Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) oder Price/Earnings Ratio (P/E) ist wahrscheinlich die bekannteste und meist genutzte Bewertungskennzahl. Aber wie immer, wenn versucht wird, die gesamte Komplexität des Investierens auf eine einzige Kennzahl zu reduzieren, hat das KGV ein paar gravierende Nachteile z.B. im Vergleich zu einer Cash Flow Betrachtung.
Gewinn ist nämlich nicht immer gleich Gewinn. Oft sind die Gewinne zum einem mehr oder weniger stark durch die Bewertungsansätze und Rechnungslegungsgrundsätze beeinflusst. Zum anderen kann der Gewinn im aktuellen Jahr oder Quartal natürlich stark durch saisonale Effekte bzw. Markteffekte beeinflusst sein. Und eigentlich immer ist der aktuelle Gewinn kein Indikator für die zukünftige Gewinn-Entwicklung.
In diesem Artikel möchte ich deshalb einmal auf die verschiedenen Arten von KGVs eingehen und auch erläutern, warum Warren Buffett lieber seine “Owner Earnings” nutzt, um Unternehmen zu bewerten.
Was du in diesem Artikel lernst
- Wie das KGV definiert ist und berechnet wird
- Was die Limitationen des KGV sind
- welche Anpassungen wir am KGV vornehmen können, um die Aussagekraft zu verbessern
- Wie Warren Buffett seine Owner Earnings berechnet und warum diese dem Nettogewinn als Ausgangspunkt überlegen sind
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder P/E-Ratio
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist eine Kennzahl zur Bewertung von Aktien, d.h. mithilfe der Kennzahl können wir eine erste Abschätzung darüber treffen, ob eine Aktie im Vergleich zu den Gewinnen des zugehörigen Unternehmens an der Börse viel oder wenig kostet.
Berechnung des KGV
Die Berechnung des KGV ist denkbar einfach:
KGV = Aktienkurs / Nettogewinn
Das KGV liefert uns vereinfacht eine Aussage darüber, wie lange es dauern würde, bis wir unser eingesetztes Kapital über die erwirtschafteten Gewinne zurück erhalten würden. Bei einem Aktienkurs von 50 EUR und einem Jahresgewinn von 5 EUR je Aktie würde es also 10 Jahre dauern, bis wir theoretisch unseren Einsatz erwirtschaftet hätten. Dem entsprechend ist das KGV umso attraktiver, je niedriger es ist.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis kann übrigens auf Basis des letzten veröffentlichten Gewinns (Trailing P/E) oder auch auf Basis von Gewinnprognosen angegeben werden (Forward P/E).
Der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses ist die so genannte Gewinnrendite bzw. der Earnings Yield. Dieser wird in Prozent angegeben und stellt so etwas wie eine Eigenkapitalrendite dar, wobei das Eigenkapital in diesem Fall zum Marktwert bewertet wird. Je höher der Earnings Yield, umso günstiger ist die Bewertung.
Earnings Yield = Nettogewinn / Aktienkurs
Auch Joel Greenblatt nutzt für seine Börsen Zauberformel einen Earnings Yield bzw. eine Gewinnrendite, definiert diese aber auf Basis des operativen Gewinn und des Unternehmenswerts (EBIT/EV).
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Je nach Investor werden verschiedene Grenzwerte für das KGV bzw. den Earnings Yield angesetzt. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis unter 10 bis 12 würde man im Durchschnitt wahrscheinlich schon recht günstig nennen. Je nach Branche oder Land können aber auch ganz andere Größenordnungen die Regel sein.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis wird standardmäßig entweder auf Basis des aktuellen Gewinns (letztes verfügbares Geschäftsjahr oder TTM) oder auf Basis des so genannten Forward P/E, also einer Gewinnschätzung für das laufende Jahr, ausgewiesen.
Limitationen der Kennzahl
So einfach wie das KGV als Kennzahl zu berechnen ist, so zahlreich sind seine Limitationen bzgl. der Aussagekraft:
- Die aktuellen Gewinne lassen keinen Rückschluss auf die zukünftige Entwicklung zu. In vielen Fällen haben Aktien mit sehr niedrigem KGV z.B. ganz andere (niedrigere) Gewinnerwartungen als bisher und der Markt hat das bereits eingepreist. Die große Frage ist daher eher, ob der Markt mit seiner Einschätzung richtig liegt.
- Es gibt Konjunkturzyklen, Marktzyklen etc., die dafür sorgen können, dass der aktuelle Gewinn eigentlich nicht repräsentativ ist.
