“Bottom-up” versus “Top-down”: Learnings aus meiner Berater-Zeit bei McKinsey

Top-down und Bottom-up Thinking

Inhalt

Durch meinen Artikel zu den wesentlichen Learnings aus den Werken von Aswath Damodaran bin ich wieder auf das Thema Top-down- versus Bottom-up Thinking (bzw. Number Crunchers versus Storytellers) gestoßen… bzw. ich habe mich daran erinnert, wie ich mich über die Zeit mehr oder weniger von einem “Number Cruncher” bzw. einer sehr stark Bottom-up denkenden und auf Detailzahlen fokussierten Person, hin zu einer relativ stark auf Basis von Hypothesen denkenden Person (Top-down-Ansatz) entwickelt habe. Und daran, wie hilfreich es grundsätzlich ist, wenn man beide Perspektiven einnehmen kann (im Investing-Kontext würde man sagen die Zahlenperspektive sowie die Perspektive der Equity Story).

Tatsächlich zieht sich das Thema bereits durch meine gesamtes Berufsleben… angefangen im Jahr 2005 bei McKinsey in Düsseldorf.

McKinsey ist grundsätzlich eine Organisation, in der sehr viel Wert auf das Aufstellen von Hypothesen gelegt wird, die dann anschließend entweder bestätigt oder widerlegt werden (so jedenfalls in der Theorie). Quasi zu Beginn jedes Projekts – nach der Definition des zu lösenden Problems – wird die wahrscheinlichste Lösung in Form einer Hypothese beschrieben (in Aswath Damodaran’s Sprech wäre das denke ich sehr nah dran am so genannten “Narrativ” bzw. zder “(Equity) Story”).

McKinsey nutzt als Hilfsmittel zur Persönlichkeitsentwicklung außerdem den so genannten MBTI-Test (den Myers-Briggs Type Indicator), wobei die Ergebnisse in einer der vier Kategorien tatsächlich einen Aufschluss darüber geben, ob man eher Bottom-up oder doch eher Top-down an die Lösung von Problemstellungen herangeht. Im Laufe einer McKinsey-Karriere macht man den Test gleich mehrere Male. Interessanterweise kann man an den Ergebnissen recht deutlich eine Entwicklung von den Extremen hin zu einer ausgewogenen Persönlichkeit festmachen (alles natürlich nur meine subjektive Wahrnehmung – andere haben da vielleicht eine ganz andere Einschätzung).

Aber ich greife vermutlich schon etwas zu weit vor. Zunächst wäre es doch vielleicht hilfreich, die Begrifflichkeiten Top-down und Bottom-up Thinking einmal etwas genauer zu umreißen bzw. zu definieren. Das Gleiche gilt für den MBTI-Test.


Intro: Bottom-up Thinking und Top-down Thinking im Vergleich

Wenn es darum geht, komplexe Systeme zu analysieren und zu verstehen, gibt es zwei fundamentale Denkansätze: Bottom-up Thinking und Top-down Thinking. Beide Methoden können grundsätzlich wertvolle Einsichten liefern, unterscheiden sich jedoch grundlegend in ihrer Herangehensweise.

Top-down Thinking (auch bekannt als deduktives Denken) beginnt mit einer systemischen Perspektive und nutzt bestehende Daten, um Hypothesen abzuleiten. Bottom-Up Thinking (induktives Denken) hingegen startet bei konkreten Beobachtungen der Realität und extrapoliert daraus die größeren Zusammenhänge:

  • Top-down Thinking: Analysiert übergeordnete Datensätze und erstellt Hypothesen, um die Realität zu verstehen
  • Bottom-up Thinking: Beobachtet konkrete Details und nutzt sie als Basis, um die Gesamtperspektive zu erfassen

Beide Denkweisen bringen natürlich gewisse Vorteile mit sich. Und vermutlich wird jeder die Vorteile eher auf der Seite desjenigen Denkansatzes sehen, dem er oder sie sich persönlich am nächsten fühlt. Am besten funktionieren Bottom-up und Top-down Thinking jedoch in Kombination (wie Aswath Damodaran richtig erkannt hat, gilt das auch und insbesondere fürs Investieren).


Top-down Thinking: Arbeiten mit Hypothesen

Wie gesagt: Top-down Thinking beginnt mit der Formulierung einer Hypothese und untersucht dann, ob die vorliegenden Daten diese Annahme stützen bzw. hinterlegt sie mit konkreten Detailinformationen.

