In meinem letzten Artikel hatte ich euch die Industry Map als ersten Schritt für das Verständnis der Wettbewerbskräfte in einer Branche vorgestellt. Im zweiten Schritt unserer Branchenanalyse geht es nun darum, zu verstehen, wie sich der wirtschaftliche Gesamtgewinn der Branche auf die einzelnen Subsegmente bzw. Unternehmen verteilt und welche Unternehmen die attraktivsten Gewinnmargen bzw. Kapitalrenditen erzielen. Hierfür konstruieren wir den so genannten Profit Pool.
In diesem Artikel möchte ich euch einmal vorstellen, wie eine Analyse des Profit Pools rein konzeptionell aussieht. Darüber hinaus möchte ich euch eine Methodik vorstellen, wie ihr den Profit Pool mit recht einfachen Mitteln (und den frei zugänglichen Daten von Morningstar) abschätzen könnt. Das Ganze möchte ich dann in Fortführung der Erstellung der Industry Map am Beispiel der Airline Industrie darstellen.
Profit Pool: Was ist das?
Im Rahmen einer Branchenanalyse ist ein Verständnis über die Verteilung der Wertschöpfung auf die einzelnen Subsegmente ein wesentlicher Faktor. Hierfür konstruieren wir einen so genannten Profit Pool.
Der Begriff “Profit Pool” und auch die zugehörige Analyse und Visualisierung wurde Ende der 1990er Jahren von ein paar Beratern von Bain & Company entwickelt, um Manager großer Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Unternehmensstrategie zu unterstützen.
Hier die Definition des Profit Pools von Bain & Co:
The total profits earned at all points along the value chain of an industry. Companies that see what others do not see, will be best prepared for capturing a larger share of the profits in an industry. – Bain & Company
Im Grunde genommen geht es bei der Analyse der Profit Pools darum, den Gesamtgewinn einer Branche zu ermitteln und auf die verschiedenen Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette (bzw. die einzelnen an der Wertschöpfung teilnehmenden Unternehmen) zu verteilen.
Auf diese Weise wird ersichtlich, in welchen Segmenten bzw. Unternehmen der größte Anteil des Gewinns der Branche erwirtschaftet wird.
Mithilfe der Profit Pool Analyse können wir also eine der grundlegendsten Fragen im Rahmen der Branchenanalyse beantworten: Wo und wie wird in der Branche Geld verdient? Das einfache Mapping bietet oft eine völlig neue Perspektive auf eine bereits bekannte Branche (oder aber einen Blick auf ganz neue und interessante Unternehmen, die wir bisher gar nicht auf dem Schirm hatten).
Verschiedene Profit Pool Definitionen
Die Konstruktion eines Profit Pools ist im Grunde genommen nicht besonders schwierig: Wir definieren die einzelnen Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette – z.B. mithilfe einer Industry Map – und bestimmen dann die zugehörige Größe und Profitabilität bzw. Rentabilität der einzelnen Segmente.
Den gesamten Profit Pool können wir auf mehrere Arten und Weisen definieren. Im Paper von Bain wird die EBIT-Marge als Maßzahl für den Profit verwendet. Michael Mauboussin bzw. Credit Suisse nutzt als Maßzahl die über den WACC hinaus verdiente Rendite auf das investierte Kapital (ROIC – WACC) und bringt somit sowohl die Kapitalrendite, als auch das Geschäftsmodell und die Finanzierung mit ins Spiel, was aus Investorensicht natürlich noch etwas mehr Charm hat.
Theoretisch gibt es aber noch weitere Optionen für die Analyse des Profit Pools. Hier einmal alle Möglichkeiten aus meiner Sicht:
- Bain & Co: Der Profit Pool entspricht dem gesamten operativen Gewinn bzw. EBIT eines festgelegten Jahres für eine Branche (inkl. aller Sub-Segmente)
- Credit Suisse (Mauboussin): Der Profit Pool entspricht der gesamten Wertgenerierung (Economic Value Added oder EVA) einer Branche für ein festgelegtes Jahr. Die Wertgenerierung je EUR investiertem Kapital wird dabei als Differenz zwischen erwirtschafteter Kapitalrendite (ROIC) und zugehörigen Kapitalkosten (WACC) ermittelt. Erzielt ein Unternehmen einen ROIC oberhalb des WACC hat es zusätzlichen Wert generiert
- Weitere: Wir nutzen die Eigenkapitalrendite (Return on Equity) – korrigiert oder nicht korrigiert um die Eigenkapitalkosten oder den ROIC direkt für die Darstellung des Profit Pools
Dabei sollten wir im Hinterkopf behalten, dass sowohl die Eigenkapitalrendite als auch der Economic Value Added unter Umständen massiv von der Kapitalstruktur des Unternehmens beeinflusst werden. Ein Geschäftsmodell wie das Flugzeugleasing (Kapitalrendite ~5%) erzielt beispielsweise nur aufgrund des hohen Fremdkapitalanteils – der wohlgemerkt allerdings auch das recht niedrige Geschäftsrisiko reflektiert – einen positiven EVA bzw. eine attraktive EK-Rendite.
