Eine Industry Map oder Branchenlandkarte ist ein einfaches und effizientes Mittel, um schnell einen Überblick über die Wettbewerbssituation einer bestimmten Branche und die Wirkzusammenhänge zwischen den verschiedenen Sub-Branchen zu erhalten. Im Rahmen unserer Unternehmens- bzw. Aktienanalyse steht die Erstellung der Industry Map ganz am Anfang und bildet die Grundlage für unser Verständnis ggf. vorhandener Wettbewerbsvorteile bzw. Moats.
In diesem Artikel möchte ich einmal etwas detaillierter auf das Erstellen einer Industry Map bzw. Branchenlandkarte eingehen und das Ganze anhand eines Beispiels etwas erläutern.
Industry Map Intro
Laut Bruce Greenwald (Competition Demystified) muss ein Investor drei wesentliche Schritte durchführen, um zu verstehen, ob ein Unternehmen von einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bzw. Moat profitiert:
- Das Wettbewerbsumfeld verstehen, in dem das Unternehmen aktiv ist: Welches sind genau die relevanten Märkte? Wer sind die Wettbewerber in diesen Märkten?
- In jedem relevanten Marktsegment die Existenz von Wettbewerbsvorteilen bzw. Eintrittsbarrieren prüfen: Sind die Marktanteile relativ stabil? Verdienen die Unternehmen im Markt über einen längeren Zeitraum eine attraktive Kapitalrendite?
- Die Ursache und Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils identifizieren: Gibt es proprietäre Technologien? Gibt es andere Produktions- oder Kundenvorteile etc.?
Vorgehen zur Abschätzung eines Moat, Quelle: Bruce Greenwald: Competition Demystified
Eine etwas detailliertere Checkliste für den Aufbau eines Verständnisses der Wettbewerbsvorteile könnt ihr im Artikel Measuring the Moat nachlesen.
Industry Map Fragen und Antworten
Im Folgenden möchte ich mich nun etwas detaillierter mit dem ersten Schritt, nämlich dem Verständnis des Wettbewerbsumfelds, befassen. Dieser beinhaltet im Wesentlichen das Aufmalen (im wahrsten Sinne des Wortes) der so genannten Industry Map… übersetzt vielleicht Branchenlandkarte (wie so oft habe ich noch keine deutsche Entsprechung dieses Begriffs gehört).
Die Industry Map soll eigentlich nur drei Aufgaben erfüllen bzw. Fragen beantworten (diese sind aber dafür wesentlich):
- Sie soll eine Abgrenzung der verschiedenen Sub-Segmente in einem Markt liefern
- Die Industry Map soll die für die relevanten Märkte die Struktur des Wettbewerbs aufzeigen
- Sie soll helfen, die potenziellen Wechselwirkungen zu verstehen, die letztendlich die nachhaltige Wertgenerierung für die gesamte Branche sowie für die einzelnen Unternehmen der Branche beeinflussen
Die Abgrenzung der Segmente ist dabei nicht immer ganz einfach und oft auch etwas subjektiv. Wenn allerdings die gleichen Unternehmensnamen in mehreren Marktsegmenten auftauchen, dann können wir diese üblicherweise als ein einziges Segment betrachten.
Im Grunde genommen leisten wir mit dem Erstellen der Industry Map also die Vorarbeit für die nachgelagerte Wettbewerbsanalyse nach Michael Porter (Porter’s 5 Forces), wo wir uns speziell die Eintrittsbarrieren sowie die Rivalität und Interaktion der Wettbewerber untereinander ansehen.
Details zur Entwicklung einer Industry Map oder Branchenlandkarte
Ein Atlas enthält typischerweise Landkarten in ganz unterschiedlichen Granularitäten. Da gibt es die Welt und die einzelnen Kontinente in der Übersicht, Karten einzelner Länder sowie oft auch ein paar Detailkarten (Karten bestimmter Regionen, Rohstoffkarten, Infrastrukturkarten etc.).
Ganz analog dazu können wir über unsere Industry Map nachdenken. Wir beginnen mit einer groben Übersicht und verfeinern diese dann an den erforderlichen Stellen.
