Vor ein bis zwei Wochen haben ich bei DGAP eine Stimmrechtsmitteilung gesehen, die besagte, dass eine US-Firma namens Pzena Investment Management einen 3%-Anteil an der Salzgitter AG übernommen hat. Etwas Research in Bezug auf Pzena förderte einen Artikel im Barron’s Magazin mit dem Titel “Drilling Deep for Value” zu Tage.
Das heißt Pzena ist im Wesentlichen ein Value Investor im klassischen Sinne und sieht offenbar im Kauf der Salzgitter Aktie eine größere Opportunität. Ob der Investor auch aktivistisch tätig werden will (wäre ja bei dem Anteil durchaus möglich) ist mir aktuell nicht bekannt. Aufgefallen ist mir die Firma allerdings in dieser Rolle bisher nicht.
Wie dem auch sei. Als Reaktion auf die Meldung habe ich mir die Salzgitter Aktie einmal im Detail angesehen. Was dabei heraus gekommen ist, möchte ich hier nun einmal gerne zur Diskussion stellen.
Background Salzgitter
Nur ganz kurz… die Salzgitter AG ist ein im SDAX gelisteter deutscher Stahl- und Technologiekonzern, wobei das Stahlgeschäft (und dem nahe liegende Bereiche wie Stahlhandel) in der Regel mehr als 80% des Umsatzes ausmacht.
In Summe besteht das Unternehmen aus den fünf Geschäftsbereichen Flachstahl, Grobblech / Profilstahl, Mannesmann, Handel und Technologie. Bis aus das Technologie-Segment, bei dem es i.W. um den Bau von Abfüllanlagen für Getränke (KHS), Besohlungsanlagen für die Schuhproduktion etc. (also Kleinanlagenbau) geht, sind alle Segmente mehr oder weniger vom Stahlzyklus abhängig.
Über die fünf Geschäftsbereiche hinaus hält die Salzgitter AG außerdem zwei größere Beteiligungen:
- einen nicht-konsolidierten 50%-Anteil an Europipe, einem Röhrenhersteller mit Fokus auf die Öl- und Gasindustrie
- einen 30% Anteil am größten europäischen Kupferproduzenten Aurubis
Beide Anteile werden als Ergebnis aus assoziierten Unternehmen (also @Equity Income) ausgewiesen. Aktuell macht der Aurubis-Anteil einen nicht unwesentlichen Teil der Marktkapitalisierung der Salzgitter AG aus, wie wir gleich sehen werden.
Kapitalmarktsicht auf Salzgitter AG
In den letzten Monaten haben i.W. alle größeren Stahlunternehmen bereits Gewinnwarnungen ausgesprochen und (wo möglich) Impairments auf die Buchwerte ihrer Vermögenswerte vorgenommen. Salzgitter selbst hat zuletzt am 14. Januar mitgeteilt, dass es einmalige Abschreibungen i.H.v. ca. 200 Mio. EUR für das gerade abgelaufene Geschäftsjahr 2019 geben wird.
Die Gewinne sind generell bereits recht stark zurückgegangen und der Markt antizipiert, dass diese jedenfalls im Stahlgeschäft noch weiter zurückgehen werden. Das heißt, der Tiefpunkt des Zyklus ist vielleicht noch nicht ganz erreicht, im Aktienkurs aber unter Umständen bereits reflektiert. Dieser steht deshalb aktuell bereits bei ca. 16 EUR und damit recht nahe am 5 Jahres-Tief von ca. 14 EUR.
Aktienkursentwicklung Salzgitter AG; Quelle: Yahoo Finance
Die Marktkapitalisierung beträgt dem entsprechend ca. 900 Mio. EUR. Hiervon macht der Aurubis-Anteil aktuell ca. 670 Mio. EUR aus (ca. 30%-Anteil x 50 EUR/Aktie x 45 Mio. ausstehende Aktien). Laut Adam Riese ist das restliche Geschäft von Salzgitter also nur mit ca. 250 Mio. EUR bewertet.
