Das Kelly Kriterium: Ein hilfreiches Tool zur Portfolio Allokation?

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Kelly Kriterium

Der Kern unserer Tätigkeit als Investoren besteht darin, unser verfügbares Kapital optimal auf die besten verfügbaren Anlagemöglichkeiten zu verteilen. Wer sich in diesem Zusammenhang nun mit dem Thema Portfoliokonstruktion bzw. Asset Allocation befasst und etwas im Internet stöbert, der wird irgendwann zwangsläufig auf das so genannte Kelly Kriterium stoßen.

Glauben wir den vielen Artikeln im Netz, dann kann das Kelly Kriterium bzw. die Kelly Formel uns bei konsequenter Anwendung dabei helfen, die jeweils richtige Positionsgröße zu identifizieren und die potenzielle langfristige Wachstumsrate unseres Portfolios zu maximieren.

Aufgrund dieser Aussichten möchte ich euch deshalb in diesem Artikel das Kelly Kriterium und seine Funktionsweise einmal vorstellen. Auf weitere, ganz praktische Überlegungen zur Nutzung des Kelly Kriteriums im Rahmen des Portfolio Managements gehe ich nochmal in einem zweiten Artikel ein.


Intro: Warum ist Portfolio Sizing überhaupt relevant?

Der Kern unserer Tätigkeit als Investoren besteht darin, unser verfügbares Kapital auf die besten verfügbaren Anlagemöglichkeiten zu verteilen. Bzgl. der Identifikation der besten Anlagemöglichkeiten: Haken dran! Hierfür gibt es einen Investment Prozess inkl. Ideengenerierung, Checkliste, Bewertung etc. Bzgl. der Verteilung des verfügbaren Kapitals auf diese Optionen gibt es im Grunde genommen zwei Extreme, zwischen denen sich alles abspielt:

  • Konzentration: Wir investieren in nur eine Aktie, nämlich diejenige, die aus unserer Sicht das beste Chance-Risiko-Profil besitzt
  • Diversifikation: Wir investieren in ein sehr breites Portfolio, welches im Wesentlichen alle weltweit handelbaren Aktien enthält (z.B. über einen ETF)

In der Realität würden wir vermutlich Portfolios mit ca. 10 Werten bereits als recht konzentriert und Portfolios mit mehr als 30 oder 40 Werten als diversifiziert ansehen. Allerdings stellt sich auch bei nur 10 Werten im Portfolio natürlich die Frage nach der Gewichtung jeder einzelnen Beteiligung.

An dieser Stelle kommt nun die Erfolgswahrscheinlichkeiten ins Spiel, was sich ganz einfach anhand eines simples Beispiels erläutern lässt.

Nehmen wir einmal an wir haben 100 EUR zur Verfügung und könnten nun an einem Münzwurfspiel teilnehmen. Bei diesem Spiel gewinnen wir je EUR Einsatz 2 EUR, wenn die Münze “Kopf” zeigt und verlieren 1 EUR, wenn die Münze “Zahl” anzeigt. Wir können nun 100 Mal hintereinander einen beliebigen Teil unserer 100 EUR (oder dessen was vor dem jeweils anstehenden Wurf davon noch übrig bzw. daraus geworden ist) setzen.

Betrachten wir wieder die offensichtlichen Extreme:

  • Wenn wir zu wenig einsetzen, werden wir die Gewinnchance, die sich aus dem positiven Erwartungswert ergibt, nicht wirklich ausnutzen. (Hintergrund: Der Erwartungswert beträgt hier 0,5 = 50% Wahrscheinlichkeit x 2 EUR + 50% Wahrscheinlichkeit x -1 EUR.), d.h. bei einer zu geringen Allokation wächst das Kapital nicht so schnell, wie es eigentlich möglich wäre
  • Setzen wir andererseits die gesamten 100 EUR, dann riskieren wir, mit einem einzigen Wurf unseren gesamten Einsatz zu verlieren

Die Aufgabe des Portfolio-Managements ist es nun, genau den Einsatz zu bestimmen, der die Chance auf den maximalen Gewinn optimiert… eine gute Überleitung zum Kelly Kriterium.

Exkurs: Erwartungswert

Laut Wikipedia beschreibt der Erwartungswert einer Zufallsvariablen den durchschnittlichen Wert, den die Zufallsvariable  bei einer unendlichen Wiederholung eines Experiments  im Durchschnitt annimmt.