Hier ein Beispiel aus meiner Praxiserfahrung als Berater im Bereich der Restrukturierung: Wenn ein Unternehmen Kosten einsparen muss, dann könnte man z.B. eine Wettbewerbsanalyse durchführen und die so genannte Kostenlücke darauf basierend ableiten. Wenn also ein Wettbewerber (im gleichen Umfeld bzw. in der gleichen Region) ein Produkt mit 15% geringeren Stückkosten herstellen kann, dann könnte man “top-down” ein Einsparziel i.H.v. 15% festlegen und jeden BU- / Bereichsleiter dazu auffordern, sein Budget um 15% zu reduzieren.

Die Erarbeitung der entsprechenden Maßnahmen liegt dann in der Verantwortung des Management-Teams auf den Ebenen 2 und 3.

Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand: Die Ableitung des Ziels ist relativ leicht umsetzbar und kann auch gut verständlich und klar kommuniziert werden.

Auf der anderen Seite sind die Ergebnisse aber auch leicht angreifbar, insbesondere wenn die Vergleichbarkeit und damit die Qualität der Daten in Zweifel gezogen werden kann.

Per Definition kann die Analyse nämlich nur auf einer relativ hohen “Flughöhe” durchgeführt werden. Zum einen stehen beispielsweise produkt-spezifische Daten in der Regel nicht zur Verfügung, weshalb sich die Analyse an der Granularität der vorhandenen Jahresabschlüsse orientieren muss. Zum anderen weicht das Geschäftsmodell der für den Vergleich herangezogenen Wettbewerber vielleicht an der ein oder anderen Stelle vom Geschäftsmodell des betrachteten Unternehmens ab (z.B. besitzt der Wettbewerber eine höhere Wertschöpfungstiefe zum Kunden hin).

Gerade wenn es auch um das Einsparen von Kosten auf der Personalseite geht (was wir ja gerade an vielen Stellen beobachten), ist die Unterstützung der Arbeitnehmerseite bzw. der Mitbestimmung essentiell und ggf. direkt an die Akzeptanz der abgeleiteten Einsparungsziele gekoppelt.


Bottom-up Thinking: Beobachtung als Grundlage

Um einmal beim obigen Beispiel zu bleiben: Eine Alternative zur Top-down Abschätzung der Kostenlücke z.B. auf Basis von Wettbewerbsdaten besteht – Überraschung – in der Bottom-up Ableitung.

In diesem Fall werden die BU- / Bereichsleiter zunächst nach dem Kostensenkungspotenzial bzw. nach konkreten Kostensenkungsmaßnahmen in ihrem Bereich befragt. Anschließend werden alle Potenziale zu einem Gesamtwert zusammengezählt und durch den Vorstand nach mehreren Durchsprachen nochmal nachgeschärft und verabschiedet.

Der Vorteil dieses Ansatzes im Rahmen einer Restrukturierung liegt darin, dass die zuständigen Bereichsleiter die abgeleiteten Zahlenwerte i.d.R. leicht akzeptieren können (weil diese ja ursprünglich von ihnen selbst ermittelt wurden). Dem entsprechend sind Botton-up ermittelte Einsparziele der Belegschaft typischerweise leichter zu vermitteln.

Nachteilig bei diesem Ansatz (und in diesem Kontext) ist allerdings, dass die Ziele nicht unbedingt anspruchsvoll sein müssen und aufgrund dessen auch nicht jeder Bereich gleichförmig in die Verantwortung genommen wird. Diejenigen, die ambitioniertere Ziele festlegen, werden später natürlich auch an diesen gemessen… dem entsprechend gibt es sozusagen einen natürlichen Reflex zum Tiefstapeln. Darüber hinaus ist die Bottom-up Erhebung von Einsparzielen natürlich eine etwas langwierigere Sache (und das typischerweise in einer Situation, in der man keine Zeit zu verlieren hat).


Top-down Thinking und Bottom-up Thinking beim Investieren

In einem großen Restrukturierungsprojekt wird die Vorgehensweise natürlich übergeordnet festgelegt. Das heißt mit anderen Worten: Der Projektleiter und die Projektmitarbeiter werden quasi per Definition dem festgelegten Ansatz folgen müssen. Aus diesem Grund spielt die persönliche Präferenz (also ob wir lieber Top-down oder Bottom-up an die Lösung von Aufgabenstellungen herangehen) hier für das große Ganze nur eine untergeordnete Rolle.