Aus Sicht der Branche können wir Interaktionen mit drei Gruppen unterscheiden: Lieferanten (wie viel es kostet, Inputs zu erhalten), Kunden (wie viel jemand bereit ist, für eine Ware oder Dienstleistung zu bezahlen) und externe Faktoren (andere Faktoren wie z.B. regulierende Eingriffe in den Markt).
Folgende Punkte sollten wir bei der Entwicklung einer Branchenlandkarte bzw. Industry Map beachten:
- Am besten listen wir die Unternehmen direkt in der Reihenfolge ihrer Relevanz auf, die in der Regel über die Größe oder den Marktanteil definiert ist
- Wir berücksichtigen neben den bestehenden Spielern auch potenzielle Neueinsteiger
- Wir schauen uns die Art der wirtschaftlichen Interaktionen zwischen den Unternehmen an (z. B. Anreize, Zahlungsbedingungen)
- Idealerweise berücksichtigen wir auch die anderen Faktoren, die die Rentabilität beeinflussen könnten (z. B. Personalaspekte, Regulierung etc.)
Haben wir die Industry Map einmal erstellt und die Struktur verstanden, fällt es uns in der Regel viel leichter, auch Rückschlüsse auf mögliche Disruptionen und Abhängigkeiten zu ziehen.
Beispiel Industry Map: Airlines
Um einmal zu verstehen, was genau unter einer Industry Map zu verstehen ist, ist es am sinnvollsten, sich einmal ein konkretes Beispiel anzusehen.
Hierfür bietet sich die im Paper von Mauboussin vorgestellten Luftfahrtbranche an. Da die Branche eher regional aufgestellt ist (in Europa gibt es mit Lufthansa, Ryanair, IAG, Air France-KLM, easyJet etc. ganz andere Player als beispielsweise in den USA), entwickeln wir die Industry Map für eine bestimmte Region.
Hier einmal die Industry Map für Nordamerika bzw. die USA:
Im Zentrum der Branchenlandkarte stehen natürlich die Fluggesellschaften, wobei wir diese grob in “Hub-and-Spoke” Airlines, regionale Fluggesellschaften und Billigflieger (Low Cost Carriers oder LCCs) unterteilen können.
Aufgrund der Vielzahl an Wettbewerbern und des steigenden Kostendrucks durch die LCCs, ist das Geschäft der Fluglinien nach wie vor eines, welches auf operative Effizienz und niedrige Kosten ausgerichtet ist. Dies wird auch an vielen Schnittstellen zur Lieferanten- und Kundenseite deutlich.
Flugzeugbauer und Zulieferer
Die für den Betrieb einer Airline essentiellen Flugzeuge werden im Wesentlichen nur von zwei großen Anbietern, nämlich Airbus und Boeing, gebaut… andere Anbieter wie Bombardier und Embraer, die i.W. kleinere Regionaljets herstellen, sind im Vergleich recht klein. Die Airframe Hersteller bzw. OEMs werden ihrerseits von einer ganzen Reihe an Komponentenzulieferern versorgt.
Hervorzuheben sind hier vor allem die Hersteller der Triebwerke, die sich ebenfalls in einem sehr stark konsolidierten Markt bewegen. Im Wesentlichen gibt es hier nur GE, Pratt & Whitney (United Technologies) und Rolls Royce sowie ein paar kleinere Anbieter (wie z.B. MTU Aero Engines).
Für die Airlines ist diese Konzentration im Bereich der Flugzeugbauer und Triebwerkshersteller natürlich problematisch… wobei die Marktmacht allein noch nichts über die Profitabilität bzw. Rentabilität des entsprechenden Segments aussagt, wie wir an der Analyse der Profit Pools der einzelnen Segmente noch sehen werden (allerdings nicht mehr in diesem Artikel 🙂 ).
Andere wesentliche Lieferantenabhängigkeiten
Als weitere wesentliche Einflussfaktoren der Profitabilität auf der Lieferanten-Seite sind vor allem die Start- und Landerechte an den relevanten Flughäfen, das Kerosin sowie das Personal (Piloten und Kabinen-Crews, Bodenpersonal) inklusive der externen Dienstleister (ggf. Catering etc.) zu nennen.
