Case Study Noble Group: Ein Lehrstück für aggressives Fair Value Accounting!

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Noble Group Case Study

In meinem letzten Artikel zum Thema Earnings Manipulation bzw. Earnings Management hatte ich ein paar der wichtigsten Erstindikatoren für die Aufdeckung aggressiver Accounting-Policies vorgestellt. Ein relativ deutliches Anzeichen für mögliche Unregelmäßigkeiten ist es, wenn der ausgewiesene Gewinn regelmäßig oberhalb des operativen Cash Flows liegt. In diesem Zusammenhang möchte ich euch eine weitere Fallstudie, die Noble Group, vorstellen.

Im Wesentlichen versuche ich hier einmal zu illustrieren, was im Grunde genommen jeder Investor mit dem richtigen Wissen hätte herausfinden können.

Und um nochmal einen wesentlichen Punkt zu betonen – wir sprechen hier nicht notwendigerweise von illegalen Aktivitäten, wie auch der Kommentar von Iceberg Research zum Thema Noble darlegt:

Note that Iceberg Research does not claim that Noble is performing outright accounting fraud. We think Noble stretches the accounting rules to the maximum, with the complicity of its auditor, EY. – Iceberg Research 2. Report zur Noble Group

Aufgrund der vielfältigen “kreativen Accountingtechniken”, die bei der Noble Group zum Einsatz kamen, werde ich die Erläuterungen auf verschiedene Artikel aufteilen, um das Ganze nicht zu unübersichtlich werden zu lassen. In diesem Artikel soll es – neben einem kurzen Intro / einer kleinen Übersicht zur Noble Group – zunächst um das aggressive Fair Value Accounting gehen.


Intro Noble Group

Bei der Noble Group handelt es sich um einen internationalen Rohstoffhändler und -produzenten, der in 2015 von verschiedenen Short Sellern – u.a. Iceberg Research und Muddy Waters – mit einer größer angelegten Bilanzfälschung in Verbindung gebracht wurde.

In den Jahren vor 2015 war die Noble Group relativ stark gewachsen und hatte damit begonnen, sich an Produktionsunternehmen, u.a. an den Kohleproduzenten Yancoal und Gloucester Coal, zu beteiligen bzw. diese zu übernehmen (etwas analog zum Wettbewerber Glencore, der in 2013 mit Xstrata eines der größten Bergbauunternehmen der Welt übernommen hatte). Ihr werdet im zweiten Teil dieser Fallstudie noch sehen, dass diese Akquisitionen für das Verständnis der Bilanzmanipulation nicht ganz unwichtig sind.

Trotz einiger Assetverkäufe in den Jahren 2016 und 17 – u.a. wurden das Landwirtschafts-Joint Venture sowie das US-Energiegeschäft verkauft -, die mehr als eine Mrd. USD in die Kasse spülten, musste die Noble Group im Jahr 2018 Insolvenz anmelden.

In der Folge wurden ca. 3,5 Mrd. USD an Schulden bei Kreditinstituten gegen einen 70%igen Anteil am Unternehmen eingetauscht (Debt-to-Equity Swap). 20% der Anteile wurden dem Management zugesprochen, um die entsprechende Incentivierung sicherzustellen. Die restlichen 10% der Anteile verblieben bei den existierenden Shareholdern… eine nicht ganz unwesentliche Verwässerung würde ich sagen.


Erste Beobachtung: Nettogewinn jahrelang oberhalb des OCF

Wer sich die historischen Gewinne und Cash Flows der Noble Group einmal im Vergleich anschaut, der wird sich relativ schnell fragen, wie es das Unternehmen eigentlich über einen so langen Zeitraum (~7 Jahre!!) schaffen konnte, einen Nettogewinn oberhalb des operativen Cash Flow auszuweisen:

Noble Group - Gewinn versus Cash Flow

Noble Goup: Nettogewinn versus operativer Cash Flow; Quelle: Financial Times

Nur nochmal zur Erinnerung: Im Nettogewinn sind die Abschreibungen bereits abgezogen, da es sich um eine nicht cash-wirksame Aufwendung handelt. Insofern ist es recht unwahrscheinlich, dass der Nettogewinn konsistent und über einen längeren Zeitraum über dem operativen Cash Flow liegt.


Zweite Beobachtung: Größtenteils negativer Free Cash Flow

Wenn wir uns anschließend einmal den freien Cash Flow ansehen, dann stellen wir fest, dass Noble in den 20 Jahren vor 2015 nur ganze vier Mal überhaupt einen positiven freien Cash Flow (also nach Abzug der Investitionen) ausgewiesen hat.

