Case Study Rechnungsabgrenzung: Reporteter Umsatz versus Cash Umsatz in der Krise

Inhalt

Vor einiger Zeit hatte ich euch ja mal das Konzept des Rechnungsabgrenzungspostens (RAP) vorgestellt. Bei einem Rechnungsabgrenzungsposten handelt es sich vereinfacht gesprochen um eine Abweichung zwischen Gewinn und operativem Cash Flow, die in Form eines entsprechenden Eintrags auf der Bilanz von einer Periode in die andere überführt wird.

In diesem Zusammenhang ist es nun wichtig zu verstehen, dass es Geschäftsmodelle gibt, für die die Rechnungsabgrenzungsposten insbesondere in Krisenzeiten eine wesentliche Bedeutung haben… heißt, für die Umsatz bzw. Gewinn und zugehöriger Cash Flow deutlich auseinanderdriften.

In dieser Fallstudie möchte ich deshalb einmal illustrieren, welchen Praxisbezug bzw. welche Relevanz die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten eigentlich für unsere Unternehmens- bzw. Aktienanalyse haben kann und warum insbesondere die Umsatzentwicklung nicht zwangsläufig ein guter Indikator für die Stabilität und Resilienz eines Geschäftsmodells darstellt.

Hierzu möchte ich einmal auf eine der durch Corona am stärksten betroffenen Branchen, nämlich die Luftfahrtbranche, eingehen.


Luftfahrtbranche und Corona-Implikationen

Ihr erinnert euch bestimmt an die Meldungen Anfang 2020, in denen von einem Rückgang des Flugverkehrs von ca. 90% die Rede war (heißt zeitweise befanden sich bis zu 90% aller Flugzeuge gleichzeitig am Boden).

Die zugehörigen Daten werden unter anderem von Eurocontrol erhoben und zeigen für das Gesamtjahr 2020 eine durchschnittliche Auslastung der europäischen Flugzeugflotte von weniger als 50%:

Eurocontrol - Anzahl Flüge während Corona

Anzahl Flüge Europa (2020 versus 2019); Quelle: Eurocontrol

Wie ihr sehen könnt, fanden insbesondere in den Wochen ab Anfang / Mitte März im Vergleich zum Vorjahr kaum Flüge statt… auf diesen Zeitraum passt die Aussage “90% der Flugzeuge befanden sich am Boden” also tatsächlich relativ genau.

Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass dieser Quasi-Stillstand direkt auch an der Umsatzentwicklung der großen Fluggesellschaften abgelesen werden kann:

Umsatzentwicklung Airlines - Rechnungsabgrenzungsposten

Umsatzentwicklung ausgewählter Fluggesellschaften seit 2018 [Mio. EUR]; Quelle: Finbox

Wenn wir einmal genau hinschauen, dann sind die ersten Anzeichen sogar bereits im ersten Quartal 2020 erkennbar gewesen. Tatsächlich hat der Lockdown in China ja bereits etwas früher begonnen… das könnte hier ein Argument sein.

Wenn wir uns allerdings auf der anderen Seite einmal die Umsatzentwicklung der großen Flugzeugleasing-Gesellschaften ansehen, dann stellen wir fest, dass diese so gut wie keine Umsatzeinbußen zu verzeichnen hatten:

Umsatzentwicklung Flugzeugleasing-Gesellschaften - Rechnungsabgrenzungsposten

Umsatzentwicklung Air Lease und AerCap seit 2018 [Mio. EUR]; Quelle: Finbox

Insbesondere für die etwas kleinere Air Lease entwickelte sich der Umsatz ziemlich stabil, aber auch bei der viel größeren AerCap ist der Umsatzeinbruch in keiner Weise mit dem der Airlines vergleichbar.

Wenn wir uns nun die Frage stellen, warum das eigentlich so ist, also warum die Leasing-Firmen auf Basis einer Umsatzbetrachtung scheinbar kaum von Corona betroffen waren bzw. sind, dann gelangen wir über ein paar Umwege zum eingangs bereits angesprochenen Rechnungsabgrenzungsposten (RAP).