- Einmalige Effekte wie Sonderabschreibungen (oder -zuschreibungen), außerordentliche Erträge z.B. aus dem Verkauf von Unternehmensteilen können den Gewinn stark verzerren.
- Mithilfe von legalen Accounting-Tricks können die Gewinne mehr oder weniger stark beeinflusst werden.
- Der Schuldenstand spielt eine große Rolle für die Höhe des KGV. Aufgrund eines höheren Fremdfinanzierungsanteils kann der Gewinn für ansonsten identische Unternehmen stark unterschiedlich ausfallen (Joel Greenblatt liefert hierfür ein einfaches Berechnungsbeispiel).
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Abwandlungen des KGV
Aufgrund der Limitationen des KGV wurden über die Zeit verschiedene alternative bzw. angepasste Berechnungsmethoden entwickelt, um die Aussagekraft der Kennzahl zu verbessern.
Historisches KGV
Ohne eine historische Perspektive ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis als Kennzahl nur von geringem Wert. Deshalb sollten wir immer das aktuelle KGV in Bezug zum historischen Durchschnitt bzw. Median setzen, um zu verstehen, wie die Bewertung sich über Zeit entwickelt hat (vorausgesetzt, dass das Unternehmen keine zu großen strukturellen Veränderungen erfahren hat). Neben einem absolut niedrigen KGV sollten wir uns deshalb auch anschauen, ob das KGV im Vergleich zur 5- bzw. 10-Jahres-Historie niedrig oder hoch ist.
Im Rahmen meiner letzten Analyse der Apple Aktie habe ich mir auch die historischen KGVs angeschaut:
Die Aktie scheint mit einem KGV von 11,7 in 2015 (1-2 Monate nach der Veröffentlichung des Ergebnisses für Q2 2016 lag das KGV sogar knapp unter 10) im Vergleich zu den letzten 5 Jahren günstig zu sein.
Hier gehts zur ganzen Apple Analyse
Relatives KGV
Neben dem Vergleich mit der Historie des Unternehmens können wir das KGV natürlich auch den KGVs der wesentlichen Wettbewerber gegenüberstellen und so herausfinden, ob die Aktie im entsprechenden Sektor gerade unter- oder überbewertet ist.
Wenn wir wieder beim Beispiel Apple (AAPL) bleiben und einmal Microsoft (MSFT) zum Vergleich nehmen, dann sehen wir sofort, dass Apple relativ gesehen viel günstiger bewertet ist.
Auch dieser Vergleich hinkt natürlich, weil AAPL und MSFT zwar dem gleichen Sektor zugehörig sind, in Wirklichkeit aber doch recht unterschiedliche Produkte anbieten und Strategien verfolgen.
Shiller KGV
Das Shiller KGV ist eine weitere Abwandlung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses. Es wurde vom US-Ökonomen Robert Shiller wie folgt definiert:
Shiller KGV = Aktienkurs / Durchschnittl. Nettogewinn der letzten 10 Jahre
Shiller nutzt also anstelle des aktuellen oder des Vorjahresgewinns einen gleitenden 10-Jahres-Durchschnitt des Gewinns, um das KGV zu ermitteln.
Die historischen Gewinne müssen natürlich vorab entsprechend inflationsbereinigt werden.
Im Englischen wird die Kennzahl auch Shiller P/E, P/E 10 Ratio oder CAPE (= Cyclically Adjusted PE) genannt.
Schauen wir uns das klassische P/E und das Shiller KGV gemeinsam an, dann sind wir schnell in der Lage, Überbewertungen, Sondereffekte etc. zu erkennen. So können wir dann entscheiden, welche der beiden Kennzahlen für unsere Analyse die relevantere ist (im Falle einer Aktie mit starkem Gewinnwachstum wäre dies vermutlich eher das klassische KGV).
Cash-Adjusted P/E
Ein weiterer Faktor, der zwar nicht die Gewinne beeinflusst, aber trotzdem das KGV verzerrt, ist der Cash-Bestand eines Unternehmens. Wenn wir mal davon ausgehen, dass der Wert eines Unternehmens sich zusammensetzt aus dem operativen Geschäft und ggf. weiteren Vermögenswerten (die für das Tagesgeschäft nicht benötigt werden), dann sollte sich auch der Aktienkurs entsprechend zusammensetzen.
Das Cash-bereinigte KGV korrigiert daher den Aktienkurs um den Cash-Bestand je Aktie und trifft damit eine Aussage darüber, wie viel wir für das operative Geschäft des Unternehmens bezahlen müssten.