Oder anhand des obigen Beispiels illustriert: Wenn wir eine Münze unendlich oft werfen, dann erhalten wir in genau 50% der Fälle “Kopf” und in den anderen 50% der Fälle “Zahl” als Ergebnis, wobei 50% jeweils die Wahrscheinlichkeit für “Kopf” oder “Zahl” repräsentiert.

Werfen wir die Münze andererseits nur einmal, dann erhalten wir entweder das eine oder das andere (also 100% oder 0).

Das heißt je öfter wir das Experiment durchführen, desto weiter nähern wir uns dem Erwartungswert an. Bei 1000 Würfen z.B. müssten wir schon recht nah bei 50/50 rauskommen. Wenn wir also für jedes Mal “Kopf” 2 EUR erhalten und für jedes Mal “Zahl” 1 EUR bezahlen müssen, dann werden wir nach sehr vielen Versuchen hintereinander ca. 50 Cent mehr erhalten als wir gezahlt haben (wie oben bereits ermittelt).

Der Erwartungswert ist also positiv und es erscheint sinnvoll, diese Wette – oft genug hintereinander – einzugehen.


Das Kelly Kriterium

Das Kelly Kriterium hat seinen Namen dem Bell Labs Wissenschaftler John Kelly zu verdanken, der die Formel im Jahr 1956 herleitete bzw. veröffentlichte.

Das Kelly Kriterium in seiner einfachsten Form optimiert den Einsatz für das oben beschriebene Problem, nämlich eine n-fache Wiederholung des gleichen Vorgangs (wobei n gegen unendlich geht) mit zwei möglichen Ergebnissen und festen Eintrittswahrscheinlichkeiten.

Im Grunde genommen lässt sich das Kelly Kriterium auf die folgende Formel reduzieren (ich möchte euch hier nicht mit der mathematischen Herleitung langweilen, diese könnt ihr z.B. hier nachlesen):

Kelly-% = Edge / Odds = Erwartungswert / Möglicher Gewinn oder Return

wobei

  • Kelly-%: Teil des Kapitals [in%], den wir bei jedem Wünzwurf setzen sollten
  • Edge: Dies ist der bereits angesprochene Erwartungswert – im obigen Beispiel 0,5 EUR je eingesetztem EUR
  • Odds: Dies ist der mögliche Gewinn – im obigen Beispiel 2 EUR je eingesetztem EUR

(Die vorgestellte Schreibweise (“Edge” und “Odds”) wurde übrigens zum ersten Mal von William Poundstone im Buch Fortune’s Formula verwendet, welches sich intensiv und in sehr humorvoller Weise mit der Nutzung der Kelly-Formel und deren Erfolg – in Las Vegas und auch an der Wall Street – auseinandersetzt.)

Bleiben wir einmal bei unserem einfachen Beispiel. Für unseren Münzwurf ergibt die Kelly-Formel einen Einsatz von 25% des Gesamtkapitals:

Kelly-% = Edge / Odds = 0,5 / 2 = 25%

Wir sollten also immer genau 25% des uns zur Verfügung stehenden Kapitals beim Münzwurf einsetzen. Beim ersten Wurf wären das also 25 EUR.

In der folgenden Abbildung sehr ihr einmal das Ergebnis eines einmaligen Durchlaufs mit 100 Münzwürfen (die x-Achse zeigt dabei den Anteil des Kapitals an, der jeweils gesetzt wurde):

Kelly Formel - Ergebnis einer Simulation

Wie ihr erkennen könnt, wird das Kapital in dieser Simulation mit 100 Würfen (wobei in dieser Simulation übrigens 52 mal “Kopf” angezeigt wurde) bei einem kontinuierlichen Einsatz von 25-30% des Kapitals maximiert.

Zwar müsste man einen solchen Simulation hinreichend oft machen, um wirklich belastbare Resultate zu erhalten. Das Ergebnis gibt uns aber bereits ein Gefühl dafür, wie stark der Einfluss des Einsatzes auf das Endergebnis bei einer solchen Wette ist… setzen wir nämlich nur 10% (oder sogar 45%) unseres Kapitals, dann erzielen wir nur einen Bruchteil des möglichen Wachstums.

Das Kelly Kriterium setzt übrigens einen positiven Erwartungswert voraus, d.h. ein Investment, bei dem die Chance größer ist, als das Risiko. Das ergibt sich bereits aus der Kelly Formel: Bei Erwartungswerten kleiner oder gleich Null wird auch die Allokation kleiner oder gleich Null sein.

