Case Study: Valuation Abercrombie & Fitch (2004)

Abercrombie & Fitch Valuation Case Study

Inhalt

Abercrombie & Fitch Valuation Case Study

Heute möchte ich euch einmal eine weitere konkrete Fallstudie vorstellen, diesmal aus dem Einzelhandelsbereich. Die Fallstudie stammt aus dem Jahr 2004 und behandelt Abercrombie & Fitch, die bekannte Einzelhandelskette aus den USA.

Die Fallstudie wurde damals von Linda Greenblatt (der Schwester von Joel Greenblatt, Partnerin bei Saddle Rock Partners und ebenfalls eine sehr erfolgreiche Investorin) im Rahmen der Special Situations Vorlesung ihres Bruders an der Columbia Business School vorgestellt.

Linda Greenblatt hat sich als Investorin ausschließlich auf eine spezifische Nische, nämlich den Retail-Sektor, fokussiert und damit sehr ansehnliche Returns erzielt. Joel Greenblatt dazu (Stichwort Kompetenzkreis):

She has phenomenal returns focusing on what she knows. There is a great lesson for you. It doesn’t have to be retail but an industry that you understand. She picked something she really enjoys, that is a very important lesson. – Joel Greenblatt

Ich habe nun versucht, die Informationen zu Abercrombie & Fitch (A&F) nochmal etwas logischer zu strukturieren und habe hier und da noch ein paar Zahlen, Daten, Fakten hinzugefügt, um die Vorlesungsinhalte (diese sind mir nur ohne die entsprechende Präsentation überliefert) noch besser verständlich zu machen.


Intro: Investieren in Retail

Abercrombie & Fitch (A&F) ist ein so genannter Spezial-Retailer, der ausschließlich seine eigenen Marken und Produkte vertreibt.

Retail Value Chain

Die Produkte werden dabei über Partnerfirmen vor allem in Asien (Bangladesh, Kambodscha, China, Indien etc.) hergestellt (hier findet ihr die komplette Liste der Produktionspartner).

Ganz generell ist die Einzelhandelsbranche volatiler als viele andere Branchen, weil KPIs bzw. Branchenkennzahlen typischerweise nicht auf Jahres- oder Quartals-, sondern auf Monatsbasis veröffentlicht werden (das gilt beispielsweise auch für die “Same Store Sales” von Abercrombie & Fitch).

Viele Investoren meiden Retail-Aktien vor allem wegen der regelmäßigen Überreaktionen am Markt… und weil es quasi unmöglich ist, den nächsten saisonalen Trend vorherzusehen. Niemand kann z.B. genau sagen, ob die nächste Frühjahrskollektion von Abercrombie & Fitch bei den Kunden gut ankommen wird oder nicht.

Aus Sicht von Linda Greenblatt ist dieser Aspekt allerdings nicht maßgebend. Stattdessen ist es wichtiger, dass das Management etwas von Unternehmensführung und Geschäftsmodell versteht und weiß, wie man eine attraktive Kapitalrendite erzielt… sollte eine neue Kollektion einmal nicht zünden, dann bekommt man mit der nächsten Kollektion wieder eine neue Chance (und durch die Verkürzung der Erneuerungszyklen hat sich dieser Lerneffekt ja auch nochmal signifikant beschleunigt).

Um als Investor im Retail-Sektor erfolgreich zu sein, bedarf es laut Linda Greenblatt einer Analyse bzw. Übersicht über die folgenden vier Punkte:

  • Gesamtüberblick: Man muss einen Überblick über den Retail-Sektor als Ganzes haben
  • Wettbewerbsumfeld: Man muss sich die Wettbewerber ansehen und Unterschiede in der (kurzfristigen sowie auch langfristigen) Entwicklung ausmachen können
  • Same Store Sales: Man sollte einen Überblick über die Entwicklung der bereinigten Umsätze der existierenden Ladengeschäfte auf Monatsbasis haben (dies treibt, wie wir gleich sehen werden, oft die Aktienkurse)
  • Wachstum: Man sollte eine saubere Abschätzung des zukünftigen Wachstums der Anzahl an Ladengeschäften und der damit erzielte inkrementellen Kapitalrendite (ROIC bzw. ROCE) der Stores erstellen (und zwar separat für die einzelnen Konzepte, sozusagen eine Sum-of-Parts / SOTP Analyse)

Rein technisch gesehen sprechen wir über die folgenden Werthebel:

  • Umsatzwachstum und operative Marge des existierenden Geschäfts (d.h. der bestehenden Stores)
  • Wachstumsopportunitäten / Neueröffnungen und zugehörige inkrementelle Kapitalrendite

Es gibt zwar Unternehmen, die von beiden Werttreibern gleichzeitig profitieren und aus Perspektive des Geschäftsmodells logischerweise die besten langfristigen Investments darstellen. Allerdings sind diese Unternehmen in den meisten Fällen nicht zu einem attraktiven Preis zu erwerben.

