Aswath Damodaran, der “Dean of Valuation”, ist insbesondere für seine detaillierten und sehr zahlenlastigen Ausarbeitungen zur Discounted Cash Flow Methodik bekannt. Allerdings – und das wissen viele denke ich nicht – hat er sich auch intensiv mit dem so genannten Narrativ, also der Geschichte oder Story hinter den Zahlen beschäftigt… und sogar ein Buch darüber geschrieben, wie man eine Story in eine passende und konsistente Zahlenwelt übersetzen kann.
Das Buch trägt den Titel Narrative and Numbers: The Value of Stories in Business und ist aus meiner Sicht fast das beste Buch, welches es von Damodaran zu kaufen gibt… eben weil es sich auch damit auseinandersetzt, was für ein Persönlichkeitstyp man selbst ist und welche Implikationen das für unseren Erfolg als Investoren hat.
In diesem Artikel möchte ich also einmal darauf eingehen, wie wir die beiden Welten – die übergeordnete Story und die detaillierte Zahlenwelt – am besten kombinieren können… und wie wir es hinbekommen, im Rahmen unserer Bewertung nicht zu einseitig auf ein Unternehmen zu schauen (je nach Präferenz nur auf die Story oder nur auf die Zahlen).
Damodaran zu “Number Crunchers” versus “Storytellers”
Aswath Damodaran schreibt in seinem Buch, dass wir bereits relativ früh im Leben, vielleicht irgendwann zu Beginn der Sekundarstufe I, durch Eltern, Lehrer oder unsere eigenen Vorlieben entweder als Menschen mit hoher oder geringer Zahlenaffinität einkategorisiert werden.
Diese Einkategorisierung bleibt dann meist für eine sehr lange Zeit bestehen. Heißt wer sich einmal als Zahlenmensch begreift, wird sich immer als Zahlenmensch begreifen… und nebenbei auch stolz darauf sein. Und genauso wird es umgekehrt auch sein.
Um mal die Brücke zur Ãœberschrift dieses Artikels zu schlagen: Menschen mit hoher Zahlenaffinität bezeichnet Damodaran als “Number Crunchers”, Menschen mit geringer Zahlenaffinität als “Storytellers” bzw. Geschichtenerzähler.
- “Number Crunchers” besuchen eher eine MINT-Klasse und studieren zahlenlastige Fächer (z.B. Ingenieurwesen, Physik oder BWL mit Vertiefungsrichtung Controlling oder Accounting). Wichtig in diesem Kontext allerdings: Sie verlieren laut Damodaran mit der Zeit auch ihre Fähigkeit zum Geschichtenerzählen
- “Storyteller” belegen eher sozialwissenschaftliche Kurse und studieren Geschichte, Literatur, Philosophie oder etwas Ähnliches und halten sich oft sehr aktiv von allem was mit Zahlen zu tun hat fern (etwas überspitzt ausgedrückt natürlich)
Mit der Zeit lernt jede Gruppe, die andere zu fürchten und ihr zu misstrauen… was man laut Aswath Damodaran auch immer deutlich in seinen Valuation-Kursen an der NYU Stern School of Business spüren kann. Laut Damodaran’s Aussage hat er es in seinen Vorlesungen tatsächlich meist quasi mit zwei unterschiedlichen Camps zu tun… inklusive eigener Sprache und eigenem Monopol auf die Wahrheit.
Analog zu mir selbst sieht sich auch Aswath Damodaran eher als “Number Cruncher” denn als “Storyteller”. Erst im Laufe seiner über Jahre andauernden Lehrtätigkeit im Bereich der Unternehmensbewertung hat er gelernt, dass eine nicht durch eine gut nachvollziehbare Story untermauerte Bewertung einfach nicht glaubwürdig und am Ende auch nur schwer vermittelbar ist.
Schlussendlich ist es nämlich so: Menschen können sich eine gute Story einfach viel besser merken als irgendwelche aus Excel-Tabellen herauskopierten Zahlenwüsten (daher auch mein Tipp, für uns selbst immer eine schriftliche Investment Thesis zu jedem Aktienkauf aufzustellen).
