Sowohl ein Squeeze-Out (Beispiel Linde und Praxair) als auch ein Beherrschungsvertrag (Beispiel MAN und VW) sind so genannte Strukturmaßnahmen, die ggf. im Nachgang einer Unternehmensübernahme durchgeführt werden. Beide Maßnahmen ziehen das Angebot einer Barabfindung nach sich, deren Höhe in der Regel nochmal durch ein Gericht geprüft werden muss. Hieraus kann sich für die Minderheitsaktionäre ein sehr attraktiver (Zusatz-)Return ergeben. Denn die Nachbesserung der Abfindung ist in der Regel nur ein Teil dessen, was die Aktionäre noch an Zahlungen erhalten können.
In diesem Artikel möchte ich einmal auf die Berechnung des möglichen Returns aus einer nachträglichen Nachbesserung von Barabfindung bzw. Garantiedividende durch das zuständige Gericht eingehen.
Recap: Squeeze-Out, Beherrschungsvertrag und Spruchverfahren
Im Grunde genommen gibt es zwei wesentliche Arten von Strukturmaßnahmen in deren Zuge es zu einer Abfindung für die Aktionäre und zu einem anschließenden Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit dieser Abfindung kommen kann:
- Einen Squeeze-Out
- Den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (BGAV)
Sowohl einem Squeeze-Out als auch einem Beherrschungsvertrag geht die Ãœbernahme eines Unternehmens durch ein anderes voraus.
Hat die übernehmende Gesellschaft bzw. das übernehmende Unternehmen einen Besitzanteil von über 90% erreicht, dann kann es die verbleibenden Aktionäre gegen eine Barabfindung aus dem Unternehmen drängen (Squeeze-Out) oder einen BGAV abschließen.
Hat das übernehmende Unternehmen zwar die Mehrheit erreicht, der Besitzanteil liegt jedoch unterhalb der magischen 90%-Marke, dann bleibt nur die Option eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (BGAV) und die Zahlung einer regelmäßigen Garantiedividende an die Minderheitsaktionäre für die faktische Übernahme der vollen Kontrolle. Allerdings muss den Minderheitsaktionären auch in diesem Fall die Möglichkeit gegeben werden, gegen eine festgelegte Abfindung aus dem Unternehmen auszusteigen.
Die von den Unternehmen vorgeschlagene Abfindung wird zwar bereits im Vorfeld der für den Beschluss erforderlichen außerordentlichen Hauptversammlung von einem vom Gericht bestellten und unabhängigen Prüfer auf ihre Angemessenheit geprüft. Trotzdem kommt es in vielen Fällen nach Beschluss des Squeeze-Out bzw. des BGAV im Rahmen eines so genannten Spruchverfahrens zu einer weiteren Überprüfung, angestoßen durch einzelne Minderheitsaktionäre.
Erzielter Return
Wer in eine Aktie investiert, für die ein Squeeze-Out bzw. der Abschluss eines BGAV wahrscheinlich ist, dem könnten zu einem späteren Zeitpunkt – d.h. nach Abschluss des Spruchverfahrens – zusätzliche Zahlungen zufließen.
Je nach Art der Strukturmaßnahme (Squeeze-Out oder BGAV) setzt sich der erzielte Return aus verschiedenen Bestandteilen zusammen:
- Der Höhe der durch das Gericht beschlossenen Abfindung bzw. Nachbesserung (im Vergleich zum Einstiegskurs bzw. zur bereits erhaltenen ersten Abfindung)
- Der Verzinsung der Abfindung bzw. der Nachbesserung (5% über dem Basiszinssatz der Bundesbank… nicht zu verwechseln übrigens mit dem risikolosen Zins für die Berechnung der Kapitalkosten im Rahmen des Ertragswertverfahrens)
- Der Garantiedividende sowie ggf. einer nachträglichen Erhöhung
Der Minderheitsaktionär, der im Rahmen eines Squeeze-Out zwangsabgefunden wurde, erhält ggf. die Nachbesserung auf die bereits erhaltene Abfindung sowie die Verzinsung ebendieser (also Bestandteile 1 und 2). Eine Garantiedividende spielt in diesem Fall keine Rolle.
