Der Begriff Second Level Thinking wurde von Howard Marks, dem Gründer von Oaktree Capital, geprägt. In seinem Buch “Der Finanzcode” bzw. “The most Important Thing” widmet er dem Thema direkt das gesamte erste Kapitel. In der deutschsprachigen Fassung wird “Second Level Thinking” übrigens als “Auf dem zweiten Niveau denken” übersetzt. Ihr versteht also, warum ich hier lieber beim englischen Original bleibe.
Aus meiner Sicht gibt es drei Arten von Wettbewerbsvorteilen, die wir als Investoren haben können, um überdurchschnittliche Resultate zu erzielen. Wir können (1) einen Informationsvorsprung haben, wir können (2) überragende analytische Fähigkeiten haben und wir können (3) einen so genannten Verhaltensvorteil haben.
Wenn ihr mich fragt ist es heutzutage fast unmöglich einen Informationsvorsprung zu haben (es sei denn es handelt sich um Insider-Wissen, welches wir aus ethischen Gesichtspunkten natürlich nicht verwenden dürfen). Heute hat über das Internet i.W. jeder Zugang zu allen öffentlich zugänglichen Daten.
Bleiben also analytische Fähigkeiten und Verhalten. Und genau um diese zwei Fähigkeiten geht es eigentlich beim Thema Second Level Thinking.
Was du in diesem Artikel lernst
- Warum wir unkonventionell denken müssen, um als Investoren erfolgreich zu sein
- Was Howard Marks unter Second Level Thinking versteht
- Warum viele trotzdem beim First Level Thinking bleiben
- Wie wir Second Level Thinking lernen und welche Fragen wir uns dazu stellen können
Was ist Second Level Thinking?
Um zu verstehen, was Second Level Thinking bedeutet, macht es glaub ich Sinn, zunächst mal das konventionelle Denken (First Level Thinking) anzuschauen bzw. die Unterschiede zwischen Second Level und First Level Thinking einmal herauszustellen.
Zur Illustration bringt Howard Marks ein paar gute Beispiele (an der ein oder anderen Stelle habe ich noch ergänzt):
First Level Thinking:
- “Es handelt sich um ein tolles Unternehmen. Wir sollten die Aktie kaufen!”
- “Alle prognostizieren niedriges Wachstum und zunehmende Inflation. Wir sollten unsere Aktien verkaufen.”
- “Ich glaube, dass die Gewinne der Firma zurückgehen werden. Deshalb verkaufe ich die Aktie.”
- “Indien ist ein Wachstumsmarkt. Wir sollten dort investieren (egal in was).”
Second Level Thinking:
- “Es handelt sich um ein ganz gutes Unternehmen, aber alle denken es ist ein großartiges Unternehmen. Deshalb ist der Aktienkurs zu hoch und wir sollten verkaufen.”
- “Die Prognosen sind nicht toll. Weil aber gerade jeder in Panik verkauft, sollten wir jetzt zuschlagen!”
- “Ich glaube die Gewinne der Firma werden nicht so stark zurückgehen wie erwartet. Die positive Überraschung wird den Aktienkurs später steigen lassen. Deshalb kaufe ich die Aktie.”
First Level Thinking vereinfacht also viel stärker und geht nicht so sehr in die Tiefe. Menschen, die direkt den Sprung von der ersten Information hin zur Schlussfolgerung machen, denken typischerweise in der gleichen Art und Weise über die Dinge nach wie alle anderen. Deshalb kommen sie auch zu den gleichen Schlussfolgerungen und können mit diesem vereinfachenden Ansatz keine überdurchschnittlichen Renditen erzielen.
All investors can’t beat the market, since, collectively, they are the market. – Howard Marks
Warum viele beim First Level Thinking bleiben
Die meisten Investoren bleiben auf der ersten Ebene des Denkens und suchen nach schnellen und einfachen Antworten. So ist die menschliche Psyche gestrickt. U.a. aus diesem Grund beschäftigen sich so viele Investoren, aber auch Wissenschaftler damit, die EINE Kennzahl zu finden, die uns ganz einfach und schnell sagt, ob wir investieren sollen oder nicht (aus meiner Sicht gibt es allerdings diese eine Kennzahl natürlich nicht).
I hear first level thinking from individual investors all the time. You read the headlines or watch CNBC and then adopt conventional first-level investment opinions. – Joel Greenblatt
Es gibt aber darüber hinaus ein paar andere Gründe, warum viele Investoren sich nicht auf die zweite Ebene begeben.