Ganz anders ist es beim privaten Investieren, wo wir uns im Grunde genommen selbst optimieren und für uns selbst den besten Ansatz definieren bzw. festlegen müssen.


Typische Unterscheidung zwischen Top-down und Bottom-up Investing

Wer einmal nach den entsprechenden Begrifflichkeiten googelt, wird zwangsläufig auf die folgende, typische Unterscheidung zwischen Top-down und Bottom-up Investing stoßen:

  • Top-down Investing bezieht sich auf die makro-ökonomische Ebene (d.h. die Analyse von Wirtschaftswachstum, Inflationsraten, Zinsentwicklungen etc.) und die Analyse des Konjunkturzyklus. D.h. laut dieser Definition ist das Top-down Investing von der konkreten Unternehmensanalyse größtenteils unabhängig. Investitionsmittel werden also je nach Wirtschaftslage z.B. auf Verbrauchsgüter (“Consumer Staples”) oder zyklische Konsumgüter (“Consumer Discretionary”) allokiert
  • Bottom-up Investing konzentriert sich auf die Analyse spezifischer Merkmale und Attribute (“Fundamentaldaten”) einzelner Unternehmen. Die Analyse zielt darauf ab, attraktive Investitionsgelegenheiten auf Basis der Eigenheiten eines Unternehmens sowie seiner Bewertung im Vergleich zum Markt zu identifizieren. In vielen Fällen sind Bottom-up Investoren Buy-and-Hold-Investoren, die versuchen, ein tiefes Verständnis für die Fundamentaldaten eines Unternehmens zu entwickeln

Zu den üblichen von Top-down Investoren in Betracht gezogenen Faktoren gehören also:

  • Die (nationale) Wirtschafts- und Geldpolitik: Faktoren wie Steuersätze, Regulierung und Leitzinsen, die sich auf jedes Unternehmen in einem Land auswirken
  • Das Wirtschaftswachstum (BIP-Entwicklung) und die Entwicklung der Inflation
  • Die Entwicklung einzelner Sektoren bzw. Branchen (Real Estate, Verbrauchsgüter, Konsumgüter, Tech, Energie, Industrials etc.)

Investiert wird Top-down beispielsweise mithilfe einer Über- bzw. Untergewichtung einzelner Sektoren im Vergleich zu einem relevanten Vergleichsindex (S&P 500, DAX etc.).

Bottom-up-Investoren berücksichtigen im Allgemeinen u.a. die folgenden Faktoren für ihre Analyse:

Bottom-up Investoren suchen nach konkreten Unternehmen, von denen sie glauben, dass sich die zugehörigen Aktien gut entwickeln werden. Diese Investoren wollen i.d.R. nicht in konkrete Sektoren investieren, sondern in konkrete Unternehmen.


Top-down und Bottom-up Herangehensweise bei der Unternehmensanalyse

Abgesehen von der typischen Einteilung in Top-down und Bottom-up Investing denke ich, dass es auch bei der Analyse spezifischer Unternehmen zwei verschiedene Herangehensweisen gibt. Vielleicht sind die besten Begrifflichkeiten Top-down und Bottom-up Thinking hier nicht 100%ig passend und ich sollte zur Unterscheidung eher die Begrifflichkeiten von Aswath Damodaran verwenden (“Number Crunchers” und “Storytellers”)… aber anyway…

Auf Basis meiner bisherigen Erfahrung kann ich für mich persönlich jedenfalls folgendes festhalten: Als jemand, der von der Persönlichkeit her eher Bottom-up an die Unternehmensanalyse herangehen möchte, habe ich eine Tendenz dazu, mich bereits ganz zu Beginn meiner Analyse in finanztechnischen Details zu verlieren (und daraus ein sehr detailliertes – vielleicht sogar zu detailliertes – Finanzmodell zu erstellen).

Heißt für mich: Ich muss mir zu Beginn einer jeden Analyse immer erstmal meine eigene Equity Story des Unternehmens bzw. die 3-5 übergeordneten Themen / Werttreiber vor Augen führen bzw. sichergehen, dass ich meine Analyse bzw. meinen Forecast der Finanzkennzahlen auf die wesentlichen Punkte fokussieren kann.