Im Zuge des Abschlusses eines Beherrschungsvertrages gibt es für den Minderheitsaktionär zwei Möglichkeiten. Entweder er scheidet direkt nach Abschluss des BGAV gegen Zahlung der Abfindung aus. Dieser Fall wäre quasi äquivalent zum Squeeze-Out. Oder aber er entscheidet sich für das Halten der Aktie und für den Erhalt der Garantiedividende inkl. etwaiger Nachbesserungen.
Auch im letzteren Fall bleibt dem Aktionär nach § 305 AktG das Wahlrecht auf Erhalt von Barabfindung und Abfindungszinsen. Laut einem BGH-Urteil aus 2002 werden die dem Aktionär bisher zugeflossenen Ausgleichszahlungen dann allerdings mit den Abfindungszinsen verrechnet:
Übt bei einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag ein Aktionär der beherrschten Gesellschaft nach Entgegennahme von Ausgleichszahlungen gemäß § 304 AktG von der herrschenden Gesellschaft sein Wahlrecht auf Barabfindung nach § 305 AktG aus, so sind die empfangenen Ausgleichsleistungen ausschließlich mit den Abfindungszinsen nach § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG, nicht jedoch mit der Barabfindung selbst zu verrechnen.
BHG-Urteil vom 16. September 2002
Das heißt im Klartext, dass ein Aktionär, der bisher die Garantiedividende erhalten und sich irgendwann doch für die Barabfindung entschieden hat, immer mindestens die Barabfindung zuzüglich dem Maximum aus Garantiedividende und Abfindungszinsen erhält. Liegen die Abfindungszinsen oberhalb der Garantiedividende, dann erhält der Investor für die Differenz einen Ausgleich.
Somit ergeben sich vier verschiedene Optionen für die Berechnung des Returns:
Das Fall MAN, auf den wir weiter unten nochmal mehr im Detail eingehen werden, wird aufgrund der Aufkündigung des Beherrschungsvertrages durch VW genauso behandelt wie die aktive Ausübung des Wahlrechts durch den Aktionär. Aber dazu weiter unten mehr. Zunächst noch kurz eine Übersicht über ein paar Spezifika der verschiedenen Return-Bestandteile.
#1: Barabfindung bzw. Nachbesserung
Der erste und wesentliche Teil des aus einem Squeeze-Out bzw. einem Beherrschungsvertrag potenziell erzielten Returns ist natürlich die Barabfindung inklusive der Nachbesserung welche den Minderheitsaktionären zugesprochen wird.
Der erzielte Return steht dabei in direktem Zusammenhang zum Einstiegskurs und setzt sich aus den folgenden zwei Bestandteilen zusammen:
- Der Differenz zwischen erster Abfindung und Einstiegskurs
- Der ggf. durch das Gericht festgelegten Nachbesserung auf die erste Abfindung
Je nach dem zu welchem Zeitpunkt der einzelne Aktionär eingestiegen ist, kann die Differenz der ersten Abfindung zum Einstiegskurs quasi gleich Null sein. Dies trifft in der Regel dann zu, wenn der Einstiegszeitpunkt zeitlich zwischen dem Beschluss des Squeeze-Out durch die HV und der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister liegt. Der Aktionär spekuliert in diesem Fall einzig und allein auf eine spätere Nachbesserung der Abfindung durch das Gericht.
