Post-Mortem-Analyse Leoni AG Teil 3: Sanierung nach StaRUG (2023)

Inhalt

Bisher hatte ich in zwei Artikeln über den graduellen Niedergang der Leoni AG berichtet. Im ersten Artikel der Serie hatte ich mich mit den Fehlentscheidungen des Managements, der mangelnden Transparenz und den kostspieligen operativen Problemen in den Jahren 203 bis 2019 beschäftigt. Im zweiten Teil ging es um die Bestrebungen von Management und Aufsichtsrat, die Zahlungsunfähigkeit vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie aufrechtzuerhalten. In diesem dritten Teil der Serie geht es nun um die Restrukturierung der Leoni AG im Jahr 2023 nach dem Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz (StaRUG).

Bevor wir nun auf die Details dieses Verfahrens eingehen, wie immer nochmal ein kurzer Rückblick auf die Ereignisse bis zum Beginn des Jahres 2023 (nachzulesen im Detail im zweiten Teil der Leoni-Fallstudie).


Ausgangspunkt: Situation der Leoni AG zu Beginn des Jahres 2023

Die Leoni AG befand sich – wie im ersten Teil der Fallstudie hergeleitet – bereits zu Beginn des Jahres 2020 in einer sehr schwierigen Situation. Selbst in einem “Business as usual”-Szenario hätte das Unternehmen wohl eine umfangreichere Restrukturierung durchführen müssen.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie kam dem entsprechend für das Unternehmen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt und reduzierte den bereits geringen finanziellen Spielraum nochmal zusätzlich… so weit, dass zum Ende des Geschäftsjahres 2022 ein Liquiditätsbedarf i.H.v. ca. 700 Mio. EUR aufgelaufen war. Dieser Liquiditätsbedarf resultierte i.W. aus dem erwirtschafteten negativen Cash Flow sowie der erforderlichen Refinanzierung der Revolving Credit Facilities II und III.

Aufgebracht werden sollten die erforderlichen 700 Mio. EUR durch den Verkauf der Division Wire & Cable Solutions (den Carve-Out hatte der Aufsichtsrat ja bereits im Laufe des Jahres 2019 beschlossen). Leider gelang allerdings bis zum Ende des Geschäftsjahres 2022 nur ein Teilverkauf: Das Industriegeschäft (BG IN) konnte für ca. 440 Mio. EUR (~315 Mio. EUR Cash plus Übernahme von ~125 Mio. EUR an Schulden) an das Unternehmen Bizlink veräußert werden. Der Verkauf des Automotive-Geschäfts (BG AM) scheiterte allerdings im letzten Moment, sodass mit den Banken eine letzte Galgenfrist für die Ablösung der Kredite bis Mitte 2023 vereinbart werden musste.

Zu diesem Zeitpunkt – es war Anfang Januar 2023 – kehrte Hans-Joachim Ziems schließlich als CRO zu Leoni zurück und machte sich an die Entwicklung eines Restrukturierungsplans… natürlich unter Beteiligung der Banken sowie des größten Anteilseigners des Unternehmens: Stefan Pierer.


Hintergrundinfo: Stefan Pierer seit Februar 2022 mit 20% an der LEONI AG beteiligt

Stefan Pierer war seit Anfang 2022 mit einem Anteil von 20% am Unternehmen der größte Anteilseigner der Leoni AG. Wie auf dem folgenden Schaubild zu sehen, hatte Pierer seinen Anteil seit dem initialen Kauf eines 3%igen Anteils im Oktober 2018 stetig bis auf 20% ausgebaut:

Entwicklung Anteil Stefan Pierer an der Leoni AG; Quelle: EQS Stimmrechtsmitteilungen, Investing.com, Geschäftsberichte

Wenn wir einmal die durchschnittlichen Aktienkurse der jeweiligen Monate ansetzen, dann sollte Pierer für seinen 20%-Anteil in Summe ca. 60-70 Mio. EUR bezahlt haben.

Da Pierer mit seinem 20%-Anteil der einzige Großaktionär der Leoni AG war, konnte er natürlich einen gewissen Einfluss auf die Richtungsentscheidungen des Unternehmens geltend machen, was schlussendlich auch zu einer vom §9 Abs. 1 StaRUG abweichenden Gruppeneinteilung für die Abstimmung des Restrukturierungsplans führte… aber dazu später noch mehr.


