Die Kostenkurve: Ein hilfreiches Tool für die Analyse von Zyklikern

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Zykliker - Production Site
Bildquelle: ThyssenKrupp Steel Europe

In meinem letzten Artikel zu den Geschäftstreibern von Zyklikern hatte ich ja unter anderem die Wichtigkeit der Kostenposition hervorgehoben und auch das Konzept der Kostenkurve kurz angerissen.

Auch in diesem Artikel möchte ich noch etwas bei den Zyklikern, also den Ölproduzenten, Stahl- und Aluminiumherstellern etc. dieser Welt verbleiben und einen etwas tieferen Blick auf die Kostenkurve werfen. Neben etwas mikroökonomischer Theorie und ein paar typischen Angebots- und Nachfrageszenarien möchte ich im Speziellen auch auf die Optionen der Wertgenerierung für einen Zykliker eingehen.


Ausgangspunkt: Mikroökonomische Theorie

Bevor wir konkret in die Erläuterung der Kostenkurve einsteigen, möchte ich als Kontext gerne noch ein paar Sätze zur mikroökonomischen Theorie voranschieben, auf der das Konzept der Kostenkurve im Wesentlichen basiert.

Eins der bekanntesten Bilder aus dem Feld der Mikroökonomie illustriert die Herstellung des Marktgleichgewichts in einem Markt mit vollständiger Konkurrenz (also sehr vielen kleinen Anbietern):

Gleichgewichtspreis

Wie ihr sehen könnt, gibt es eine steigende Angebotsfunktion. Die Kosten jeder zusätzlich produzierten Einheit steigen also immer weiter an.

Im Gegensatz dazu ist die Nachfragefunktion fallend, was im Wesentlichen bedeutet, dass ein Produkt umso mehr nachgefragt wird, je günstiger der Preis für dieses Produkt ist.

Der Schnittpunkt beider Kurven repräsentiert das so genannte Marktgleichgewicht. In diesem Punkt wird der Nutzen für die Gesamtwirtschaft maximiert. Bei einer höheren Menge würden einige der Produzenten unprofitabel arbeiten, bei einer geringeren Menge einige Kunden kein Produkt erhalten, obwohl es noch profitabel hergestellt werden könnte.


So funktioniert eine Kostenkurve

Bei einer Kostenkurve handelt es sich nun im Wesentlichen um eine etwas detailliertere und marktspezifischere mikroökonomische Angebotskurve. Typischerweise werden für die Erstellung einer solchen die tatsächlichen Produktionsmengen (z.B. dargestellt in Tonnen, Barrels oder KWh) sowie die zugehörigen Durchschnittskosten (in EUR/t oder USD/t etc.) der einzelnen Produzenten verwendet.

Um nun eine vereinfachte Kostenkurve für eine bestimmte Branche zu erstellen, gehen wir folgendermaßen vor:

  1. Wir ermitteln für jedes relevante Unternehmen die Kapazitäten und Produktionsmengen sowie die zugehörigen Umsätze, COGS, SG&A-Kosten und EBITs
  2. Wir ordnen die Unternehmen in unserem Spreadsheet aufsteigend nach spezifischen Kosten (also z.B. operative Kosten je Tonne)
  3. Abschließend stellen wir das Ganze in einer Grafik dar, wobei wir die kumulierte Kapazität/Produktion auf der x-Achse und die entsprechende Kostenposition auf der y-Achse verorten

Alternativ können wir die Kostenpositionen natürlich auch “bottom-up” bestimmen, indem wir die einzelnen Kostenbestandteile (Rohstoffinputs, Verarbeitungskosten, Overhead, CapEx / Abschreibungen etc.) individuell ermitteln. Dieses Vorgehen ist allerdings in den meisten Fällen sehr aufwendig.