Bleiben diejenigen Unternehmen, die aufgrund schlechter kurzfristiger Kennzahlen (Same Store Sales, operative Margen) vom Markt abgestraft wurden. Diese können in zwei Fällen attraktive Investments darstellen:

  1. Wenn der Markt das eigentliche Wachstum der Stores vernachlässigt bzw. ignoriert (A&F war so ein Fall)
  2. Wenn der Markt übersieht, dass die Margen mit ein paar “einfachen” Maßnahmen wieder mindestens auf ein Normalniveau gebracht werden können (Beispiel hier: American Eagle Outfitters)

Schauen wir uns nun Abercrombie & Fitch mal etwas mehr im Detail an, um die oben genannten Themen zu illustrieren.


Ein erster Blick auf die Zahlen: A&F Aktienkursentwicklung

Wenn wir uns zunächst die Aktienkursentwicklung von Abercrombie & Fitch in den Jahren 2003 bis 2005 anschauen, dann sehen wir zwei Tiefpunkte… einen gegen Ende 2003 / Anfang 2004 bei ca. 25 USD und einen ca. im August 2004 bei ungefähr 28 USD:

Abercrombie & Fitch Aktienkursentwicklung

Aktienkursentwicklung Abercrombie & Fitch 2003-2005 [USD/Aktie]; Quelle: Yahoo Finance

Beide Male war dem Kursrückgang eine negative Entwicklung der Same Store Sales vorausgegangen. Dem Tiefpunkt zu Beginn des Jahres 2004 ging sogar eine längere Serie an (stark) negativen Umsatzveränderungen bezogen auf die bereits seit mindestens einem Jahr existierenden Läden voraus.

Für Linda Greenblatt spiegelt die Fokussierung der Marktteilnehmer auf die Entwicklung der Same Store Sales die kurzfristige und nur auf das nächste Quartalsergebnis fokussierte Sicht der Wall Street wider.

Wenn man mal etwas googelt, dann findet man in der Tat eine ganze Reihe an Kommentaren (sowohl von Analysten als auch von der Börsenpresse), die diese Marktsicht bestätigen. Hier einmal ein paar Beispiele zu A&F aus Ende 2003, Anfang 2004:

With [A&F’s trendy clothes unit] Hollister posting its second-consecutive month of negative comparable sales and the core A&F business below expectations again, our positive thesis on the A&F story has clearly been put to the test. – Brian Tunick, JP Morgan

Nach zwei Monaten mit negativen Same Store Sales zweifelte JP Morgan bereits an der bisher positiven Investment Thesis zu A&F.

Another area of concern is Abercrombie’s unwillingness to use discounts and sales promotions to lure teens and young adults into its stores … ironic given the retailer’s penchant for eye-raising marketing. – CNN Money, 4. Dez. 2003
We think management’s ongoing thought process of ‘protecting the ANF brand’ with its non-promotional stance is not the way to win in this highly-competitive teen market. – Brian Tunick, JP Morgan

Sowohl JP Morgen als auch CNN Money glaubten, dass es besser wäre, die Same Store Sales mit stärkeren Preisnachlässen etwas zu pushen, als die Qualität bzw. den Premium-Status der Marke Abercrombie & Fitch zu schützen.

I have my people visit stores and malls to see how much the items are marked down and how long the lines are at the registers. I’ll buy a stock if I think the company is going to beat numbers and short it if it is going to miss numbers. It is that simple. – Sell-Side Analyst

Sell-Side Analysten bildeten sich ihre Meinung offenbar auf Basis der Preisnachlässe und der Länge der Schlangen an der Kasse… beides Indikatoren für ein kurzfristig angelegtes Wachstum der Same Store Sales.

Es gab damals im Grunde genommen keinen Kommentar bzw. keinen Artikel oder Analystenreport, der sich mit dem grundsätzlichen Geschäft bzw. der längerfristigen Perspektive beschäftigte… erstens erzielte A&F in der Vergangenheit nämlich stets zweistellige Umsatzrenditen und zweitens hatte das Unternehmen wenige Jahre zuvor mit Hollister erst eine neue Marke eingeführt, deren Geschäft extrem stark zulegte.

Aus Sicht des ursprünglichen Geschäfts hatte sich außerdem nicht wirklich etwas verändert. Es gab zwar einen Wechsel im Management, dieser war aber im Grunde genommen ohne (negativen) Einfluss auf das Geschäft. Kundenpräferenzen, Marktpositionierung etc. waren mehr oder weniger unverändert geblieben.