Obwohl es ihm also nicht in die Wiege gelegt wurde, begann Aswath Damodaran während seiner Lehrtätigkeit damit, seine Bewertungen mit Stories bzw. Narrativen zu untermauern… was über die Zeit zur Wiederentdeckung genau der erzählerischen Seite seiner Persönlichkeit führte, die er seit der sechsten Klasse quasi unterdrückt hatte (wenn es ein bewusster Vorgang gewesen wäre). Damodaran hat also gewissermaßen seine rechte Gehirnhälfte reaktiviert und – jedenfalls im Kontext der Unternehmensbewertung – eine gemeinsame Sprache gefunden (obwohl er vom Grundsatz her natürlich nach wie vor ein Zahlenmensch ist).
Relevanz von Story und Zahlenwerk in verschiedenen Lebenszyklus-Phasen
Unternehmensbewertung funktioniert nicht besonders gut im Abstrakten. Für Unternehmen in unterschiedlichen Stadien des Lebenszyklus hat das Erzählen von Geschichten eine substantiell unterschiedliche Relevanz.
Schauen wir uns das zunächst einmal aus Sicht eines Gründers, CEOs oder Managers an.
Zu Beginn des Lebenszyklus eines Unternehmens (d.h. in der Einführungsphase) sind die meisterhaften Geschichtenerzähler in der Regel am erfolgreichsten, da sie besonders gut die großen Visionen mit den implizit höchsten zukünftigen Unternehmenswerten vermitteln können. Es ist daher wenig überraschend, dass einige der bekanntesten jungen Unternehmen bzw. Start-ups von sehr charismatischen und visionären Persönlichkeiten geführt werden.
In der Wachstumsphase verlagert sich die Kompetenz mit zunehmender Unternehmensgröße von der Vermittlung der Vision hin zur Bereitstellung konkreter Zahlen… die allerdings nach wie vor die zuvor kommunizierte Vision bzw. Strategie stützen bzw. mit dieser konsistent sein sollten. Dies erfordert vom Top-Management in der Regel eine stärkere Konzentration auf die Ergebnisse und eine Anpassung an die Realität. Die Vollziehung dieses Ãœbergangs fällt vielen visionären Firmengründern nicht gerade leicht, weshalb es in vielen Unternehmen in diesem Stadium zu einem Wechsel hin zu einem “professionellen” Management kommt.
In der Reifephase eines Unternehmens ist die Geschichte zum großen Teil bereits auserzählt, d.h. das Narrativ hat sich fest in den Köpfen der verschiedenen Stakeholder (inkl. der Investoren) verankert und ist nur noch schwer veränderbar. Diese Tatsache erfordert deshalb ein Management-Team an der Spitze, das das Narrativ auf kleine, aber positive Weise nachjustieren und den Shareholdern einen Weg in die Zukunft aufzeigen kann, der sich von einem planbaren Niedergang unterscheidet.
Die schwierigste und undankbarste Aufgabe von allen ist es, der CEO eines Unternehmens in der Krise bzw. in der Phase des Niedergangs zu sein. In diesem Fall liegt der Fokus des Narrativs nämlich nicht so sehr auf der Neuerzählung einer Geschichte, sondern insbesondere auf einem Weg aus der Krise heraus… hin zu einem Happy End sozusagen.
Unternehmensbewertung: “Malen nach Zahlen” oder “Glauben ist alles”?
Im Bereich der Unternehmensbewertung liegt der Fokus – jedenfalls im Vergleich – nach wie vor nur zu einem recht geringen Anteil auf der Vermittlung von Theoriewissen. Die wirklich relevanten Fragestellungen beziehen sich in der Regel ausschließlich auf die Praxis und man muss auf eine einzigartige Mischung aus Fähigkeiten und Werkzeugen zurückgreifen können, um seine Aufgabe erfolgreich zu meistern.
Kein Professor oder irgendeine andere Einzelperson kann am Ende sagen, ob eine bestimmte Herangehensweise an die Unternehmensbewertung richtig oder falsch war. Das kann nur der Markt.