Cash-Adjusted P/E = (Aktienkurs – Cash & Äquivalente je Aktie) / Nettogewinn
Wenn wir z.B. das KGV von Microsoft um den Cash-Bestand korrigieren, dann reduziert sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 27,6 auf ca. 20. In diesem Fall ist auch der korrigierte Wert noch ziemlich hoch. Es wird aber auch Fälle geben, in denen wir ein Unternehmen auf Basis des klassischen P/E als zu hoch bewertet, unter Berücksichtigung des Cash-Bestandes aber als unterbewertet klassifizieren würden.
Warren Buffett’s Owner Earnings
Waren Buffett brachte im Berkshire Shareholder Letter von 1986 ein gutes Beispiel, warum der Nettogewinn eigentlich kein guter Aufsatzpunkt für eine Bewertung sein kann.
Im Appendix des Aktionärsbriefs stellt er folgende Gewinn- und Verlustrechnungen vor:
Im Grunde genommen handelt es sich hier um das gleiche Unternehmen. Vielleicht habt ihr dies anhand der Umsätze und ein paar anderer Kennwerte erkannt. Die linke Seite stellt die GuV vor und die rechte Seite die GuV nach der Übernahme des Unternehmens durch Berkshire dar.
Die Anpassungen stehen im Zusammenhang mit dem Kaufpreis, den Berkshire für das Unternehmen gezahlt hat. Im Zuge des Verkaufs mussten Sachanlagen (und somit Abschreibungen), Goodwill (und somit Amortisation) etc. auf den Marktwert angepasst werden. Die Änderungen der GuV sind signifikant.
Würden wir hier ein KGV nutzen, kämen wir zu komplett unterschiedlichen Schlussfolgerungen bzgl. der Bewertung.
Warren Buffett schlägt deshalb in seinem Brief eine Betrachtung der Owner Earnings vor. Owner Earnings ist eine Kennzahl, die dem Free Cash Flow sehr ähnlich ist:
Owner Earnings = Nettogewinn + Abschreibungen, Amortisation und andere Non-Cash Positionen – durchschnittliche Investitionen +/- zusätzlich erforderliches Working Capital
Investitionen sind nach Buffett’s Definition alle Investitionen in Sachanlagen, die zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und des Produktionsvolumens erforderlich sind.
Dem entsprechend können wir ein Preis / Owner Earnings Verhältnis definieren. Dieses Verhältnis sollte der Betrachtung des klassischen KGV überlegen sein.
Die Owner Earnings sollten außerdem für beide Unternehmen identisch sein! Das heißt Buchhaltungstricks sollten bei der Owner Earnings Sicht weitestgehend korrigiert sein.
Das PEG Ratio
Das PEG Ratio (Price/Earnings to Growth Ratio) ist eine weitere Anpassung des klassischen Price/Earnings Ratios. Es ist vor allem interessant, wenn wir die erwartete Wachstumsrate einer Firma in unsere Betrachtung mit einfließen lassen möchten.
Zur Ermittlung des PEG Ratios wird das Kurs-Gewinn-Verhältnis durch das Gewinnwachstum (in Prozent) geteilt:
PEG Ratio =Kurs-Gewinn-Verhältnis / Jährliches Gewinnwachstum
Das der Berechnung zu Grunde liegende Kurs-Gewinn-Verhältnis kann auf historischen Gewinnen oder auch auf Gewinnprognosen basieren. Für die Wachstumsrate wird typischerweise ein erwartetes Gewinnwachstum genutzt.
Yahoo! Finance nutzt z.B. für die Berechnung des PEG Ratio eine KGV-Prognose für das aktuelle Jahr und für das Gewinnwachstum die erwartete Wachstumsrate für die nächsten 5 Jahre. Andere vergleichbare Anbieter rechnen etwas anders, deshalb können sich die Kennzahlen auch entsprechend unterscheiden.
1 Kommentar zu „Wie wir das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) richtig nutzen“
Eine sehr schöne Zusammenfassung des klassischen KGV’s, seiner Derivate und der Alternativen. Die Owner Earnings kannte ich gar nicht (ich bin wohl einer der Wenigen, die kein Buffet-Buch im Regal stehen haben).
Ich hatte mir auch schon überlegt, dass Shiller-KGV anstatt – oder zusätzlich zum historischen KGV – in meinem Aktienscreener einzubauen. Aber die Meisten wissen am Anfang nichts damit anzufangen. Auch aus diesem Grunde habe ich sein gelassen.