Die Frage, die sich Linda Greenblatt stellte… und die auch andere langfristig orientierte Investoren vermutlich stellen würden:

Do I care what they will do in October, if I am holding for three years or more?

Wie relevant ist eigentlich die Entwicklung der Same Store Sales z.B. im Oktober, wenn man mit dem Investment einen Zeithorizont von drei Jahren oder mehr hat?

Exkurs: Same Store Sales

Same Store Sales (SSS) ist ein betriebswirtschaftlicher Begriff, der sich auf die Entwicklung der Umsätze der seit mindestens einem Jahr existierenden Ladengeschäfte / Stores bezieht (manchmal auch seit zwei Jahren… hängt von der Definition des Unternehmens ab).

Die Kennzahl dient also dazu, die Entwicklung der bereits seit mindestens einem oder zwei Jahren eröffneten Geschäfte isoliert von Store-Eröffnungen und -Schließungen betrachten zu können. Die Entwicklung des Umsatzes der existierenden Geschäfte wird in der Gesamtbetrachtung nämlich oft von den hinzukommenden Umsätzen neu eröffneter Ladengeschäfte überlagert.

Die Entwicklung der Same Store Sales wird typischerweise als Prozentwert bezogen auf den entsprechenden vorgelagerten Zeitraum ausgedrückt.

Andere Branchen verwenden für das gleiche Konzept übrigens oft etwas andere Begrifflichkeiten. Manchmal wird deshalb auch von Like-for-Like (LFL) Wachstum oder Comparable Store Sales (“Comps”) gesprochen.


A&F: Analyse des Geschäftsmodells

Wie also an die Analyse von Abercrombie & Fitch (oder vielleicht kann man auch sagen von Retail Stocks im Allgemeinen) herangehen?

Fangen wir doch mal mit dem Markenwert an und überlegen uns, welche Implikationen eine Aufgabe der Premiumpositionierung für die Zukunft des Unternehmens haben könnte.

Zunächst ist vermutlich eine Feststellung wichtig: Zu einer bestimmten Zeit Anfang der 2000er Jahre war A&F sehr angesagt und konnte fast jedes Produkt zum vollen Preis verkaufen. Ein solcher Zustand ist allerdings typischerweise nicht nachhaltig, weshalb wir eine Bewertung niemals auf Basis einer anhaltend hohen Popularität durchführen sollten.

Damals Anfang 2004 war A&F bereits in einer etwas anderen, aber durchaus nicht schlechteren Ausgangsposition. Das Kernkonzept bzw. die Kernmarke war zwar zu dem Zeitpunkt bereits etwas mehr im Mainstream angekommen. Mit Hollister hatte das Unternehmen aber ein bereits validiertes Konzept mit einem großen Wachstumspotenzial aufgebaut (es gab zu dem Zeitpunkt bereits ~170 Stores mit attraktiven Unit Economics). Das ist Punkt eins.

Abercrombie & Fitch A&F Anzahl Stores 1998 bis 2020

Entwicklung Anzahl Stores A&F und Hollister, 1998-2020 [#]; Quelle: Statista

Insgesamt konnte das Geschäft also trotz schlechter Same Store Sales-Kennzahlen in den Jahren bis 2003 noch substantiell wachsen:

Umsatzentwicklung A&F [Mio. USD]; Quelle: A&F Geschäftsbericht

Und Punkt zwei: A&F hatte sich bzgl. seiner Kernmarke nicht auf einen Preiskampf mit den Wettbewerbern eingelassen und auf diese Weise sowohl seine Marke geschützt, als auch seine Margen auf einem vergleichsweise hohen Niveau halten können:

Im Gegensatz dazu hatte z.B. American Eagle Outfitters (AEOS) versucht, seine Produkte bei der gleichen Zielgruppe mit ca. 30% Nachlass zu platzieren.

Im direkten Vergleich kann man nun sehr gut erkennen, dass American Eagle zwar bessere “Comps” vorweisen konnte als Abercrombie & Fitch. Man erkennt aber auch, dass AEOS dies nicht “for free” bekommen hat, sondern dafür mit substantiellen Margenverlusten “bezahlen” musste:

Entwicklung Same Store Sales und operative Marge A&F und AEOS, 1999-2003 [%]; Quelle: A&F und AEOS Geschäftsberichte

Unsere erste Schlussfolgerung aus der Betrachtung der historischen Zahlen ist also: Wenn wir ein Retail-Unternehmen analysieren, dann sollten wir also nicht nur auf die Betrachtung einzelner isolierter Kennzahlen beschränken, sondern versuchen, die übergeordneten Zusammenhänge zu sehen. Dazu gehören u.a. die folgenden Themenblöcke:

  • Unterschiede im Preispunkt im Vergleich zum Wettbewerb und damit in Zusammenhang stehend auch die Betrachtung von Discounts und Markenpositionierungen bzw. die Entwicklung  der Same Store Sales versus der EBIT-Marge
  • Analyse der Store Konzepte und Zielgruppen (kannibalisiert A&F sich ggf. mit seinen Hollister Stores selbst?)
  • Life Cycle der einzelnen Store Konzepte, d.h. Analyse von möglichen Standorten und Wachstumspotenzialen (A&F war mit seiner Kernmarke beispielsweise nur in den großen Malls vertreten und hatte deshalb von Natur aus ein etwas begrenztes Wachstumspotenzial. Mit Hollister dagegen stand das Unternehmen noch ganz am Anfang des Wachstums)
  • Fokus des Managements (quartalsweise den Consensus treffen versus langfristig ein nachhaltiges Geschäft mit attraktiven Margen entwickeln)
  • etc.

Darüber hinaus kann es natürlich auch sinnvoll sein, hin und wieder einen Store der entsprechenden Marke zu besuchen. Zu detailliert sollten wir allerdings nicht unterwegs sein, denn:

It is tough to analyze one store unless you go to the same store three times a month and you look at the inventory and break out the inventory. – Linda Greenblatt

Mögliche Kannibalisierung der Store Konzepte / Brands

Um eine Kannibalisierung verschiedener Store-Konzepte zu vermeiden, muss das Management die Konzepte entweder so weit differenziert haben, dass die Kunden eindeutig unterschiedlichen Kohorten zugeordnet werden können (also die Konzepte i.W. unterschiedliche Kundengruppen ansprechen oder auch die Locations “überschnittsfrei” gewählt werden). Oder aber die Kunden müssen bereit sein, beide Produkte gleichzeitig zu kaufen (in vielen Fällen eher unwahrscheinlich).

Im letzteren Fall ist es wichtig, die Entwicklung der operativen Margen im Auge zu behalten. Bei A&F zum Beispiel waren die Margen nach der Einführung von Hollister zunächst mal nicht eingebrochen. Die Same Store Sales gingen zwar wie dargestellt insgesamt zurück, allerdings schien dies kein Ergebnis der Markeneinführung von Hollister gewesen zu sein.

Hier einmal die Statements zur Positionierung der verschiedenen Marken von A&F (Gilly Hicks und Social Tourist gab es in 2003 allerdings noch nicht):

Abercrombie & Fitch - Markenpositionierung

Markenpositionierung A&F; Quelle: Abercrombie & Fitch Webseite

Natürlich ist es recht schwer, nur auf diesen Texten basierend eine Einschätzung bzgl. der Zielgruppe der Marken zu treffen. Wer allerdings schonmal in einem A&F und auch einem Hollister Store gewesen ist und die Produkte etwas kennt, der weiß, dass die Zielgruppen im Grunde genommen andere sind.

Deshalb steht Linda Greenblatt auch auf dem Standpunkt, dass man als Investor schon seine Hausaufgaben machen und ein gewisses Maß an Vertrauen in die eigene Beurteilung der Konzepte aufbauen bzw. entwickeln muss. Jedes Mal, wenn ein Einzelhändler ein neues Konzept einführt, gibt es nämlich lautstarke Argumente sowohl dafür, als auch dagegen.


Abercrombie & Fitch: Nachhaltigkeit der Margen / Fokus des Managements

Natürlich konnte der Erfolg der Marke A&F bzw. des zugehörigen Store-Konzepts nicht unabhängig vom Management-Team betrachtet werden. Aus diesem Grund war es für Linda Greenblatt damals auch wichtig, Vertrauen in das neue Management zu gewinnen.

Der Schutz der Integrität der Marke A&F bzw. anders ausgedrückt der Verzicht auf größere Preisnachlässe zur Erhöhung des Absatzes stellte in diesem Zusammenhang einen wesentlichen ersten Indikator für die Qualität des Managements dar:

You know what, we have to maintain the integrity of the brand by maintaining the prices. If we miss this season, we miss it. We can’t start lowering prices and have our customers expect massive discounts every time they come into the store. – A&F Management

Dieser Punkt ist vor allem auch deshalb wichtig, weil das Management damals quasi von allen Seiten (insbesondere von der Wall Street und der Finanzpresse) mit der Forderung nach Preisnachlässen konfrontiert wurde.

Darüber hinaus war es damals relativ offensichtlich, dass das Management sich intensiv auch damit beschäftigt hatte, mit welchem neuen Konzept Abercrombie & Fitch nicht einfach nur die Verkaufsfläche vergrößern, sondern gleichzeitig auch attraktive Margen bzw. Returns auf das erforderliche Investment erzielen konnte.