Es gibt aber ein wiederkehrendes Thema, anhand dessen man eine gute Bewertung ganz unabhängig vom konkreten Bewertungsansatz festmachen kann: Das Zusammenspiel und Ineinandergreifen von Story und Zahlenwerk!
“A Numbers Game”: Unternehmensbewertung als mechanische Rechenübung
Die meisten (angehenden) MBA-Studenten assoziieren mit dem Begriff Unternehmensbewertung in der Regel die Analyse umfangreicher Finanzberichte und die Erstellung ausgefeilter Excel-Tabellen.
Von einem Valuation-Kurs erwarten sie dem entsprechend eine Einführung in die Welt der Bilanzierungsregeln und der Excel-Modellierung. Die Studenten sind dann je nach Background entweder enttäuscht (z.B. Studenten des Rechnungswesens) oder erleichtert (alle anderen), wenn sie feststellen, dass detaillierte Bilanzierungsregeln für die Unternehmensbewertung genauso nebensächlich sind wie die ausgefeiltesten Excel-Skills… wobei beides natürlich nicht schaden kann.
Klar stützen wir uns als Investoren zur Informationsgewinnung auf die aktuellsten Finanzberichte… und natürlich ist Excel (oder Google Sheets, Numbers etc.) meist unsere liebste und am meisten genutzte Office-Anwendung. Der Fokus ist in der Bewertungspraxis allerdings ein etwas anderer bzw. man muss das Ganze in die richtige Perspektive setzen:
- Jahresabschlüsse liefern uns im Grunde genommen “nur” das Rohmaterial für unsere Bewertung, nicht mehr und nicht weniger. Wie bei jedem Rohmaterial müssen wir entscheiden, welche Teile wir als sinnvoll erachten und verwenden wollen und welche nicht… und zwar unabhängig von irgendwelchen Rechnungslegungsstandards wie US GAAP oder IFRS (i.d.R. ignorieren wir übrigens weit mehr, als wir tatsächlich nutzen).
- Excel ist ein vielseitiges und leistungsstarkes Mehrzweckwerkzeug, aber wie alle Werkzeuge kann es auch falsch oder zu häufig eingesetzt werden. Meine Excel-Kenntnisse beschränken sich im Grunde genommen auf diejenigen Bereiche, die mir bei der Durchführung meiner Bewertung helfen. Was aber ohne Excel erledigt werden kann, sollte auch ohne Excel erledigt werden
As for fair value accounting, I am sympathetic with the motives (which is to make accounting more relevant) but unimpressed with the results. To me, fair value accounting estimates are like microwave frozen dinners, quick and convenient, but you will never mistake them for the real thing. – Aswath Damodaran
Warum betonen also so viele Gutachter und Analysten die Beherrschung der zahlenbasierten Seite der Bewertung (insbesondere die Bewertungsgutachten nach IDW-Standard, also z.B. IDW S 1, S 6, S 11 etc. enthalten ja sehr “mechanische” Vorgaben dazu, wie eine Bewertung auszusehen hat und durchgeführt werden muss)? Die Antwort liegt aus der Perspektive von Aswath Damodaran begründet in den drei mit sehr mechanischen und zahlenbasierten Modellen einhergehenden Illusionen (hatte ich in meinem Teil 1 zu Aswath Damodaran ja schonmal angerissen):
- Die Illusion der Präzision: Wir scheinen uns grundsätzlich bei mit Unsicherheit behafteten Gemengelagen besser zu fühlen, wenn wir ihnen konkrete Zahlenwerte (Erwartungswerte, risikobereinigte Diskontsätze etc.) zuordnen können. Das ist an sich zwar nicht verkehrt, allerdings lassen sich Risiken allein durch den Versuch der Quantifizierung in der Regel nicht einfach auflösen
- Die Illusion der Objektivität: Wir glauben, dass Bewertungen auf Basis eines sehr strukturierten Bewertungsschemas objektiv und unvoreingenommen sind (also “fair” im eigentlichen Sinne). In der Realität sind Bewertungen allerdings immer voreingenommen (wobei sich über Ausprägung und Richtung noch streiten lässt). Denn natürlich lassen wir unsere Ansichten über ein zu bewertendes Unternehmen auch in unsere Bewertungen einfließen. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Ãœber die selektive Anpassung einzelner Inputs ist dies außerdem ohne Weiteres möglich. Die Frage ist nur, ob wir uns diese Tatsache eingestehen wollen / können… oder eben nicht.