RAP: Reporteter Umsatz versus Cash Umsatz

Wenn ihr euch erinnert: Nach § 250 bzw. § 252 HGB (bzw. für IFRS nach IAS 1.25) müssen Aufwendungen und Erträge eines Geschäftsjahres im Wesentlichen unabhängig von den zugehörigen Zahlungen im Jahresabschluss berücksichtigt werden… in US GAAP ist das mehr oder weniger identisch geregelt (ASC 606).

Das heißt vereinfacht gesprochen: Ein Unternehmen muss einen Umsatz genau dann ausweisen, wenn es die versprochene Leistung erbracht hat… und zwar ganz unabhängig davon, ob es für diese Leistung bereits bezahlt wurde, oder nicht (Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel).

In diesem Zusammenhang leuchten auch die stark voneinander abweichenden Umsatzentwicklungen von Airlines und Leasing-Companies relativ schnell ein:

  • Die Airlines können immer dann einen Umsatz für sich verbuchen, wenn sie einen Passagier oder auch eine Fracht wie vereinbart von Punkt A nach Punkt B transportiert haben. Da dies während des Lockdowns so gut wie unmöglich war, konnten Lufthansa und Co. auch keine Umsätze generieren
  • Die Leasing-Gesellschaften auf der anderen Seite verbuchen einen Umsatz in der Regel genau dann, wenn ein Flugzeug für den jeweiligen Monat an eine Airline vermietet bzw. verleast war. Also auch wenn das Flugzeug gar nicht fliegt und / oder die Airline die Leasingrate erstmal nicht zahlt: Solange für das Flugzeug ein langfristiger Leasingvertrag existiert und das Flugzeug nicht zurückgegeben wurde, muss ein entsprechender Umsatz verbucht werden

Passend dazu auch der folgende Kommentar von Air Lease aus dem ersten “Corona”-Quartalsbericht aus dem August 2020 (für das Quartal April bis Juni 2020):

While lease deferrals may delay the Company’s receipt of cash, the Company generally recognizes the lease revenue during the period even if a deferral is provided to the lessee, unless it determines collection is not reasonably assured. […] In addition, if collection is not reasonably assured, the Company will not recognize rental income for amounts due under our lease contracts and will recognize revenue for such lessees on a cash basis. – Air Lease Quartalsbericht Q2-2020

Solange Air Lease also davon ausgeht, dass die geschuldeten Leasingraten irgendwann in näherer Zukunft zufließen werden, wird der Umsatz entsprechend verbucht. Nur für den Fall einer Restrukturierung des Leasingvertrags (die auch eine Kündigung beinhalten könnte) wird kein entsprechender Umsatz angesetzt. Letzteres sollte i.W. die Ursache für die tatsächlichen Umsatzrückgänge während der Corona-Krise sein.

(Hinweis: Inzwischen – Stand August 2021 – hat Air Lease laut der aktuellsten Investorpräsentation ca. 52% der ursprünglich gewährten Zahlungsaufschübe in Höhe von ca. 244 Mio. USD bereits eingesammelt.)

Natürlich liegt die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Erhalts einer Nachzahlung wie immer im Ermessen des Managements. Aus diesem Grund sollten wir uns neben der Umsatzentwicklung auch mit dem tatsächlich zugeflossenen Cash Umsatz beschäftigen.

Die gleiche Logik gilt im Übrigen auch für Immobiliengesellschaften und andere Geschäftsmodelle, die auf einer längerfristigen Vermietung bestimmter Assets basieren.

Rechnungsabgrenzung: Bilanz- und Cash Flow-Betrachtung

Wenn wir uns nun einmal die Bilanz von Air Lease anschauen, dann finden wir dort zwar die “Rentals Received in Advance”, also die vorab erhaltenen Mietzahlungen, als separaten Posten auf der Passivseite wieder. Den umgekehrten Fall, also die unbezahlten Forderungen für die bereits erbrachte Leistung bzw. die “Lease Receivables”, suchen wir allerdings vergebens.