Das heißt im Umkehrschluss, dass das Unternehmen regelmäßig entweder Kapitalerhöhungen hat durchführen oder neue Schulden hat aufnehmen müssen (Bloomberg hat berechnet, dass Noble seit 1997 ca. 7,7 Mrd. USD an neuem Kapital eingeworben bzw. aufgenommen hat).

Grundsätzlich sollte ein Geschäftsmodell, mit dem es innerhalb von 20 Jahren nicht gelingt, konsistent einen positiven (operativen) Cash Flow zu erwirtschaften, bei jedem rational denkenden Investor ein gesundes Misstrauen hervorrufen. Speziell für auf Wachstumswerte fokussierte Investoren könnten sich die folgenden Fragen gestellt haben:

  • Hat die Noble Group die Kredite effektiv nur aufgenommen, um bestehende Schulden zu refinanzieren? Mit anderen Worten: Würde das Unternehmen tatsächlich einen positiven freien Cash Flow generieren und Schulden zurückführen können, wenn es aufhören würde, seine Bilanz über Akquisitionen weiter zu verlängern (also Vermögenswerte und Schulden hinzuzufügen)?
  • Befindet sich Noble nicht vielleicht in einem Teufelskreis, in dem es Cash auf wertvernichtende Weise ausgibt, um buchhalterische Gewinne zu erzielen (und damit die Finanzierungsfähigkeit aufrechtzuerhalten)?

Dies sind übrigens Fragen, die sich bei vielen Wachstumsunternehmen stellen, die – mutmaßlich nur während der Wachstumsphase natürlich – niedrige Margen und gleichzeitig hohe Reinvestitionen aufweisen und sich deshalb regelmäßig frisches Geld besorgen müssen.


Dritte Beobachtung: Vage Begründungen in Earnings Calls

Viele Analysten und Investoren waren in der Tat etwas skeptisch ob der sehr regelmäßigen und – je nach Segment – teilweise auch substantiellen Gewinnsteigerungen.

Fragen diesbezüglich wich das Management in den Earnings Calls jedoch regelmäßig aus bzw. führte die Veränderungen auf kurzfristige und nicht beeinfluss- oder überprüfbare Ereignisse wie erhöhte Volatilität, saisonale Faktoren, Wettereinflüsse, geografische Diversifizierung usw. zurück.

Teilweise wurden die Analystenfragen sowie deren Rationale vom CEO höchstselbst auch als nicht besonders zielführend bezeichnet:

From a quarter-to-quarter basis, I think trying to overanalyse the breakdown between tonnage and revenue versus net income is very, very difficult and really not very insightful. – Yusuf Alireza, CEO Noble Group im Q1-2014 Earnings Call

Empirische Untersuchungen haben erwiesen, dass aus der Wortwahl und der Art und Weise, wie in Earnings Calls auf Fragen geantwortet wird, tatsächlich Rückschlüsse auf manipulatives Verhalten gezogen werden können.

Aus diesem Grund hatte Carson Block damals auch die Firma Qverity (mehrere ehemalige CIA-Agenten, die unter anderem auch für das Buch Spy the Lie verantwortlich zeichnen) mit der Analyse der Earnings Call Transcripts beauftragt. Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit einer Bilanzmanipulation wurde von den Experten als sehr hoch eingeschätzt.


Das Motiv des Noble Group CEOs: Kapitalmarktfähig und kreditwürdig bleiben

Wie müssen uns also fragen, warum sowohl Investoren als auch Kreditinstitute immer wieder frisches Geld zur Verfügung gestellt haben? Die Antwort auf diese Frage sollte uns auch gleich das mögliche Motiv des damaligen CEOs Yusuf Alireza mitliefern.

Der Short Seller Carson Block von Muddy Waters Research schrieb in seinem Report zur Noble Group dazu:

When a company borrows and burns cash as consistently as Noble does, it needs to generate EBITDA for its lenders, and net income for its equity investors (a company’s ability to issue equity is comforting to lenders). – Muddy Waters Research

Um es einmal mit meinen eigenen Worten auszudrücken: Um immer wieder an frisches Geld zu kommen – sei es von den Anteilseignern über Kapitalerhöhungen oder von den Banken / dem Bondmarkt über Fremdfinanzierungen – musste das Unternehmen  kreditwürdig und profitabel  erscheinen.