Etwas separat zu sehen ist die Finanzierung der Flugzeuge durch Banken oder Leasinggesellschaften wie z.B. Air Lease. Inzwischen werden ca. 40% der gesamten Flugzeugflotte durch die Leasinggesellschaften finanziert, was unter anderem an den teilweise schwachen Bilanzen der Airlines, aber auch an der limitierten Verfügbarkeit neuer und effizienter Flugzeuge im Markt liegt.
Rückschlüsse: Alle oben genannten Kostenfaktoren sind durch die Airlines nur in sehr begrenztem Maße beeinflussbar:
- Weitere Start- und Landerechte können quasi nur im Rahmen der Insolvenz eines Wettbewerbers übernommen werden (siehe Air Berlin Pleite)
- Bzgl. der Energiekosten können die Fluggesellschaften eigentlich nur auf die Kosteneffizienz der Flugzeuge, nicht aber auf die Kerosinpreise Einfluss nehmen… wobei sie dabei in Abhängigkeit von Flugzeugbauern und Leasingfirmen geraten
- In der Regel sind die Mitarbeiter, egal ob Piloten, Kabinen- oder Bodenpersonal, gewerkschaftlich organisiert und haben einen großen Einfluss (selbst Ryanair konnte sich der gewerkschaftlichen Organisation der Mitarbeite ja nicht länger widersetzen). Streiks und regelmäßige Zugeständnisse bei Löhnen und Gehältern sind deshalb an der Tagesordnung
Die Airlines sind außerdem in hohem Maße von der Verfügbarkeit externer Finanzierungsoptionen abhängig.
Computer Reservation Systems, Reisebüros, OTAs und Aggregatoren
An der Kundenschnittstelle haben sich in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe an Vertriebskanälen (vor allem online) entwickelt. Die so genannten Online Travel Agencies (OTAs) und Aggregatoren wie TripAdvisor, Expedia, Fluege.de, priceline.com (gehört zu Booking Holdings) und auch die Airlines mit ihren eigenen Buchungsportalen sorgen für eine vergleichsweise hohe Preistransparenz und gute Vergleichsmöglichkeiten für die Flugreisenden.
Die entsprechenden Flugdaten werden größtenteils mittels verschiedener APIs von einem so genannten Global Distribution System (GDS) – oder alternativ auch Computer Reservation System (CRS) genannt – bereitgestellt. Hierfür gibt es weltweit nur eine Handvoll größerer Anbieter, nämlich Amadeus, Travelport (Galileo, Worldspan) und Sabre.
Die attraktiven Margen dieser Intermediäre sind auch ein Grund dafür, dass viele Airlines damit begonnen haben, Flüge direkt über ihre eigenen Webseiten anzubieten und zu versuchen, die CRS und OTAs – die ja nicht gerade unerhebliche Gebühren bzw. Provisionen verlangen – damit zu umgehen… für die Kunden bieten die Vergleichsportale aber natürlich einen immensen Mehrwert, weil sie die Suchkosten (ein Beispiel für eine Wechselbarriere) stark reduzieren.
Fazit
Ihr seht: Wenn ihr einmal etwas Gehirnschmalz und Zeit in die Entwicklung einer Industry Map steckt, dann kann euch das für das Verständnis einer Branche sehr helfen… wobei ich im vorgestellten Beispiel ja nur ein paar ganz rudimentäre Rückschlüsse gezogen habe.
Im Idealfall versteht ihr aber nicht nur die Wettbewerbssituation im betrachteten Markt selbst, sondern auch die Wechselwirkungen und Einflussgrößen der angrenzenden Segmente / Branchen.
Der nächste Schritt besteht aus meiner Sicht nun darin, ein besseres Verständnis für die Verteilung der Profite und die erzielbaren Kapitalrenditen in den einzelnen Subsegmenten zu erlangen. Hierfür schauen wir uns als nächstes die Profit Pools der Industrie an.