Ich möchte hier nun bewusst nicht für einen bestimmten Ansatz votieren. Eher im Gegenteil halte ich alle Sichtweisen für hilfreich (je nach Fragestellung) und würde versuchen, die Profit Pool Analyse entsprechend flexibel aufzusetzen… die Daten von Morningstar geben das nämlich durchaus her.
Konstruktion des Profit Pool in der Praxis
Auch wenn die Erstellung einer groben Übersicht des Profit Pools im Rahmen der Branchenanalyse von der Logik her recht einfach ist, kann die Beschaffung der entsprechenden Daten eine ziemlich komplizierte Aufgabe sein.
Trotzdem gibt es aus meiner Sicht einen relativ einfachen Weg, der es auch uns DIY Investoren ohne teure Zugänge zu bezahltem Research und Marktstudien ermöglicht, eine solche Profit Pool Analyse durchzuführen.
Dafür können wir die frei zugänglichen Finanzdaten von Morningstar nutzen. Unter folgender URL könnt ihr beispielsweise die wesentlichen Ratios und Kennzahlen für Air Lease (Ticker AL) ansehen und auch als .CSV-Datei herunterladen:
https://financials.morningstar.com/ratios/r.html?t=AL&culture=en&platform=sal
Die richtigen Ticker könnt ihr über den Link http://financials.morningstar.com herausfinden.
Für die Konstruktion des Profit Pools gehen wir nun entlang der folgenden vier Schritte vor (wobei sich die Schritte 3 und 4 recht gut automatisieren lassen):
- Wir erstellen eine Industry Map und identifizieren die einzelnen Subsegmente inklusive der größten Unternehmen (hier können wir die 80/20-Regel anwenden… wir müssen also nicht unbedingt jedes noch so kleine Unternehmen identifizieren)
- Wir laden uns die Daten aller Unternehmen von Morningstar herunter und kopieren die .CSV-Dateien in ein Tabellenblatt… sollte inklusive Tickersuche in max. 30 Minuten erledigt sein
- Wir aggregieren die für die Profit Pool Analyse relevanten Unternehmensdaten in einem Tabellenblatt und bauen auch ein Auswahl-Menü, das uns erlaubt, die Daten für verschiedene Jahre darzustellen (warum das sinnvoll ist, darauf gehe ich später noch ein)
- Ggf. aggregieren wir die Unternehmensdaten der Subsegmente nochmal zu einer Branchensicht (ich für meinen Teil kann allerdings bereits gut mit der Unternehmenssicht leben)
ROIC und investiertes Kapital
Da die Daten von Morningstar (jedenfalls in der “Ratios” Tabelle) an vielen Stellen recht grob sind, verwende ich für die Berechnung des ROIC (= NOPAT / Investiertes Kapital) die folgenden Proxies bzw. Annäherungen:
- NOPAT = EBIT x (1 – Steuersatz)
- Investiertes Kapital = Eigenkapital + langfristige Schulden + kurzfristige Schulden
Da wir allerdings hier (noch) kein konkretes Unternehmen im Detail analysieren, ist das aus meiner Sicht in Ordnung und reicht für eine erste Einschätzung erstmal aus.
WACC
Für die grobe Abschätzung des WACC arbeite ich im ersten Schritt mit standardisierten Eigenkapitalkosten von 12%. Die Fremdkapitalkosten berechne ich auf Basis einer Risk Free Rate von 1,5% sowie mithilfe eines Default Spreads, den ich für jedes einzelne Unternehmen auf Basis der Zinsdeckung (Interest Coverage = EBIT / Zinsaufwand) abschätze.
Weitere Details zum Default Spread könnt ihr im Artikel zur Abschätzung der Fremdkapitalkosten nachlesen.
Alternativ könnt ihr natürlich den tatsächlich gezahlten Effektizinssatz zu Grunde legen oder diesen mindestens nutzen, um die rechnerisch ermittelten FK-Zinsen zu validieren.
Mapping der Profit Pools
Grafisch können wir den Profit Pool dann recht einfach darstellen, indem wir auf der x-Achse unserer Grafik den kumulierten Umsatz oder das kumulierte investierte Kapital abtragen und auf der y-Achse die Profitabilität (also EBIT-Marge) bzw. die Rentabilität / Wertgenerierung (also ROIC oder ROIC minus WACC).