#2: Verzinsung von Abfindung bzw. Nachbesserung (Abfindungszinsen)
Die Paragraphen 305 Abs. 3 Satz 3 AktG (BGAV) und 327b Abs. 2 AktG (Squeeze-Out) besagen, dass die Abfindung (bzw. die Nachbesserung, also die Abfindung korrigiert um bereits erhaltene Zahlungen) über den Zeitraum des Spruchverfahrens, d.h. vom Eintrag der Strukturmaßnahme in das Handelsregister bis zum finalen Gerichtsentscheid, mit 5% über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank nach $247 BGB verzinst werden muss.
Der Basiszinssatz der Bundesbank, wie ihr ihn auch weiter unten im Berechnungsbeispiel findet, kann auf der Internetseite der Deutschen Bundesbank abgerufen werden.
Die Verzinsung der Abfindung bzw. Nachbesserung ist insbesondere für diejenigen Aktionäre interessant, die sich nach Abschluss des BGAV noch nicht haben abfinden lassen. In diesem Fall verzinst sich nämlich die gesamte Abfindung zusätzlich mit 5% +/-x… und zwar für den gesamten Zeitraum zwischen der Eintragung des BGAV ins Handelsregister und dem Abschluss des Spruchverfahrens bzw. des Andienens der Aktien und dem Erhalt der Abfindung. Wie bereits erläutert werden die erhaltenen Garantiedividenden allerdings auf die Abfindungszinsen angerechnet.
Allen Aktionäre, die im Rahmen des Squeeze-Out oder des BGAV bereits abgefunden wurden, werden die bereits erhaltenen Zahlungen auf die Verzinsung angerechnet, d.h. es wird nur die etwaige Nachbesserung verzinst.
#3: Garantiedividende (nur bei BGAV)
In einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wird typischerweise die Abführung des gesamten Gewinns an die beherrschende Gesellschaft festgelegt. Hierfür muss die Gesellschaft die Minderheitsaktionäre natürlich irgendwie entschädigen, was über die so genannte Garantiedividende bzw. regelmäßige Ausgleichszahlung geschieht.
Diese regelmäßige Ausgleichszahlung wird auf Basis von zwei Prämissen ermittelt:
- Sie orientiert sich ganz bewusst nicht am tatsächlich erwirtschafteten Gewinn des Tochterunternehmens, sondern geht vom planerischen Durchschnittsgewinn aus, der auch Grundlage für die Ermittlung des Ertragswertes ist
- Die Verzinsung entspricht derjenigen einer langlaufenden Anleihe in der dem Unternehmen entsprechenden Risikoklasse
Mehr Informationen zur Berechnungslogik könnt ihr im DIY Investor Artikel zum BGAV bei MAN nachlesen.
Auch die im Beherrschungsvertrag festgelegte Garantiedividende wird im Rahmen des Spruchverfahrens durch das zuständige Gericht überprüft und ggf. nachträglich angepasst.
Return aus Nachbesserung – Beispiel MAN
Hier einmal die beispielhafte (und überschlägige) Berechnung des Returns für die verschiedenen Optionen, die sich für einen Minderheitsaktionär nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ergeben, nämlich
- Abfindung nach Abschluss des BGAV
- Andienen der Aktien nach Ausübung des gesetzlich verankerten Wahlrechts
- Weiteres Halten der Aktien
Wie angekündigt verwenden wir als Beispiel wieder den Fall MAN. Wir gehen davon aus, dass der Aktionär seine Aktie um den Termin der außerordentlichen Hauptversammlung herum zu einem Kurs von 79 EUR kaufen konnte.
Grundlage für die Return-Ermittlung ist zunächst die Berechnung der zwischen Mitte 2013 (Eintragung des BGAV ins Handelsregister) und Ende 2018 (Kündigung des BGAV durch VW) aufgelaufenen Abfindungszinsen bzw. ausbezahlten Ausgleichszahlungen / Garantiedividenden:
Die Abfindungszinsen berechnen wir einmal auf die gesamte Barabfindung i.H.v. 90,29 EUR (dies ist der Betrag, der demjenigen Investor zusteht, der bisher noch keine Abfindungszahlungen erhalten hat) und einmal nur auf die Nachbesserung i.H.v. 9,40 EUR (dies ist der Betrag, der demjenigen zusteht, der die erste Abfindung i.H.v. 80,89 EUR bereits kurz nach der Eintragung des BGAV ins Handelsregister erhalten hat).
