In meinem Artikel zur Sinnhaftigkeit von Aktienrückkaufprogrammen hatte ich festgestellt, dass ein Aktienrückkauf nur wertgenerierend auf die Anteile der verbleibenden Investoren wirkt, wenn der Rückkaufkurs unterhalb des fairen Wertes je Aktie liegt. Isoliert betrachtet ist eine solche Entscheidung einfach zu fällen.
Wie allerdings kann ein Management-Team oder ein Investor einen Aktienrückkauf gegen eine vorhandene organische Wachstumsoption abwägen? Wann sollte besser in weiteres Wachstum investiert und wann besser der Aktienrückkauf vorgenommen werden?
In diesem Artikel möchte ich genau dieser Frage einmal nachgehen.
Wann Aktienrückkaufe mit Reinvestitionen konkurrieren
Es gibt mehrere Situationen, in denen eine Unterbewertung der Aktie eine hinreichende Bedingung für das Durchführen von Aktienrückkäufen darstellt, also ein Rückkauf allein auf Basis dieser Tatsache durchgeführt werden kann und sollte:
- das Unternehmen hat überschüssige Barmittel und kann diese für den Rückkauf verwenden
- das Unternehmen hat seine Verschuldungskapazität bzw. Schuldentragfähigkeit noch nicht ausgenutzt… es kann sich also noch mehr Schulden “leisten”
- dem Unternehmen stehen keine alternativen und attraktiven Wachstumsoptionen (sei es organisch oder durch Akquisitionen) mehr zur Verfügung, sodass nur Rückkäufe, Dividenden oder “Cash horten” als Verwendungsmöglichkeiten für den operativen Cash Flow in Frage kommen
In den ersten beiden Fällen kann der Aktienrückkauf mittels vorhandener Barreserven (sofern das Unternehmen einfach darauf zugreifen kann, siehe Beispiel Apple) oder aber durch die Aufnahme neuer Schulden erfolgen, ohne dass Einfluss auf die ggf. geplanten Wachstumsinvestitionen genommen werden muss.
Im dritten Fall können Aktienrückkäufe (und auch Dividenden) aus dem operativen Cash Flow heraus finanziert werden.
Im vierten Fall – nämlich wenn weder überschüssigen Barmittel noch freie Verschuldungskapazität vorhanden sind und gleichzeitig attraktive Wachstumsoptionen zur Verfügung stehen – kann ein Aktienrückkauf nur durchgeführt werden, wenn gleichzeitig möglicherweise wertgenerierende Investitionen verschoben oder komplett gestoppt werden.
Erwarteter Return aus einem Aktienrückkauf
Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist also recht einfach: Ab welchem Punkt – wenn überhaupt – sollte ein Management die Investitionen zurückfahren und die dadurch frei werdenden Mittel stattdessen für den Rückkauf eigener (und unterbewerteter) Aktien verwenden?
Hier auch gleich die Antwort: In der gerade beschriebenen Situation sollte das Management einen Aktienrückkauf genau dann durchführen, wenn der Return für die Aktionäre durch den Rückkauf größer ist als der erwartete Return der verfügbaren Wachstumsprojekte.
Soweit so gut. Aber wie lässt sich das Ganze ganz konkret quantifizieren und bewerten?
Da der Return aus einem Aktienrückkauf sich proportional zur Höhe der Unterbewertung verhalten sollte, können wir den Return aus einem Aktienrückkauf einfach mithilfe der folgenden Formel ermitteln:
Return aus Aktienrückkäufen = Erforderliche Rendite der Aktionäre / (1 – Unterbewertung in %)
Die erforderliche Rendite der Aktionäre entspricht genau den Eigenkapitalkosten, auf deren Basis der faire Wert der Aktie (dieser wird ja benötigt, um die prozentuale Unterbewertung zu ermitteln) bestimmt wurde.