Erstens ist der Zeitaufwand im Vergleich enorm hoch. Zweitens gibt es viele Marktteilnehmer, die uns suggerieren, dass Investieren ganz simpel ist und noch dazu nur einen geringen Zeitaufwand bedeutet (Mein Ansatz: Der Zeitaufwand ist zwar hoch, kann aber mit den richtigen Tools und der richtigen Strategie entsprechend reduziert werden).
Hier eine Auswahl:
- Broker, die sagen, dass jeder ganz einfach für 10 EUR je Trade investieren kann (was ja erstmal auch stimmt)
- Manager von Fonds mit 50 und mehr Aktien im Depot, die uns suggerieren, dass sie (und nicht wir) diese Fähigkeiten haben
- Akademiker oder andere Experten, die Investieren lehren und dabei stark vereinfachen (z.B. “Value Investing ist gleich Aktien unter Buchwert kaufen”)
- Praktiker bzw. Investoren, die ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen (z.B. indem sie die eigenen schlechten Jahre einfach ausblenden)
- die Börsenpresse, die regelmäßig Themen behandelt, die wesentliche Bestandteile einer gescheiten Invest-Analyse auslassen (“Warum wir jetzt in folgende 5 nachhaltige Aktien investieren sollten”)
- diejenigen, die die Komplexität der Materie einfach nicht verstehen oder sich gut verkaufen wollen
Mehr von Howard Marks zum Thema Value Investing
Second-Level Thinking kann man lernen
Um also tatsächlich überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen, müssen wir laut Howard Marks sowohl eine korrekte Vorhersage unabhängig von der Consensus-Prognose machen (was für sich genommen schon schwierig ist) und gleichzeitig auch die Fähigkeit haben, darauf basierend zu handeln (noch um einiges schwieriger).
In seinem Buch hat Howard Marks diesen Sachverhalt folgendermaßen dargestellt:
Quelle: The most Important Thing Illuminated von Howard Marks
Wenn wir überdurchschnittliche Resultate (heißt Renditen) erzielen möchten (obere rechte Ecke der Grafik), dann müssen wir einerseits unkonventionelle Prognosen machen und gleichzeitig überdurchschnittlich oft richtig liegen.
Überdurchschnittlich oft heißt hier vielleicht in 2 von 3 Fällen. Selbst die erfolgreichsten Investoren haben ja keine bessere Erfolgsquote.
Wir können also nicht die gleichen Dinge tun wie alle anderen im Markt und erwarten, dass wir im Durchschnitt besser abschneiden. Wir brauchen andere Ideen und müssen diese außerdem anders verarbeiten, als die anderen Marktteilnehmer.
Fragen, die wir uns stellen sollten
Wie wir aber nun dahin kommen, dafür gibt es wie immer keine genaue Anleitung. Howard Marks schlägt vor, die folgenden Fragen als Orientierungshilfe zu nutzen:
- Welches sind die 2 bis 3 wahrscheinlichsten Zukunftsszenarien?
- An welches Szenario glauben wir persönlich?
- Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir richtig liegen?
- An welches Szenario glaubt die Mehrheit (Was ist die Consensus-Prognose?)?
- Wie unterscheiden sich unsere Erwartungen vom Consensus?
- Wie verhält sich der aktuelle Aktienkurs im Vergleich zu unseren und den Consensus-Erwartungen?
- Sind die Erwartungen, die in den Aktienkurs eingepreist sind zu optimistisch oder zu pessimistisch?
- Was wird mit dem Aktienkurs passieren, wenn sich die Meinung der Analysten / des Marktes bewahrheiten sollte bzw. wenn sich unsere Meinung bewahrheiten sollte?
Wir könnten diese Fragen z.B. in unsere Investment-Checkliste integrieren, sodass wir uns die Fragen standardmäßig bei jedem geplanten Investment einmal stellen müssen. Nach einiger Zeit sollten uns die Art zu Denken dann (hoffentlich) in Fleisch und Blut übergegangen sein.
Falls ihr weitere Vorschläge habt, wie wir Second Level Thinking lernen können: Let me know!
5 Kommentare zu „Second Level Thinking oder Wie wir den Markt schlagen“
Schöner Artikel, der eines der wichtigsten Konzepte von Howard Marks sehr gut zusammenfasst. Mir hat sein Buch auch sehr gut gefallen. Vor allem von seine Art der Risikovermeidung kann man viel lernen.
Interessanter Artikel,
ich persönlich versuche auch, mehr auf der zweiten Ebene zu denken. Allerdings klappt das nur, wenn ein Großteil der Investoren auf der ersten Ebene agiert. Im Prinzip kann man nur besser als die Mehrheit sein, wenn man anders handelt und damit richtig liegt. Wenn also die Mehrheit der Menschen auf dem zweiten Level denkt, kann es sich schon wieder lohnen, auf dem ersten Level zu investieren oder ganz anders zu handeln.