- Die Illusion der Kontrolle: „Zahlenmenschen“ verwenden Zahlen oft dazu, um „Nicht-Zahlenmenschen“ einzuschüchtern und sie so zur stillschweigenden Akzeptanz zu zwingen. Der Einschüchterungsfaktor wird durch die Nutzung unnötiger Details (“500 Einzelposten analysiert”) und irrelevanter Schlagworte (griechische Buchstaben und andere Akronyme) in vielen Fällen noch erhöht
Im gleichen Atemzug zur Lobpreisung einer ausgeklügelten Bewertungsmethodik werden die Gefahren, die mit einer rein zahlenbasierten Bewertung einhergehen, aber meist komplett ignoriert:
- Erstens werden Bewertungen zu reinen Plug-and-Point-Übungen (ein Begriff von Damodaran selbst), zu Werkzeugen also, um Sales Pitches anzureichern oder bereits vorgefasste Werte zu bestätigen
- Zweitens: Wenn eine Bewertung auf Einzelposten und individuellen Inputs basiert, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man ein Unternehmen erschafft, das nur als Excel-File auf der Festplatte überhaupt existieren kann… ein Unternehmen beispielsweise, in dem sich die Umsätze bis ins Unendliche jedes Jahr verdoppeln, in dem die Margen ohne relevanten Wettbewerb regelmäßig zunehmen und in dem das Wachstum ohne nennenswerte Reinvestitionen erfolgt (lest dazu auch meinen Beitrag zu den 6 typischen Fehlern bei der DCF-Modellierung)
- Und schließlich drittens: Diskussionen und Debatten über Inputs werden zu oberflächlichen Wortgefechten über die „richtigen“ Werte… allerdings bei fehlendem Narrativ ohne eine logische und begründbare Entscheidungsgrundlage
“Eine gute Story ist alles”: Bewertung ist, woran man glaubt!
Während sich am einen Ende des Spektrums diejenigen befinden, die sich ausschließlich mit der Zahlenwelt beschäftigen, gibt es auf der anderen Seite diejenigen, die den Zahlen nicht nur nicht vertrauen, sondern sie explizit auch als überflüssig ansehen und daher auch nicht verwenden. Stattdessen verlassen sie sich ausschließlich auf das Narrativ bzw. die (Equity-)Story, um ihre Unternehmensbewertungen und Investitionen zu rechtfertigen.
Die Motivation dafür ist einfach: Das so genannte Storytelling ist ein sehr wirkungsvolles Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen und zu erhalten. Empirische Untersuchungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen haben außerdem gezeigt, dass Menschen besser auf Geschichten reagieren, als auf Abstraktionen oder Zahlen (der Erfolg der Case Studies als Lernmethode an den wichtigsten Business Schools weltweit ist der ganz praktische Beweis für diese These).
Darüber hinaus greift der “kreative” Ãœberlegenheitskomplex: Genauso wie Zahlenmenschen mit Zahlenbergen einschüchtern, können gute Erzähler „Number Crunchers“ mit überlegenem Geschichtenerzählen gehörig verunsichern… insbesondere wenn sie ihre Geschichten mit persönlichen Erfahrungen (meist allerdings nur anekdotisch) untermauern können.
Investitionen, die auf Stories und Narrativen basieren, sind nicht ungewöhnlich, insbesondere bei jüngeren Unternehmen und Start-ups. Tatsächlich wird die Nutzung von Cash Flow-basierten Modellen für solche Unternehmen von Venture Capitalists regelmäßig in Frage gestellt.
