Im Rahmen der Unternehmensbewertung stehen wir regelmäßig vor dem Problem, dass wir die Unterscheide zwischen ausgewiesenem Gewinn und tatsächlich erwirtschaftetem Cash Flow herausarbeiten und ggf. für die Zukunft abschätzen müssen. In diesem Zusammenhang kommt den so genannten Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) auf der Bilanz eine wesentliche Bedeutung zu.
Aus meiner Sicht ist das Grund genug, dem Thema Rechnungsabgrenzungsposten (Entstehung, Auflösung, Abgrenzung zur Rückstellung etc.) einmal einen eigenen Beitrag zu widmen.
Was ist ein Rechnungsabgrenzungsposten?
Wer ein kleines Gewerbe besitzt, der kennt mit Sicherheit die so genannte Einnahmen-Ãœberschuss-Rechnung oder kurz EÃœR. Bei der EÃœR handelt es sich um eine einfache Gewinnermittlung auf Basis der konkreten Ein- und Auszahlungen. Das heißt, ein Umsatz oder eine Ausgabe wird – unabhängig vom Zeitpunkt der Leistung – genau dann erfasst, wenn ein Rechnungsbetrag aus das Konto überwiesen bzw. von diesem abgebucht wird.
Wer als kleiner Gewerbetreibender also z.B. für das halbe Jahr von Juli bis Dezember einen Programmierer mit der Erstellung einer Webseite beauftragt und die Gesamtrechnung anschließend im Januar des Folgejahres bezahlt, für den gilt auch für die Gewinnermittlung nur der Zeitpunkt eigentlichen Auszahlung.
Aufwand und Zahlungsmittelabfluss fallen also im Grunde genommen zum gleichen Zeitpunkt bzw. in der gleichen Berichtsperiode an.
Für große Unternehmen bzw. Kapitalgesellschaften wie GmbHs und AGs sieht das Ganze etwas anders aus. Diese müssen Umsätze und auch Aufwendungen genau dann in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) erfassen, wenn die Leistung erbracht bzw. in Anspruch genommen wurde… und zwar ganz unabhängig davon, wann die Zahlung erhalten bzw. geleistet wurde. In den §§ 250 und 252 des deutschen Handelsgesetzbuches (HGB) heißt es dazu:
Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahres sind unabhängig von den Zeitpunkten der entsprechenden Zahlungen im Jahresabschluss zu berücksichtigen. – § 252, Abs. 1, Nr. 5 HGB
In IFRS gilt die Logik übrigens ganz äquivalent (geregelt in IAS 1.25).
In diesem Zusammenhang kommt den so genannten Rechnungsabgrenzungsposten auf der Bilanz die Aufgabe zu, etwaige Differenzen zwischen Leistungs- und Zahlungszeitpunkt zu überbrücken… wenn nämlich Zahlung und Aufwand (oder Ertrag) nicht übereinstimmen, braucht es schon aus technischer Sicht eine weitere Bilanzposition, damit die Bilanzsummen auf Aktiv- und Passivseite wieder identisch sind.
Oder ganz simpel ausgedrückt: Wenn Leistungserbringung und Zahlung in der gleichen Periode erfolgen, braucht es keinen Abgrenzungsposten.
Welche Arten von Abgrenzungsposten es gibt und wie genau diese Rechnungsabgrenzungsposten entstehen bzw. wie sie wieder aufgelöst werden, darauf möchte ich nun einmal etwas detaillierter eingehen.
Rechnungsabgrenzungsposten auf der Bilanz
Zunächst mal sind Rechnungsabgrenzungsposten sowohl auf der Aktivseite, als auch auf der Passivseite einer typischen Bilanz zu finden:
Aus diesem Grund wird auch zwischen aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungsposten differenziert.
Das gilt in der Form jedenfalls nach HGB. Nach IFRS bzw. US-GAAP ist ein “Rechnungsabgrenzungsposten” als explizite Summenposition allerdings nicht vorgesehen. Stattdessen gibt es oft eigene Kategorien für bestimmte Arten von Abgrenzungsposten, z.B. wäre der “Unverdiente Ertrag” (Unearned oder Deferred Revenue) ein Beispiel für einen passiven RAP. Ein paar weitere Beispiele könnt ihr der Grafik weiter unten entnehmen.