Ablauf des StaRUG im Fall der Leoni AG

Nach längeren Gesprächen zwischen dem Vorstand (repräsentiert durch Hans-Joachim Ziems), Stefan Pierer sowie den Banken stellte die Leoni AG im März 2023 einen Antrag auf Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – kurz StaRUG.

Hier einmal der zeitliche Ablauf des StaRUG im Fall der Leoni AG (für alle, die sich schonmal gefragt haben, wie lange so ein Prozess durchschnittlich dauert):


Vorbereitung des Restrukturierungsplanverfahrens nach StaRUG

Die ersten drei Monate des Jahres 2023 wurden von den Beteiligten für Sondierungsgespräche im Hinblick auf ein mögliches Restrukturierungskonzept genutzt. Folgendes lief in den Monaten Januar bis März 2023 ab:

Am 13.12.2022 verlängern die Konsortialbanken zunächst die zur Ablösung anstehenden RCFs II und III notgedrungen bis Mitte 2023.

Am 06.01.2023 wird Hans-Joachim Ziems zum neuen Chief Restructuring Officer (CRO) der Leoni AG berufen und mit der Aufgabe betraut, einen mehrheitsfähigen Restrukturierungsplan zu erarbeiten.

Anfang Februar (genauer gesagt am 03.02.) werden die Grundzüge des erarbeiteten Restrukturierungsplans per Ad-hoc Mitteilung im Internet veröffentlicht. I.W. bereitet die Meldung die Aktionäre schonmal auf eine “weitgehende Verwässerung ihrer Anteile” vor.

Konkret ist in der Meldung von einer Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung sowie einem Debt-to-Equity Swap für die Gläubiger die Rede. Die konkrete Ausgestaltung wird allerdings noch offen gelassen.

Ende März wird vom Unternehmen – wieder per Ad-hoc – mitgeteilt, dass die Gespräche bzgl. der Restrukturierung weit fortgeschritten seien und dass die Sanierung im Rahmen des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – kurz StaRUG – erfolgen soll.

Bis zur anschließenden Anzeige bei Gericht – sozusagen der Kick-Off für das Restrukturierungsplanverfahren nach StaRUG – dauerte es in der Folge dann nicht mehr lange.


Restrukturierungsplanverfahren nach StaRUG

Der Ablauf des eigentlichen Restrukturierungsplanverfahrens kann grob in die drei folgenden Phasen eingeteilt werden:

  • Die Anzeige und Beantragung des Restrukturierungsplanverfahrens
  • Die Phase der möglichen Einsichtnahme des Plans bei Gericht
  • Die abschließende Planabstimmung in Gruppen

Anzeige und Beantragung des Restrukturierungsplanverfahrens

Am 31.03.2023 zeigt die Leoni AG das bevorstehende Restrukturierungsplanverfahren beim zuständigen Amtsgericht Nürnberg (Restrukturierungsgericht) an.

Ein vorheriger Beschluss der Hauptversammlung wird hierfür nicht herbeigeführt. Heißt der Beschluss über die Sanierung im Rahmen des Restrukturierungsplanverfahrens nach StaRUG wurde allein durch Vorstand, Aufsichtsrat und 20% der Eigentumsanteile getroffen.

Noch am gleichen Tag bestellt das Gericht mit Hubert Ampferl von der Kanzlei Dr. Beck & Partner in Nürnberg wie vorgeschrieben einen Restrukturierungsbeauftragten für den Fall.

Gut anderthalb Monate später, am 08.05.2023, beantragt die Leoni AG die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens gem. § 23, 45 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 84 ff. StaRUG bei Gericht und stellt diesem den Restrukturierungsplan inklusive relevanter Annexe und sowie ein von Roland Berger angefertigtes Gutachten zur Sanierungsfähigkeit des Unternehmens zur Verfügung. Bereits einen Tag später setzt das Gericht den Abstimmungstermin der Planbetroffenen für den 31. Mai fest (veröffentlicht auf der Seite restrukturierungsbekanntmachung.de)

Interessant hierbei ist, dass die Leoni AG bereits Anfang April, also ca. einen Monat vor Beantragung des Planabstimmungsverfahrens, eine weitere Ad-hoc Mitteilung herausbringt, in der die Abstimmungsmehrheit für den zu dem Zeitpunkt den Kleinaktionären noch gar nicht bekannten Restrukturierungsplan als “gesichert” betrachtet wird. Folgender Wortlaut:

Die Leoni AG teilt mit, dass sich sämtliche Konsortialdarlehensgeber, wesentliche Schuldscheindarlehensgläubiger und Stefan Pierer als strategischer Investor unter Beteiligung der Leoni AG auf ein finanzielles Sanierungskonzept geeinigt haben. Eine entsprechende Vereinbarung zur Umsetzung wurde von den Konsortialbanken, Stefan Pierer und Leoni unterzeichnet. Zusätzlich hat ein wesentlicher Teil der Schuldscheingläubiger mit einem Volumen von 168 Mio. EUR zum 3. April 2023 bereits erklärt, dem Konzept beizutreten. Damit ist bereits jetzt die erforderliche Mehrheit für die Umsetzung der Sanierung gesichert. Heute hat der Aufsichtsrat der Leoni AG der Vereinbarung zugestimmt.

Aus der Meldung können wir entnehmen, dass ein Großteil der Fremdkapitalseite, nämlich alle Konsortialbanken / Kreditgeber der RCFs sowie ca. 50% der Schuldscheinbesitzer, dem Konzept bereits im April zugestimmt hatten. Im Gegensatz dazu hatte allerdings nur ein Bruchteil der Eigentümer des Unternehmens (genauer gesagt nur 20% in Person von Stefan Pierer) den Plan abgesegnet (bzw. bis zur Ad-hoc Mitteilung überhaupt davon im Detail Kenntnis).

Wir werden gleich noch sehen, aus welchem Grund das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits von einer “gesicherten Mehrheit” sprechen konnte.


Einsichtnahme des Restrukturierungsplans bei Gericht

In einer Ad-hoc Mitteilung vom 12. Mai informiert die Leoni AG außerdem darüber, dass der Restrukturierungsplan seit dem 10.05.23 im Amtsgericht Nürnberg zur persönlichen Einsichtnahme ausliegen würde. Eine Einsichtnahme war täglich für einen Zeitraum von vier Stunden möglich.

Heißt konkret: Jeder Aktionär bzw. Planbetroffene musste sich persönlich auf den Weg nach Nürnberg machen, um Einsicht in den Restrukturierungsplan zu nehmen. Die Erstellung von Kopien oder eine Versendung per Email oder auf dem Postweg war nicht vorgesehen.

Da die wesentlichen Eckpunkte allerdings bereits in der Ad-hoc Mitteilung der Leoni AG vom 03.04.2023 enthalten waren sowie auch auf der Webseite des Unternehmens veröffentlicht wurden, ist dieser Aspekt vielleicht nicht als so kritisch anzusehen.

Was sah der Restrukturierungsplan also nun genau vor? Wie gesagt: Die Ad-hoc Mitteilung der Leoni AG vom 03.04.2023 bringt etwas Licht ins Dunkel. Der vorgeschlagene Restrukturierungsplan hatte die folgenden Eckpunkte:

  • Herabsetzung des Grundkapitals auf 0 EUR, anschließende Barkapitalerhöhung i.H.v. 150 Mio. EUR gegen Ausgabe neuer Aktien an die L2-Beteiligungen GmbH (Firma von Stefan Pierer). Damit keine Teilnahmemöglichkeit (d.h. kein Bezugsrecht) für die restlichen Aktionäre
  • Übernahme von 708 Mio. EUR Schulden durch die L2-Beteiligungen GmbH gegen Einräumung eines Wertaufholungsinstrumentes an die Gläubiger, das einer wirtschaftlichen Beteiligung von 45% an der Leoni AG entspricht, und im Zuge der Kapitalerhöhung Einbringung in die Leoni AG

Hier einmal der Versuch einer grafischen Darstellung der Eigentumsverhältnisse und der wesentlichen Bilanzkennzahlen vor und nach Restrukturierungsplanverfahren (StaRUG):

StaRUG: Grundzüge des Restrukturierungsplans der Leoni AG
StaRUG: Grundzüge des Restrukturierungsplans der Leoni AG; Quelle: Presseartikel, eigene Berechnungen

Wie aus der Darstellung ersichtlich, konnte mit der Umsetzung des Restrukturierungsplans eine grundlegende Verbesserung insbesondere der Liquidität erreicht werden. Das Debt-to-Equity Ratio, die bis dato wesentlichste bilanzielle Steuerungs- bzw. Finanzkennzahl, verbesserte sich zwar ebenfalls substanziell. An den ursprünglich einmal definierten Zielwert von 50% reichte die Leoni aber auch nach der Planumsetzung noch nicht wieder heran.