Tatsächlich war die Etablierung eines Konzepts wie Hollister bei Weitem kein Selbstläufer. Der Markenaufbau über die Zeit sowie auch die richtige Ansprache der Zielgruppe (um der Marke das erforderliche Standing zu verleihen) spielten eine wesentliche Rolle.


Zukünftiges Wachstum für A&F und Hollister

Um uns eine Meinung bzgl. des zukünftigen Wachstumspotenzials von Abercrombie & Fitch und Hollister zu bilden, sollten interessierte Investoren laut Linda Greenblatt zunächst eins verstehen:

Where these concepts can go depend on where the stores are located. – Linda Greenblatt

Was sie damit meint, ist Folgendes: Grundsätzlich kann ein Store in einem Einkaufszentrum (“Mall”, hier gibt es  A-, B- und C-Lagen), einem so genannten Life Style Center oder an einer Straße oder einem anderen Standort außerhalb eines Einkaufszentrums angesiedelt sein. Investoren sollten sich deshalb die Wettbewerbslandschaft ansehen und herausfinden, wo der jeweilige Kunde eines bestimmten Konzepts zu finden ist bzw. wo er einkauft… und damit, ob die Expansionspläne des Managements realistisch sind oder nicht.

American Eagle Outfitters z.B. konnte aufgrund des grundsätzlich niedrigeren Preispunktes in quasi jeder Art von Mall vertreten sein. Das Konzept funktionierte fast unabhängig von der Zielgruppe des Einkaufszentrums, weshalb sich Eagle ohne Probleme in eine Größenordnung von 900 bis 1.000 Läden allein in den USA entwickeln konnte.

A&F mit seinen hochpreisigen Produkten dagegen würde vermutlich weder in einem C-Einkaufszentrum noch in jedem B-Einkaufszentrum gut funktionieren, weshalb das Wachstum der Kette nach oben bei ca. 400 bis 500 Stores an eine natürliche obere Grenze stoßen würde (nur auf die USA bezogen, dort gab es damals insgesamt ca. 700 so genannte “A-Malls”).

Das begrenzte Wachstumspotenzial der Kernmarke ließ sich auch aus dem Geschäftsbericht ablesen.  Von 2001 bis 2003 hatten sich die Neueröffnungen von traditionellen Abercrombie & Fitch Stores von 64 auf 9 reduziert. Für das Jahr 2004 plante A&F laut Geschäftsbericht mit ca. 15 Neueröffnungen.

Abercrombie & Fitch Case Study - Store Openings

Ganz anders sah es hingegen bei Hollister aus. Wurden in 2001 noch 29 Hollister-Läden eröffnet, waren es in 2003 schon 79. Laut Plan sollten es in 2004 dann 85 Neueröffnungen werden. Mit Hollister würde A&F also noch für einige weitere Jahre auf Wachstumskurs bleiben können, vor allem auch, weil sich das Konzept analog American Eagle eher an die etwas preisbewussteren Kunden richtete und deshalb hinsichtlich der Anzahl an Locations nicht ganz so limitiert war.

In Summe hat Linda Greenblatt damals mit der Eröffnung von ca. 100 weiteren Stores für A&F und mit 500 weiteren Stores für Hollister innerhalb von ca. 5 Jahren gerechnet. Wenn wir auf die Entwicklung der echten Zahlen schauen, war diese Annahme im Nachhinein zwar etwas zu aggressiv, andererseits aber auch nicht zu weit von der Realität entfernt.

Was bedeutete die Annahme nun umsatzseitig? Stand 2003 erzielte A&F mit jedem Store im Durchschnitt ca. 2,5 Mio. USD an Umsatz (bzw. pro Square Foot ausgedrückt ca. 350 USD):

Abercrombie & Fitch Unit Economics

Unit Economics A&F auf der Umsatzseite; Quelle: Geschäftsberichte

Dabei hatte das Hollister-Konzept die Abercrombie-Läden was den Flächenumsatz angeht in 2003 bereits überholt (in 2003 erzielte Hollister 113% des flächenspezifischen Umsatzes von A&F, in 2002 waren es noch 86%).

Im Grunde genommen müsste also die Umsatzprognose je neu hinzukommender Verkaufsfläche durchgeführt werden (vor allem auch, weil die Hollister-Läden im Durchschnitt ca. 25% kleiner waren, als die A&F-Läden). Die Abweichung im Vergleich zu einem simplen Ansatz auf Basis der Ladenanzahl war aber relativ gering, jedenfalls im übergeordneten Zusammenhang betrachtet.