In der Praxis gibt es vier verschiedene Fälle der Rechnungsabgrenzung zu unterscheiden, abhängig erstens davon wer der Leistungserbringer ist bzw. wer die Leistung in Anspruch nimmt (Unternehmen oder Lieferant / Dienstleister bzw. Kunde) und zweitens davon, wann die tatsächliche Zahlung erfolgt (in der Periode vor oder nach der Leistungserbringung):
- Transitorische Rechnungsabgrenzungsposten
- Aktiver RAP: Vorauszahlung im aktuellen Jahr geleistet, Inanspruchnahme der Leistung (zumindest teilweise) erst im nächsten Jahr
- Passiver RAP: Vorauszahlung im aktuellen Jahr erhalten, Leistungserbringung (zumindest teilweise) erst im nächsten Jahr
- Antizipative Rechnungsabgrenzungsposten
- Sonst. Verbindlichkeit: Inanspruchnahme einer Leistung im aktuellen Jahr, Zahlung erst im Folgejahr
- Sonstige Forderung: Leistungserbringung im aktuellen Jahr, Zahlung im Folgejahr
Wie ihr vielleicht aus der Auflistung herauslesen könnt, beziehen sich transitorische Rechnungsabgrenzungsposten auf Situationen, in denen die Zahlung bereits im laufenden Jahr, die Leistungserbringung aber erst im Folgejahr stattfindet. Bei den antizipativen Rechnungsabgrenzungsposten ist es genau umgekehrt.
Hier nochmal eine grafische Darstellung der verschiedenen Arten von Abgrenzungsposten… wie bereits oben angedeutet inklusive einiger typischer IFRS-Bezeichnungen:
Klassifizierung von RAP als Forderungen oder Verbindlichkeiten
Vielleicht ist euch bis hierher bereits aufgefallen, dass nur in zwei Fällen – nämlich für die transitorischen RAP – sozusagen “offizielle” Rechnungsabgrenzungsposten gebildet werden. Abgrenzungsposten antizipativer Art – also Vorgänge mit Zahlung im Folgejahr bzw. der Folgeperiode – werden auf der Bilanz als sonstige Forderungen bzw. Verbindlichkeiten erfasst.
Dies ist im Wesentlichen konsistent mit der Klassifizierung von Forderungen oder Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen (Receivables und Payables), neben den Lagerbeständen bzw. Vorräten typischerweise die wesentlichen Bestandteile des Working Capital. Auch bei diesen beiden Positionen handelt es sich ja im Grunde nur um – zugegebenermaßen auf der Bilanz sehr prominent und transparent platzierte – antizipative Rechnungsabgrenzungsposten.
Diese Logik wird auch aus dem § 266 HGB (Gliederung der Bilanz) deutlich, in dem die sonstigen Forderungen und Vermögenswerte wie folgt unterteilt werden:
- Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
- Forderungen gegen verbundene Unternehmen
- Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht
- sonstige Vermögensgegenstände
Dabei haben die Forderungen ggü. verbundenen Unternehmen bzw. ggü. Unternehmen, mit denen Beteiligungsverhältnisse bestehen, Vorrang vor den Forderungen aus L.u.L. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das aber eigentlich nur, dass es sich bei diesen Forderungen meist ebenfalls um noch nicht gezahlte Rechnungen handelt.
Für die Verbindlichkeiten gilt die folgende Logik, wobei bzgl. der Berücksichtigung von Rechnungsabgrenzungsposten vor allem die nicht verzinslichen Positionen (ohne Klammern) relevant sind bzw. sein können:
- [Anleihen]
- [Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten]
- erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen (ggf. auch als RAP klassifiziert)
- Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
- Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener Wechsel und der Ausstellung eigener Wechsel
- Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen
- Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht
- sonstige Verbindlichkeiten
Nach IRFS und US-GAAP sind die Bezeichnungen bzw. die Einteilungen wie gesagt wieder etwas anders (die IFRS-Bilanzgliederung ist in IAS 1 enthalten). Konzeptionell gibt es aber im Grunde keinen Unterschied.