In der folgenden Darstellung der Kostenkurve entspricht dem entsprechend jeder Block einem unterschiedlichen Unternehmen bzw. in manchen Fällen sogar einer unterschiedlichen Produktionsanlage:

Kostenkurve Konzept

Idealerweise landen wir, wenn wir die Produktionsmengen aller uns bekannten Marktteilnehmer aufaddieren, in etwa bei der Marktnachfrage. Die Produktionskosten des letzten für die Befriedigung der Nachfrage erforderlichen so genannten “marginalen” Anbieters sollten dann außerdem in etwa dem Marktpreis entsprechen (d.h. der marginale Produzent setzt den Marktpreis).

Die Nachfrage wird übrigens in den meisten zyklischen Märkten als größtenteils unabhängig vom Marktpreis angenommen, was in der Darstellung der Kostenkurve einer vertikalen Linie entspricht.

Einschränkungen der Kostenkurve

Bei Betrachtung des Vorgehens wird schnell auch die wesentliche Einschränkung der Kostenkurve deutlich: Unterschiedliche Produktportfolios, Wertschöpfungsketten, Kapazitätsauslastungen etc. können das Bild unter Umständen stark verzerren bzw. die Aussagekraft der Kostenkurve beeinträchtigen.

Die wesentliche Ölproduzenten beispielsweise decken neben der Rohölproduktion meist auch den Downstream-Teil der Wertschöpfungskette ab, d.h. sie betrieben eigene Raffinierien oder auch ein eigenes Tankstellennetz.

Wir müssen uns also die Frage stellen, wie stark die Kostenposition eines Geschäftsbereich wesentlich für die Gesamtpositionierung des Unternehmens ist und wie relevant deshalb eine High Level Kostenkurvenanalyse.

Spezialisierte Researchfirmen wie z.B. Wood Mackenzie bieten übrigens Kostendaten in einer Granularität an, die einen Vergleich für ein ganz spezifisches Produkt ermöglicht…


Überkapazitäten

In der Praxis ist es in der Regel nicht so, dass alle Produzenten, die sich rechts der Nachfragelinie befinden, plötzlich gar nichts mehr produzieren. Stattdessen werden – je nach Konsolidierung der Branche – viele der teuren Anbieter versuchen, ihren Produkte mit Preisnachlässen in den Markt zu bringen und so ihre Anlagen auszulasten.

Kostenkurve - variable Kosten

Bei einem gegebenen Produktionsnetzwerk hilft nämlich kurzfristig jeder über die variablen Produktionskosten hinaus verdiente EUR bei der Deckung der Fixkosten.

In einem solchen Szenario müssen schlussendlich auch die günstigeren Anbieter ihre Preise und / oder Mengen reduzieren und teils signifikante Einbußen beim Gewinn hinnehmen.

Im Grunde genommen trifft die Zyklizität also alle Anbieter im Markt gleichermaßen. Je günstiger ein Unternehmen produzieren kann, desto resilienter ist es zwar in Bezug auf den für die Branche typischen Zyklus. Ein Gewinneinbruch lässt sich dadurch in den meisten Fällen allerdings nicht vermeiden.


Angebots- und Nachfrageszenarien

Wie im Artikel zu den Geschäftstreibern der Zykliker bereits angerissen, gibt es mehrere wesentliche Ursachen für die starken Gewinnschwankungen einer zyklischen Branche, vor allem:

  • Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung – die Nachfrage steigt und fällt mit der Konjunktur
  • Branchenspezifische Kapazitätsausweitungen – die Produzenten weiten in einer guten Marktphase ihre Kapazitäten aus, was mittelfristig zu einem Überangebot führt

Beide diese Aspekte lassen sich gut mithilfe einer Kostenkurve analysieren und haben – wie ihr gleich sehen werdet – grundsätzlich den gleichen Effekt auf die Profitabilität der Spieler in einer zyklischen Branche.