Abstimmungstermin

Die Abstimmung über den gerade beschriebenen Restrukturierungsplan sollte wie erwähnt am 31.05.2023 in Nürnberg stattfinden (eine Teilnahme war ausschließlich in Präsenz vorgesehen). Insbesondere spätere Widerspruchsmöglichkeiten waren an die persönliche Teilnahme am Abstimmungstermin geknüpft. In der Veröffentlichung des Amtsgerichts vom 09.05.2023 steht dazu zusammengefasst das Folgende (Originalquelle):

Punkt 1: Die Versammlung ist auch beschlussfähig, wenn nicht alle Planbetroffenen am Termin teilnehmen.

Der Termin und die Abstimmung kann auch dann durchgeführt werden, wenn nicht alle Planbetroffenen teilnehmen.

Punkt 2: Wenn ein Planbetroffener den Eindruck hat, ggü. einem Alternativszenario (d.h. einem Szenario ohne Restrukturierungsplan) schlechter gestellt worden zu sein, dann kann er – spätestens im Termin und unter Vorlage konkreter Beweismittel – einen Antrag auf Versagen der Planbestätigung stellen.

Auf Antrag eines Planbetroffenen, der gegen den Restrukturierungsplan gestimmt hat, ist die Bestätigung des Plans zu versagen, wenn der Antragsteller durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird als er ohne den Plan stünde (§ 64 Abs. 1 StaRUG). Es wird darauf hingewiesen, dass ein solcher Antrag nur zulässig ist, wenn der Antragsteller spätestens im Termin mit mitgeführten Beweismitteln glaubhaft macht, durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt zu werden (§ 64 Abs. 2 Satz 2 StaRUG).

Punkt 3: Um einen Antrag gegen eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung zu stellen, muss der Antragsteller dem Plan im Abstimmungsverfahren widersprochen haben.

Ein Antrag gem. § 63 Abs. 2 StaRUG dahingehend, dass infolge einer unzutreffenden Bewertung des Unternehmens die Voraussetzungen für eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung nach dem §§ 26 bis 28 StaRUG nicht gegeben sind, ist nur zulässig, wenn der Antragsteller dem Plan bereits im Abstimmungsverfahren widersprochen hat.

Punkt 4: Eine sofortige Beschwerde gegen das Abstimmungsergebnis ist nur möglich, wenn der Planbetroffene dem Plan im Termin widersprochen und gegen den Plan gestimmt hat und darüber hinaus Beweise für eine Schlechterstellung vorgelegen kann.

Es wird darauf hingewiesen, dass gegen einen späteren gerichtlichen Beschluss, durch den – nach Annahme des Planes durch die Planbetroffenen – der Restrukturierungsplan bestätigt wird (§§ 60 – 65 StaRUG), die sofortige Beschwerde gemäß § 66 Absatz 2 StaRUG nur dann zulässig ist, wenn der Beschwerdeführer

  1. dem Plan im Abstimmungstermin widersprochen hat ( 64 Abs. 2 StaRUG) und
  2. gegen den Plan gestimmt hat und
  3. mit präsenten Beweismitteln glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde, und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 64 Abs. 3 StaRUG genannten Mitteln ausgeglichen werden kann.

Wie ihr seht: Einfach zur Abstimmung zu gehen und sich überraschen zu lassen, erschien wenig sinnvoll zu sein, da der Abstimmungstermin offenbar die einzige (und auch letzte) Möglichkeit darstellte, um Widerspruch gegen den Plan einzulegen.

Die Abstimmung über den Restrukturierungsplan fand in drei verschiedenen Gruppen statt, von denen zwei für die Annahme des Plans stimmten:

  • die Gruppe der Gläubiger: Stimmte dafür
  • Stefan Pierer (bzw. der Großaktionär): Stimmte dafür
  • die Gruppe der restl. Aktionäre: War nicht beschlussfähig

Mit diesem Abstimmungsergebnis wurde der Plan vom Gericht als beschlossen angesehen.

Exkurs: Gruppenbildung und gruppenübergreifende Abstimmung nach StaRUG

Was bedeutete diese Abstimmung nun bzw. aus welchem Grund wurden die Gruppen in der Art und Weise wie gerade beschrieben eingeteilt? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns etwas detaillierter mit dem StaRUG selbst beschäftigen.