Paraphrasing some of the comments on my valuations of Twitter and Uber, the argument seems to be that while cash flow based valuations may work on Wall Street and with mature companies, they are not useful in analyzing the type of companies that venture capitalists look at. – Aswath Damodaran
Den oben stehenden Argumenten kann Aswath Damodaran zwar auch einiges abgewinnen. Er ist allerdings auch der Meinung, dass wir uns erheblichen Risiken aussetzen, wenn wir uns ausschließlich auf die Story verlassen. Ganz konkret nennt er zwei:
- Kreativität ohne Einschränkungen kann uns in die äußeren Bereiche der Vernunft und in die Fantasie führen. Während dies bei einem Maler oder Schriftsteller eine bewundernswerte Eigenschaft sein mag, ist es für einen Investor eine gefährliche
- Als Manager eines Unternehmens oder als Investor, der ein Unternehmen überwacht, muss man wissen, ob man auf dem richtigen Weg ist… und zwar unabhängig davon, in welcher Phase des Lebenszyklus sich das Unternehmen aktuell befindet. Wenn Bewertung und Investition allein auf einem starken Narrativ basieren, gibt es im Grunde genommen keinen Maßstab, anhand dessen man diese Richtung abschätzen kann
Zahlen plus Narrativ kombinieren in 5 Schritten
Wenn Zahlen ohne Narrativ nur als “stupide” Excel-Modellierung durchgeht und ein Narrativ ohne Zahlen als leeres “Storytelling” betrachtet wird, dann scheint offensichtlich zu sein, dass wir beide Sichtweisen oder Stile miteinander kombinieren müssen (auch wenn das erstmal nicht in unserer Natur zu liegen scheint).
Bei einer guten Bewertung werden die Zahlen also durch ein kohärentes Narrativ miteinander verbunden und die Story wird durch aussagekräftige Zahlen untermauert.Um dies zu bewerkstelligen, schlägt Aswath Damodaran ein fünfstufiges Vorgehen vor, auf das ich im Folgenden einmal kurz eingehen möchte (bedeutet allerdings sowohl für den “Number Cruncher” als auch für den “Storyteller” zusätzlichen Aufwand).
Schritt 1: Story bzw. Narrativ entwickeln
Im ersten Schritt sollten wir unsere eigene (Equity) Story für das Unternehmen entwickeln, das wir bewerten bzw. in das wir ggf. investieren möchten. Jedes Unternehmen hat eine Geschichte und diese Geschichte sollte der Ausgangspunkt für unsere Bewertung sein.
Unabhängig von der unternehmenseigenen Story, die der CEO typischerweise proaktiv im Rahmen der Investorenkommunikation (Investorpräsentationen, Earnings Calls, CMDs etc.) vorstellt (einige überzeugender und glaubwürdiger als andere) müssen wir unsere eigene Story entwickeln. Diese kann natürlich auch im Einklang mit der offiziellen Story des Managements sein… muss sie aber ganz und gar nicht.
Hier ein konkretes Beispiel von Aswath Damodaran (Uber):
- Narrativ Damodaran: Uber ist ein innovatives Unternehmen für Fahrdienste mit dem ungeprüften Potenzial, in andere Logistikunternehmen zu expandieren. Das Unternehmen wird das Geschäft mit Fahrdiensten durch die Gewinnung neuer Nutzer bis zu einem bedeutenden (wenn auch nicht dominierenden) Marktanteil ausbauen und gleichzeitig die Rentabilität stabil halten können.