Jedes Unternehmen bzw. jedes Subsegment bekommt ein eigenes Kästchen. Diese Kästchen werden dann einfach nach der Profitabilität oder der Rentabilität sortiert nebeneinander dargestellt:
Die Fläche eines jeden Kästchens bzw. Rechtecks, also das Produkt aus Umsatz und EBIT-Marge bzw. investiertem Kapital und ROIC – WACC (Länge mal Breite des Rechtecks) entspricht logischerweise dem gesamten Profit bzw. der gesamten Wertschöpfung des jeweiligen Unternehmens.
Beispiel: Ein Unternehmen mit einem investierten Kapital von 200 Mio. USD und einer Überrendite (ROIC – WACC) von 5 Prozentpunkten steuert beispielsweise 10 Mio. USD (also 200 Mio. USD x 5%) zum gesamten Profit Pool bei.
Der gesamte Profit Pool einer Branche bzw. eines Sub-Segments ergibt sich dann aus der Summe der Profit Pools der Einzelunternehmen.
Über die Qualität der Morningstar Daten
Ein paar Dinge sollten wir bei der Nutzung der Daten von Morningstar beachten:
- Die Datensätze von Morningstar haben zwar den großen Vorteil, dass sie alle eine einheitliche Struktur besitzen. Auf der anderen Seite führt das aber leider oft zu falschen Zuordnungen von Kosten und/oder Bilanzpositionen. Die Daten eignen sich deshalb – jedenfalls aus meiner Sicht – zwar ganz gut für eine eher grobe Profit Pool Analyse. Wir sollten die Infos aber immer mit einer gewissen Skepsis betrachten
- Die Daten sind teilweise lückenhaft und nicht intuitiv (weil sie nicht zusammenpassen)
- Die wesentlichen Bilanzpositionen werden in der “Ratios” Tabelle von Morningstar nur als %-Anteil der Bilanzsumme dargestellt. Wir müssen diese also vorab erstmal mithilfe von Nettogewinn und Return on Assets (ROA) zurückrechnen
- Die Daten werden nicht für unterschiedliche Geschäftsjahre bereinigt. Darüber hinaus setzt Morningstar immer auf dem letzten verfügbaren Jahresabschluss auf. Heißt im Klartext: Es könnte z.B. sein, dass das letzte verfügbare GJ für einige Unternehmen noch das Jahr 2017 ist oder das das GJ 2018 bereits im März, Juni oder September geendet hat
- Die Aggregation von Unternehmensdaten zu einem Branchendurchschnitt wird oft stark von Ausreißern beeinflusst. Große Unternehmen haben ein großes Gewicht. Berücksichtigen wir z.B. GE (zur Zeit stark negativer ROIC) als Hersteller von Flugzeugtriebwerken für das Subsegment der Komponentenzulieferer für Flugzeuge, wird das gesamte Subsegment als unattraktiv dargestellt, obwohl es sehr profitable Unternehmen darin gibt (z.B. TransDigm)
- Was die Darstellung des Profit Pools angeht, liefert vermutlich der Ansatz von Bain & Company die solidesten Ergebnisse. Umsatz und operativer Gewinn/EBIT sollten nämlich in der Datenbank größtenteils richtig berücksichtigt sein. Bei ROIC und investiertem Kapital wird es da schon schwieriger
Wir sollten also daran denken, die Daten ggf. zu korrigieren bzw. Unternehmen mit merkwürdigen Zahlen im Rahmen der Analyse eher nicht zu berücksichtigen… beides habe ich wohlgemerkt für die hier vorgestellte Analyse nicht im Detail gemacht.
Veränderung des Profit Pools über die Zeit
Um die Gesamtrentabilität einer Branche zu verstehen, ist es hilfreich, die durchschnittliche Rentabilität über einen vollständigen Geschäftszyklus – in der Regel dauert dieser ca. drei bis fünf Jahre – zu analysieren. Allerdings können wir auf Basis von Durchschnittswerten weder erkennen, wo die einzelnen Segmente der Branche aktuell stehen, noch können wir erkennen, welche Trends bzw. Profit Pool Verschiebungen es über die Zeit gegeben hat.
Aus diesem Grund sollten wir die Entwicklung des Profit Pools nachverfolgen, indem wir uns einige Jahre explizit anschauen. Da Morningstar je Unternehmen eine Historie von 10 Jahren liefert, ist dies ohne einen großen Zusatzaufwand möglich.
Profit Pool Beispiel: Luftfahrtbranche
Im Folgenden möchte ich einmal – wie angekündigt – die Konstruktion des Profit Pools am Beispiel der Luftfahrtbranche erläutern.