Liegen die Eigenkapitalkosten also beispielsweise bei 10% und die Aktie notiert ca. 20% unter ihrem aktuellen intrinsischen Wert, dann erzielt der einzelne Aktionär mit dem Aktienrückkauf einen Return von 12,5% (= 10% / 80%)
Diesen Return können wir nun verwenden, um die erforderliche Mindestrendite einer Investition ins operative Business festzulegen. Im Folgenden möchte ich das Ganze einmal anhand eines fiktiven Beispiels illustrieren. Mehr Details dazu könnt ihr in Creating Shareholder Value von Alfred Rappaport nachlesen (ein Buch, das ich jedem angehenden Investor und auch Manager sehr ans Herz legen möchte).
Beispiel: Aktienrückkauf versus Investment ins Kerngeschäft
Ein Unternehmen erwirtschaftet einen normalisierten und nachhaltig erzielbaren freien Cash Flow von 10 Mio. EUR. Der (Eigen)kapitalkostensatz, also die Returnvorstellung der Gesamtheit der Aktionäre, liegt bei 10%. Hieraus lässt sich ein aktueller intrinsischer Wert (vor Reinvestitionen) von 100 Mio. EUR ableiten:
Intrinsischer Wert vor Reinvestments = Freier Cash Flow / Eigenkapitalkosten = 10 / 10% = 100 Mio. EUR
Der hier ermittelte intrinsische Wert ist in etwa mit Warren Buffett’s Owner Earnings vergleichbar, repräsentiert also einen Wert ohne die Berücksichtigung zukünftiger Wachstumsoptionen.
Der aktuelle Marktpreis liegt ca. 30% unterhalb des soeben ermittelten intrinsischen Wertes. Bei einer 30%igen Unterbewertung und einem Kapitalkostensatz von 10% würde ein Aktionär durch einen Aktienrückkauf einen Return von 14,3% erzielen:
Return aus Aktienrückkäufen = Erforderliche Rendite der Aktionäre / (1 – Unterbewertung in %) = 10% / 70% = 14,3%
Dies sollte dem entsprechend das Anspruchsniveau an jede interne Investitionsmöglichkeit definieren. Eine Möglichkeit wäre z.B. ein Investment von 50 Mio. EUR in ein neues Wachstumsprojekt, z.B. eine neue Produktionsanlage, welches den nachhaltigen Cash Flow um ca. 7,14 Mio. EUR auf dann insgesamt 17,14 Mio. EUR erhöhen würde.
Wie ihr der folgenden Tabelle entnehmen könnt, sind Investment und Aktienrückkauf in dieser Konstellation genau äquivalent und generieren einen Shareholder Value in Höhe von 1,12 EUR je Aktie.
In der Realität hat ein Unternehmen typischerweise eine Vielzahl an CapEx-Projekten in der Pipeline. Viele davon werden einen erwarteten Return nur knapp oberhalb der Kapitalkosten erzielen. Im dargestellten Beispiel sollten Projekte mit einem erwarteten Return zwischen ca. 10 und 14% – also zwischen den Kapitalkosten und dem erzielbaren Return aus dem Aktienrückkauf – als erstes zur Disposition gestellt werden.
Fazit
Wenn ein Aktienrückkauf mit anderen internen Investitionsgelegenheiten um Mittel konkurrieren muss, dann sollten das Management im Vorfeld der Entscheidung genau prüfen, ob mit den internen CapEx-Projekten eine vergleichbare Rendite wie mit einem Aktienrückkauf erzielt werden kann. Dies setzt natürlich voraus, dass das Management eine recht genaue Vorstellung vom intrinsischen Wert des Unternehmens hat.
Weitere Ressourcen
Einen wirklich guten Überblick über die verschiedenen Werthebel und auch die Abwägung der verschiedenen Optionen liefert das Buch Creating Shareholder Value von Alfred Rappaport.
1 Kommentar zu „Aktienrückkauf versus Reinvestition ins eigene Geschäft“
Du hast völlig recht. Das Kernproblem ist nur leider oft die Anwendung in der Praxis. Hier ist Management gerade in den guten Zeiten in die eigenen Aktien “verliebt”. In der Folge bekommt man die Zahlen immer irgendwie so hin, dass die Aktie unterbewertet erscheint (erst recht, wenn es dann noch entsprechende Verdienstanreize über Aktienoptionen gibt).