Allerdings hat sich gleichzeitig die bisherige Nettofinanzposition – durch die schlechte Performance, aber auch durch den Rückkauf bzw. Ausbau des Aurubis-Anteils auf knapp 30% – in eine Nettoverschuldung umgekehrt.
Die Pensionsverschuldung ist aufgrund des historisch niedrigen Diskontierungssatzes von unter 1% außerdem inzwischen auf über 2,5 Mrd. EUR angewachsen.
Investment Thesis
Die Salzgitter AG ist ein stark vom Stahlgeschäft abhängiges zyklisches Unternehmen. Im Wesentlichen bedeutet das, dass sich die Gewinne nicht gleichförmig und planbar entwickeln. Eher im Gegenteil: es ist in dieser Branche nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen aufgrund massiver Gewinneinbrüche von jetzt auf gleich vom Wachstums- in den Krisenmodus umschalten müssen. Kostenprogramme bzw. Sparprogramme sind deshalb eher die Regel als die Ausnahme.
Über den gesamten Zyklus verdient das Unternehmen zwar vermutlich nicht seine Kapitalkosten (d.h. über einen längeren Zeitraum wird Wert vernichtet)… aus diesem Grund handelt es sich bei Salzgitter auch eher nicht um ein “Set it and forget it” bzw. ein “Buy and Hold” Investment. Wenn man aber grob zum richtigen Zeitpunkt im Zyklus einsteigt, kann trotzdem ein attraktiver Return herauskommen.
Denn wie Tim Koller von McKinsey in ihrem Buch Valuation schreibt:
In cyclical industries, assets are often undervalued at the bottom of the cycle, which could create relatively cheap acquisition opportunities. – Tim Koller, Valuation
In diesem Sinne habe ich mir einmal drei Zustände angesehen:
- Sofern das Unternehmen den nächsten Down-Cycle nicht überleben sollte, was wären die Assets im Falle einer Liquidation mindestens wert?
- Welchen Wert hat das Unternehmen, wenn man den gesamten Zyklus berücksichtigt (sich also die TTC bzw. Through-the-Cycle Performance anschaut)?
- Welchen Wert wird der Kapitalmarkt dem Geschäft vermutlich beimessen, wenn sich die Branche in einer Boomphase bzw. am Peak des Zyklus befindet?
Den Aurubis-Anteil habe ich dabei jeweils separat betrachtet.
Hier seht ihr schonmal vorweggenommen das Ergebnis meiner Betrachtung, welches ich im Folgenden etwas näher erläutern möchte.
Liquidationswert
Ich glaube zwar nicht, dass die Salzgitter AG den aktuellen zyklischen Abschwung nicht überleben wird. Trotzdem ist es aus meiner Sicht hilfreich, einmal zu verstehen, wie viel die Assets im Liquidationsfall eigentlich wert wären.
Als Ausgangspunkt habe ich mir deshalb einmal den Buchwert des Unternehmens (ohne die Aurubis-Beteiligung) angesehen. Anschließend habe ich zunächst die immateriellen Vermögenswerte, dann die Sachanlagen und schlussendlich auch Teile der Lagerbestände und Forderungen abgezogen.
Den Aurubis-Anteil habe ich zusätzlich mit einem recht konservativen Kurs von 40 EUR/Aurubis-Aktie für die Bewertung berücksichtigt.
Wie ihr sehen könnt, bewegt sich der Net Current Asset Value der Salzgitter AG, also der bis auf die kurzfristigen Vermögenswerte reduzierte Asset-Value plus Aurubis-Anteil, bei ca. 19 EUR/Aktie.