Ersteres war über die Einhaltung der entsprechenden Covenants (z.B. das Net Debt / EBITDA Ratio), letzteres über den Ausweis einen positiven Nettogewinns möglich (was wiederum positiv auf das Eigenkapital wirkte):

Noble Group - Voraussetzungen für Kapitalmarkt

Die Schlussfolgerung der Short Seller war damals, dass sowohl der EBITDA als auch der Nettogewinn signifikant übertrieben bzw. irgendwie manipuliert sein mussten, weshalb sie sich im nächsten Schritt etwas genauer mit der Zusammensetzung des Gewinns beschäftigten.


Wie kamen die Gewinne der Noble Group zustande?

Wie ich bereits in meinen vorangegangenen Artikeln zum Thema Earnings Manipulation geschrieben hatte, gibt es eine ganze Reihe an Möglichkeiten für das Management, um den Gewinn positiv zu beeinflussen. Im Falle der Noble Group kamen vor allem die folgenden Maßnahmen zum Einsatz:

  • Aggressives Fair Value Accounting (-> Fokus dieses Artikels)
  • Zweifelhafte Akquisitionen (bzw. buchhalterische Behandlung dieser) – für mehr Details lest bitte den zweiten Teil der Noble Fallstudie
  • Rückkaufvereinbarungen (Repurchase Agreements oder “Repos”) mit Banken für einen Teil der  Lagerbestände – hierfür geht direkt weiter zum Teil 3 der Noble Fallstudie

Dazu stellte Carson Block in seinem ersten Report fest, dass in 2014 ca. 70% des ausgewiesenen Gewinns durch so genannte Fair Value Adjustments zustande kamen, d.h. im Wesentlichen nur aus der regelmäßig erforderlichen Neubewertung bestimmter Vermögenswerte nach IFRS resultierten… aber einmal der Reihe nach…


Aggressives Fair Value Accounting

Wie ihr vielleicht wisst, muss ein Unternehmen laut IFRS und US GAAP bestimmte Vermögenswerte jeweils mit dem fairen Wert (dem beizulegenden Zeitwert) in den Büchern führen, welcher ggf. signifikant oberhalb der Anschaffungskosten liegen kann. Dies hat z.B. für Investoren vieler gelisteter Immobilien-AGs und REITs (wie z.B. Vonovia oder die Deutsche Konsum-REIT AG) eine hohe Relevanz, weil die Immobilien nicht zum Einstandkurs, sondern zum aktuellen Marktpreis in den Büchern stehen.

Jede Aufwertung eines Vermögenswertes verlängert zunächst die Aktivseite der Bilanz (d.h. die Bilanzsumme vergrößert sich). Über den Umweg über die GuV – hier wird ein entsprechender außerordentlicher und nicht-zahlungswirksamer Ertrag ausgewiesen – erhöht sich anschließend auch die Passivseite bzw. das Eigenkapital entsprechend.

Damit unterscheidet sich die Regelung signifikant vom deutschen Handelsgesetzbuch (HGB), welches grundsätzlich das so genannte Niederstwertprinzip vorschreibt, was eine Bewertung der Vermögenswerte  höchstens zu Anschaffungskosten  zur Folge hat.

Die Ermittlung des fairen Wertes für nach IFRS bilanzierende Unternehmen (wie die Noble Group eines war bzw. ist) wird im neuen Standard IFRS 13 geregelt. Im Grunde genommen lassen sich die Regelungen auf zwei wesentliche Punkte zurückführen:

  1. Wann immer möglich sollte ein offizieller und veröffentlichter Marktpreis als Referenz für die Bewertung eines Vermögenswerts zu Rate gezogen werden (also z.B. der Aktienkurs eines Wertpapiers)
  2. Falls dies nicht möglich sein sollte und eine Abschätzung mittels eines Bewertungsverfahrens verwendet werden muss (z.B. ein DCF-Modell oder ein Multiple-Ansatz), dann sollten jedenfalls die für die Berechnung verwendeten Inputs möglichst gut aus öffentlich verfügbaren Quellen abgeleitet werden können

Hier einmal eine zusammenfassende grafische Darstellung der wesentlichen Bewertungsregeln aus IFRS 13:

Noble Group - IFRS 13 Logik

Im Fall von Noble war nun im Grunde beides nicht gegeben. D.h. Noble bewertete einen Großteil seiner Vermögenswerte auf Basis von Discounted Cash Flow Modellen mithilfe von Inputs, die ebenfalls zum Großteil auf groben Schätzungen beruhten… das sind die in der Abbildung hervorgehobenen Level 2 und Level 3 Inputs.