Der §9 des StaRUG sieht standardmäßig eine Einteilung der Planbetroffenen in vier verschiedene Gruppen vor (weitere können auf Basis abweichender wirtschaftlicher Interessen gebildet werden):

  • Inhaber von Absonderungsanwartschaften (heißt besicherten Forderungen)
  • Inhaber von nicht nachrangigen Forderungen
  • Inhaber von nachrangigen Forderungen (für jede Rangklasse je eine Gruppe)
  • Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten (= Aktionäre)

Grundsätzlich ist es zunächst einmal so, dass ein Restrukturierungsplan als verabschiedet gilt, wenn mindestens 75% aller Planbetroffenen in jeder Gruppe dem Plan zugestimmt haben (§25). Es gibt jedoch Ausnahmen, welche in §26 StaRUG (Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung) festgelegt sind und sich wie folgt zusammenfassen lassen:

Selbst wenn eine Gruppe die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, gilt diese als erteilt, wenn

  • die Mitglieder ggü. einem Szenario ohne Restrukturierungsplan nicht schlechter gestellt werden
  • sie angemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Planbetroffenen zufließen soll
  • die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat (bei nur zwei Gruppen genügt die Zustimmung der anderen Gruppe)

Dröseln wir also den Fall der Leoni AG in dieser Hinsicht einmal etwas genauer auf.

Zum einen wurde die Gruppe der Anteilseigner vermutlich auf Basis von §9 Abs. 2 StaRUG (unterschiedliche wirtschaftliche Interessen) in zwei Gruppen unterteilt: Stefan Pierer als Großaktionär auf der einen und alle anderen Aktionäre auf der anderen Seite. Auf Basis der wirtschaftlichen Relevanz des 20%-Anteils wirkt das auf mich erstmal nachvollziehbar.

Zum zweiten stimmten im Abstimmungstermin “nur” zwei von drei Gruppen für den Restrukturierungsplan. Die Zustimmung insgesamt wurde auf Basis des §26 Abs. 1 abgeleitet.

Im Hinblick auf die Ad-hoc Mitteilung vom 03.04.2023, in der das Abstimmungsergebnis bereits vorweg genommen wurde, könnte man also im Rückblick die folgenden Schlussfolgerungen ziehen:

  • Die Gruppeneinteilung stand zum Zeitpunkt der Ad-hoc vermutlich bereits fest, genauso wie die Erwartung, dass die Gruppe 3 aufgrund einer geringen Teilnehmerzahl nicht beschlussfähig sein würde
  • dem entsprechend war die Ad-hoc Mitteilung nicht in einer Art und Weise formuliert, die Kleinaktionäre zu einer Teilnahme am Abstimmungstermin animiert hätte

Wie wir gleich noch sehen werden, gab es im Zusammenhang mit der Gruppeneinteilung und der Planabstimmung einige Einsprüche bzw. Beschwerden, was im Nachgang zum Abstimmungstermin zur Beauftragung mehrerer Gutachten durch das Gericht führte.


Planbestätigung und rechtskräftiger Restrukturierungsplan

Wenn man es einmal grob zusammenfasst, dann befassten sich die Einsprüche i.W. mit den folgenden Themenbereichen (einige davon sind weiter oben bereits angeklungen):

  • Einsatz eines Kapitalschnitts als Sanierungsinstrument
  • Ausschluss der Bezugsrechte
  • Gruppenbildung
  • Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung
  • Notwendigkeit eines HV-Beschlusses

Schauen wir uns einmal an, was die vom Gericht bestellten Gutachter zu diesen Punkten für Meinungen vertreten haben (die Vorlage der Gutachten geschah am 15.06.2023).

Kapitalschnitt:

Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 3 Var. 1 und 2 StaRUG sei unstrittig, dass der Restrukturierungsplan sowohl die Kapitalherabsetzung auf null als auch die Kapitalerhöhung und damit einen Kapitalschnitt als Sanierungsinstrument beinhalten darf.

Bezugsrechtsausschluss:

Der Bezugsrechtsausschluss sei eine zulässige Regelung im Restrukturierungsplan. Er sei in § 7 Abs. 4 Satz 3 Var. 4 StaRUG gesetzlich vorgesehen und durch die Sanierungsbedürftigkeit der Gesellschaft sowie das Fehlen alternativer Sanierungsoptionen gerechtfertigt.