Nachfragerückgang durch wirtschaftlichen Abschwung

Fangen wir einmal mit dem Rückgang der Nachfrage an, wie wir ihn ja gerade an vielen Stellen tatsächlich erleben. Geht die Nachfrage temporär zurück (d.h. zum Beispiel für die Dauer einer Rezession oder Wirtschaftskrise), weil die Endverbraucher weniger konsumieren, dann hat das typischerweise negative Auswirkungen auf den Marktpreis und damit die Profitabilität:

Nachfragerückgang

Wie ihr sehen könnt, nimmt in diesem Beispiel die Nachfrage soweit ab, dass der ehemals zweitteuerste Anbieter im Markt zum marginalen Spieler und damit zum Preissetzer wird.


Kapazitätsausweitung

Den gleichen Effekt hat eine mögliche Ausweitung der Kapazität, sofern diese zu recht günstigen Produktionskosten in den Markt kommt:

Kapazitätsausweitung

Im Grunde genommen findet hier nur eine Verschiebung der ursprünglichen Kostenkurve nach rechts statt, sodass wiederum der ehemals zweitteuerste Anbieter zum Preissetzer wird.


Kombinierter Effekt

Am ungünstigsten für einen Zykliker ist natürlich eine Situation, in der gleichzeitig neue Kapazitäten in den Markt kommen und die Nachfrage zurückgeht:

Kostenkurve - Kombinierter Effekt

Aufgrund des prozyklischen Verhaltens vieler Spieler und der tendenziellen Fragmentierung der Märkte tritt diese Situation tatsächlich öfter ein als gedacht.

Ein typische Abfolge der Ereignisse könnte z.B. wie folgt aussehen:

  • Die Wirtschaft erlebt einen Boom, was zu einem zeitlich begrenzten Angebotsengpass und im Resultat zu hohen Preisen und hohen Gewinnen führt
  • Um den gefühlten (langfristigen) Engpass zu beseitigen, investieren die Produzenten ihre erwirtschafteten Gewinne in neue Produktionskapazitäten. Die Sicherung von Marktanteilen sowie die Partizipation am erwarteten Wachstum spielt hier mit Sicherheit auch eine Rolle
  • Wenn die Kapazitäten nach einigen Jahren Planung und Bauzeit schließlich in den Markt kommen, hat sich die Nachfrage wieder abgekühlt bzw. die positiven Prognosen der Vergangenheit sind nicht wie erwartet eingetreten. Aufgrund der Überkapazität fallen Preise und Gewinne gleichermaßen in den Keller

Anhand der verschiedenen Einflussfaktoren und der zugehörigen zeitlichen Aspekte lässt sich allerdings auch gut erklären, warum sich die Zyklen über die Zeit hinsichtlich ihrer Dauer und ihrer Ausprägung teilweise signifikant unterscheiden… d.h. auch hier gilt der übliche Disclaimer der Analysten: Die Entwicklungen der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die Zukunft zu!


Wesentliche aus der Kostenkurve abgeleitete Wertreiber

Obwohl wir einen Zykliker in vielen Fällen vermutlich nicht langfristig in unserem Depot halten wollen würden, sollten wir trotzdem einmal verstehen, welche langfristigen Werttreiber auf ein solches Unternehmen wirken (langfristig heißt hier sozusagen “Through-Cycle”, also über den gesamten Geschäftszyklus hinweg).

Aus diesem Grund habe ich einmal versucht, die wesentlichen und aus der Kostenkurvenanalyse ableitbaren Werttreiber eines Zyklikers zusammenzustellen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Hier meine erste Übersicht:

Werttreiber

Um den EBITDA Profit Pool für die Branche insgesamt und damit auch für die einzelnen Produzenten zu vergrößern, können wir auf Basis der Kostenkurvenanalyse i.W. drei übergeordnete Hebel identifizieren:

  1. Erhöhung der Kapazitätsauslastung: Wenn wir die Entwicklung der Nachfrage einmal als exogenen und nicht beeinflussbaren Faktor ansehen, dann kann dies theoretisch entweder über einseitige Kapazitätsschließungen, aber auch über Zusammenschlüsse und Kooperationen realisiert werden. Ganz praktisch sind Schließungen von Produktionsanlagen aber oft nur schwer umzusetzen. Auch im Falle eines Mergers sind oft weitreichende Zugeständnisse an die Belegschaften erforderlich
  2. Steigung der Kostenkurve: Die Gesamtprofitabilität einer Branche nimmt zu, je “steiler” eine Kostenkurve ist, wobei die günstigsten Anbieter natürlich am meisten profitieren. Konkrete Hebel für einzelne Hersteller können hier unter anderem die vertikale Integration (z.B. über eine eigene Rohstoffversorgung) oder auch wieder die Konsolidierung der Branche sein. Besitzt ein einzelnes Unternehmen nämlich Kapazitäten über das gesamte Kostenspektrum hinweg, kann es Mengen und Preise im Markt optimal aussteuern
  3. Return oberhalb der Grenzkosten: Durch Produktdifferenzierung bzw. Serviceangebote können einzelne Produzenten ihren erzielbaren Preis erhöhen und sich somit etwas von der Kostenkurvenlogik entkoppeln. Auch eine künstliche Verknappung oder indirekte Preisabsprachen über Signaling können dazu führen, dass die Preissetzung nicht der Logik von Angebot und Nachfrage folgt. Dies widerum hängt allerdings auch stark von der Marktstruktur ab (z.B. Oligopol versus fragmentierte Branche)

Kostenkurve Beispiel Ölindustrie

Neben der Analyse von Profitabilitäten einzelner Produzenten wird die Kostenkurve in der Praxis auch oft eingesetzt, um einen zukünftigen Marktpreis abzuleiten. Zu diesem Zweck wird die zukünftige Nachfrageentwicklung modelliert und gleichzeitig die Kostenpositionen der zusätzlich erforderlichen Kapazitäten abgeschätzt.

Wie gehabt ergibt sich der Marktpreis aus dem Schnittpunkt zwischen Angebot und Nachfrage.

Ein besonders gutes Beispiel für eine solche Anwendung der Kostenkurve bietet die Ölindustrie. Wie ihr sehen könnt, sind neue Produktionskapazitäten nicht zwangsläufig günstiger und auf der linken Seite der Kostenkurve angesiedelt:

Kostenkurve Rohölproduktion

Eher im Gegenteil: Um die zukünftige Ölnachfrage zu befriedigen, ist die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer und teuer zu erschließender Ölfelder erforderlich – das gilt vermutlich bis auf Weiteres trotz des aktuellen Trends hin zur Nachhaltigkeit… auch weil die Produktionsmengen der bestehenden Quellen ja über die Zeit abnehmen.

An der obigen Darstellung von BNP Paribas kann man diesen Sachverhalt ganz gut erkennen. Die hohen Kosten der neuen Produktion sind nämlich nur zum geringen Teil auf die operativen Cashkosten zurückzuführen. Vielmehr sind es die hohen Explorationskosten (Sunk Costs) und Vorabinvestitionen, die einen relativ hohen zukünftigen “Incentive Preis” für Rohöl erforderlich machen. Diese sind in der Kostensicht als Abschreibungen und damit als nicht cash-wirksame operative Kosten erkennbar.


Zusammenfassung

Die Kostenkurve kann ein sehr hilfreiches Tool für die Analyse von zyklischen Branchen bzw. Unternehmen darstellen. Dabei sollten wir allerdings beachten, dass das betrachtete Produkt sowie die im Markt agierenden Unternehmen recht gleichförmig sein müssen. Darüber hinaus sollten die Economics des Produkts der Haupttreiber für die Unternehmensperformance darstellen.

Bei einer Kostenkurve handelt es sich im Wesentlichen um eine andere Form der bekannten Angebotskurve aus der Mikroökonomik. Aus der Analyse der Kostenkurve können wir recht gut die Resilienz eines von uns betrachteten zyklischen Unternehmens in Bezug auf die typischen erwarteten Marktveränderungen – im Wesentlichen Nachfrageschwankungen und Kapazitätserweiterungen – ableiten.

1 Kommentar zu „Die Kostenkurve: Ein hilfreiches Tool für die Analyse von Zyklikern“

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