Das ist schonmal ganz gut, denn das Ergebnis der Liquiditätswertbetrachtung zeigt, dass selbst bei kompletter Verschrottung aller Produktionsanlagen sowie Nichtberücksichtigung aller immateriellen Vermögenswerte (Patente etc.) auf den aktuellen Aktienkurs aktuell noch eine Sicherheitsmarge von ca. 20% vorhanden ist. Das Abwärtspotenzial sollte also hoffentlich begrenzt sein. 🙂
Through-the-Cycle und Peak-Bewertung
Sehen wir uns nun auf der anderen Seite einmal das Aufwärtspotenzial an. Um dieses zu ermitteln, habe ich mir einmal das EBITDA-Niveau über die letzten 5 Jahre angesehen und versucht, einen realistischen Through-the-Cycle Wert – also einen Mittelwert über den gesamten Stahlzyklus – abzuschätzen.
Den Aurubis-Anteil habe ich hierbei wiederum separat betrachtet und auf Basis eines mittleren historischen Kursniveaus bewertet (aktuell liegt der Kurs der Aurubis-Aktie in der gleichen Größenordnung, war aber durchaus auch schonmal um einiges höher).
Bei der folgenden Bewertung habe ich darüber hinaus auch berücksichtigt, dass der Kapitalmarkt aktuell vermutlich ein zu niedriges Bewertungsniveau ansetzt, welches ebenfalls nicht den Wert über den Zyklus reflektiert.
Wie ihr sehen könnt, gehe ich über den Zyklus von einem EBITDA-Niveau von ca. 550 Mio. EUR aus, was in den letzten 6 Jahren (5 Jahre Historie plus TTM auf Basis von 9 Monaten) um Sondereffekte wie z.B. die Rückstellung für die Kartellstrafe im Grobblech-Geschäft bereinigt dreimal unter- und dreimal überschritten wurde. Ich gehe außerdem davon aus, dass der Markt die Salzgitter Aktie über den Zyklus noch etwas besser bewertet, als das aktuell der Fall ist, nämlich mit ca. dem 6,5 fachen EV/EBITDA. Unter Berücksichtigung der Nettoverschuldung (inkl. Pensionsverschuldung) von aktuell ca. 3 Mrd. EUR ergibt sich insgesamt ein intrinsischer Wert für die Salzgitter Aktie von ca. 25 EUR/Aktie… also ein Upside ggü. dem aktuellen Kurs von ca. 50%.
Nach der gleichen Logik habe ich mir einmal eine mögliche Bewertung am Hochpunkt des Zyklus (Peak oder Upcycle) angesehen. Die Annahmen könnt ihr der obigen Tabelle entnehmen. Alles in allem sollte der Aktienkurs der Salzgitter AG in einem Zeitraum mit guter Stahlkonjunktur durchaus wieder die 50 EUR Marke erreichen können, was im Vergleich zum heutigen Kursniveau in etwa einer Verdreifachung entspräche.
Wenn wir also einen Return von ca. 20% pro Jahr anstreben, dann können wir dem Stahlzyklus tatsächlich noch 7 Jahre Zeit geben, um diesen Zustand zu erreichen. Dies ist aus meiner Sicht durchaus nicht unrealistisch.
Chancen und Risiken
Von der Bewertung her gesehen, sieht das ganze erstmal nach einem attraktiven Investment Case aus. Allerdings gibt es doch ein paar Risiken, die wir jedenfalls qualitativ im Hinterkopf behalten sollten (und auf der anderen Seite aber auch ein paar Chancen).
Bis das Stahlgeschäft den nächsten Peak erreicht, können im schlechtesten Fall noch einige Jahre ins Land gehen. In diesen Jahren könnten negative Cash Flows unter Umständen die Nettoverschuldung weiter vergrößern, was einen negativen Einfluss auf den Eigenkapitalwert sowie auch Implikationen auf das Credit Rating bzw. die finanzielle Stabilität haben könnte.