Anwendung der Kelly Formel im Portfolio Management

Auch im Portfolio Management wird die (jedenfalls theoretische) Relevanz des Kelly Kriteriums schnell deutlich: Zwei Portfolio Manager können trotz identischer Werte im Portfolio fundamental andere Returns erzielen… je nachdem, wie sie ihr Kapital auf die verschiedenen Werte aufgeteilt haben.

Ich glaube das folgende Zitat fasst es ganz gut zusammen:

Great investors don’t stop with finding attractive investment opportunities; they know how to take maximum advantage of the opportunities. – Michael Mauboussin

Chancen maximieren korrespondiert in vielen Fällen mit recht konzentrierten Portfolios. Nicht ohne Grund sind viele der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten (z.B. Warren Buffett, Mohnish Pabrai, Joel Greenblatt, Eddie Lampert) in vielen Fällen nur sehr wenige, dafür aber substantielle Wetten eingegangen.

Und um nun wieder den Bogen zum eigentlichen Thema dieses Artikels zu spannen: Das Kelly Kriterium liefert quasi die quantitative Unterstützung für diese Vorgehensweise. Der zweite wesentliche Rückschluss aus der einfachen Kelly Simulation oben ist nämlich, dass der Einsatz hoch sein sollte, wenn die Chancen die Risiken klar überwiegen.

William Poundstone mutmaßt in Fortune’s Formula sogar, dass Warren Buffett, Charlie Munger und Bill Gross für ihr Portfolio Sizing tatsächlich die Kelly Formel zu Hilfe nehmen.

Ich bin nun nicht sicher, ob es für diese These wirklich klare Indizien gibt. Von Warren Buffett wissen wir allerdings mindestens, dass er sehr stark in Wahrscheinlichkeiten denkt, wie die Kommentare in seinem Partnership Letter aus dem Jahr 1966 klar belegen:

We might invest up to 40% of our net worth in a single security under conditions coupling an extremely high probability that our facts and reasoning are correct with a very low probability that anything could drastically change the underlying value of the investment.
We are obviously only going to go to 40% in very rare situations – this rarity, of course, is what makes it necessary that we concentrate so heavily, when we see such an opportunity. We probably have had only five or six situations in the nine-year history of the Partnership where we have exceeded 25%.
They are also going to have to possess such superior qualitative and/or quantitative factors that the chance of serious permanent loss is minimal. […]
In selecting the limit to which I will go in anyone investment, I attempt to reduce to a tiny figure the probability that the single investment can produce a result for our total portfolio that would be more than ten percentage points poorer than the Dow. – Warren Buffett (Partnership Letter 1966)

Buffett sah also damals vor, bis zu 40% seines gesamten Kapitals in nur eine Aktie zu investieren. Allerdings nur dann, wenn er die Fehlerwahrscheinlichkeit in seiner Analyse als extrem gering einstufte.

Heutzutage muss er natürlich aufgrund der schieren Größe seines Portfolios etwas anders vorgehen (und hat vermutlich deshalb auch gar nicht mehr die Chance auf vergleichbare Renditen).


Beispiel Kelly Kriterium: Buffett’s Investment in American Express

Mohnish Pabrai widmet der Kelly Formel in seinem Buch Der Dhandho Investor sogar mehr oder weniger ein ganzes Kapitel. Im Detail geht er auf das Investment von Buffett in Amercian Express in 1963 ein.

Buffett investierte damals ca. 40% seines Portfolios in AmEx (auf dieses Investment bezogen sich vermutlich auch die Kommentare in seinem Aktionärsbrief von 1966).

Pabrai stellt dazu ein paar Überlegungen an. Auf Basis der ihm zur Verfügung stehenden Informationen könnte Buffett bzgl. American Express zu der folgenden Schlussfolgerung gelangt sein:

  • Chance eines Returns von +200% innerhalb von 3 Jahren ca. 90%
  • Wahrscheinlichkeit eines Break-Even ~5%
  • Möglichkeit eines 10%igen Verlustes ca. 4%
  • Wahrscheinlichkeit eines Totalverlustes ~1%

Der Erwartungswert des Returns für solch ein Investment liegt bei ca. 179%:

Edge = 90% x 200% + 5% x 0% + 4% x -10% + 1% x -100% = +179%

Auf Basis der Kelly Formel läge der zu investierende Anteil des zur Verfügung stehenden Kapitals dem entsprechend bei ca. 90%:

Kelly-% = Edge / Odds = 179% / 200% = 89,3%

Buffett investierte also tatsächlich weniger als die Hälfte dessen, was das Kelly Kriterium vorschlagen würde (unter der Maßgabe, dass die Annahmen von Mohnish Pabrai dazu ungefähr richtig sind).