- Alternatives Narrativ: Uber ist ein Logistikunternehmen, das einen Weg finden wird, sein profitables Geschäftsmodell für Fahrdienste auf die Bereiche Umzug, Autovermietung / Mobility und Elektroautos auszuweiten
Schritt 2: Narrativ bzw. Story einem Realitätscheck unterziehen
Im zweiten Schritt sollten wir unsere Story anhand von Historie, eigener Erfahrung und gesundem Menschenverstand überprüfen bzw. sie einem Realitätscheck unterziehen:
- Historie: Wir schauen in die Vergangenheit, um zu sehen, ob es bereits Unternehmen gibt, die eine ähnliche Entwicklung genommen haben, wie wir sie für unser potenzielles Investment erarbeitet haben
- Eigene Erfahrung: Wir überprüfen unsere eigenen Investitionen (mit ähnlichen Stories) aus der Vergangenheit und schauen uns an, welche Hindernisse oder Stolpersteine die vorhergesehene Entwicklung in der Praxis tatsächlich positiv oder negativ beeinflusst haben
- Gesunder Menschenverstand: Wir greifen auf die Grundprinzipien der Wirtschaft und Mathematik zurück, um die schwächsten Glieder unseres Narrativs zu identifizieren und zu bewerten
Im Fall von Uber begründet Aswath Damodaran das Narrativ wie folgt: Das Geschäft mit Fahrdiensten (Taxi und Limousine) ist zersplittert, reguliert sowie größtenteils ineffizient organisiert und daher reif für eine digitale Disruption. Allerdings gibt es im Fahrdienstgeschäft, welches sowohl physisch als auch lokal stattfindet, keine substantiellen Netzwerkeffekte (wie z.B. bei Suche, Merchandising oder Werbung der Fall). Aus diesem Grund kann einerseits nicht von einem dominierenden Marktanteil ausgegangen (also eher 10% als 40-50%), andererseits wohl aber eine stabile und nachhaltige Rentabilität unterstellt werden (die Überwindung der regulatorischen Hürden vorausgesetzt).
Schritt 3: Ãœbersetzung der Story in konkrete Werttreiber
Im dritten Schritt wandeln wir die wichtigsten Teile des Narrativs in konkrete Werttreiber um: Letztendlich müssen sich selbst die fesselndsten Stories irgendwo in Zahlen niederschlagen.
Hier Aswath Damodaran’s Vorschlag für eine Ãœbersetzung der konkreten Elemente des Narrativs in konkrete Werttreiber (anhand eines vereinfachten DCF-Bewertungsschemas):
Ich denke fast die Grafik ist selbsterklärend und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Falls ihr euch im Hinblick auf die DCF-Methodik noch etwas einlesen wollt, empfehle ich euch die Artikel zur Ableitung des freien Cash Flows (to Firm und to Equity) sowie die Einführung in die DCF-Bewertung.
Schritt 4: Ãœbersetzung Werttreiber in eine konkrete Bewertung
In Schritt Nr. 4 verknüpfen wir die Werttreiber mit der konkreten Unternehmensbewertung. Aswath Damodaran verwendet vorzugsweise die Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode), um die Werttreiber mit dem Unternehmenswert zu verknüpfen. Wir können aber beispielsweise auch einen Multiple-Ansatz oder etwas Ähnliches verwenden (was auch immer wir präferieren)… wichtig ist nur, dass wir eine Abschätzung des zukünftigen Cash Flows zu Grunde legen, in welche die in Schritt 3 definierten Werttreiber irgendwo einfließen können (wir könnten z.B. ein einfaches oder komplexes 3-Statement-Modell verwenden).
Exkurs: Venture Capital Bewertung
Tatsächlich nimmt die klassische VC-Bewertung eine Abkürzung, indem sie i.W. nur drei Werttreiber verwendet:
- einen erwarteten Gewinn (oder Umsatz) zu einem zukünftigen Zeitpunkt (z.B. in 7-10 Jahren)
- einen Exit-Multiplikator, der diese Zahl in einen zukünftigen Wert umwandelt (basierend auf dem, was andere Investoren heute für ähnliche Unternehmen zu zahlen bereit zu sein scheinen)
- eine Zielrendite, um diesen Wert auf die Gegenwart abzuzinsen (und das Risiko zu berücksichtigen).
Ãœbrigens: Ein interaktives 3-Statement-Modell inklusive der wesentlichen Wertreiber als Grundlage für unsere Bewertung aufzubauen, ist gar nicht weiter schwierig. Es erfordert nur etwas Zeit und ggf. eine gute Anleitung (das Modell habe ich bereits – siehe hier -, die konkrete Anleitung ist in der Mache).
Schritt 5: Feedback-Loop etablieren
Der größte Feind, dem wir uns im Rahmen unserer Arbeit als Investoren oft gegenübersehen (ganz egal ob “Number Cruncher” oder “Storyteller”), ist die Hybris bzw. Selbstüberschätzung, mit der wir uns auf unsere ursprünglichen Standpunkte versteifen und eine Änderung unserer Meinung als Zeichen von Schwäche betrachten.