Nichts desto trotz hat mir meine Bottom-up Herangehensweise schon oft dabei geholfen, das Geschäftsmodell bzw. die Unit Economics eines Unternehmens besser zu verstehen (aus den Jahresabschlüssen lässt sich diesbezüglich nämlich einiges herauslesen, wenn man die Geduld dafür mitbringt).

Mein Fazit daraus: Investoren, die beide Ansätze kombinieren und dies zu ihrem Vorteil nutzen können, werden langfristig vermutlich erfolgreicher sein, weil sie sich von ihrer natürlichen Präferenz lösen und so sowohl die Makro- als auch die Mikroperspektive umfassend berücksichtigen können.

Persönliche Ebene: Bottom-up Thinking und Top-down Thinking im MBTI-Test

Ihr fragt euch vielleicht, wie ihr es schaffen könnt, als Menschen mit einem Faible für Details und Zahlen eine Top-down Perspektive einzunehmen… bzw. ob das überhaupt geht.

Tatsächlich ist es gar nicht so schwer, sich die jeweils andere Sichtweise über die Zeit anzutrainieren (wobei es für einen Bottom-up Thinker wahrscheinlich einfacher ist, eine Top-down Perspektive einzunehmen, als umgekehrt).

Für mich selbst lässt sich diese Entwicklung relativ gut über den so genannten MBTI-Test dokumentieren.

Der MBTI-Test (Myers-Briggs Type Indicator) ist ein Instrument, das Persönlichkeitstypen klassifiziert und in führenden Unternehmensberatungen wie McKinsey oder BCG regelmäßig zur Anwendung kommt. Besonders wichtig im Kontext dieses Artikels ist dabei der so genannte Aufmerksamkeits-Indikator (die “Attention Preference”), weil er eng mit dem Bottom-up und dem Top-down Ansatz verknüpft ist. Im Extrem kann der Test für eine Person in dieser Hinsicht die folgenden zwei Präferenzen aufzeigen:

  • „Sensors“ (S): Neigen dazu, konkrete Beobachtungen und Details zu priorisieren – das sind diejenigen, die tendenziell Bottom-up an eine Fragestellung herangehen
  • „Intuitives“ (N): Arbeiten eher mit Hypothesen und systemischen Zusammenhängen, also Top-down

Noch etwas detaillierter: Der Aufmerksamkeitsindikator beschreibt die Verarbeitung der Sinneseindrücke bzw. die Art und Weise, wie wir Informationen aufnehmen.

Der intuitive Geist (also der Top-down Denker) verlässt sich stärker auf seinen sechsten Sinn, also auf die Interpretation und den Gesamtzusammenhang (das “Big Picture”). Er achtet eher auf das Ganze als auf dessen Teile und ist eher zukunfts- und möglichkeitsorientiert. Er steht außerdem mit Kreativität in Verbindung in Form einer besseren Fähigkeit zu divergentem Denken.

Der sensorische Geist (also der Bottom-up Denker) gewichtet die „Rohdaten“ bzw. unmittelbaren Eindrücke am höchsten. Er ist detailorientiert und exakt im Verarbeiten von konkreter Information sowie im Begreifen des Hier und Jetzt.

Es wird davon ausgegangen, dass Sensoriker (Bottom-up Denker) etwa zwei Drittel bis drei Viertel der gesamten Bevölkerung ausmachen. Ich habe den MBTI-Test über einen Zeitraum von mehreren Jahren glaub ich insgesamt viermal absolviert. Zu Beginn war meine Präferenz noch sehr klar auf der Bottom-up Seite angesiedelt (S-Klassifizierung), beim letzten Mal lag ich sogar leicht auf der Top-down Seite (N-Klassifizierung).

Auf Basis meiner eigenen Erfahrungen kann ich euch sehr empfehlen, den MBTI-Test (oder einen ähnlichen Test) einmal zu absolvieren. Ihr bekommt zwar keine unfehlbare Analyse eurer eigenen Persönlichkeit (ich denke das ist auch nicht der Sinn und Zweck des Tests), wohl aber ein paar gute Impulse im Hinblick auf eure Präferenzen und typischen Handlungsimpulse.

Mein wesentliches Take Away hier: Beide Denkansätze können (und sollten auch) bewusst trainiert werden, da ihre Kombination insbesondere für strategische Anlageentscheidungen eine wichtige Rolle spielt

Weitere Ressourcen

Aswath Damodaran – Narrative and Numbers: The Value of Stories in Business

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