Auch wenn ich hoffe, dass inzwischen bereits klar geworden ist, was Rechnungsabgrenzungsposten überhaupt sind, lässt sich die Mechanik hinter den Abgrenzungsposten vermutlich doch am besten anhand von ein paar einfachen Beispielen erläutern.
Beispiel aktiver Rechnungsabgrenzungsposten
Nehmen wir als Beispiel nochmal das von mir bereits in der Vergangenheit hin und wieder verwendete Research-Unternehmen.
Stellt euch vor, dieses Unternehmen hat im Februar des Jahres 2020 ein Abo für die Bereitstellung bzw. Nutzung von Finanzdaten z.B. mit Finbox oder Morningstar abgeschlossen. Im Wesentlichen handelt es sich, wie ihr euch sicher denken könnt, um einen Zugang zu einem Online-Portal mit verschiedenen Download-Möglichkeiten.
Das Abo läuft für ein Jahr (also von Anfang Februar 2020 bis Ende Januar 2021) und kostet umgerechnet insgesamt 180 EUR, welche quasi sofort per Paypal oder Kreditkarte bezahlt werden.
Fest steht also bereits, dass dem Unternehmen aus dem Kauf im Geschäftsjahr 2020 ein Barmittelabfluss (Cash Outflow) in Höhe von 180 EUR entsteht.
Gleichzeitig kann der Zugang aber bis ins nächste Geschäftsjahr hinein – nämlich bis Ende Januar 2021 – genutzt werden. Aufgrund der Anforderung des § 250 HGB bzw. nach IAS 1.25 muss also ein bestimmter Anteil (genauer gesagt genau 1/12) des Gesamtaufwandes von 180 EUR gewinnmindernd ins nächste Geschäftsjahr verschoben werden.
Zu diesem Zweck wird dem tatsächlichen Barmittelabfluss in 2020 ein Aufwand in Höhe von 165 EUR (= 11/12 von 180 EUR) sowie ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten in Höhe von 15 EUR (= 1/12) gegenübergestellt.
Auf der Bilanz sieht das isoliert betrachtet dann ungefähr so aus:
Im Jahr 1 (2020) finden wir auf der Aktivseite den Barmittelabfluss i.H.v. 180 EUR wieder, gleichzeitig reduziert sich das Eigenkapital um eben jene 165 EUR, die in der GuV bereits als Aufwand verbucht werden können. Die Differenz i.H.v. 15 EUR wird als aktiver Rechnungsabgrenzungsposten erfasst und sozusagen auf der Bilanz zwischengeparkt (Finbox bzw. Morningstar schuldet dem Unternehmen ja gewissermaßen noch die Leistung für einen Monat).
Im Folgejahr (2021) wird dann einfach der RAP wieder aufgelöst und als Aufwand verbucht. Dieser kommt dann über den Umweg der GuV schließlich im Eigenkapital an. Eine tatsächliche Zahlung findet nicht mehr statt.
(Zur Erinnerung: Der Jahresüberschuss, abzüglich des zur Ausschüttung an die Aktionäre vorgesehenen Betrages, wird als Gewinnvortrag (Retained Earnings) dem Eigenkapital gutgeschrieben.)
In der Praxis wird übrigens häufig zuerst die gesamte Zahlung als Aufwand gebucht. Am Ende des Geschäftsjahres bzw. des Quartals erfolgt dann die Korrektur des zu hoch angesetzten Aufwands durch die Bilanzierung eines RAP.
Für ein weiteres – und insbesondere im Rahmen der Corona-Krise sehr relevantes – Beispiel eines Rechnungsabgrenzungspostens schaut euch auch mal die Air Lease Fallstudie zur Abweichung zwischen reporteten und Cash Umsätzen an.
Beispiel passive Rechnungsabgrenzungsposten
Um die Entstehung und Auflösung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens zu illustrieren, gehen wir einmal davon aus, dass unser Research-Unternehmen quasi nebenbei etwas Geld mit der Vermietung einer Immobilie verdient.