Recap: Industry Map
Nochmal zur Erinnerung: In meinem Artikel zur Industry Map hatte ich die folgende Branchenkarte für die Luftfahrtindustrie vorgestellt:
Ca. 30 der in der Industry Map dargestellten Unternehmen habe ich einmal für die Erstellung des Profit Pools berücksichtigt, wohl wissend, dass es natürlich noch einige weitere, vor allem kleinere Player in den verschiedenen Segmenten gibt… aber gemäß der 80/20-Regel sollte die Auswahl bereits einen guten Überblick erlauben.
Profit Pool Analyse
Hier seht ihr einmal beispielhaft das Ergebnis für das Jahr 2018:
Profit Pool Luftfahrtbranche 2018; Quelle: Rohdaten von Morningstar
Die verschiedenen Farben repräsentieren die Hauptkomponenten der Wertschöpfungskette der Branche, einschließlich Fluggesellschaften, Flugzeugbauern (OEMs) und Komponentenherstellern (Parts), Anbietern von Buchungssystemen (Computer Reservation Systems bzw. CRS), Online Travel Agencies (OTAs) sowie Leasinggesellschaften.
Erste Schlussfolgerungen – Was fällt sofort auf?
Zum einen sind die US-amerikanischen Fluggesellschaften (Delta, American, Southwest etc.) offenbar um einiges größer als ihre europäischen Counterparts. Gemeinsam mit den Flugzeug- und Komponentenherstellern haben sie den größten Teil des investierten Kapitals gebunden. Die US-Airlines verdienten außerdem in 2018 scheinbar durchweg ihre Kapitalkosten.
Zum anderen können wir glaub ich gut erkennen, dass die attraktiven Returns einiger Unternehmen nicht so sehr auf das jeweilige Subsegment, sondern eher auf das spezifische Unternehmen zurückzuführen sind. Beispielsweise ist es nicht so, dass die betrachteten Online-Reisebüros (OTAs) und Aggregatoren (Booking Holdings/Priceline, Expedia, TripAdvisor etc.) alle substantiell mehr als ihre Kapitalkosten verdienen. Im Grunde genommen sticht da nur Booking Holdings sehr positiv heraus. Gleiches gilt für die Computer Reservation Systems (CRS): Hier ist die Amadeus IT Group ziemlich weit links zu finden, der Wettbewerber Sabre eher im Mittelfeld (obwohl auch noch mit einem attraktiven Return).
Bezüglich der Veränderungen über die Zeit ist vor allem die Erstellung eines Narrativs zur Erklärung des Aufstiegs und Falls bestimmter Wettbewerber hilfreich. Dieser kann uns wichtige Hinweise darauf geben, was zur Aufrechterhaltung einer guten Positionierung im Markt erforderlich ist. Ein Vergleich von TripAdvisor und Booking Holdings bietet sich hier an. Booking hat es z.B. über die letzten Jahre geschafft, überaus hohe Kapitalrenditen zu erzielen, während TripAdvisor sich über die Zeit von einem der profitabelsten Unternehmen der Branche zu einem Unternehmen gewandelt hat, das gerade noch seine Kapitalkosten verdient.
Resultierende Investment-Ideen
In Summe ergeben sich aus der Analyse außerdem ein paar interessante Investment-Ideen… teilweise in Segmenten, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte:
- OTAs: Booking Holdings – Das Unternehmen ist ja bei einigen Diskussionen unter Value Investoren bereits ein Thema
- CRS: Amadeus IT Group – Kannte ich vorher gar nicht, nach allem was ich verstehe könnte es sich um ein sehr attraktives Geschäftsmodell handeln
- Komponentenhersteller: TransDigm – Hatte ich mir vor einigen Jahren einmal angesehen, damals nur leider für zu teuer befunden
Auch die US-amerikanischen Airlines (z.B. LUV oder AAL) könnten einen zweiten Blick wert sein.
Download der Profit Pool Analyse in Excel
Nach längerer Zeit habe ich diesmal wieder ein Excel zum Download vorbereitet, mit dem ihr die Profit Pool Analyse nachvollziehen und auf andere Industrien adaptieren könnt.
Für den Download geht einfach auf die DIY Tools Seite und meldet euch für den Newsletter an. Solltet ihr den Newsletter bereits erhalten, dann geht einfach direkt auf die bekannte Download-Seite für Abonnenten.
Disclaimer: Ich habe die Daten nicht im Detail geprüft, da die Analyse hauptsächlich zur Illustration des Konzepts gedacht ist.
3 Kommentare zu „Branchenanalyse Teil 2: Den Profit Pool verstehen und analysieren“
Danke für die Analyse und den Artikel.
Statt TransDigm könntest Du Dir ja den Small Cap FACC anschauen.
Danke Hans-Jürgen… werd ich tun!
Das hast du sehr gute erklärt. Morningstar nutze ich auch meistens, die deutschen Seiten sind oft etwas mau mit frei zugänglichen Unternehmensdaten ausgestattet.