Obwohl es uns meist nicht leicht fällt, sollten wir versuchen, offen für die Möglichkeit zu bleiben, dass sich unsere Sichtweise (heißt beispielsweise unsere Meinung über ein bestimmtes Unternehmen und den zugehörigen Wert) im Laufe der Zeit ändern oder sogar komplett verschieben kann.
In jedem Fall sollten wir diese Änderungen als integralen Bestandteil des Investments und nicht als Misserfolg (im Kontext unserer ursprünglichen Bewertung) betrachten.
Damodaran’s Sicht: Wir gewinnen am meisten, wenn wir an unseren Schwächen arbeiten
Auf Basis von Aswath Damodaran’s eigener Erfahrung ist es natürlich am einfachsten, wenn wir unsere eigenen Stärken auszuspielen (die ja sowohl bei Damodaran als auch bei mir selbst eher auf der Zahlenseite liegen). Am meisten gewinnen tun wir allerdings – und das ist auch Damodaran’s Sicht – wenn wir an unseren Schwächen arbeiten (in meinem Fall den Storytelling-Fähigkeiten).
Folglich lernen wir in der Regel mehr von denjenigen Investoren, die anders denken als wir selbst und uns regelmäßig auf konstruktuve Art und Weise widersprechen, als von denjenigen, die uns mehr oder weniger immer zustimmen.
Im ganz konkreten Fall der Bewertung von Uber führte dieser Diskurs mit andersdenkenden Investoren (größtenteils aus dem Tech- und Risikokapital-Umfeld) zu einer Anpassung bzw. Ãœberarbeitung von Damodaran’s DCF-Modell für Uber.
Hier einmal die verschiedenen “Uber-Narrative” inklusive der von Damodaran angesetzten Werttreiber und Bewertungsergebnisse:
Mit dieser Übung möchte Aswath Damodaran im Grunde zwei Punkte ansprechen:
- Erstens können und sollten selbst die fantasievollsten und weitreichendsten Stories auch in konkrete Zahlen umgewandelt werden können
- Zweitens resultieren große Unterschiede in der Bewertung fast immer aus unterschiedlichen Narrativen über Unternehmen und nicht aus Meinungsverschiedenheiten über „Kleinigkeiten“
Wesentliche Take Aways
Wenn man den Wert als eine Story betrachtet, die sozusagen von Zahlen überlagert wird, hat dies sowohl für das Top-Management der Unternehmen als auch für die Investoren gravierende Konsequenzen.
Um Kapital anzuziehen, müssen CEOs kohärente Stories über die von ihnen geführten Unternehmen entwickeln, diese Erzählungen den Investoren / Märkten effektiv vermitteln und auch konsequent im Sinne des vermittelten Narrativs handeln.
Um das erhaltene Kapital gut zu verwalten, müssen sie konkrete Werttreiber identifizieren, messbare KPIs in Bezug auf die Erreichung der im Narrativ kommunizierten Ziele entwickeln und die Fähigkeit besitzen, quasi in Echtzeit Änderungen entweder am Narrativ oder an der Unternehmensführung vorzunehmen (um die in Form der KPIs hinterlegten Ziele zu erreichen).
Für Investoren sind die Learnings ebenso tiefgreifend. Investoren müssen Unternehmen mit überzeugenden Narrativen und der Fähigkeit zur Übersetzung dieser Narrative in konkrete Unternehmenswerte identifizieren sowie Anteile an diesen zu einem akzeptablen Kurs erwerben können. Sie müssen ihre Investitionen außerdem auf mehrere Unternehmen bzw. gute Narrative verteilen und immer offen für Veränderungen (sowohl der Narrative als auch der Zahlen) sein.
Am Ende gilt allerdings trotzdem Folgendes: Ein gutes Narrativ und konsistente und belegbare Zahlen sind noch keine Garantie für den Erfolg einer Investition! Leider!
Weitere Ressourcen
Aswath Damodaran – Narrative and Numbers: The Value of Stories in Business