Die Kelly Formel hätte allerdings auch bei geringeren potenziellen Returns und Erfolgswahrscheinlichkeiten noch vergleichsweise hohe Einsätze vorgeschlagen, wie die folgende Sensitivitätsanalyse zeigt:

Kelly Kriterium Sensitivitätsanalyse

Wie ihr sehen könnt, sollte der Einsatz bei einer 50%igen Erfolgswahrscheinlichkeit immer noch oberhalb von 20% liegen, sofern im Erfolgsfall ein Return von 150% erzielt werden kann.


Mehrere parallele Wetten bzw. Aktien im Portfolio

Die Kelly Formel geht – und das ist im Hinblick auf die Konstruktion eines Portfolios höchst relevant – von einer n-fachen Wiederholung der gleichen Wette aus.

Praktisch gesprochen wird ein Teil des Kapitals in eine Aktie mit bekanntem Chance-Risiko-Profil investiert und der Rest als Cash vorgehalten. Ist die Investition erfolgreich, wird die erste Aktie verkauft und der gleiche Anteil des Gesamtkapitals in eine zweite Aktie mit identischem Chance-Risiko-Profil investiert und so weiter.

Je nach Verlauf der Wetten / Investitionen über die Zeit (im Speziellen bei mehreren Verlusten hintereinander) kann es nun allerdings sein, dass ein Großteil des vorhandenen Cashs für die nächste Runde eingesetzt werden muss und nicht für weitere Investitionen zur Verfügung steht.

Bezogen auf unser Eingangsbeispiel: Verlieren wir unseren ersten Einsatz i.H.v. 25 EUR, dann benötigen wir wiederum 25% des verbliebenen Kapitals (also 25% von 75 EUR = ~19 EUR) für die nächste Wette. Dieses steht also eigentlich theoretisch gar nicht für weitere Investments zur Verfügung.

Auf die praktischen Implikationen dieser Logik gehe ich im zweiten Artikel zum Kelly Kriterium nochmal etwas detaillierter ein.


Fazit

Das Kelly Kriterium ist eine mathematische Formel, mithilfe derer wir den Gewinn maximierenden Einsatz (Anteil des Gesamtkapitals) für eine beliebige Investmentchance mit positivem Erwartungswert ermitteln können.

Hat eine Investment-Idee einen hohen Erwartungswert, d.h. eine hohe Wahrscheinlichkeit auf einen hohen Return, dann sollte laut Kelly Formel ein substantieller Anteil des Kapitals darauf gesetzt werden.

Erfolgreiche Investoren wie Warren Buffett und Mohnish Pabrai bestätigen mit ihren konzentrierten Wetten auf einzelne Unternehmen das Ergebnis.


Weitere Ressourcen

Fortune's Formula - Kelly Formel und Portfolio Allokation
Dhandho Investor - Kelly Kriterium

1 Kommentar zu „Das Kelly Kriterium: Ein hilfreiches Tool zur Portfolio Allokation?“

  1. Zunächst ersteinmal vielen Dank für deinen Blog, den ich nun schon seit einigen Jahre verfolge!

    Von der Kelly Formel ist Monish Pabrai allerdings davon abgerückt, sie für die Berechnung der Portfolio Größe eines Investments zu empfehlen. Das hat er in mehreren Interviews der letzten Jahren erwähnt. Er geht sogar soweit, dass er das Kelly Kapitel in „Dhando Investor“ heute nicht mehr aufnehmen würde (Quelle siehe unten). Soweit ich das verstanden habe, ist die Kelly Formel bei Investments nicht sinnvoll, da es immer nur um eine konkrete Investment Chance geht, aber Kelly wiederholte Chancen benötigt. In der Praxis gibt es aber nicht genügend davon. Funny Fact, Monish hat selbst einen Casino Bann bekommen, als er die Kelly Formel in Las Vegas ausprobiert hat ? (Quelle ist glaublich einer der Interviews im „The Investor Podcast“)

    Quelle – Monish Pabrai zur Frage der Verwrndung der Kelly Formel – Timestamp 1:33:43
    https://youtu.be/iW0Mv9zVt0o

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