Es ging hier also grob um ein Wachstumspotenzial auf der Umsatzseite von ca. 1,5 Mrd. USD:

Umsatzwachstum 5 Jahre = # neue Stores x Umsatz je Store = ~500 x 2,5 Mio. USD = ~1,5 Mrd. USD

Überschlägige Bewertung

Die im Folgenden vorgestellte Bewertungslogik ist im Grunde genommen äquivalent zu derjenigen aus der Duff & Phelps Fallstudie. Allerdings kommt meiner Meinung nach bei A&F die separate Betrachtung von Gewinn- und Cash Flow-Entwicklung noch besser raus. Für die Bewertung des Investments schaute Linda Greenblatt nämlich auf zwei Dinge:

  1. Den Return, der sich aus der Entwicklung des Aktienkurses über die nächsten ca. 5 Jahre ergab (heruntergebrochen in die Entwicklung des Gewinns je Aktie bzw. EPS und die erwartete Aufweitung des P/E Multiples bzw. des KGV)
  2. Die Entwicklung des freien Cash Flow über den gleichen Zeitraum zur Abschätzung des Shareholder Returns in Form von zufließenden Dividenden, Aktienrückkäufen oder der Zunahme des Net Cash auf der Bilanz

Beschäftigen wir uns zunächst einmal mit dem Punkt 1, der Entwicklung von EPS und P/E Multiple.


1a. Ermittlung des EPS

Wenn man davon ausging, dass A&F seine operative Marge konstant bei ca. 20% halten könnte, dann würde das bis ca. 2008 einen zusätzlichen operativen Gewinn in Höhe von ca. 300 Mio. USD bedeuten.

Für die Überleitung zum Nettogewinn müssen wir nun wissen, dass A&F im Grunde keine expliziten Schulden auf der Bilanz hatte und dass der freie Cash Flow regelmäßig substantiell positiv war (operative Leasing-Verbindlichkeiten neben der Bilanz gab es allerdings schon… das war ja weit vor IFRS 16 bzw. der entsprechenden US GAAP Vorschrift).

Der Nettogewinn ergab sich also unmittelbar aus dem operativen Gewinn abzüglich der Steuerbelastung, damals von Linda Greenblatt konservativ zu 40% angenommen:

Zusätzlicher Nachsteuergewinn in ~5 Jahren = 1.500 Mrd. USD Umsatz x 20% operative Marge x (1 – 40% Steuern) = ~180 Mio. USD

Bei ca. 100 Mio. ausstehenden Aktien entsprach dieses zukünftige Wachstumspotenzial einem EPS von ca. 1,80 USD je Aktie.

Zusammengenommen mit dem aktuellen (normalisierten) Gewinn in Höhe von ca. 2,10 USD je Aktie ergab sich daraus ein mittelfristiges Gewinnpotenzial von ca. 3,90 USD je Aktie.


1b. Ermittlung des P/E Multiple

Zum Zeitpunkt der Bewertung lag der Aktienkurs bei ca. 26 USD je Aktie bzw. um das Nettofinanzguthaben (die Net Cash Position) bereinigt bei ca. 21 USD… wie gesagt hatte A&F ja keine Schulden auf der Bilanz, stattdessen allerdings ca. 520 Mio. USD an Cash (= ca. 5 USD je Aktie).

Das P/E Multiple Anfang / Mitte 2004 lag also ziemlich genau beim ca. 10-fachen Gewinn, wohingegen die allgemeine Bandbreite im Retail-Sektor eher beim ca. 15- bis 20-fachen Gewinn lag (ebenfalls Cash-adjustiert).

Ohne die noch folgende Betrachtung von Cash Flow und Bilanz ergab sich mit einem konservativem Multiple von 12 also schonmal ein zukünftiger Aktienkurs von ca. 47 USD je Aktie bzw. ca. 52 USD je Aktie inklusive des aktuellen Cash-Bestandes:

Möglicher Aktienkurs Jahr 5 = 3,9 USD je Aktie Gewinn x 12 + 5 USD je Aktie in Cash = 52 USD je Aktie

Ging man etwas aggressiver an die Bewertung heran und nahm z.B. den 20-fachen Gewinn als Obergrenze des Bewertungsrahmens, dann lag der prognostizierte Aktienkurs bereits bei knapp unter 80 USD je Aktie exkl. Cash.

Das ist allerdings noch nicht alles, denn A&F würde über den betrachteten 5-Jahres-Zeitraum auch noch substantielle Cash Flows erwirtschaften, die ggf. für die Anteilseigner zur Verfügung stehen würden.

Im nächsten Schritt schaute Linda Greenblatt sich also auch noch die Entwicklung der Cash Flows und der Bilanz an.