Gruppenbildung:

Der Restrukturierungsplan erfülle die Vorgabe des § 9 Abs. 1 StaRUG an die Gruppenbildung. Der Schuldner haben den ihm gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum in zulässiger Weise genutzt, um die Pflichtgruppe der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte in zwei Gruppen zu unterteilen. Diese Unterteilung der Aktionäre in zwei Gruppen sei sachgerecht im Sinne von § 9 Abs. 2 S. 2 StaRUG

Gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung:

Es lägen alle Voraussetzungen für eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung gemäß § 26 Abs. 1 StaRUG vor. Die fehlende Zustimmung der Gruppe sonstiger Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (Gruppe 3) könne die gerichtliche Bestätigung des Plans nicht hindern. Insbesondere das Schlechterstellungsverbot des § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG werde durch den Plan beachtet. Der im einzig realistischen Alternativszenario des Regelinsolvenzverfahrens anzusetzende Wert, der den Aktionären der Gruppe 3 zufließen würde, würde 0 betragen.

Notwendigkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung:

Die aktienrechtliche Kompetenz zur Vertretung der Aktiengesellschaft nach außen in der Restrukturierungssache des StaRUG gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG komme unbeschränkbar (§ 82 Abs. 1 AktG) dem Vorstand zu. Verdrängende Sondernormen zugunsten des Aufsichtsrats oder einer Gesamtvertretung seien nicht einschlägig. Die wirksame Vornahme der Verfahrenshandlungen im Restrukturierungsrahmen werde durch etwaige Kompetenzfragen des Innenverhältnisses zu Geschäftsführungsbefugnissen nicht beeinträchtigt. Die Anzeige der Restrukturierungssache sei daher ebenso wirksam wie Anträge auf gerichtliche Restrukturierungsinstrumente.

All dies ist übrigens nachzulesen im offiziellen Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 21.06.2023. An diesem Datum wurde der Restrukturierungsplan (und die positive Abstimmung der Planbetroffenen) durch das Gericht bestätigt.

Wirklich rechtskräftig wurde der Plan allerdings erst zum 17. Juli, nachdem die gegen den Bestätigungsbeschluss eingereichten sofortigen Beschwerden endgültig durch das Gericht verworfen wurden.


Planumsetzung: Kapitalschnitt und Delisting der Leoni AG

Im Anschluss an den Beschluss dauerte es noch ca. einen Monat, bis der Plan tatsächlich in die Tat umgesetzt werden konnte: Am 17.08.2023 wurde die angesprochene Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung durchgeführt. Stefan Pierer (bzw. die mehrheitlich in seinem Besitz befindliche Firma L2-Beteiligungen GmbH) wurde damit zum alleinigen Eigentümer der Leoni AG und die Aktie wurde von der Börse genommen.

Hier noch einmal der zeitliche Ablauf des Restrukturierungsplanverfahrens nach StaRUG in der grafischen Darstellung (ich hoffe es ist noch lesbar):

Ablauf des StaRUG im Fall der Leoni AG
Ablauf des StaRUG im Fall der Leoni AG; Quelle: eigene Recherche

Insgesamt hat sich das Verfahren von der Anzeige beim Gericht Ende März bis zur Planumsetzung Mitte August also “nur” über ca. 4,5 Monate erstreckt (mit einem Spruchverfahren im Rahmen eines Squeeze-Out also ganz und gar nicht zu vergleichen). Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit ist ein solch schneller Verfahrensablauf allerdings durchaus angeraten und auch nachvollziehbar.


Bottom Line: Leoni AG und StaRUG

Ich bin nun kein Anwalt und kann die Entscheidungen dem entsprechend rechtlich nicht final einschätzen. Es scheint allerdings so zu sein, dass die Vorschriften des StaRUG entsprechend eingehalten wurden und auch der HV-Beschluss nicht zwangsläufig erforderlich war.

Nichts desto trotz: Moralisch gesehen scheinen sich die Protagonisten mit dem Umgehen von 80% der Eigentümerschaft mindestens in einem Graubereich bewegt zu haben.

So oder so: Aus Aktionärssicht besteht die einzige und beste Lösung für solche Schwierigkeiten darin, diese durch eine geschickte Auswahl der Investments gar nicht erst entstehen zu lassen.


Weitere Ressourcen

Beschluss des Amtsgerichts vom 21.06.2023

1 Kommentar zu „Post-Mortem-Analyse Leoni AG Teil 3: Sanierung nach StaRUG (2023)“

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