Ein Blick in die Accounting Policies im Anhang zum Jahresabschluss hilft weiter… wichtig ist in diesem Zusammenhang der dritte Absatz des folgenden Zitats aus dem Bericht (hab ich selbst einmal aus Gründen der Übersichtlichkeit unterteilt):

We lease flight equipment principally under operating leases and report rental income ratably over the life of each lease.
Rentals received, but unearned, under the lease agreements are recorded in Rentals received in advance on our Consolidated Balance Sheets until earned.
The difference between the rental income recorded and the cash received under the provisions of the lease is included in Lease receivables, as a component of Other assets on our Consolidated Balance Sheets. An allowance for doubtful accounts will be recognized for past-due rentals based on management’s assessment of collectability.
– Air Lease Geschäftsbericht

Die Abweichungen zwischen den verbuchten Mieteinnahmen (den Umsatzerlösen) und den erhaltenen Barmitteln werden also zwar als Leasingforderungen (“Lease Receivables”) ausgewiesen. In der veröffentlichten und aggregierten Konzernbilanz werden diese allerdings mit verschiedenen anderen Vermögenswerten unter der Position “Other Assets” subsummiert und sind damit nicht explizit sichtbar.

Neben den Leasingforderungen beinhaltet die Position unter anderem noch die zum Verkauf stehenden Flugzeuge (“Aircraft Held for Sale”) sowie auch die geleisteten Anzahlungen für bereits erworbene bzw. georderte Flugzeuge.

Das heißt die Entwicklung der sonstigen Vermögenswerte auf der Bilanz wird nicht ausschließlich durch die Veränderung der Lease Receivables bestimmt. Manche Veränderungen sind darüber hinaus außerdem direkt cash-wirksam (wie z.B. die Anzahlungen).

Dies vorangeschickt schauen wir uns einmal den Cash Effekt auf die Veränderung der sonstigen Vermögenswerte an (Cash Effekt meint hier natürlich relativ zum Nettogewinn entsprechend der Kapitalflussrechnung):

Veränderung sonstige Aktiva Air Lease - Rechnungsabgrenzungsposten

Veränderung der sonstigen Aktiva laut Kapitalflussrechnung Air Lease [Mio. USD], Quelle: Finbox

Aus meiner Sicht kann man den negativen Einfluss der Corona-Krise trotz verschiedener überlagernder Effekte deutlich ablesen. Die negativen Einschläge ab ca. dem ersten Quartal 2020 sollten zu einem großen Teil auf die Zunahme der Leasingforderungen – also die Zahlungsausfälle bzw. die mit den Airlines vereinbarten Zahlungsaufschübe – zurückzuführen sein… genau herausrechnen lässt sich das allerdings wie gesagt aus den Zahlen nicht (dafür enthalten allerdings die Investorpräsentationen von Air Lease die erforderlichen Infos).


Key Take Aways

Auf der ersten Blick scheinen die Airline-Leasinggesellschaften viel besser durch die Corona-Krise gekommen zu sein als die Airlines selbst (jedenfalls auf Basis einer Betrachtung der Umsatzentwicklung).

Auch wenn diese erste Einschätzung vermutlich der Wahrheit entspricht: Der reine Umsatzvergleich erzählt uns bei weitem nicht die ganze Geschichte.

Aufgrund der Regelungen zur Realisierung von Umsätzen (IFRS: IAS 1.25, US GAAP: ASC 606) müssen Umsätze nämlich bereits dann als solche ausgewiesen werden, wenn die entsprechende Leistung erbracht wurde… und zwar mehr oder weniger unabhängig davon, ob bereits eine zugehörige Zahlung geleistet wurde.

In einer größeren Krise könnte dieser Umstand insbesondere für Geschäftsmodelle mit länger laufenden Leasing- oder Mietverträgen zu einer Situation führen, in der die reporteten Umsätze nicht mehr repräsentativ sind.

Aus diesem Grund sollten wir uns im Rahmen unserer Bilanzanalyse auch die Veränderungen der entsprechenden Abgrenzungsposten bzw. die Abweichung des operativen Cash Flows von der relevanten Gewinnkennzahl ganz genau ansehen.

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