2. Cash Flow und Bilanzentwicklung

Um die Entwicklung des freien Cash Flow ableiten zu können, müssen wir im Vergleich zur eben vorgenommenen Bewertung auf Basis des Gewinns je Aktie noch einmal etwas tiefer in die Bilanz abtauchen (die Zusammenhänge können wir übrigens in Excel relativ leicht mithilfe der in meinem Post zur Prognose der wesentlichen Bilanzpositionen angegebenen Methodik ableiten).

Das zum in 2003 erzielten Nettogewinn je Aktie von 2,1 USD korrespondierende operative Ergebnis betrug ca. 340 Mio. USD.

Zuzüglich der Abschreibungen in Höhe von ca. 70 Mio. USD erwirtschaftete A&F also einen EBITDA von ca. 410 Mio. USD.

Die Investitionen in Wachstum (“Growth CapEx”) und Instandhaltung / Weiterentwicklung des bestehenden Geschäfts (“Maintenance CapEx”) hatte A&F mit ca. 110 bis 120 Mio. USD veranschlagt:

Abercrombie & Fitch CapEx-Plan 2004

Abercrombie & Fitch CapEx-Plan für 2004; Quelle: A&F Geschäftsbericht 2003

Dieser Wert resultierte allerdings nur zu ca. 55% aus Investitionen in neue Stores. Zu einem nicht unerheblichen Teil investierte das Unternehmen damals auch in ein neues Point-of-Sale System (POS) sowie den Aufbau von Distributionszentren.

Die zwei wesentlichsten Kennwerte aus der CapEx-Betrachtung:

  • Der Bau bzw. die Einrichtung eines neuen Stores (ohne die Erstausstattung mit den Produkten) kostete im Durchschnitt ca. 570.000 USD je Store
  • Das Remodeling bestehender Stores sowie die Investments auf “Corporate”-Ebene summierten sich auf ca. 70.000 USD je bestehendem Store (damals insgesamt knapp unter 700 Stück)

Darüber hinaus hatte des Geschäft inkl. der Berücksichtigung aller sonstigen Vermögenswerte und nicht-zinstragenden Verbindlichkeiten einen negativen Cash Conversion Cycle. Das bedeutete im Grunde genommen, dass durch die Eröffnung jedes weiteren Stores zusätzliche Barmittel freigesetzt werden würden. Vermutlich aus Vereinfachungsgründen hatte Linda Greenblatt diesen Working Capital Effekt mit Null angesetzt… im Excel ließe sich das aber natürlich ganz einfach auch numerisch abbilden.

Ausgehend von den ca. 410 Mio. USD EBITDA und einem Investitionsniveau von ca. 110 Mio. USD ergab sich ein freier Cash Flow nach Steuern von ca. 180 Mio. USD:

Freier Cash Flow nach Steuern = (410 Mio. USD EBITDA – 110 Mio. USD CapEx) – 120 Mio. USD Steuern laut P&L = ~180 Mio. USD

Über einen Zeitraum von ca. 5 Jahre summiert sich dieser Wert auf ca. 900 Mio. USD oder 9 USD je Aktie auf, wovon laut Plan ca. 2,5 USD je Aktie in Form einer Dividende an die Shareholder ausbezahlt werden würden (0,5 USD je Aktie und Jahr).

Für die Verwendung der restlichen ca. 6,5 USD je Aktie gab es nun zwei Möglichkeiten:

  • Erstens könnte A&F das Kapital dafür verwenden, um eigene Aktien zurückzukaufen
  • Zweitens könnte das Cash zunächst auch auf der Bilanz liegen bleiben und sich dort weiter aufbauen

Im letzteren Fall müsste man sich als Investor dann natürlich fragen, über welchen Weg er schlussendlich Zugang zu den Mitteln erhalten bzw. was schlussendlich damit passieren würde. Linda Greenblatt jedenfalls setzte das Cash in ihrem Bewertungsszenario zunächst mal voll an.

Kleine Zusatzinfo: Im hier dargestellten kumulierten freien Cash Flow ist das aus der Neueröffnung der Stores resultierende Cash Flow Wachstum noch nicht mit eingerechnet.


Finale Bewertung

Alle Bestandteile des mögliche Returns zusammen betrachtet ergaben ein aggregiertes Aufwärtspotenzial von aufgerundet ca. 250% bzw. 2,5x auf den damaligen Aktienkurs:

Abercrombie & Fitch High Level Valuation

Top-Down Valuation Abercrombie & Fitch

Nach der bekannten CAGR-Formel entsprach das einem durchschnittlichen Return (IRR) in Höhe von ca. 19% pro Jahr:

CAGR = (61 / 26)(1 / 5) – 1 = ~19% pro Jahr

Wie ihr an der Wasserfall-Grafik sehen könnt, kam der mit Abstand größte Teil des erwarteten Returns aus dem zukünftigen Gewinnwachstum, ein jeweils etwa gleich großer Teil aus der (moderaten) Aufweitung des P/E Multiples und dem Cash Aufbau auf der Bilanz inklusive Dividende.