Buchung regelmäßiger Fair Value Gains

Aber um welche Vermögenswerte ging es überhaupt genau? Wie funktioniert so ein Commodity-Trader eigentlich? Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick auf die Bilanz (leider liegt heute nur noch der Bericht für 2016 inkl. der Darstellung von 2015 vor):

Noble Group Bilanz (Aktivseite) 2015

Aktivseite der Bilanz der Noble Group (2015); Quelle: Geschäftsbericht Noble Group 2016

Wie ihr sehen könnt, handelte es sich zum überwiegenden Teil um (mutmaßlich) kurzfristige Vermögenswerte. Neben den “gewöhnlichen” Working Capital- und Cash-Konten fallen hier insbesondere die so genannten Fair Value Gains ins Auge (diese werden regelmäßig auch als Teil der Forderungen aus L.u.L. dargestellt, was die Noble Group in den Vorjahren wohl auch so praktiziert hatte).

Wenn wir nun in den Anhang zum Jahresabschluss hineinschauen, dann sehen wir, dass es sich bei diesen Fair Value Gains um nicht-zahlungswirksame Erhöhungen der Gewinnschätzungen aus bestehenden langlaufenden Lieferverträgen handelt.

Das heißt wenn Noble mit einem Kunden z.B. einen Zink-Liefervertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen hat, dann wurde der erwartete Gewinn aus diesem Vertrag aufgrund der Mark-to-Market Anforderung (d.h. der Anforderung in der Bilanz den fairen Wert darzustellen) direkt in der GuV als Ertrag verbucht und ein entsprechender Vermögenswert (besagter Fair Value Gain) auf der Bilanz erfasst. Veränderten sich wesentliche Inputs über die Zeit, wurde also z.B. das zukünftige Zinkpreisniveau höher eingeschätzt als bisher, dann wurde auch der faire Wert entsprechend angepasst… und wieder ein außerordentlicher Ertrag ausgewiesen!

Trotzdem: Der Wert eines solchen Liefervertrages sollte tendenziell über die Zeit abnehmen, weil  durch die tatsächlichen Lieferungen und die zugehörigen Zahlungen des Käufers eine kontinuierliche Umwandlung des Vermögenswertes in Cash (also ein Aktivtausch auf der Bilanz)  erfolgen und es sich darüber hinaus nur um kurzfristige Vermögenswerte mit einer Laufzeit unter einem Jahr handeln sollte.


Wettbewerbsvergleich zeigt Aggressivität des Fair Value Accountings der Noble Group

Diese Logik gilt grundsätzlich auch für andere bekannte Commodity-Trader wie Glencore, Vitol oder Bunge… und galt damals übrigens auch für Enron. Wenn wir nun also einmal einen Wettbewerbsvergleich diesbezüglich anstellen (Wettbewerbsvergleiche werden meiner Erfahrung nach von vielen Privatinvestoren viel zu selten angestellt), dann sehen wir, dass die von der Noble Group gebuchten Fair Value Gains sich durchaus signifikant vom Wettbewerb unterschieden:

Net Fair Value Gains Noble Group versus Wettbewerber

Net Fair Value Gains Noble wesentlicher Commodity-Trader [Mio. USD]; Quelle: Iceberg Research bzw. Unternehmensberichte

Vereinfacht ausgedrückt heißt das: Die Noble Group hatte regelmäßig die Annahmen ihrer Bewertungsmodelle angepasst und auf diese Weise den fairen Wert ihrer Lieferverträge erhöht. Gleichzeitig fand über die Zeit aber keine Umwandlung in Cash statt, was mehrere Schlussfolgerungen zulässt:

  • Die in der Bewertung unterstellten Abnahmemengen bzw. Verkaufspreise (weil unrealistisch hoch angesetzt) wurden nicht realisiert und es wurde trotzdem keine entsprechende Korrekturbuchung vorgenommen (d.h. kein Fair Value Loss gebucht)
  • Die relevanten Lieferungen lagen so weit in der Zukunft, dass ein Cash Zufluss – wenn überhaupt – erst in vielen Jahren zu erwarten war

Letztere Schlussfolgerung scheint sich durch die Zahlen der Noble Group zu bestätigen:

Noble Group - Fair Value Gains nach Jahr

Fair Value Gains Noble Group 2015 nach Fälligkeit der Kontrakte; Quelle: Geschäftsbericht Noble Group 2016

Im Gegensatz zu den großen Wettbewerbern standen bei Noble nämlich nur knapp unter 50% der als kurzfristig klassifizierten Fair Value Gains im Folgejahr zur Lieferung an. Zum Vergleich: Bei den Wettbewerbern lag der Anteil echter kurzfristiger Vermögenswerte irgendwo zwischen 90 und 100%, die Fair Value Gains längerfristiger Verträge wurden entweder nicht angesetzt oder separat ausgewiesen. Im Falle der Noble Group konnte man also nicht wirklich von kurzfristigen Assets sprechen.

