frage versetzt uns überhaupt erst in die Lage, die relevanten Informationen von den irrelevanten zu unterscheiden. Oft werden nämlich die irrelevanten und kurzfristig orientierten Informationen in der Presse viel mehr beachtet, als die langfristig viel relevanteren Infos. Einmal ganz generell gesprochen: Eine einmalig verfehlte Guidance muss für die langfristigen Perspektiven nicht unbedingt etwas bedeuten. In den Medien wird darüber aber in der Regel sehr extensiv berichtet.
Wir sollten außerdem unsere Prognosen eher in kleinen Schritten korrigieren, wenn wir neue und relevante Informationen erhalten.
5. Nach widersprüchlichen Aussagen in unserer Prognose suchen
Für fast jedes Argument gibt es auch ein Gegenargument. In der Regel haben wir entweder auf Basis unserer Voranalyse oder aber auch auf Basis unserer grundsätzlichen Einstellung einem Thema gegenüber bereits eine Meinungstendenz.
Dies sollten wir uns einmal bewusst machen und in diesem Zusammenhang fragen, welche Signale unsere Meinung denn eigentlich in eine andere Richtung bewegen könnten? Meistens ist das Ganze allerdings nicht einfach schwarz oder weiß (bzw. These und Antithese). In den meisten Fällen sind wir gefordert, aus vielen individuellen Sichten eine Synthese zu entwickeln, was das Zusammenführen vieler notwendig subjektiver Einschätzungen erfordert.
Allein das Auseinandersetzen mit divergierenden Informationen oder auch Meinungen sollte uns aber dabei helfen, unsere eigene Position zu hinterfragen.
6. Mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten und diese abstufen
Es gibt auf der Welt wenige Dinge die mit absoluter Sicherheit eintreten werden (d.h. eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 100% haben). Das Arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten verbessert deshalb oft unsere Prognose. Auch wenn die Zahlen nur grob geschossen sind, kann uns bereits eine Unterscheidung zwischen einer 60%igen Wahrscheinlichkeit und einer 40%igen Wahrscheinlichkeit signifikante Insights über die zukünftige Entwicklung liefern.
Auf manchen Themengebieten – z.B. im Sport, ggf. aber auch im Bereich der Unternehmensbewertung / Aktienanalyse – sind wir übrigens weitaus besser daran gewöhnt, relativ genaue Abstufungen von Wahrscheinlichkeiten anzugeben, als auf anderen. Grundsätzlich lässt sich das Denken in Wahrscheinlichkeiten auch relativ leicht erlernen… letztlich ist das wie vieles Andere auch nur eine Frage der Übung.
7. Das richtige Maß an Tiefe finden
Das Treffen übereilter Entscheidungen sollten wir möglichst vermeiden. Andererseits sollten wir aber auch nicht zu lange in Unentschlossenheit (und damit in Untätigkeit) verharren, weil wir das Gefühl haben, noch nicht ausreichend viele Daten und Fakten zur Stützung unserer Prognose gesammelt zu haben.
In einem solchen Fall sollten wir uns am Pareto-Prinzip, auch bekannt als “Law of diminishing Returns” oder 80-20 Regel, orientieren. Die 80-20 Regel besagt, dass wir – egal um welchen Sachverhalt es geht – mit 20% des Aufwandes 80% des Ergebnisses erzielen können. Oder anders ausgedrückt bzw. auf das Thema Prognose übertragen: In der Regel sind es die wenigen großen und wichtigen Treiber, die das Ergebnis maßgeblich beeinflussen und bestimmen.
Diesen Umstand sollten wir uns nochmal bewusst machen, um zu verhindern, dass wir uns in unnötigen Details verlieren.
8. Fehlerursachen suchen, aber Rückschaufehler vermeiden
Im Nachgang zu den von uns erstellen Vorhersagen sollten wir regelmäßige Fehleranalysen durchführen, um herauszufinden, welche der Grundannahmen unserer Prognose ggf. für eine Fehlprognose verantwortlich zeichnet.
Auf keinen Fall sollten wir standardmäßig in externen Einflüssen nach einer Rechtfertigung für unsere Fehlprognosen suchen (was wir oft bei Analysten und anderen Experten beobachten können). Weil uns die Entwicklungen im Nachhinein oft schlüssig und folgerichtig erscheinen, kann uns das nämlich leicht einmal passieren (Stichwort Rückschaufehler bzw. Hindsight Bias).
Auch eine richtige Prognose bedeutet übrigens nicht notwendigerweise, dass wir den richtigen Gedankengang verfolgt haben und dass unsere Grundannahmen stimmten. Es wäre auch durchaus möglich, dass sich unsere Denkfehler nur gegenseitig aufgehoben haben. Auch dies sollten wir einmal entsprechend validieren.
Fazit
Das Treffen guter Vorhersagen ist allgemein ein sehr schwieriges Betätigungsfeld. Allerdings gibt es ein paar Grundsätze, mithilfe derer – wenn von uns beachtet – wir unsere Prognosequalität nachhaltig verbessern können. Über die vorgestellten Grundsätze hinaus sollten wir es außerdem halten wie Mohnish Pabrai, der sich zu jeder Investment Thesis mit einem andere Investor austauscht.
Allerdings lässt sich das Erstellen einer guten Prognosen nicht durch das Lesen von Handbüchern erlernen. Wie auch beim Radfahren (und den meisten anderen Sachen auch) heißt hier die Maxime “Learning by Doing”, also die gezielte und intensive Anwendung der Grundsätze in der Praxis.
Weitere Ressourcen
Superforecasting – Die Kunst der richtigen Prognose von Philip Tetlock und Dan Gardner.