Sicherheitsmarge

Die von Linda Greenblatt vorgestellte Bewertung von A&F war aus mehrerlei Hinsicht konservativ und beinhaltete sozusagen noch eine über die eigentliche Unterbewertung hinausgehende Sicherheitsmarge:

Erstens hatte A&F damals bereits ein weiteres Ladenkonzept in Planung, welches möglicherweise zusätzliche Umsätze und Gewinne generieren würde.

Zweitens war ein P/E Multiple (KGV) von 12 für ein Geschäft mit so einer erwarteten Wachstumstrajektorie recht konservativ (auch im Vergleich mit dem Bewertungsniveau der Wettbewerber).

Und schließlich drittens war die Abschätzung des über den betrachteten 5-Jahres-Zeitraum erwirtschafteten freien Cash Flows recht konservativ, weil sie kein zusätzliches Wachstum unterstellt, gleichzeitig aber den entsprechenden Wachstums-CapEx (~110 Mio. USD je Jahr) voll berücksichtigt. Würden wir z.B. unterstellen, dass A&F die Investments nach 5 Jahren auf den Maintenance CapEx reduziert und nur noch in die Aufrechterhaltung des bestehenden Geschäfts investiert, dann wären Cash Flow (unmittelbar) und Gewinn (mittelfristig) sogar nochmal substantiell höher.


Geplanter versus realer IRR

Linda Greenblatt ging für A&F von einem IRR von im Durchschnitt (!) ca. 19% pro Jahr aus.

Allerdings entwickeln sich die Aktienkurse in der Realität natürlich meist nicht wirklich gleichförmig zur Gewinnentwicklung.

Dieser Umstand könnte z.B. dafür sorgen, dass der Kurs kurzfristig um 65% nach oben geht, was dann das zukünftige Returnpotenzial (d.h. über die verbleibenden ca. 4 Jahre) auf unter 10% begrenzen würde.

At some point people (the market) wakes up and the stock goes up a lot more than 19% per year. The price does not go up in a steady manner. – Joel Greenblatt

Als Investor muss man sich dann überlegen, ob man bereits aussteigt, oder aber die Aktie noch weiter hält.

In diesem Fall verkaufte Linda Greenblatt die A&F-Aktie tatsächlich bereits innerhalb des Jahres 2005 zu einem Kurs von knapp unter 50 USD, weil damit der verbliebene Returnpotenzial ihren langfristigen Zielwert unterschritten hatte. Darüber hinaus lag der Return bezogen über den tatsächlichen Zeitraum des Investments mit ~65% natürlich substantiell oberhalb dieses Zielwerts. Gleichzeitig stand das Kapital unmittelbar für neue Investments zur Verfügung.


Key Take Aways

Der Retail-Sektor ist tendenziell recht volatil, u.a. weil die monatliche Veröffentlichung wesentlicher KPIs (z.B. der Same Store Sales) einen substantiellen Einfluss auf die Aktienkurse hat.

Ihrer langen Tradition folgend, bewertet die Wall Street die Unternehmen in der Regel anhand der eher kurzfristigen Gewinnaussichten (immer das nächste Quartalsergebnis im Blick) und vernachlässigt die langfristige Perspektive… was Investitionsgelegenheiten für aufmerksame Investoren eröffnen kann.

Im Falle von Abercrombie & Fitch in 2004 hatten sich sowohl Analysten als auch Börsenpresse zu stark auf die negative Entwicklung der Same Store Sales fokussiert und das immense Wachstumspotenzial des damals ganz neuen Hollister-Konzepts völlig außer Acht gelassen.

Selbst bei konservativer Betrachtung ergab sich aus der erwarteten Gewinnentwicklung sowie einer moderaten Aufweitung des Gewinn-Multiples ca. eine Verdopplung des Aktienkurses (von ~26 auf  ~52 USD je Aktie).

Dazu kam der positive freie Cash Flow in Höhe von ca. 9 USD je Aktie kumuliert über 5 Jahre, der z.B. für Dividendenausschüttungen oder auch für Aktienrückkäufe hätte verwendet werden können.

Alles in allem ergab sich ein erwarteter CAGR bzw. IRR in Höhe von ca. 19% pro Jahr sowie eine weitere Sicherheitsmarge aus der sehr konservativ angesetzten Multiple- und Cash Flow-Entwicklung.


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