Wie ein subtiler Kommentar von Ernst & Young (EY) aus dem Geschäftsbericht aus 2012 außerdem zeigt, konnte auch der Wirtschaftsprüfer die Bewertungskriterien nicht explizit unterstützen:

The management believes that the estimated fair values resulting from the valuation technique, which are recorded in the consolidated statement of financial position, and the related changes in fair values, which are recorded in income statement, are reasonable, and that they were the most appropriate values at the end of the reporting period. – Auditors’ Report zum Geschäftsbericht 2012

Stattdessen verwies EY explizit darauf, dass allein das Management für die Berechnungsannahmen verantwortlich war.

Fair Value Accounting Noble Group: Beispiel Offtake-Agreement mit Sundance Resources

Im März 2014 gab Noble bekannt, dass es einen Abnahmevertrag mit dem australischen Unternehmen Sundance Resources über 50-100% der Produktion einer projektierten Eisenerzmine in Kamerun bzw. im Kongo (die Jahresproduktion sollte irgendwann einmal bei 35 Mio. t liegen) unterzeichnet hatte.

Passenderweise verzeichnete das entsprechende Segment der Noble Group im Q1-2014 im Jahresvergleich (YOY) einen signifikanten Gewinnanstieg von über 50 Mio. USD. Iceberg Research mutmaßte damals, dass es sich um einen Mark-to-Market-Ertrag resultierend aus dem Sundance-Vertrag handeln könnte.

Um die Wahrscheinlichkeit der späteren Realisierbarkeit eines solchen Gewinns etwas besser zu verstehen, musste man etwas mehr über das Projekt von Sundance wissen. Im Grunde genommen sahen die Eckdaten des Projekts grob so aus:

  • Es handelte sich um ein Greenfield-Projekt, es gab weder eine Mine, noch eine Logistik zum Hafen oder ein entsprechendes Terminal, welches hätte genutzt werden können. Bis zur Produktion der ersten Tonne wären also mindestens noch vier bis fünf Jahre ins Land gegangen… das Vorhandensein einer Projektfinanzierung vorausgesetzt
  • Die Expansionsphase 1 des Projekts allein hatte bereits einen CapEx-Bedarf von ~5 Mrd. USD
  • Das Projekt rechnete sich überhaupt erst ab einem Eisenerzpreis von ca. 70 USD/t (was damals bereits als relativ sportlich angesehen werden konnte)
  • Eine Finanzierung konnte bis zur Unterzeichnung der Abnahmevereinbarung mit Noble in 2014 nicht gesichert werden

In der Zeit des von China angetriebenen Rohstoffbooms gab es eine ganze Reihe solcher Eisenerzprojekte… also Projekte in unzugänglichen Regionen mit hohen Kosten und geringer Aussicht auf Umsetzung.

Es wird euch deshalb nicht überraschen, wenn ich euch sage, dass das Projekt irgendwann auf Eis gelegt wurde und seitdem nichts Nennenswertes mehr passiert ist. Eine Lieferung von Erzen an Noble ist also nie zustande gekommen, ein Umstand, der auch schon damals recht klar gewesen sein sollte.

Iceberg Research nennt noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele, die alle die These eines sehr aggressiven Fair Value Accounting untermauern. Schaut euch bei Interesse einmal die entsprechenden Reports an. Diese habe ich unten verlinkt.


Key Take Aways

Bei der Noble Group handelt(e) es sich um einen Energie- und Rohstoffhändler, der in 2015 ins Visier verschiedener Short Seller geraten war. Die Insolvenz des Unternehmens im Jahr 2018 (Grund: Überschuldung) legt nahe, dass viele der Vorwürfe nicht vollkommen aus der Luft gegriffen waren.

Es gab damals Warnsignale, anhand derer die Short Seller auf die Noble Group aufmerksam wurden. Dazu gehörten unter anderem ein Nettogewinn, der konsistent oberhalb des operativen Cash Flows lag sowie ein über lange Jahre größtenteils negativer Free Cash Flow.

Wer danach tiefer bohrte, konnte feststellen, dass Noble eine ganze Reihe an recht kreativen Accountingtechniken verwendet hatte. Dazu zählte unter anderem das in diesem Artikel beschriebene aggressive Fair Value Accounting, in dessen Zuge teilweise weit in der Zukunft liegende und darüber hinaus recht unwahrscheinliche Gewinne aus dubiosen Offtake-Agreements (siehe Sundance Ressources) bereits damals als nicht-zahlungswirksame Erträge (so genannte Fair Value Gains) angesetzt wurden.


Weitere Ressourcen:

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