Hier hat die Salzgitter AG allerdings bereits Gegenmaßnahmen ergriffen. Das Unternehmen hat ein Kostenprogramm ins Leben gerufen (FitStructure 2.0), mithilfe dessen das operative Ergebnis bis 2021 um ca. 80 Mio. EUR verbessert werden soll. Darüber hinaus sollen weitere ca. 170 Mio. EUR aus zusätzlichem Wachstum bzw. aus Verbesserungen der Portfoliostruktur kommen.
Ich sehe diese Themen eher als Kompensation denn als zusätzliche Wachstumshebel. Ich gehe also davon aus, dass diese Maßnahmen bestenfalls dazu führen werden, das sich die Ertragskraft über den Zyklus gesehen nicht verschlechtert.
Relevant könnte außerdem die 4. Handelsperiode des ETS (Emission Trading Scheme, das europäische Emissionshandelssystem) sein. Laut eigener Aussage hat sich Salzgitter hier aber bereits in ausreichendem Maße mit CO2-Zertifikaten eingedeckt, sodass über die nächsten Jahre kein negativer Effekt zu erwarten ist.
Der Barwert der Pensionsrückstellungen wird aktuell mit einem historisch niedrigen Diskontierungssatz von unter 1% ermittelt (in den Vorjahren von 1,5 bzw. 1,75%). Sollte sich der Diskontierungssatz in Zukunft wieder erhöhen, hatte das einen positiven Effekt auf die Nettoverschuldung. Laut Geschäftsbericht 2018 würde eine Erhöhung des Diskontierungssatzes um ca. 0,25% die Pensionlasten um ca. 80 Mio. EUR verringern.
Fazit
Die Aktie der Salzgitter AG, eines zyklischen Unternehmens mit starker Abhängigkeit von der Stahlkonjunktur, handelt aktuell nahe ihrem 5-Jahres-Tief bei ca. 16 EUR/Aktie, was einer Marktkapitalisierung von ca. 900 Mio. EUR entspricht.
Von diesen 900 Mio. EUR macht der 30%ige Anteil am ebenfalls gelisteten Kupferproduzenten Aurubis ca. zwei Drittel (genauer gesagt ca. 670 Mio. EUR) aus.
Auf Basis des Liquidationswertes ergibt sich für die Aktie ein konservativer Wert von ca. 19 EUR (Aurubis-Anteil bei einem Kurs von 40 EUR je Aurubis-Aktie ca. 10 EUR/Aktie). Über den Zyklus sollte das Geschäft jedoch aufgrund sowohl eines verbesserten Ertragsniveaus, als auch aufgrund einer attraktiveren Bewertung durch den Kapitalmarkt mit ca. 25 EUR/Aktie noch attraktiver bewertet sein.
Glauben wir außerdem an eine Verbesserung der Stahlkonjunktur innerhalb der nächsten 7 Jahre, ist ein Kurs von 50 EUR/Aktie und damit ein Return von ~20% pro Jahr durchaus im Bereich des Möglichen. Das gilt insbesondere, weil Salzgitter bereits Effizienzsteigerungsmaßnahmen zur Kompensation der weiter erodierenden Kostenbasis angestoßen hat.
Allerdings besteht trotzdem ein gewisses Restrisiko, sofern negative Cash Flows die Nettoverschuldung über die kommenden Jahre weiter nach oben treiben.
Disclaimer
Disclaimer 1: Die Inhalte dieses Artikels wurden mit größtmöglicher Sorgfalt und nach bestem Wissen erstellt. DIY Investor übernimmt jedoch keine Gewähr für die Aktualität, Vollständigkeit und Richtigkeit der bereitgestellten Informationen und haftet nicht für Investitionsentscheidungen, die auf Basis dieser Informationen getroffen werden. Mit anderen Worten: Do your own research!
Disclaimer 2: Ich bin nicht im Besitz von Salzgitter-Aktien, könnte aber kurzfristig eine Position aufbauen.
1 Kommentar zu „Salzgitter AG: Ein Zykliker im Downcycle“
toller Beitrag, toller blog!!!