Wichtig ist nur, dass man die Emotionen und das Handeln der anderen Marktteilnehmer richtig einschätzt und daraus die richtigen Schlüsse ziehen kann.
Viele Grüße
Der Finanzfisch
Ich finde deinen Artikel ebenfalls sehr interessant. Second-Level-Thinking beschreibt im Prinzip das Um-die-Ecke-denken. Das kann nicht jeder. Und gerade an der Börse setzt es ein hohes Maß an Fachwissen voraus. Respekt, wer das Second-Level-Thinking beherrscht.
Es sind wichtige Überlegungen, die Du anstellst. Auch das Buch “Schnelles Denken, langsames Denken” von Kahnemann geht in eine ähnliche Richtung. Im Ergebnis ist es nicht entscheidend, die vordergründige, einfache und schnelle Antwort auf eine gestellte Frage zu geben – sondern vielmehr: sich zurückzulehnen, zu überlegen, nochmal genauer nachzudenken, zu hinterfragen. Und somit vielleicht die besseren Antwort auf die Frage zu finden, die sich dem normal denkenden Menschen nicht unmittelbar aufdrängt. Dies ist nicht nur für Investmententscheidungen wichtig, sondern für jede wesentliche Entscheidung, die Du triffst.
Viele Grüße
DerFinanzstratege.
John Maynard Keynes beklagte in seinem Hauptwerk _1936_ im Abschnitt zu Long-Term Expectations das zunehmende 3rd (!) Order Thinking: Die New Yorker Profis würden zunehmend darüber nachdenken, was die 2nd Order Thinker denken. Er beklagte die Sucht nach kurzfristigen Profiten und das Abkapseln der Finanzwelt von den “Belangen der Welt außerhalb” in rein sozialpsychologische Denkwelten, statt wirtschaftlich und langfristig sinnvolle Investitionen durchzudenken (d.h. für Keynes auch Fortschritte auf anderen Ebenen, welcher Art auch immer, über den reinen Geldgewinn hinaus).
Zur Klärung: Eigentlich bedeutet 2nd Order nur “ich denke (darüber nach), was du denkst”. Mark Howards bezieht es auf eine relevante Mehrheit der Marktteilnehmer.
Die Frage “Was denken (die meisten) anderen?” ist urmenschlich. Nichts intellektuell Überlegenes, und das Gegenteil von etwas Neuem. Du hast es schon in dir. Es gibt daür auch eine Reihe von uncharmanten Metaphern mit Schafen, Herdentrieb usw. (okay, das antizyklische absichtlich-in-die-andere-Richtung-gehen ist meistens nicht damit gemeint).
Grundsätzlich fehlt vielen eher das First Level: Der Umgang mit wirtschaftlichen Kennzahlen, das Nachdenken über relevante Zusammenhänge über Ressourcen usw. Ich würde sogar sagen: Die meisten denken fast nur Second Level. Howard Marks ist offensichtlich (damit) reich geworden, er kann also die anderen Marktteilnehmer deutlich besser einschätzen als die meisten, so wie ein guter Politiker, Therapeut, Seelsorger, Verkäufer u.a. mit Menschenkenntnis. Aber das Prinzip “guck, was die Mehrheit macht” macht für fachlich Ahnungslose (dazu gehöre auch ich in den meisten Bereichen) höhere Profite, aber es verdummt auch. Keiner guckt mehr, was diese und jene Investition eigentlich physisch/real bewirkt. Du denkst weniger selber über sinnvolles Ressourcenverteilen nach, und das ausgerechnet in deinem Hauptberuf, soweit du dich als Investor verstehst.
Den Appell zu mehr 2nd Level finde nur sinnvoll bei Leuten, die _zu tief_ in “direkte Analysen” einsteigen. Die sich ernsthaft und mühevoll mit Zusammenhängen beschäftigen, unglaublich komplex und schwerstens vorhersagbar. “Hey, die anderen Marktteilnehmer sind auch ein gewichtiger Faktor, und es zählt nich allein, was du in bombastischer Sachkenntnis über die Zukunft von Elektroautos, Medizintechnik, KI, Technologien gegen Wetterextreme, Medieneinsatz im Bildungsbereich u.v.a. denkst.”
P.S. Wenn ich nochmal über den gut geschriebenen Artikel drüberlese, besonders die Beispiele, dann MEINT Howard Marks nicht das seeeehr allgemeine 2nd Level Thinking (08/15 soziale Relexion), sondern speziell _antizyklisches Investieren_ (recherchierens-wert).