Im aktuellen Geschäftsjahr nun hat das Unternehmen einen Mietvertrag über 6 Monate – beginnend im Oktober – abgeschlossen. Die vereinbarte Miete beträgt insgesamt 6.000 EUR und wird vom Mieter bereits vor bzw. mit der Schlüsselübergabe Anfang Oktober komplett in bar entrichtet.
Das Unternehmen kann sich also in 2020 über einen Barmittelzufluss (Cash Inflow) in Höhe von 6.000 EUR freuen. Da allerdings ein Teil der Mietzeit ins neue Geschäftsjahr fällt, kann nur ein Teil des erhaltenen Betrages (nämlich 3.000 EUR bzw. 50% der erhaltenen Gesamtmiete) bereits im Jahr 2020 als Ertrag verbucht werden.
Für den Rest ist ein passiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden und auf der Bilanz auszuweisen (das Unternehmen schuldet dem Mieter in 2021 ja noch 3 Monate Mietzeit).
Ganz konkret sehen Entstehung und Auflösung des passiven RAP ungefähr so aus:
Im Jahr 1 (2020) fließt dem Unternehmen der Gesamtbetrag in Höhe von 6.000 EUR in bar zu. Gleichzeitig erfüllt das Unternehmen sein Leistungsversprechen, nämlich die Bereitstellung von Wohn- oder Büroräumlichkeiten, bereits zur Hälfte (am Ende des Geschäftsjahres sind 3 von 6 Monaten des Mietzeitraums bereits verstrichen). Dem entsprechend können im ersten Jahr bereits 3.000 EUR als als Ertrag angesetzt werden.
Um die Bilanz auszugleichen – 6.000 EUR Barmittelzufluss stehen aktuell 3.000 EUR Ertragszuwachs gegenüber – wird ein passiver Abgrenzungsposten i.H.v. 3.000 EUR gebildet. Im Folgejahr wird dieser wieder aufgelöst und der restliche Ertrag entsprechend erfasst.
Rückstellungen versus Abgrenzungsposten
Über die hier behandelten Rechnungsabgrenzungsposten hinaus gibt es noch eine weitere typische Bilanzposition, mithilfe derer zukünftige Auszahlungen bereits heute als Aufwand geltend gemacht werden können (bzw. müssen): Die Rückstellung.
Die wesentlichsten Arten von Rückstellungen auf einer Bilanz sind typischerweise
- ungedeckte Pensionsverpflichtungen sowie
- latente Steuerschulden
Beide Verbindlichkeiten werden in der Regel auf der Bilanz separat dargestellt.
Ich möchte hier nun nicht im Detail auf das Thema Rückstellungen eingehen (dazu gibt es mit Sicherheit bald noch einen separaten Artikel auf DIY Investor), sondern nur kurz den wesentlichen Unterschied zum Rechnungsabgrenzungsposten erwähnen.
Im Gegensatz zum RAP ist die Rückstellung nämlich immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet (sowohl was den Eintritt, als auch was die tatsächliche Höhe der Verbindlichkeit bzw. Auszahlung angeht). IFRS gibt hier lediglich vor, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit oberhalb von 50% liegen und die Höhe der Verbindlichkeit “zuverlässig abschätzbar” sein sollte.
Fazit Rechnungsabgrenzungsposten
Nach § 250 bzw. §v 252 HGB (bzw. für IFRS nach IAS 1.25) gilt, dass Aufwendungen und Erträge eines Geschäftsjahres im Wesentlichen unabhängig von den zugehörigen Zahlungen im Jahresabschluss zu berücksichtigen sind.
Die so genannten Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) sind nun dazu da, um die entstehenden Abweichungen zwischen Aufwendungen und Erträgen auf der einen und Barmittelzu- und abflüssen auf der anderen Seite aufzufangen.
RAP werden dem entsprechend auf der Bilanz entweder als Vermögenswert (wenn eine Zahlung bereits geleistet wurde, die zugehörige Leistung aber noch nicht (vollständig) erbracht wurde) oder als Verbindlichkeit (im umgekehrten Fall) erfasst.
Ein Verständnis der Rechnungsabgrenzungsposten ist für die Unternehmensbewertung unter anderem deshalb relevant, weil sie über die Working Capital Veränderungen einen wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Gewinn und Cash Flow repräsentieren.