Hier die Berechnung der Rendite für die verschiedenen Optionen:
Wie ihr sehen könnt, erhält der Investor, der seine Aktien erst Ende 2018 – innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntmachung des Gerichtsentscheids – eingereicht hat, neben der vollen Abfindung noch ca. 31 EUR je Aktie an Garantiedividenden. Seine Gesamtrendite beläuft sich also auf insgesamt ca. 42 EUR je Aktie.
Hätten die ausgezahlten Garantiedividenden unterhalb der Abfindungszinsen i.H.v. 20,93 EUR gelegen, dann hatte der Investor die Differenz noch zusätzlich ausgeglichen bekommen.
Sollte der Investor seine Aktien bereits nach der außerordentlichen HV in 2013 angedient haben, wird die bereits erhaltene Abfindung auf die Verzinsung angerechnet, d.h. es verzinst sich nur die Differenz. Der Return dieses Investors setzt sich somit zusammen aus der Differenz aus finaler Abfindung und Einstiegskurs (1,89 EUR + 9,40 EUR) sowie den Abfindungszinsen auf den noch nicht erhaltenen Teil der Abfindung (2,18 EUR). Damit stellt diese Option auf den ersten Blick die im Vergleich schlechteste Wahl dar. Allerdings – und das dürfen wir nicht vergessen – hatte der Investor ja bereits in 2013 je Aktie 80,89 EUR zur Verfügung, die er für andere Investments hätte einsetzen können.
Fazit
Im Nachgang zu einem Squeeze-Out oder dem Abschluss eines Beherrschungsvertrages prüft ein Gericht in der Regel die Angemessenheit von Barabfindung und Garantiedividende (letztere nur im Falle des BGAV).
Spricht das Gericht den (ehemaligen) Minderheitsaktionären eine Nachbesserung auf die Abfindung zu, wird diese zusätzlich über den gesamten Zeitraum zwischen Eintragung des ursprünglichen Beschlusses in das Handelsregister und der tatsächlichen Auszahlung der Abfindung attraktiv verzinst (so genannte Abfindungszinsen). Minderheitsaktionäre einer beherrschten Gesellschaft erhalten ggf. eine erhöhte Garantiedividende.
Im Fall von MAN konnte ein Aktionär – je nach Ausstiegsoption (2013 vs. 2018) – zusätzlich zwischen ca. 3% und 9% pro Jahr an Rendite erzielen. Damit können solche Strukturmaßnahmen eine attraktive Zusatzeinkommensquelle darstellen.
3 Kommentare zu „Zusatz-Return aus Nachbesserung nach einem Spruchverfahren: Damit könnt ihr rechnen“
Danke für den aufschlussreichen Beitrag! Ich habe eine praktische Frage. Erhält man, bei Nichtandienung der Aktien, im Falle eines Squeeze-Out, automatsch Nachbesserungsrechte eingebucht? Ist nachfolgend ein Tätigwerden jedes Investors im Spruchstellenverfahren erforderlich, oder werden die ggf. im Spruchstellenverfahren festgestellte zusätzliche Abfindung automatisch über die Depotbank gebucht?
Hallo Lars,
für alle Antragsberechtigten, die nicht selbst keinen Antrag auf Überprüfung bei Gericht stellen, wird typischerweise vom Gericht ein gemeinsamer Vertreter bestimmt, um deren Interessen zu vertreten.
Man muss also nicht unbedingt selbst tätig werden.
Viele Grüße,
Axel
Danke Axel,
das hilft mir sehr!
Viele Grüße
Lars